Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 1738/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 4441/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. September 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Feststellung des Nachteilsausgleichs G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Zuletzt hatte das Versorgungsamt Rottweil (VA) mit Bescheid vom 7. Mai 1993 für den am 1964 geborenen Kläger ab 22. Dezember 1992 einen GdB von 40 festgestellt. Dieser Entscheidung hatte die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme der Vertragsärztin W. vom 5. Mai 1993 zugrunde gelegen, in welcher diese als Behinderungen eine Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule (LWS) nach zweimaliger Bandscheibenoperation mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen (Teil-GdB 40) und eine Nierensteindiathese (Teil-GdB 10) in Ansatz gebracht und den Gesamt-GdB mit 40 bewertet hatte. Ein auf Erhöhung des GdB und Feststellung von Nachteilsausgleichen gerichteter Antrag vom 23. September 1994 war ausweislich der Bescheide des VA vom 13. und 14. Februar 1995 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11. und 12. September 1995 ohne Erfolg geblieben.
Am 22. Januar 2003 beantragte der Kläger erneut die Erhöhung des GdB und die Feststellung von Nachteilsausgleichen. Er legte das für das Sozialgericht Reutlingen (SG) erstellte neurologisch-psychiatrische Rentengutachten von Dr. K. vom 17. Dezember 2002 vor. Dr. K. hatte ein schmerzhaftes Wurzelkompressionssyndrom von L 4 und L 5 rechts mit im Vordergrund stehenden organisch-neurologischen Störungen infolge zweier Bandscheibenoperationen diagnostiziert und ausgeführt, aufgrund der bei allen Körperhaltungen rasch auftretenden Schmerzsymptomatik seien auch leichte Arbeiten nicht mehr in Gewinn bringendem Umfang durchführbar. Das VA holte den Befundschein des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 2. März 2003 ein. Dr. S. brachte in der vä Stellungnahme vom 29. März 2003 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, einen operierten Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 40) sowie ein chronisches Schmerzsyndrom und eine seelische Störung (Teil-GdB 20) in Ansatz, bewertete den Gesamt-GdB mit 50 und führte aus, die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sei nicht erheblich beeinträchtigt. Hierauf gestützt hob das VA mit Bescheid vom 14. April 2003 den Bescheid vom 7. Mai 1993 auf, stellte den GdB mit 50 seit 22. Januar 2003 fest und lehnte die Feststellung des Nachteilsausgleichs G ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 2. Mai 2003 Widerspruch. Er führte zur Begründung aus, durch die chronischen Schmerzen im rechten Bein infolge der Operation könne er nicht mehr längere Strecken gehen, sodass ihm deshalb der Nachteilsausgleich G zu gewähren sei. Er habe dauernd Gefühlsstörungen in den Zehen und könne maximal 10 Minuten gehen. Dr. A.-F. führte in der vä Stellungnahme vom 18. Mai 2003 aus, es liege keine erhebliche Gehbehinderung vor. Daher wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2003 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 23. Juni 2003 Klage zum SG.
Das SG holte die sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. S. vom 10. März 2003 ein. Dr. S. führte aus, eine Gehstrecke von 2 km am Stück sei nur unter erheblichen Schmerzen und Beschwerden möglich. Kurze Strecken (bis zu 200 m) könne der Kläger relativ problemlos bewältigen.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG das chirurgisch-orthopädische Fachgutachten von Dr. S.-W. vom 8. März 2004 ein. Dr. S.-W. beschrieb ein Postnukleotomiesyndrom nach zweifacher Bandscheibenoperation im LWS-Bereich mit chronischer rechtsseitiger Lumboischialgie, Fußheberschwäche und Reflexabschwächung des Achillessehnen- und Patellarsehnenreflexes rechts, ein chronisches Schmerzsyndrom geringer Ausprägung, eine verminderte Belastbarkeit des rechten Beines mit Kraftminderung und muskulären Schonzeichen sowie einen lokalen Reizzustand der Weichteile im Lumbalbereich. Sie schätzte den Teil-GdB für die Funktionsstörung der LWS mit 40 und für das chronische Schmerzsyndrom in Kombination mit der seelischen Störung mit 20 ein. Dr. S.-W. gelangte des Weiteren zu der Einschätzung, aufgrund der anamnestischen Angaben und der erhobenen Befunde könne der Kläger regelmäßige Wegstrecken bis 2 km nicht innerhalb von 30 Minuten zurücklegen. Die verminderte Belastbarkeit zeige sich in den Schonzeichen, in der bereits erfolgten Berentung und in der massiv reduzierten Belastbarkeit für leichte Haushaltstätigkeiten. Subjektive Klagen und objektivierbare Befunde stünden in Übereinstimmung. Dies decke sich mit der wiederholten klinischen Erfahrung, dass Patienten mit einer Lumboischialgie erhebliche Probleme beim Stehen wie auch beim Gehen hätten. Weiter sei es dem so genannten Postnukleotomiesyndrom eigen, dass es zu einem chronischen Schmerzsyndrom mit Fernwirkung auch im Bereich der unteren Extremitäten komme. Insgesamt stehe die Beurteilung auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet in Einklang mit der zuletzt im Jahr 2002 vorgenommenen neurologischen Begutachtung durch Dr. K ... Hierzu legte der Beklagte die vä Stellungnahme von Dr. K. vom 25. Mai 2004 vor. Entgegen den Argumenten der Sachverständigen rechtfertigten die bisherigen Befunde zusammen mit der Anamnese keine Einstufung der Gehbehinderung des Klägers als erheblich.
Mit Urteil vom 21. September 2004 wies das SG die Klage ab. Angesichts der bestehenden und anerkennten Funktionsbeeinträchtigungen sei es möglich und für den Kläger zumutbar, übliche Wegstrecken im Ortsverkehr zu Fuß zurückzulegen. Es liege kein GdB von mindestens 50 für Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS vor. Auch fehle es an besonderen Auswirkungen der Behinderungen an den unteren Gliedmaßen. Das SG bezweifelte, ob von einer deutlichen Umfangsminderung der Muskulatur des rechten Beines ausgegangen werden könne. Auch bei gesunden Menschen wichen die Muskelumfänge an den Beinen voneinander ab. Die objektiven Schonzeichen allein rechtfertigten nicht die Annahme, der Kläger könne die üblichen Wegstrecken im Ortsverkehr nicht mehr zurücklegen. Des Weiteren stellte das SG die von Dr. S.-W. für ihre Einschätzung zusätzlich herangezogenen anamnestischen Angaben in Frage. Bei der Begutachtung durch Dr. K. habe der Kläger angegeben, kleine Spaziergänge, vor allem zum Baden und zur Krankengymnastik zu machen. Dr. K. habe im Übrigen keine Muskelatrophien an Beinen und Füßen festgestellt. Dr. S. habe ausgeführt, der Kläger gebe Dauerbeschwerden und Schmerzen an, sei auch in physikalischer Behandlung, scheine aber sonst recht mobil zu sein. Soweit Dr. S. nun angegeben habe, der Kläger könne eine Gehstrecke von 2 km zwar am Stück zurücklegen, jedoch nur unter erheblichen Schmerzen und Beschwerden, sei zu beachten, dass es für die zu treffende Beurteilung weder auf die Fähigkeit ankomme, extreme Wegverhältnisse zu bewältigen, noch darauf, ob die Gehstrecke von 2 km schmerzfrei zurückgelegt werden könne. Die Grenze sei erst dort zu ziehen, wo der Behinderte diese Wegstrecke nur noch unter unzumutbar starken Schmerzen zurücklegen könne. Wenig nachvollziehbar sei auch, dass überhaupt keine fachärztliche Behandlung stattfinde.
Gegen das ihm am 1. Oktober 2004 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 4. Oktober 2004 Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. September 2004 aufzuheben, den Bescheid vom 14. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2003 abzuändern und den Nachteilsausgleich G ab 11. Februar 2003 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die sachverständige Zeugenauskunft von Dr. S. vom 7. März 2005 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, im Gesundheitszustand des Klägers hätten sich keine Änderungen ergeben.
Sodann hat der Senat die Stellungnahme von Dr. S.-W. vom 16. August 2005 eingeholt. Sie hat ausgeführt, der Kläger sei schlichtweg nicht mehr in der Lage, unter Berücksichtigung kurzer Stehpausen regelmäßig 2 km innerhalb einer halben Stunde im Ortsverkehr zu Fuß zurückzulegen. Dies sei nicht Ausdruck einer Bewegungseinschränkung der Gelenke, sondern Ausdruck des beschriebenen Postnukleotomiesyndroms. Die verminderte Belastbarkeit des rechten Beines sei hier eben zum einen durch die Veränderungen im Cybextest (isokinetische Kraftmessung) und zum anderen durch die beschriebenen Schonzeichen belegt. Die Schwere des Befundes im Bereich des rechten Beines entspreche der Schwere nach nicht einer Versteifung des Hüftgelenks, des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung. Eine Versteifung eines Gelenks in ungünstiger Stellung schränke zunächst die Gehfähigkeit sicherlich ein. Die verbleibende Gehstrecke werde jedoch auch durch andere Faktoren, insbesondere durch Schmerzen, bestimmt. Generell sei es für den medizinischen Sachverständigen oft schwierig, eine verlässliche Einschätzung der Gehstrecke vorzunehmen. Er sei hierbei auf die Angaben des Probanden und auf seine Untersuchungsbefunde angewiesen. Die Einschätzung sei dann verwertbar möglich, wenn Angaben des Probanden und die erhobenen Untersuchungsbefunde in Einklang zu bringen seien. Selbst das Messen der Gehstrecke auf dem Laufband könne beim Kläger nicht wesentlich weiterhelfen. Zum einen seien Schmerzen nicht objektivierbar, zum anderen gebe es keine Parameter, welche im Rahmen einer Labordiagnostik die verminderte Belastbarkeit objektivieren könnten. Bei Probanden, die eine Einschränkung der Gehstrecke auf der Basis einer Durchblutungsstörung geltend machten, fänden sich Laborveränderungen (Lactatkonzentration) im Blut, welche eine Übereinstimmung der subjektiven Beschwerden und der Durchblutungssituation möglich machten. Eine zusätzliche Erkenntnis könne man nur dann gewinnen, wenn das Gehverhalten des Klägers über längere Zeit ohne dessen Kenntnis beobachtet werden könne. Eine derartige Observation sei dem medizinischen Sachverständigen aus offenkundigen Gründen kaum möglich.
Hierzu äußerte sich Med. Dir. D. in der vom Beklagten vorgelegten vä Stellungnahme vom 9. November 2005 dahingehend, Schmerzhaftigkeit für sich allein sei noch kein ausreichendes Kriterium. Aus den Ausführungen von Dr. S.-W. ergebe sich nach wie vor kein Nachweis dafür, dass an der LWS und/oder an den unteren Gliedmaßen Funktionseinschränkungen vorlägen, die für sich allein oder integrativ mit einem GdB von 50 zu bewerten wären.
Die Beteiligten haben sich mit ihren Schriftsätzen vom 18. und 24. November 2005 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 14. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 30. Mai 2003 zu Recht die Feststellung des Nachteilsausgleichs G abgelehnt.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung sind insoweit seit 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB oder eines Nachteilsausgleichs ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB oder eines Nachteilsausgleichs. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AP, 19 Abs. 4, S. 26).
Nach § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Auch bei der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegt, orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den AP niedergelegt sind.
Als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zurückgelegt werden, gelten solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 9a RVs 11/87 - SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2). Nach den AP kann eine derartige Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen (AP, 30 Abs. 3 Satz 1, S. 137). Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (AP, 30 Abs. 3 Satz 2, S. 138). Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.9 S. 71) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 68) anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (AP, 30 Abs. 3 Satz 4, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 89).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger nach Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G.
Beim Kläger liegen keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Insoweit hat Dr. Schmid-Weber in ihrem Gutachten vom 8. März 2004 in Übereinstimmung mit der vä Stellungnahme von Dr. S. vom 29. März 2003 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule nach Bandscheibenschaden und die Nervenwurzelreizerscheinungen den Teil-GdB mit 40 eingeschätzt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch schließt sich der Senat nach eigener Prüfung dieser Einschätzung an. Der Senat ist auch zu der Überzeugung gelangt, dass keine Behinderungen an den unteren Gliedmaßen des Klägers vorliegen, die sich auf dessen Gehfähigkeit besonders auswirken. Dr. S.-W. hat in ihrer vom Senat angeforderten Stellungnahme vom 16. August 2005 ausgeführt, die Schwere des Befundes beim Kläger im Bereich des rechten Beines entspreche nicht einer Versteifung des Hüftgelenks oder des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung. Insoweit ist der Gesundheitszustand des Klägers nicht mit den in den AP (30 Abs. 3 Satz 2, Seite 138) genannten Behinderungen, die für die Feststellung des Nachteilsausgleichs G in Betracht kommen, vergleichbar. Auch liegen beim Kläger keine inneren Leiden wie Herzschäden oder Atembehinderungen vor.
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G. Deshalb hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Feststellung des Nachteilsausgleichs G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Zuletzt hatte das Versorgungsamt Rottweil (VA) mit Bescheid vom 7. Mai 1993 für den am 1964 geborenen Kläger ab 22. Dezember 1992 einen GdB von 40 festgestellt. Dieser Entscheidung hatte die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme der Vertragsärztin W. vom 5. Mai 1993 zugrunde gelegen, in welcher diese als Behinderungen eine Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule (LWS) nach zweimaliger Bandscheibenoperation mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen (Teil-GdB 40) und eine Nierensteindiathese (Teil-GdB 10) in Ansatz gebracht und den Gesamt-GdB mit 40 bewertet hatte. Ein auf Erhöhung des GdB und Feststellung von Nachteilsausgleichen gerichteter Antrag vom 23. September 1994 war ausweislich der Bescheide des VA vom 13. und 14. Februar 1995 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11. und 12. September 1995 ohne Erfolg geblieben.
Am 22. Januar 2003 beantragte der Kläger erneut die Erhöhung des GdB und die Feststellung von Nachteilsausgleichen. Er legte das für das Sozialgericht Reutlingen (SG) erstellte neurologisch-psychiatrische Rentengutachten von Dr. K. vom 17. Dezember 2002 vor. Dr. K. hatte ein schmerzhaftes Wurzelkompressionssyndrom von L 4 und L 5 rechts mit im Vordergrund stehenden organisch-neurologischen Störungen infolge zweier Bandscheibenoperationen diagnostiziert und ausgeführt, aufgrund der bei allen Körperhaltungen rasch auftretenden Schmerzsymptomatik seien auch leichte Arbeiten nicht mehr in Gewinn bringendem Umfang durchführbar. Das VA holte den Befundschein des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 2. März 2003 ein. Dr. S. brachte in der vä Stellungnahme vom 29. März 2003 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, einen operierten Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 40) sowie ein chronisches Schmerzsyndrom und eine seelische Störung (Teil-GdB 20) in Ansatz, bewertete den Gesamt-GdB mit 50 und führte aus, die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sei nicht erheblich beeinträchtigt. Hierauf gestützt hob das VA mit Bescheid vom 14. April 2003 den Bescheid vom 7. Mai 1993 auf, stellte den GdB mit 50 seit 22. Januar 2003 fest und lehnte die Feststellung des Nachteilsausgleichs G ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 2. Mai 2003 Widerspruch. Er führte zur Begründung aus, durch die chronischen Schmerzen im rechten Bein infolge der Operation könne er nicht mehr längere Strecken gehen, sodass ihm deshalb der Nachteilsausgleich G zu gewähren sei. Er habe dauernd Gefühlsstörungen in den Zehen und könne maximal 10 Minuten gehen. Dr. A.-F. führte in der vä Stellungnahme vom 18. Mai 2003 aus, es liege keine erhebliche Gehbehinderung vor. Daher wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2003 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 23. Juni 2003 Klage zum SG.
Das SG holte die sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. S. vom 10. März 2003 ein. Dr. S. führte aus, eine Gehstrecke von 2 km am Stück sei nur unter erheblichen Schmerzen und Beschwerden möglich. Kurze Strecken (bis zu 200 m) könne der Kläger relativ problemlos bewältigen.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG das chirurgisch-orthopädische Fachgutachten von Dr. S.-W. vom 8. März 2004 ein. Dr. S.-W. beschrieb ein Postnukleotomiesyndrom nach zweifacher Bandscheibenoperation im LWS-Bereich mit chronischer rechtsseitiger Lumboischialgie, Fußheberschwäche und Reflexabschwächung des Achillessehnen- und Patellarsehnenreflexes rechts, ein chronisches Schmerzsyndrom geringer Ausprägung, eine verminderte Belastbarkeit des rechten Beines mit Kraftminderung und muskulären Schonzeichen sowie einen lokalen Reizzustand der Weichteile im Lumbalbereich. Sie schätzte den Teil-GdB für die Funktionsstörung der LWS mit 40 und für das chronische Schmerzsyndrom in Kombination mit der seelischen Störung mit 20 ein. Dr. S.-W. gelangte des Weiteren zu der Einschätzung, aufgrund der anamnestischen Angaben und der erhobenen Befunde könne der Kläger regelmäßige Wegstrecken bis 2 km nicht innerhalb von 30 Minuten zurücklegen. Die verminderte Belastbarkeit zeige sich in den Schonzeichen, in der bereits erfolgten Berentung und in der massiv reduzierten Belastbarkeit für leichte Haushaltstätigkeiten. Subjektive Klagen und objektivierbare Befunde stünden in Übereinstimmung. Dies decke sich mit der wiederholten klinischen Erfahrung, dass Patienten mit einer Lumboischialgie erhebliche Probleme beim Stehen wie auch beim Gehen hätten. Weiter sei es dem so genannten Postnukleotomiesyndrom eigen, dass es zu einem chronischen Schmerzsyndrom mit Fernwirkung auch im Bereich der unteren Extremitäten komme. Insgesamt stehe die Beurteilung auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet in Einklang mit der zuletzt im Jahr 2002 vorgenommenen neurologischen Begutachtung durch Dr. K ... Hierzu legte der Beklagte die vä Stellungnahme von Dr. K. vom 25. Mai 2004 vor. Entgegen den Argumenten der Sachverständigen rechtfertigten die bisherigen Befunde zusammen mit der Anamnese keine Einstufung der Gehbehinderung des Klägers als erheblich.
Mit Urteil vom 21. September 2004 wies das SG die Klage ab. Angesichts der bestehenden und anerkennten Funktionsbeeinträchtigungen sei es möglich und für den Kläger zumutbar, übliche Wegstrecken im Ortsverkehr zu Fuß zurückzulegen. Es liege kein GdB von mindestens 50 für Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS vor. Auch fehle es an besonderen Auswirkungen der Behinderungen an den unteren Gliedmaßen. Das SG bezweifelte, ob von einer deutlichen Umfangsminderung der Muskulatur des rechten Beines ausgegangen werden könne. Auch bei gesunden Menschen wichen die Muskelumfänge an den Beinen voneinander ab. Die objektiven Schonzeichen allein rechtfertigten nicht die Annahme, der Kläger könne die üblichen Wegstrecken im Ortsverkehr nicht mehr zurücklegen. Des Weiteren stellte das SG die von Dr. S.-W. für ihre Einschätzung zusätzlich herangezogenen anamnestischen Angaben in Frage. Bei der Begutachtung durch Dr. K. habe der Kläger angegeben, kleine Spaziergänge, vor allem zum Baden und zur Krankengymnastik zu machen. Dr. K. habe im Übrigen keine Muskelatrophien an Beinen und Füßen festgestellt. Dr. S. habe ausgeführt, der Kläger gebe Dauerbeschwerden und Schmerzen an, sei auch in physikalischer Behandlung, scheine aber sonst recht mobil zu sein. Soweit Dr. S. nun angegeben habe, der Kläger könne eine Gehstrecke von 2 km zwar am Stück zurücklegen, jedoch nur unter erheblichen Schmerzen und Beschwerden, sei zu beachten, dass es für die zu treffende Beurteilung weder auf die Fähigkeit ankomme, extreme Wegverhältnisse zu bewältigen, noch darauf, ob die Gehstrecke von 2 km schmerzfrei zurückgelegt werden könne. Die Grenze sei erst dort zu ziehen, wo der Behinderte diese Wegstrecke nur noch unter unzumutbar starken Schmerzen zurücklegen könne. Wenig nachvollziehbar sei auch, dass überhaupt keine fachärztliche Behandlung stattfinde.
Gegen das ihm am 1. Oktober 2004 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 4. Oktober 2004 Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. September 2004 aufzuheben, den Bescheid vom 14. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2003 abzuändern und den Nachteilsausgleich G ab 11. Februar 2003 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die sachverständige Zeugenauskunft von Dr. S. vom 7. März 2005 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, im Gesundheitszustand des Klägers hätten sich keine Änderungen ergeben.
Sodann hat der Senat die Stellungnahme von Dr. S.-W. vom 16. August 2005 eingeholt. Sie hat ausgeführt, der Kläger sei schlichtweg nicht mehr in der Lage, unter Berücksichtigung kurzer Stehpausen regelmäßig 2 km innerhalb einer halben Stunde im Ortsverkehr zu Fuß zurückzulegen. Dies sei nicht Ausdruck einer Bewegungseinschränkung der Gelenke, sondern Ausdruck des beschriebenen Postnukleotomiesyndroms. Die verminderte Belastbarkeit des rechten Beines sei hier eben zum einen durch die Veränderungen im Cybextest (isokinetische Kraftmessung) und zum anderen durch die beschriebenen Schonzeichen belegt. Die Schwere des Befundes im Bereich des rechten Beines entspreche der Schwere nach nicht einer Versteifung des Hüftgelenks, des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung. Eine Versteifung eines Gelenks in ungünstiger Stellung schränke zunächst die Gehfähigkeit sicherlich ein. Die verbleibende Gehstrecke werde jedoch auch durch andere Faktoren, insbesondere durch Schmerzen, bestimmt. Generell sei es für den medizinischen Sachverständigen oft schwierig, eine verlässliche Einschätzung der Gehstrecke vorzunehmen. Er sei hierbei auf die Angaben des Probanden und auf seine Untersuchungsbefunde angewiesen. Die Einschätzung sei dann verwertbar möglich, wenn Angaben des Probanden und die erhobenen Untersuchungsbefunde in Einklang zu bringen seien. Selbst das Messen der Gehstrecke auf dem Laufband könne beim Kläger nicht wesentlich weiterhelfen. Zum einen seien Schmerzen nicht objektivierbar, zum anderen gebe es keine Parameter, welche im Rahmen einer Labordiagnostik die verminderte Belastbarkeit objektivieren könnten. Bei Probanden, die eine Einschränkung der Gehstrecke auf der Basis einer Durchblutungsstörung geltend machten, fänden sich Laborveränderungen (Lactatkonzentration) im Blut, welche eine Übereinstimmung der subjektiven Beschwerden und der Durchblutungssituation möglich machten. Eine zusätzliche Erkenntnis könne man nur dann gewinnen, wenn das Gehverhalten des Klägers über längere Zeit ohne dessen Kenntnis beobachtet werden könne. Eine derartige Observation sei dem medizinischen Sachverständigen aus offenkundigen Gründen kaum möglich.
Hierzu äußerte sich Med. Dir. D. in der vom Beklagten vorgelegten vä Stellungnahme vom 9. November 2005 dahingehend, Schmerzhaftigkeit für sich allein sei noch kein ausreichendes Kriterium. Aus den Ausführungen von Dr. S.-W. ergebe sich nach wie vor kein Nachweis dafür, dass an der LWS und/oder an den unteren Gliedmaßen Funktionseinschränkungen vorlägen, die für sich allein oder integrativ mit einem GdB von 50 zu bewerten wären.
Die Beteiligten haben sich mit ihren Schriftsätzen vom 18. und 24. November 2005 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 14. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 30. Mai 2003 zu Recht die Feststellung des Nachteilsausgleichs G abgelehnt.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung sind insoweit seit 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB oder eines Nachteilsausgleichs ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB oder eines Nachteilsausgleichs. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AP, 19 Abs. 4, S. 26).
Nach § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Auch bei der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegt, orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den AP niedergelegt sind.
Als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zurückgelegt werden, gelten solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 9a RVs 11/87 - SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2). Nach den AP kann eine derartige Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen (AP, 30 Abs. 3 Satz 1, S. 137). Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (AP, 30 Abs. 3 Satz 2, S. 138). Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.9 S. 71) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 68) anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (AP, 30 Abs. 3 Satz 4, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 89).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger nach Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G.
Beim Kläger liegen keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Insoweit hat Dr. Schmid-Weber in ihrem Gutachten vom 8. März 2004 in Übereinstimmung mit der vä Stellungnahme von Dr. S. vom 29. März 2003 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule nach Bandscheibenschaden und die Nervenwurzelreizerscheinungen den Teil-GdB mit 40 eingeschätzt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch schließt sich der Senat nach eigener Prüfung dieser Einschätzung an. Der Senat ist auch zu der Überzeugung gelangt, dass keine Behinderungen an den unteren Gliedmaßen des Klägers vorliegen, die sich auf dessen Gehfähigkeit besonders auswirken. Dr. S.-W. hat in ihrer vom Senat angeforderten Stellungnahme vom 16. August 2005 ausgeführt, die Schwere des Befundes beim Kläger im Bereich des rechten Beines entspreche nicht einer Versteifung des Hüftgelenks oder des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung. Insoweit ist der Gesundheitszustand des Klägers nicht mit den in den AP (30 Abs. 3 Satz 2, Seite 138) genannten Behinderungen, die für die Feststellung des Nachteilsausgleichs G in Betracht kommen, vergleichbar. Auch liegen beim Kläger keine inneren Leiden wie Herzschäden oder Atembehinderungen vor.
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G. Deshalb hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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