Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 3751/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 4700/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 10. Oktober 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen ist.
Die 1966 geborene Klägerin beantragte im Juli 2002 die Feststellung ihres GdB und gab als Gesundheitsstörungen hierzu "schwere Depression, rechtes Handgelenk nicht voll einsetzbar, erhebliche Einschränkung der Wirbelsäule, asthmatische Bronchitis" an. Das frühere Versorgungsamt (VA) Heidelberg erhob die Befundberichte der Orthopäden Dres. B. und G. vom 22. Juli 2002, des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 29. Juli 2002, der u.a. das für die frühere Landesversicherungsanstalt Baden von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie S. unter dem 11. November 1996 erstattete Rentengutachten und den Entlassungsbericht der S. Klinik Schloss R. vom 11. Juni 2002, wo die Klägerin vom 14. Mai bis 4. Juni 2002 ein stationäres Heilverfahren durchlief, vorlegte, der Ärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde Prof. Dr. A. vom 24. September 2002, des Hautarztes Dr. F. vom 20. Dezember 2002, des HNO-Arztes Dr. E. vom 15. Januar 2003 sowie der Chirurgen Dres. W. und P. vom 10. Februar 2003. Unter Auswertung dieser und weiterer Berücksichtigung des von der Klägerin vorgelegten Attestes des Dr. G. vom 29. April 2002 beurteilte die Ärztin Dr. W. vom Ärztlichen Dienst des Beklagten den Gesamt-GdB mit 40, wobei sie von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen ausging: Psychovegetative Störungen, funktionelle Organbeschwerden, depressive Verstimmung - Teil-GdB 20, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, chronisches Schmerzsyndrom - Teil-GdB 20, Chronische Bronchitis, hyperreagibles Bronchialsystem - Teil-GdB 20, Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform, Knorpelschäden an beiden Kniegelenken - Teil-GdB 10. Mit Bescheid vom 3. April 2003 stellte das VA gestützt auf diese Stellungnahme den GdB der Klägerin ab 1. September 1996 mit 40 fest. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, durch die festgestellten Gesundheitsstörungen sei sie jeweils in einem höheren Maße als angenommen beeinträchtigt, weshalb der jeweilige Einzel-GdB um 10 zu erhöhen sei. Die Schwerbehinderteneigenschaft sei dann zu bejahen. Nach Einholung des Befundberichts bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 2. Juli 2003 und nochmaliger Einschaltung des Ärztlichen Dienstes wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2003 zurückgewiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 23. Dezember 2003 schriftlich durch Fernkopie beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage, mit der sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholte, wonach die Schwerbehinderteneigenschaft zuzuerkennen sei, weil die Teil-GdB jeweils um 10 zu erhöhen seien. Dass die Schwerbehinderteneigenschaft erreicht werde, werde auch durch das gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhobene Gutachten des Arztes B. bestätigt, der die bestehende ängstlich-depressive Anpassungsstörung zutreffender Weise nicht isoliert, sondern gemeinsam mit dem Tinnitus bewertet und unter Einbeziehung der davon ausgehenden psychischen Beeinträchtigungen insoweit einen Teil-GdB von 30 angenommen habe. Die Beklagte trat der Klage unter Aufrechterhaltung ihres bisherigen Standpunktes entgegen. Sie sah sich insbesondere auch durch das von Amts wegen erhobene Gutachten des Dr. R. in ihrer Einschätzung bestätigt. Sie legte die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 9. September 2005 vor, nach der der Einschätzung des Internisten B., was die Bewertung der depressiven Störung einschließlich des Tinnitus anbelange, nicht gefolgt werden könne. Die bisherige Bewertung sei zwar durch die Funktionseinschränkung "Ohrgeräusche (Tinnitus)" bei einem Teil-GdB von 20 zu ergänzen, an dem Gesamt-GdB ändere sich hierdurch jedoch nichts. Das SG hörte Dr. B. unter dem 5. Mai 2003, Dr. H. unter dem 24. Februar 2004, Dr. E. unter dem 22. März 2004, Prof. Dr. A. unter dem 3. Mai 2004 sowie Dr. G. unter dem 9. Juni 2004 schriftlich als sachverständige Zeugen und erhob das Gutachten des Internisten Dr. R. vom 27. September 2004 sowie gemäß § 109 SGG das Gutachten des Arztes für Innere Medizin B. vom 11. Juni 2005. Mit Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2005 änderte das SG die angefochtenen Bescheide ab und stellte bei der Klägerin einen GdB von 50 fest. Dabei folgte es der Beurteilung des Internisten B., soweit dieser für die Behinderung einer ängstlich-depressiven Anpassungsstörung mit chronischem Tinnitus einen Teil-GdB von 30 zugrunde gelegt hatte. Unter weiterer Berücksichtigung eines Teil-GdB von jeweils 20 für die Wirbelsäulenbeeinträchtigungen, die Funktionseinschränkungen an den unteren Extremitäten (Kniegelenke, Fußfehlform) und die chronische Bronchitis gelangte es zu einem Gesamt-GdB von 50. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Beklagten am 17. Oktober 2005 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheids verwiesen.
Am 9. November 2005 hat der Beklagte dagegen schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Er macht geltend, bei der Klägerin liege auf psychiatrischem Fachgebiet keine anhaltende, stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor, was einen Teil-GdB von 30 rechtfertigen würde. Derartige Störungen seien nicht ersichtlich, was durch die Auskunft des als sachverständiger Zeuge gehörten Neuropsychiaters Dr. H. ebenso wie durch den Sachverständigen Dr. R. bestätigt worden sei. Hierzu hat er die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 26. Oktober 2005 vorgelegt. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren eine Verschlimmerung der orthopädischen Beeinträchtigungen geltend gemacht habe, sei diese durch die Anhörung des Facharztes für Orthopädie Dr. H. nicht bestätigt worden. Insoweit legte er die weitere versorgungsärztliche Stellungnahme vom 21. August 2006 vor.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig, insbesondere trage das Sachverständigengutachten des Internisten B. die erstinstanzliche Entscheidung. Zur Sache teilte sie mit, wegen ihrer psychischen Beschwerden sei eine erneute psychotherapeutische Behandlung bisher nicht durchgeführt worden; sie werde derzeit auch nicht medikamentös behandelt. Allerdings hätten sich ihre orthopädischen Beschwerden wesentlich verschlimmert, wobei die Krümmung ihrer Halswirbel- und Lendenwirbelsäule zugenommen habe. Behandelt werde sie diesbezüglich von Dr. H ...
Der frühere Berichterstatter des Senats hat den Facharzt für Orthopädie Dr. H. unter dem 24. Juni 2006 schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist auch begründet.
Das SG hätte nicht der Klage stattgeben und den GdB mit 50 feststellen dürfen. Denn der angefochtene Bescheid vom 3. April 2003 in unveränderter Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Bei ihr ist kein höherer GdB als 40 festzustellen, wobei insbesondere auch die über die bisherigen Gesundheitsstörungen hinaus zu berücksichtigende Beeinträchtigung "Ohrgeräusche (Tinnitus)", die für sich genommen mit einem Teil-GdB von 20 bewertet werden können, nicht zu dem begehrten Gesamt-GdB von 50 führt.
Rechtsgrundlage für das geltend gemachte Begehren ist § 69 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX). Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 5 SGB IX stellen diese Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AHP) niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AHP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AHP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AHP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, sich überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AHP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP, 19 Abs. 4, S. 26).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze beträgt bei der Klägerin der Gesamt-GdB 40. Dabei geht der Senat ebenso wie das SG davon aus, dass die Wirbelsäulenbeschwerden, die Lungenfunktionsstörung sowie die Beeinträchtigungen im Bereich der unteren Extremitäten (Fußfehlform, Knorpelschäden beider Kniegelenke) mit einem Teil-GdB von jeweils 20 angemessen bewertet sind. Auch die Beklagte hat im Berufungsverfahren diesbezüglich keine Einwände erhoben. Entsprechendes gilt für die Klägerin. Soweit diese im Laufe des Berufungsverfahrens allerdings eine wesentliche Verschlimmerung ihrer Wirbelsäulenbeschwerden geltend gemacht hat, konnten die durchgeführten Ermittlungen keinen Zustand bestätigen, der eine Erhöhung des Teil-GdB rechtfertigen würde. Denn die Erhöhung rechtfertigende schwere funktionelle Auswirkungen dieser Beschwerden hat Dr. H., der vom Senat unter dem 24. Juni 2006 schriftlich als sachverständiger Zeuge gehört wurde, im Rahmen seiner Auskunft nicht dargelegt. Nachdem sich die Klägerin bei Dr. H. im Hinblick auf die angegebene Verschlimmerung im Übrigen auch lediglich zweimalig, und zwar am 21. März und 11. April 2006, vorgestellt hatte, ließe sich zudem auch kaum von einem Dauerzustand, wie dies für eine Erhöhung des Teil-GdB erforderlich wäre, sprechen. Soweit der Sachverständige Dr. R. im Rahmen seines Gutachtens anders als der Sachverständige B. die Kniegelenksschäden bereits für sich genommen mit einem Teil-GdB von 20 und die Fußfehlform eigenständig mit einem Teil-GdB von 10 bewertet hat, hat dies keinen Einfluss auf das Ausmaß des Gesamt-GdB. Dies gilt gleichermaßen auch für die Beurteilung des Sachverständigen B., was die Schultersituation unter Einschluss des Carpaltunnelsyndroms anbelangt, wofür er zusammen genommen einen Teil-GdB von 10 in Ansatz gebracht hat.
Streitig ist zwischen den Beteiligten im Wesentlichen daher lediglich die Beurteilung der Beeinträchtigungen von psychiatrischer Seite, hinsichtlich derer das SG der Beurteilung des Sachverständigen B. gefolgt ist und die chronisch ängstlich-depressive Anpassungsstörung im Hinblick auf die erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen des gleichfalls zu berücksichtigenden Tinnitus, den der Beklagte und der Sachverständige Dr. R. übereinstimmend mit einem Teil-GdB von 20 bewertet haben, als einheitliche Behinderung angesehen und mit einem Teil-GdB von 30 bewertet hat.
Dieser Beurteilung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn die seelischen Beeinträchtigungen der Klägerin erreichen, auch wenn man die Begleiterscheinungen des Tinnitus mitberücksichtigt, kein Ausmaß, wie dies bei Anwendung der AHP erforderlich wäre, um einen GdB von 30 zu begründen. Zwar belegen die vorliegenden medizinischen Unterlagen, dass bei der Klägerin seit 1996 zeitweise ausgeprägte depressive Störungen vorliegen, doch handelt es sich insoweit gerade nicht um einen Dauerzustand, der es rechtfertigen würde, insoweit seit dem beantragten Zeitpunkt im September 1996 einen Teil-GdB von 30 zugrunde zu legen. Im Übrigen lässt sich auch der Tinnitus, der seitens des Sachverständigen B. nunmehr zur Begründung des erhöhten Teil-GdB herangezogen wird, nicht in das Jahr 1996 zurückverfolgen. Diesbezüglich finden sich keine Belege, die es rechtfertigen würden, seinen Beginn mit oder gar vor dem begehrten Feststellungsdatum 01. September 1996 anzunehmen. Schließlich hat auch die Klägerin selbst diese Beeinträchtigung anlässlich ihres unter dem 01. Juli 2002 unterzeichneten Erstfeststellungsantrags nicht als bei der Feststellung des GdB zu berücksichtigende Gesundheitsstörung angegeben. Erstmals dokumentiert ist diese Funktionsbeeinträchtigung von dem HNO-Arzt Dr. E. für den Zeitpunkt 25. April 2003, wie dies seiner Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 22. März 2004 entnommen werden kann. Was die Beurteilung der psychischen Seite anbelangt, geht der Senat nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Beklagten davon aus, dass die depressive Störung der Klägerin in der Vergangenheit erheblichen Schwankungen unterlag, denen nur mit der Heranziehung eines Durchschnittswertes angemessen Rechnung getragen werden kann. Die Auswirkungen dieser Beeinträchtigung sind dabei ausreichend berücksichtigt, wenn man im Bereich der "leichten psychovegetativen oder psychischen Störungen" (vgl. AHP S. 48) den vorgegebene Rahmen von 0 bis 20 in vollem Umfang ausgeschöpft. Dieser Bewertung hat sich im Übrigen auch der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. H. im Rahmen seiner dem SG erteilten Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 24. Februar 2004 für den Zeitraum bis Anfang 2003 angeschlossen; für den Zeitraum danach konnte er keine Beurteilung mehr abgeben, da sich die Klägerin nach dem 29. April 2003 nicht mehr bei ihm vorgestellt hatte. Gegen das Vorliegen dauerhafter stärkerer und damit einen höheren GdB rechtfertigender Störungen spricht auch die geringe Behandlungsfrequenz bei dem Neuropsychiater Dr. H., den die Klägerin lediglich von April 1996 bis Januar 1997 und dann einmalig, und zwar lediglich notfallmäßig, erst wieder am 29. April 2003 aufgesucht hat, wobei im Anschluss an die in den Jahren 1999 bis 2000 durchgeführte ambulante Psychotherapie keinerlei Dauerbehandlung mehr erfolgte. Insoweit hat die Klägerin auch im Berufungsverfahren bestätigt, dass weder eine weitere ambulante Psychotherapie eingeleitet wurde noch eine medikamentöse Behandlung stattfindet bzw. stattgefunden hat. Schließlich sprechen auch die Ausführungen des Dr. G. in seinem Befundbericht vom 29. Juli 2002 gegen dauerhaft vorliegende stärkere Störungen, wie sie nach den AHP für einen GdB von 30 verlangt werden. Denn dieser bestätigte lediglich depressive Verstimmungszustände, die zudem meist im Rahmen von Konfliktsituationen, wie beispielsweise Partnerschaftskonflikten, aufträten. Schließlich wurde auch im Entlassungsbericht der S. Klinik vom 11. Juni 2002 (Behandlung im Mai/Juni 2002) lediglich von depressiven Verstimmungen berichtet, die sich zudem gebessert hätten. Dass schließlich mit dem Auftreten des Tinnitus im Jahre 2003 im Sinne der AHP die Klägerin stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit dauerhaft aufgetreten sind, vermag der Senat ebenfalls nicht festzustellen. Schließlich hat die Klägerin nach Auftreten des Tinnitus (erstmals dokumentiert von Dr. E. am 25. April 2003) mit Ausnahme der notfallmäßigen Vorstellung bei Dr. H. am 29. April 2003 im Hinblick auf die psychische Situation auch keine fachärztliche Behandlung mehr in Anspruch genommen. Auch berichtete Dr. E. in Bezug auf die nachfolgenden Vorstellungen der Klägerin lediglich über einen hohen Leidensdruck, der sich in einer geringeren Belastbarkeit in Stresssituationen zeige. Ein höherer GdB als 20 lässt sich hieraus nicht ableiten.
Da sich für die Beeinträchtigungen von psychiatrischer Seite nach alledem ein Teil-GdB von mehr als 20 nicht rechtfertigen lässt, ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte selbst unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Teil-GdB von 20 für den Tinnitus von einem Gesamt-GdB von 40 ausgeht und nicht die Schwerbehinderteneigenschaft als erreicht sieht. Der Senat teilt diese Beurteilung nach Würdigung der Gesamtheit der die Klägerin beeinträchtigenden Funktionseinschränkungen. Letztendlich kann daher dahingestellt bleiben, ob sich ausgehend von einem Teil-GdB von 30 für die psychische Seite, wie dies der Sachverständige B. angenommen hat, tatsächlich ein Gesamt-GdB von 50 rechtfertigen ließe, obwohl auch die weiter vorliegenden Beeinträchtigungen der Klägerin zum Teil psychisch überlagert sind, was bei der Ermittlung des Gesamt-GdB gleichfalls in die Bewertung einzufließen hätte.
Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen ist.
Die 1966 geborene Klägerin beantragte im Juli 2002 die Feststellung ihres GdB und gab als Gesundheitsstörungen hierzu "schwere Depression, rechtes Handgelenk nicht voll einsetzbar, erhebliche Einschränkung der Wirbelsäule, asthmatische Bronchitis" an. Das frühere Versorgungsamt (VA) Heidelberg erhob die Befundberichte der Orthopäden Dres. B. und G. vom 22. Juli 2002, des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 29. Juli 2002, der u.a. das für die frühere Landesversicherungsanstalt Baden von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie S. unter dem 11. November 1996 erstattete Rentengutachten und den Entlassungsbericht der S. Klinik Schloss R. vom 11. Juni 2002, wo die Klägerin vom 14. Mai bis 4. Juni 2002 ein stationäres Heilverfahren durchlief, vorlegte, der Ärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde Prof. Dr. A. vom 24. September 2002, des Hautarztes Dr. F. vom 20. Dezember 2002, des HNO-Arztes Dr. E. vom 15. Januar 2003 sowie der Chirurgen Dres. W. und P. vom 10. Februar 2003. Unter Auswertung dieser und weiterer Berücksichtigung des von der Klägerin vorgelegten Attestes des Dr. G. vom 29. April 2002 beurteilte die Ärztin Dr. W. vom Ärztlichen Dienst des Beklagten den Gesamt-GdB mit 40, wobei sie von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen ausging: Psychovegetative Störungen, funktionelle Organbeschwerden, depressive Verstimmung - Teil-GdB 20, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, chronisches Schmerzsyndrom - Teil-GdB 20, Chronische Bronchitis, hyperreagibles Bronchialsystem - Teil-GdB 20, Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform, Knorpelschäden an beiden Kniegelenken - Teil-GdB 10. Mit Bescheid vom 3. April 2003 stellte das VA gestützt auf diese Stellungnahme den GdB der Klägerin ab 1. September 1996 mit 40 fest. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, durch die festgestellten Gesundheitsstörungen sei sie jeweils in einem höheren Maße als angenommen beeinträchtigt, weshalb der jeweilige Einzel-GdB um 10 zu erhöhen sei. Die Schwerbehinderteneigenschaft sei dann zu bejahen. Nach Einholung des Befundberichts bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 2. Juli 2003 und nochmaliger Einschaltung des Ärztlichen Dienstes wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2003 zurückgewiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 23. Dezember 2003 schriftlich durch Fernkopie beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage, mit der sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholte, wonach die Schwerbehinderteneigenschaft zuzuerkennen sei, weil die Teil-GdB jeweils um 10 zu erhöhen seien. Dass die Schwerbehinderteneigenschaft erreicht werde, werde auch durch das gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhobene Gutachten des Arztes B. bestätigt, der die bestehende ängstlich-depressive Anpassungsstörung zutreffender Weise nicht isoliert, sondern gemeinsam mit dem Tinnitus bewertet und unter Einbeziehung der davon ausgehenden psychischen Beeinträchtigungen insoweit einen Teil-GdB von 30 angenommen habe. Die Beklagte trat der Klage unter Aufrechterhaltung ihres bisherigen Standpunktes entgegen. Sie sah sich insbesondere auch durch das von Amts wegen erhobene Gutachten des Dr. R. in ihrer Einschätzung bestätigt. Sie legte die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 9. September 2005 vor, nach der der Einschätzung des Internisten B., was die Bewertung der depressiven Störung einschließlich des Tinnitus anbelange, nicht gefolgt werden könne. Die bisherige Bewertung sei zwar durch die Funktionseinschränkung "Ohrgeräusche (Tinnitus)" bei einem Teil-GdB von 20 zu ergänzen, an dem Gesamt-GdB ändere sich hierdurch jedoch nichts. Das SG hörte Dr. B. unter dem 5. Mai 2003, Dr. H. unter dem 24. Februar 2004, Dr. E. unter dem 22. März 2004, Prof. Dr. A. unter dem 3. Mai 2004 sowie Dr. G. unter dem 9. Juni 2004 schriftlich als sachverständige Zeugen und erhob das Gutachten des Internisten Dr. R. vom 27. September 2004 sowie gemäß § 109 SGG das Gutachten des Arztes für Innere Medizin B. vom 11. Juni 2005. Mit Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2005 änderte das SG die angefochtenen Bescheide ab und stellte bei der Klägerin einen GdB von 50 fest. Dabei folgte es der Beurteilung des Internisten B., soweit dieser für die Behinderung einer ängstlich-depressiven Anpassungsstörung mit chronischem Tinnitus einen Teil-GdB von 30 zugrunde gelegt hatte. Unter weiterer Berücksichtigung eines Teil-GdB von jeweils 20 für die Wirbelsäulenbeeinträchtigungen, die Funktionseinschränkungen an den unteren Extremitäten (Kniegelenke, Fußfehlform) und die chronische Bronchitis gelangte es zu einem Gesamt-GdB von 50. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Beklagten am 17. Oktober 2005 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheids verwiesen.
Am 9. November 2005 hat der Beklagte dagegen schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Er macht geltend, bei der Klägerin liege auf psychiatrischem Fachgebiet keine anhaltende, stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor, was einen Teil-GdB von 30 rechtfertigen würde. Derartige Störungen seien nicht ersichtlich, was durch die Auskunft des als sachverständiger Zeuge gehörten Neuropsychiaters Dr. H. ebenso wie durch den Sachverständigen Dr. R. bestätigt worden sei. Hierzu hat er die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 26. Oktober 2005 vorgelegt. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren eine Verschlimmerung der orthopädischen Beeinträchtigungen geltend gemacht habe, sei diese durch die Anhörung des Facharztes für Orthopädie Dr. H. nicht bestätigt worden. Insoweit legte er die weitere versorgungsärztliche Stellungnahme vom 21. August 2006 vor.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig, insbesondere trage das Sachverständigengutachten des Internisten B. die erstinstanzliche Entscheidung. Zur Sache teilte sie mit, wegen ihrer psychischen Beschwerden sei eine erneute psychotherapeutische Behandlung bisher nicht durchgeführt worden; sie werde derzeit auch nicht medikamentös behandelt. Allerdings hätten sich ihre orthopädischen Beschwerden wesentlich verschlimmert, wobei die Krümmung ihrer Halswirbel- und Lendenwirbelsäule zugenommen habe. Behandelt werde sie diesbezüglich von Dr. H ...
Der frühere Berichterstatter des Senats hat den Facharzt für Orthopädie Dr. H. unter dem 24. Juni 2006 schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist auch begründet.
Das SG hätte nicht der Klage stattgeben und den GdB mit 50 feststellen dürfen. Denn der angefochtene Bescheid vom 3. April 2003 in unveränderter Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Bei ihr ist kein höherer GdB als 40 festzustellen, wobei insbesondere auch die über die bisherigen Gesundheitsstörungen hinaus zu berücksichtigende Beeinträchtigung "Ohrgeräusche (Tinnitus)", die für sich genommen mit einem Teil-GdB von 20 bewertet werden können, nicht zu dem begehrten Gesamt-GdB von 50 führt.
Rechtsgrundlage für das geltend gemachte Begehren ist § 69 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX). Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 5 SGB IX stellen diese Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AHP) niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AHP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AHP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AHP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, sich überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AHP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP, 19 Abs. 4, S. 26).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze beträgt bei der Klägerin der Gesamt-GdB 40. Dabei geht der Senat ebenso wie das SG davon aus, dass die Wirbelsäulenbeschwerden, die Lungenfunktionsstörung sowie die Beeinträchtigungen im Bereich der unteren Extremitäten (Fußfehlform, Knorpelschäden beider Kniegelenke) mit einem Teil-GdB von jeweils 20 angemessen bewertet sind. Auch die Beklagte hat im Berufungsverfahren diesbezüglich keine Einwände erhoben. Entsprechendes gilt für die Klägerin. Soweit diese im Laufe des Berufungsverfahrens allerdings eine wesentliche Verschlimmerung ihrer Wirbelsäulenbeschwerden geltend gemacht hat, konnten die durchgeführten Ermittlungen keinen Zustand bestätigen, der eine Erhöhung des Teil-GdB rechtfertigen würde. Denn die Erhöhung rechtfertigende schwere funktionelle Auswirkungen dieser Beschwerden hat Dr. H., der vom Senat unter dem 24. Juni 2006 schriftlich als sachverständiger Zeuge gehört wurde, im Rahmen seiner Auskunft nicht dargelegt. Nachdem sich die Klägerin bei Dr. H. im Hinblick auf die angegebene Verschlimmerung im Übrigen auch lediglich zweimalig, und zwar am 21. März und 11. April 2006, vorgestellt hatte, ließe sich zudem auch kaum von einem Dauerzustand, wie dies für eine Erhöhung des Teil-GdB erforderlich wäre, sprechen. Soweit der Sachverständige Dr. R. im Rahmen seines Gutachtens anders als der Sachverständige B. die Kniegelenksschäden bereits für sich genommen mit einem Teil-GdB von 20 und die Fußfehlform eigenständig mit einem Teil-GdB von 10 bewertet hat, hat dies keinen Einfluss auf das Ausmaß des Gesamt-GdB. Dies gilt gleichermaßen auch für die Beurteilung des Sachverständigen B., was die Schultersituation unter Einschluss des Carpaltunnelsyndroms anbelangt, wofür er zusammen genommen einen Teil-GdB von 10 in Ansatz gebracht hat.
Streitig ist zwischen den Beteiligten im Wesentlichen daher lediglich die Beurteilung der Beeinträchtigungen von psychiatrischer Seite, hinsichtlich derer das SG der Beurteilung des Sachverständigen B. gefolgt ist und die chronisch ängstlich-depressive Anpassungsstörung im Hinblick auf die erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen des gleichfalls zu berücksichtigenden Tinnitus, den der Beklagte und der Sachverständige Dr. R. übereinstimmend mit einem Teil-GdB von 20 bewertet haben, als einheitliche Behinderung angesehen und mit einem Teil-GdB von 30 bewertet hat.
Dieser Beurteilung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn die seelischen Beeinträchtigungen der Klägerin erreichen, auch wenn man die Begleiterscheinungen des Tinnitus mitberücksichtigt, kein Ausmaß, wie dies bei Anwendung der AHP erforderlich wäre, um einen GdB von 30 zu begründen. Zwar belegen die vorliegenden medizinischen Unterlagen, dass bei der Klägerin seit 1996 zeitweise ausgeprägte depressive Störungen vorliegen, doch handelt es sich insoweit gerade nicht um einen Dauerzustand, der es rechtfertigen würde, insoweit seit dem beantragten Zeitpunkt im September 1996 einen Teil-GdB von 30 zugrunde zu legen. Im Übrigen lässt sich auch der Tinnitus, der seitens des Sachverständigen B. nunmehr zur Begründung des erhöhten Teil-GdB herangezogen wird, nicht in das Jahr 1996 zurückverfolgen. Diesbezüglich finden sich keine Belege, die es rechtfertigen würden, seinen Beginn mit oder gar vor dem begehrten Feststellungsdatum 01. September 1996 anzunehmen. Schließlich hat auch die Klägerin selbst diese Beeinträchtigung anlässlich ihres unter dem 01. Juli 2002 unterzeichneten Erstfeststellungsantrags nicht als bei der Feststellung des GdB zu berücksichtigende Gesundheitsstörung angegeben. Erstmals dokumentiert ist diese Funktionsbeeinträchtigung von dem HNO-Arzt Dr. E. für den Zeitpunkt 25. April 2003, wie dies seiner Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 22. März 2004 entnommen werden kann. Was die Beurteilung der psychischen Seite anbelangt, geht der Senat nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Beklagten davon aus, dass die depressive Störung der Klägerin in der Vergangenheit erheblichen Schwankungen unterlag, denen nur mit der Heranziehung eines Durchschnittswertes angemessen Rechnung getragen werden kann. Die Auswirkungen dieser Beeinträchtigung sind dabei ausreichend berücksichtigt, wenn man im Bereich der "leichten psychovegetativen oder psychischen Störungen" (vgl. AHP S. 48) den vorgegebene Rahmen von 0 bis 20 in vollem Umfang ausgeschöpft. Dieser Bewertung hat sich im Übrigen auch der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. H. im Rahmen seiner dem SG erteilten Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 24. Februar 2004 für den Zeitraum bis Anfang 2003 angeschlossen; für den Zeitraum danach konnte er keine Beurteilung mehr abgeben, da sich die Klägerin nach dem 29. April 2003 nicht mehr bei ihm vorgestellt hatte. Gegen das Vorliegen dauerhafter stärkerer und damit einen höheren GdB rechtfertigender Störungen spricht auch die geringe Behandlungsfrequenz bei dem Neuropsychiater Dr. H., den die Klägerin lediglich von April 1996 bis Januar 1997 und dann einmalig, und zwar lediglich notfallmäßig, erst wieder am 29. April 2003 aufgesucht hat, wobei im Anschluss an die in den Jahren 1999 bis 2000 durchgeführte ambulante Psychotherapie keinerlei Dauerbehandlung mehr erfolgte. Insoweit hat die Klägerin auch im Berufungsverfahren bestätigt, dass weder eine weitere ambulante Psychotherapie eingeleitet wurde noch eine medikamentöse Behandlung stattfindet bzw. stattgefunden hat. Schließlich sprechen auch die Ausführungen des Dr. G. in seinem Befundbericht vom 29. Juli 2002 gegen dauerhaft vorliegende stärkere Störungen, wie sie nach den AHP für einen GdB von 30 verlangt werden. Denn dieser bestätigte lediglich depressive Verstimmungszustände, die zudem meist im Rahmen von Konfliktsituationen, wie beispielsweise Partnerschaftskonflikten, aufträten. Schließlich wurde auch im Entlassungsbericht der S. Klinik vom 11. Juni 2002 (Behandlung im Mai/Juni 2002) lediglich von depressiven Verstimmungen berichtet, die sich zudem gebessert hätten. Dass schließlich mit dem Auftreten des Tinnitus im Jahre 2003 im Sinne der AHP die Klägerin stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit dauerhaft aufgetreten sind, vermag der Senat ebenfalls nicht festzustellen. Schließlich hat die Klägerin nach Auftreten des Tinnitus (erstmals dokumentiert von Dr. E. am 25. April 2003) mit Ausnahme der notfallmäßigen Vorstellung bei Dr. H. am 29. April 2003 im Hinblick auf die psychische Situation auch keine fachärztliche Behandlung mehr in Anspruch genommen. Auch berichtete Dr. E. in Bezug auf die nachfolgenden Vorstellungen der Klägerin lediglich über einen hohen Leidensdruck, der sich in einer geringeren Belastbarkeit in Stresssituationen zeige. Ein höherer GdB als 20 lässt sich hieraus nicht ableiten.
Da sich für die Beeinträchtigungen von psychiatrischer Seite nach alledem ein Teil-GdB von mehr als 20 nicht rechtfertigen lässt, ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte selbst unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Teil-GdB von 20 für den Tinnitus von einem Gesamt-GdB von 40 ausgeht und nicht die Schwerbehinderteneigenschaft als erreicht sieht. Der Senat teilt diese Beurteilung nach Würdigung der Gesamtheit der die Klägerin beeinträchtigenden Funktionseinschränkungen. Letztendlich kann daher dahingestellt bleiben, ob sich ausgehend von einem Teil-GdB von 30 für die psychische Seite, wie dies der Sachverständige B. angenommen hat, tatsächlich ein Gesamt-GdB von 50 rechtfertigen ließe, obwohl auch die weiter vorliegenden Beeinträchtigungen der Klägerin zum Teil psychisch überlagert sind, was bei der Ermittlung des Gesamt-GdB gleichfalls in die Bewertung einzufließen hätte.
Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
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