S 5 AL 480/04

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 5 AL 480/04
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
SOZIALGERICHT LÜBECK IM NAMEN DES VOLKES Urteil In dem Rechtsstreit des Herrn M S , geboren am ...1976, A L B , L , - Kläger - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B , W , L , W Straße , G , - / / - gegen die Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch Agentur für Arbeit Lübeck, Hans-Böckler-Straße 1, 23560 Lübeck, - - / -, - Beklagte - hat die 5. Kammer des Sozialgerichts Lübeck auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 2006 in Lübeck durch ihre Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht Reiland, sowie den ehrenamtlichen Richter Herr Weiß und die ehrenamtliche Richterin Frau Wischnewski für R e c h t erkannt: Der Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2004 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die notwendigen, außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine 3-wöchige Sperrzeit.

Der am. 1976 geborene Kläger meldete sich erstmals am 06. November 2003 bei der Beklagten arbeitslos und bezog ab 01. Dezember 2003 Arbeitslosengeld. Zuvor hatte er Tätigkeiten als Koch ausgeübt. In der Zeit vom 19. April bis 02. Mai 2004 war er erneut als Koch tätig. Mit Bescheid vom 02. Juni 2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger erneut Arbeitslosengeld ab 09. Mai 2004. Der wöchentliche Leistungssatz betrug 141,47 EUR.

Der Kläger suchte am 10. Mai 2004 persönlich die Agentur für Arbeit auf. Die zuständige Mitarbeiterin der Beklagten Frau J sichtete entsprechende Vermittlungsvorschläge und händigte laut ihrer im Computer gespeicherten Vermittlungsübersicht dem Kläger drei Vermittlungsvorschläge aus. Diese betrafen die Firma B , die G P -S GmbH und die Firma M. Der Kläger bewarb sich bei der G P S GmbH nicht. Daraufhin führte die Beklagte am 18. Juni eine Anhörung des Klägers durch. Dieser nahm dahin gehend Stellung, er habe den Vermittlungsvorschlag nicht erhalten und sich demzufolge auch nicht bei der G P -S GmbH melden können. Die Beklagte nahm ihre Vermittlungsübersicht zur Akte und verhängte mit Bescheid vom 22. Juni 2004 gegen den Kläger eine Sperrzeit für die Zeit vom 11. Mai bis 31. Mai 2004. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe keinen Kontakt zum Arbeitgeber aufgenommen. Dadurch habe es nicht zu einer Einstellung kommen können. Das Verhalten des Klägers stehe einer Arbeitsablehnung gleich und rechtfertige eine Sperrzeit von drei Wochen. Gleichzeitig hob die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 11. Mai bis 31. Mai 2004 auf und forderte vom Kläger insgesamt 424,41 EUR zurück.

Der Kläger legte am 20. Juli 2004 Widerspruch ein und trug vor, er habe das Stellenangebot weder persönlich noch auf dem Postwege erhalten. Vielmehr seien ihm zwei Arbeitsplatzangebote unterbreitet worden, wovon eines doppelt benannt gewesen sei. Möglicherweise liege ein Versehen vor. Die Beklagte zog ihre BewA-Vermerke bei und holte eine schriftliche Stellungnahme der zuständigen Mitarbeiterin ein. Auf der Grundlage dieser Ermittlungen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2004 zurück und führte zur Begründung aus: In den Beratungsunterlagen der Vermittlungsfachkraft sei dokumentiert, dass am 10. Mai 2004 drei schriftliche Vermittlungsvorschläge mit Rechtsfolgebelehrungen für drei verschiedene Arbeitgeber ausgehändigt worden seien. Der Kläger könne sich also nicht mit Erfolg darauf berufen, den Vermittlungsvorschlag betreffend die Firma G P -S GmbH nicht erhalten zu haben. Er habe sich nicht mit dem Arbeitgeber in Verbindung gesetzt und so die Anbahnung des Beschäftigungsverhältnisses verhindert. Dieses Verhalten rechtfertige eine Sperrzeit von drei Wochen. Durch die Hinweise im Vermittlungsvorschlag sei dem Kläger das Risiko dieser Rechtsfolge bekannt gewesen.

Der Kläger hat am 16. September 2004 Klage erhoben. Er trägt vor, er sei am 10. Mai 2004 persönlich bei seiner für ihn zuständigen Sachbearbeiterin vorstellig geworden und habe zwei Vermittlungsvorschläge in Form eines entsprechenden Computerausdruckes überreicht bekommen. Es habe sich um die Firma B P M und die Firma M gehandelt. Am 11. Mai 2004 habe er einen der zwei Vermittlungsvorschläge auf dem Postwege nochmals erhalten. Allein der EDV-Eintrag der Beklagten in ihrer Vermittlungsübersicht stelle keinen hinreichenden Nachweis für die tatsächliche Aushändigung eines Vermittlungsvorschlages da.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 11. Mai 2004 bis 31. Mai 2004 nachzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich zur Begründung auf ihre Anforderungen in den angefochtenen Bescheiden und trägt ergänzend vor, der Vortrag des Klägers sei nicht überzeugend. Denn hiernach müssten zwei Versehen gleichzeitig passiert sein. Einerseits müsste versehentlich die Unterbreitung des Vermittlungsvorschlages betreffend die G P -S GmbH unterblieben sein, und zweitens müsste der Vermittlungsvorschlag betreffend die Firma B doppelt verschickt worden sein. Eine derartige Häufung von Versehen sei nicht wahrscheinlich.

Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2006 die Mitarbeiterin der Beklagten Frau J als Zeugin vernommen. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten hat der Kammer vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere unter Beachtung der Frist- und Formvorschriften (§§ 87 Abs. 1 und 2, 90, 92 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) erhoben worden und gemäß § 54 SGG statthaft.

Die Klage ist auch begründet. Die gefochtenen Bescheide sind aufzuheben, da die Beklagte zu Unrecht gegen den Kläger eine Sperrzeit von drei Wochen verhängt hat. Nach § 144 Abs. 1 Nummer 2 des Dritten Sozialgesetzbuches (SGB III) in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (zuletzt geändert durch das erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 – BGBl. I Seite 4607) tritt eine Sperrzeit ein, wenn ein Arbeitsloser trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht angetreten oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses insbesondere das zu Stande kommen eines Vorstellungsgespräches durch sein Verhalten verhindert hat. Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, oder, wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit. Während der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 144 Abs. 2 SGB III a. F.). Die Dauer der Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung beträgt im Falle der erstmaligen Ablehnung einer Arbeit drei Wochen (§ 144 Abs. 4 Satz 1 Nummer 1 c SGB III a. F.). Die Beklagte hat die Voraussetzungen der Sperrzeit darzulegen und nachzuweisen. Die objektive Beweislast der Voraussetzungen für den Eintritt der Sperrzeit trägt die Beklagte (Ausnahme: Die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen).

Nach den genannten Vorschriften sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtswidrig, da die Voraussetzungen für den Eintritt der 3-wöchigen Sperrzeit nicht nachgewiesen sind. Es steht nicht zweifelsfrei fest, dass dem Kläger der Vermittlungsvorschlag betreffend die G P -S GmbH am 10. Mai 2004 persönlich durch Frau J ausgehändigt worden ist. Die Vermittlungsübersicht der Beklagten (Blatt 77 der Verwaltungsakte) reicht als Nachweis hierfür nicht aus. Die in der mündlichen Verhandlung gehörte Zeugin J hatte an das konkrete Gespräch mit dem Kläger am 10. Mai 2004 keine Erinnerung mehr. Demzufolge konnte sie auch nicht die Ausgabe des streitigen Vermittlungsvorschlages an den Kläger bestätigen. Vielmehr hat die Zeugin ausführlich den üblichen "Gang der Dinge" geschildert. Hierbei ist für die Kammer deutlich geworden, das Versehen durchaus möglich und denkbar sind, d. h. ein Vermittlungsvorschlag kann in der Vermittlungsübersicht gebucht sein, ohne an den Arbeitslosen tatsächlich ausgehändigt worden zu sein. Die Mitarbeiterin der Beklagten musste zum damaligen Zeitpunkt im Computer beim Aufrufen der entsprechenden Masken bestimmte Häkchen setzen bzw. andere Häkchen – die bereits voreingestellt waren – nicht herausnehmen. Hierbei sind Versehen nicht auszuschließen. Falls z.B. das Häkchen "Blatt für Arbeitnehmer" versehentlich herausgenommen worden wäre, so würde die Ausgabe des Vermitllungsvorschlages in der Übersicht gebucht sein, obwohl er nicht ausgehändigt worden ist. Möglich ist auch, dass in der Vermittlungsübersicht das Merkmal "persönlich ausgehändigt" erscheint und einem Leistungsempfänger dennoch der Vorschlag auf dem Postwege unterbreitet wird. Aus diesen Gründen kann die Vermittlungsübersicht der Beklagten als Nachweis der Ausgabe eines Vermittlungsvorschlages und als Grundlage einer schwerwiegenden Sanktion wie der Verhängung einer Sperrzeit nicht genügen.

Da die Beklagte die Aushändigung des Vermittlungsvorschlages nicht nachgewiesen hat, kann letztlich die Frage offen bleiben, ob der Vortrag des Klägers in sich schlüssig ist oder nicht. Deshalb hat die Kammer auch nicht weiter ermittelt, ob dem Kläger tatsächlich zwei den gleichen Arbeitgeber betreffende Vermittlungsvorschläge – sei es nun die Firma M - oder die Firma B – übermittelt worden sind. Denn es findet keine " Beweislastumkehr" in dem Sinne statt, dass auf der Grundlage der Vermittlungsübersicht der Beklagten der Kläger beweispflichtig dafür wäre, welche Vermittlungsvorschläge ihm wann zugegangen sind. Auch spielt die Glaubwürdigkeit des Klägers oder die Frage, ob ein denkbares Versehen eher wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist, in diesem Zusammenhang keine Rolle. Der Kläger hat auf alle anderen Vermittlungsvorschläge der Beklagten mit einer Bewerbung reagiert und keine Veranlassung gegeben, an der Ernsthaftigkeit seiner Stellensuche zu zweifeln.

Entscheidungserheblich bleibt, dass die Beklagte die Ausgabe des Vermittlungsvorschlages an den Kläger nicht nachgewiesen hat, da sich weder eine entsprechende Kopie des Vorschlages in ihrer Verwaltungsakte befindet noch ein sonstiger als Nachweis geeigneter Beleg vorhanden ist. Abgesehen davon steht mangels Beleg auch nicht fest, ob der Kläger hinsichtlich der möglichen Rechtsfolgen ausreichend belehrt worden ist.

Da die Voraussetzungen der Sperrzeit nicht gegeben sind, kann eine Rückforderung überzahlten Arbeitslosengeldes wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 des Zehnten Sozialgesetzbuches (SGB X) nicht erfolgen.

Nach alledem ist der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen des Klägers.

Da der Streitwert dieses Verfahrens unter 500,00 EUR liegt, bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich daraus, dass – soweit ersichtlich – die Frage, ob die Vermittlungsübersicht der Beklagten als Nachweis für die Ausgabe eines Vermittlungsvorschlages an einen Arbeitslosen ausreichend ist, in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte bzw. des Bundessozialgerichts noch nicht behandelt worden ist.

R e i l a n d
Rechtskraft
Aus
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