L 6 RJ 701/02

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 11 RJ 167/02
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 701/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 406/06 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Es ist nicht erweislich, dass eine akute und einmalige Carbonatintoxikation Auswirkungen auf die rentenrechtliche Leistungsfähigkeit eines Klägers hat.

2. Das Gutachten eines nicht zum Sachverständigen ernannten Arztes kann nicht als Sachverstädndigengutachten verwendet werden (vgl. BSG, Beschluss vom 18. September 2003 - Az.: B 9 VU 2/03; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 3. März 2003 - Az.: L 6 B 25/02 SF).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 2. Juli 2002 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1967 geborene Kläger erlernte von 1984 bis 1986 den Beruf des Facharbeiters für Qualitätskontrolle (Zeugnis über die Berufsausbildung vom 15. Juli 1986) und war bis 1988 in diesem Beruf tätig. Danach arbeitete er als Schlosser bzw. Lagerverantwortlicher und von Juli 1991 bis April 1993 auch als Baustoffverkäufer. Vom 27. September bis 31. Dezember 1993 war er als Hilfsarbeiter (Lackierer und Grundierer) bei der Tischlerei P. N. in B. tätig. Dort hatte er nach eigenen Angaben am 22. Oktober 1993 Fensterrahmen mit einer Grundierung zu besprühen. Dabei sei es zu einer Vergiftung gekommen. Anschließend war der Kläger vom 23. bis 25. Oktober 1993 im Kreiskrankenhaus "Chr. W. H." in stationärer Behandlung (Diagnose im Arztbrief vom 1. Februar 1994: Verdacht auf Gastritis nach Ammoniakinhalation). Seitdem ist der Kläger arbeitunfähig erkrankt. Er bezieht eine unbefristete Verletztenrente von der Holz-Berufsgenossenschaft bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H.

Der Kläger stellte im Juli 1996 einen Rentenantrag. Vom 2. Oktober bis 13. November 1996 absolvierte er auf Kosten der Beklagten eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der B.-Klinik S. Die Entlassung erfolgte ausweislich des Entlassungsberichtes (Prof. Dr. P. und Dipl.-Med. K.) vom 22. November 1996 als arbeitsfähig und leistungsfähig für mittelschwere vollschichtige Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck z.B. durch Akkord oder Fließband (Diagnosen: neurotische Entwicklung bei Zustand nach Carbamatintoxikation 1993 und psychosexueller Entwicklungsrückstand).

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13. Januar 1997 die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. August 1997).

Auf die Klage hat das Sozialgericht Nordhausen diverse ärztliche Befundberichte und Krankenhausunterlagen beigezogen sowie ein Sachverständigengutachten des Prof. Dr. F. vom 15. August 2001 eingeholt. Dieser hat ohne Rücksprache mit dem Sozialgericht ein neuropsychologisches Gutachten des Dr. H. vom 20. Mai 2001 in Auftrag gegeben und dem Sozialgericht übermittelt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat daraufhin dem Sachverständigen mitgeteilt, die Entschädigung des Gutachtens des Dr. H. komme nicht in Betracht. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. F. leidet der Kläger an hirnorganischen Funktionsstörungen im Sinne einer toxischen Enzephalopathie nach Inhalation der Mischung von Lösungsmitteln und Carbamat. Er könne nur noch leichte körperliche Arbeiten von ein bis zwei Stunden pro Tag verrichten. Vermutlich werde der Kläger Sortierarbeiten an einem Arbeitsplatz durchführen können, der selbstbestimmte und jederzeit unterbrechbare Arbeiten zulasse.

Ausweislich des im Auftrag der Holz-Berufsgenossenschaft erstellten und vom Sozialgericht beigezogenen Gutachtens der Prof. Dr. E. vom 27. April 2001 sind sowohl die zentralnervöse Symptomatik mit Schwindel und Sehstörungen als auch die körperliche Leistungsminderung mit Muskelschmerzen und "Muskelzittern" auf eine Carbamatexposition zurückzuführen. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, einer geregelten Erwerbsarbeit nachzugehen. Die MdE betrage 100 v. H.

Mit Beschluss vom 18. Januar 2002 hat das Sozialgericht Nordhausen den Rechtsstreit an das Sozialgericht Gotha verwiesen, das die Klage mit Urteil vom 2. Juli 2002 abgewiesen hat.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. F. vom 15. August 2001 sei erwiesen, dass sein Leistungsvermögen durch eine unfallbedingte toxische Enzephalopathie und frontale Hirnatrophie auf eine bis zwei Stunden leichter Arbeit gemindert sei. Er leide aufgrund der Vergiftung mit Lösungsmitteln und Carbamat an umfangreichen Hirnfunktionsstörungen. Dieser Befund werde durch ärztliche Unterlagen u.a. den Arztbrief des praktischen Arztes Fa. vom 1. März 1998, das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Fi. vom 12. September 2002 und den Arztbrief des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. M. vom 21. Oktober 2002 belegt. Entgegen den Angaben des Prof. Dr. W. sei er anlässlich der fachneurologischen Begutachtung am 13. Januar 2003 nicht durch Dr. A. und Dr. Fk., sondern durch Dr. A. untersucht worden. Zur Klärung der rentenrechtlichen Leistungsfähigkeit bedürfe es der Einholung eines neurootologischen Sachverständigengutachtens.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 2. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Januar 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1997 zu verurteilen, ihm ab dem 1. August 1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Rente wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise ab dem 1. Januar 2001 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ihrer Auffassung nach kann der Kläger weiterhin vollschichtig mit Einschränkungen tätig sein. Insoweit verweise sie auf den Inhalt ihrer angegriffenen Verwaltungsentscheidungen und die Gründe des in erster Instanz ergangenen Urteils. Ein Berufsschutz bestehe nicht.

In seiner dem Senat übermittelten Stellungnahme vom 12. September 2002 kommt Dr. Fi. "nach Sichtung und Wertung aller vorliegenden Befunde einschließlich der von ihm erhobenen" zu dem Schluss, dass der Kläger an Spätschäden des Unfallereignisses aus 1993 wie einem deutlich extrapyramidalen Syndrom und einer Hirnleistungsminderung mit dem Symptomenkomplex Koordinationsstörung, Tremor und Schwindelgefühl leide.

In dem vom Kläger eingereichten Gutachten vom 4. Dezember 2002 nach Aktenlage geht Dr. U. vom Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt-Thüringen davon aus, dass der Kläger nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich leistungsfähig sei.

Nach dem Senat eingeholten neurologischen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. W. vom 20. Januar 2003 und seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 21. März und 22. April 2003 (Diagnosen: Zustand nach akuter Carbamatintoxikation mit anticholinergem Syndrom 1993 ohne zentralnervöse Schädigung, Somatisierungsstörung) ist der Kläger in der Lage, regelmäßig vollschichtig (acht Stunden an fünf Tagen in der Woche) zu arbeiten und dabei mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten. Aus neurologischer Sicht bestehe keine besondere Einschränkung. Eine in den Jahren zwischen 1995 und 1997 gestellte Diagnose einer Fettleber (Statosis hepatis) habe keine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit bewirkt. Der Kläger benötige keine betriebsunüblichen Pausen und sei in der Lage, in zumutbarer Zeit ununterbrochen mehr als 500 Meter zurückzulegen.

Mit Beschluss vom 3. März 2003 (Az.: L 6 B 25/02 SF) hat der erkennende Senat die Beschwerde des Sachverständigen Prof. Dr. F. gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. März 2002 (Az.: S 4 SF 1305/01) zurückgewiesen und die Entschädigung des von Dr. H. erstellten Gutachtens abgelehnt. U.a. wird dort darauf hingewiesen, dass dieses Gutachten nicht als Sachverständigengutachten im Verfahren verwertet werden dürfe.

Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gehörte praktische Arzt Fa. ist in seinem Sachverständigengutachten vom 27. Oktober 2004 zu der Feststellung gelangt, dass der Kläger an einem hirnorganischem Syndrom (Enzephalopathie mit Schwindel, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Antriebsschwäche und allgemeiner Schwäche) sowie einem chronischem Müdigkeitssyndrom mit Adynamie, Muskelzittern und Muskelschmerzen leide. Der Kläger könne nur bis zu zwei Stunden täglich leichte Arbeiten ausführen, müsse wegen erhöhter Chemikalienempfindlichkeit öffentliche Verkehrsmittel weitgehend meiden und könne maximal 300 Meter zu Fuß zurücklegen.

Der Senat hat weitere Stellungnahmen des Sachverständigen Prof. Dr. W. vom 4. Januar, 20. Mai und 1. November 2005 eingeholt.

Nach dem von der Holz-Berufsgenossenschaft in Auftrag gegebenen Rentengutachten zur Nachprüfung der Voraussetzungen für die Zahlung einer Verletztenrente der Prof. Dr. E. vom 26. Mai 2004 liegen als Unfallfolgen allgemeine Leistungsschwäche, Schwindel, Koordinationsstörungen und gelegentlich Doppelbilder vor. Es sei weiterhin von einer MdE von 100 v.H. auszugehen.

Der Sachverständige Prof. Dr. W. hat sich in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15. Mai 2006 erneut zur Leistungsfähigkeit des Klägers insbesondere hinsichtlich einer Tätigkeit als Produktionshelfer geäußert und u.a. mitgeteilt, dass Dr. A. und Dr. Fk. die Voruntersuchungen zum Sachverständigengutachten durchgeführt hätten. Anschließend sei der Kläger ihm vorgestellt, von ihm nochmals befragt und untersucht worden. Er habe danach das Gutachten maßgeblich verfasst.

Der Senat hat den Beteiligten eine Abschrift des in einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 301/02) eingeholten berufskundlichen Gutachtens der Sachverständigen J. vom 6. Juni 2004 übermittelt. Hieraus ergeben sich die allgemeinen Anforderungen an eine Tätigkeit als Produktionshelfer.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet, weil der Kläger noch in der Lage ist, vollschichtig (= acht Stunden täglich in fünf Wochentagen) beruflich tätig zu sein.

Ein Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach den §§ 43, 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der Fassung bis 31. Dezember 2001 (a.F.) scheidet damit aus, denn seine Leistungsfähigkeit ist nicht in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken.

Nach § 43 Abs. 1 SGB VI a.F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Der Kläger ist nicht berufs- und damit auch nicht erwerbsunfähig im Sinne von § 44 SGB VI a.F., denn Erwerbsunfähigkeit setzt wesentlich stärkere Einschränkungen des Leistungsvermögens voraus als die Berufsunfähigkeit. Insofern ist er auch nicht erwerbsgemindert i.S.v. § 43 SGB VI n.F., denn er ist noch in der Lage mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein (Absatz 3).

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F. sind Versicherte berufsunfähig, wenn ihre Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Nach Satz 2 umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Tätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens acht Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 300 Abs. 2 SGB VI gelten diese Vorschriften weiter.

Berufsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist das Unvermögen des Versicherten, seine durch Ausbildung oder bisherige Tätigkeit erworbene berufliche Qualifikation (Berufskompetenz) im (inländischen) Arbeitsleben zur Erzielung von Einkommen einzusetzen. Die Versicherungspflicht des Versicherungsträgers tritt demnach erst ein, wenn das gesundheitliche Vermögen des Versicherten bei keinem Beruf, der seiner geschätzten Berufskompetenz entspricht (d.h. ihn fachlich-qualitativ weder über- noch unterfordert), dafür ausreicht, ihn wenigstens sechs Stunden auszuüben.

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit wird grundsätzlich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes festgestellt. Aus diesem Grund hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die so genannten Mehrstufenschemata entwickelt. Die Stufen sind nach ihrer Leistungsqualität, diese gemessen nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung, nicht nach Entlohnung oder Prestige geordnet (vgl. BSGE 78, 207, 218; BSG vom 24. März 1998 – Az.: B 4 RA 44/96 R).

Im Bereich der Arbeiterrentenversicherung werden die Gruppen charakterisiert durch den Leitberuf des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannte Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 49).

Die Einordnung eines bestimmten Berufsschemas erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der förmlichen Berufsausbildung, sondern auch nach der Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt dem aus der Mehrzahl von Faktoren zu ermittelten Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Es kommt somit auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird. Fachlich-qualitativ gleichwertig sind demnach alle Vergleichsberufe, die nach dem "Schema" in die gleiche oder in die nächst niedrigere Stufe einzuordnen sind. Wesentliches Merkmal und Beurteilungsmaßstab für die Qualität eines Berufes ist nach der Rechtsprechung des BSG stets die tarifliche Einstufung durch die Tarifvertragsparteien. Sie ist einerseits wesentlich für die abstrakte - "tarifvertragliche" - Qualifizierung (im Sinne eines selbstständigen Berufsbildes) innerhalb eines nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrages, zum anderen für die tarifliche Zuordnung der konkreten, zuletzt ausgeübten Tätigkeit eines Versicherten zu einer Berufssparte und hierüber zu einer bestimmten Tarifgruppe des jeweils geltenden Tarifvertrages (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 14).

Die letzte vom 27. September bis 31. Dezember 1993 versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit des Klägers ist die eines Lackierers und Grundierers in der Tischlerei P. N. in B. Hierbei handelte es sich um eine ungelernte Tätigkeit, denn der Kläger hatte keine entsprechende Ausbildung als Maler und Lackierer absolviert und konnte in dem kurzen Tätigkeitszeitraum vom 27. September 1993 bis zum Unfallereignis am 22. Oktober 1993 (danach war er über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus arbeitsunfähig erkrankt und bezog anschließend die Verletztenrente) keine für den Berufsschutz qualifizierende Kenntnisse erwerben.

Ob der Kläger angesichts der vorliegenden Sachverständigengutachten seinen bisherigen Beruf als Hilfsarbeiter in einer Tischlerei noch auszuüben vermag, lässt der Senat offen. Er verweist ihn auf die ihm sozial und medizinisch zumutbare Tätigkeit als Produktionshelfer. Als Ungelerntem muss ihm zwar keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden; es ist davon auszugehen, dass genügend seinen Einschränkungen adäquate Stellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden sind (vgl. GS des BSG in BSGE 80, 24). Angesichts der Rechtsprechung des 13. Senats, nach der auch eine größere Summierung gewöhnlicher Leistungseinschränkungen zur Benennungspflicht führen kann (vgl. BSGE 81,15), benennt der Senat aber vorsorglich als zumutbare Verweisungstätigkeit die eines Produktionshelfers und lässt dahin gestellt, ob eine Summierung in diesem Sinne überhaupt vorliegt.

Die Verweisungstätigkeit des Produktionshelfers kann der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Beschwerden ausüben. Dies ergibt sich aus dem Vergleich mit den im beigezogenen Gutachten der Sachverständigen J. vom 6. Juni 2004 beschriebenen Tätigkeitsanforderungen (S. 9 ff. des Sachverständigengutachtens) und wird von Prof. Dr. W. in der Stellungnahme vom 15. Mai 2006 ausdrücklich bestätigt. Dabei handelt es sich um einfachste wiederkehrende und körperlich leichte Tätigkeiten, die sich nicht aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten hervorheben und ohne jegliche Ausbildung nach einer Unterweisungszeit von in der Regel drei Tagen ausgeführt werden können. Dazu gehören zum Beispiel einfache Arbeiten an eingerichteten Maschinen in der Serien- und Massenfertigung, einfache Lager-, Transport- oder Versandarbeiten, einfaches Montieren von Einzelteilen zu einer Baugruppe, einfache Hilfsarbeiten wie zum Beispiel Werkzeug und Material zureichen oder Haltearbeiten beim Schweißen, einfaches Prüfen und Messen unter Anleitung, Beschicken vollautomatischer Prüf- und Messeinrichtungen sowie einfaches Entwickeln oder Isolieren in der Serien- oder Massenfertigung. Konkretes Beispiel für diese Tätigkeiten sind leichte Verpackungsarbeiten in einem Unternehmen der Dentalbranche. Die dort hergestellten Produkte gelangen in die Endverpackung. Dort werden sie so verpackt, wie sie an den Endverbraucher ausgeliefert werden. Zum Beispiel werden abgefüllte Produkte in Faltschachteln gepackt, zwei kleine Dosen werden allenfalls in Faltschachteln gepackt oder Spritzen werden in Tiefziehteile gelegt und kommen dann in eine Faltschachtel. Eine Gebrauchsanweisung oder Mischblöcke werden dazu gelegt und die Faltschachtel verschlossen. Die Tätigkeit ist körperlich leicht. Die zu verpackenden Teile wiegen unter fünf Kilogramm. Die Arbeiten können im Wechsel von Gehen und Stehen ausgeübt werden; es kann auch nur gesessen werden.

Diesem Anforderungsprofil entspricht das von Prof. Dr. W. festgestellte Leistungsvermögen des Klägers. Seiner Einschätzung folgt der Senat.

Das Vorbringen des Klägers, er sei nicht von Dr. A. und Dr. Fk. untersucht worden sondern nur von Dr. A., ist unbeachtlich. Damit ist weder der Umfang der erlaubten Mitarbeit (§ 407a Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)) zweifelhaft noch die Tatsache, dass der ernannte Sachverständige den Kläger selbst untersucht hat. Prof. Dr. W. hat angegeben, den Kläger im Rahmen seiner Vorstellung nochmals befragt und untersucht sowie das Sachverständigengutachten maßgeblich verfasst zu haben. Damit sind keine Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Verhalten ersichtlich. Nur zur Vollständigkeit sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass zudem weder die Durchführung der neurologischen Untersuchung noch die schriftliche Abfassung des Gutachtens zu den unverzichtbaren Kernaufgaben gehört, die der Sachverständige selbst zu erledigen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 30. Januar 2006 – Az.: B 2 U 358/05 B, nach juris).

Ausweislich des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. W. war und ist der Kläger auch angesichts eines Zustandes nach akuter Carbamatintoxikation mit anticholinergem Syndrom 1993 ohne zentralnervöse Schädigung und einer Somatisierungsstörung in der Lage, vollschichtig an acht Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche mittelschwere Arbeiten und somit auch die in dem beigezogenen Sachverständigengutachten der Berufskundlerin J. vom 6. Juni 2004 hinsichtlich ihrer allgemeinen Anforderungen beschriebenen Produktionshelfertätigkeiten ohne besondere Einschränkungen durchzuführen. Der Sachverständige weist darauf hin, dass die am 22. Oktober 1993 aufgetretene Symptomatik jener eines Anticholinergen Syndroms als mögliche Folge einer Carbamatintoxination entspricht und insoweit zwar eine akute und einmalige Intoxikation bestanden haben könnte. Dass diese aber Auswirkungen auf die (rentenrechtliche) Leistungsfähigkeit des Klägers haben, ist nicht erweislich. Den nicht bestrittenen Darlegungen des Sachverständigen zufolge sind in der Literatur keine chronischen Störungen oder Schädigungen des Nervensystems durch Carbamate beschrieben. Die von ihm durch eine MRT-Untersuchung des Kopfes dokumentierte frontale Atrophie und eine nicht sehr hochgradige Perfusionsminderung rechts in der prämotorischen/präzentralen und postzentralen Rinde (bis parietal reichend) interpretiert er eher im Rahmen einer anlagebedingten Asymmetrie bzw. im Sinne einer frühkindlichen Hirnschädigung. Dem gegenüber führt nach den Feststellungen des Sachverständigen eine toxische Schädigung des zentralen Nervensystems eher zu einer - hier nicht vorliegenden - generalisierten Schädigung des zentralen Nervensystems und nicht zu einer lokalisierten Asymmetrie. Auch lässt sich durch aktuell angefertigte elektrophysiologische Untersuchung keine diffuse organische Läsion des zentralen Nervensystems objektivieren. Der Sachverständige weist auch darauf hin, dass der Kläger bei der Untersuchung ein demonstrativ unsicheres Gangbild und deutlich dysmetrische Zeigeversuche mit sehr großer demonstrativer Komponente im Sinne einer Aggravation gezeigt hat. Das Treppensteigen ist ihm ebenfalls in einer kurzen Zeit und ohne besondere körperliche Anstrengung gelungen.

Im Rahmen des psychischen Befundung hat sich kein Anhalt für eine hirnorganisch bedingte Wesensänderung oder für eine endogene Psychose ergeben. Der Kläger hat sich selbst als psychisch stabil beschrieben. Deutliche Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit oder der Merkfähigkeit hat der Sachverständige nach entsprechenden Tests ebenfalls nicht feststellen können.

Die Ursache der sich beim Kläger ergebenden Symptomatik sieht der Sachverständige ausweislich seiner anschaulichen und nachvollziehbaren Darlegung hauptsächlich in der Tatsache, dass der Kläger durch seine Eltern maximal umsorgt wird und er dadurch eine deutliche Unterstützung und sekundäre Verstärkung erfährt sowie in dem Umstand, dass er aufgrund der von ihm beklagten Symptomatik eine Rente der gesetzlichen Unfallversicherung bezieht.

Das von dem praktischen Arzt Fa. am 27. Oktober 2004 nach § 109 SGG aufgrund einer "Befundlage" am 26. Juni 2003 und einer Untersuchung des Klägers am 30. Juli 2003 erstellte Sachverständigengutachten rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Sachverständige Prof. Dr. W. weist zu Recht darauf hin, dass das Gutachten unter schwerwiegenden methodischen Mängeln leidet. So fehlen eine aktuelle Anamnese, aktuelle körperliche und neurologische Untersuchungen und eine daraus folgende neuropsychologische Einschätzung der kognitiven Leistungsfähigkeit sowie objektivierbare standardisierte neuropsychologische Tests. Die von dem Sachverständigen Fa. erhobenen Resultate von Selbsteinschätzungstests des Klägers (vgl. Blatt 418 bis 425 der Gerichtsakte) sind – so der Sachverständige Prof. Dr. W. - für die Bestimmung der rentenrechtlichen Leistungsfähigkeit des Klägers vor dem Hintergrund, dass ansonsten keine objektivierbaren Untersuchungsergebnisse außer MRT- und SPECT-Befunden aus dem Jahr 1997 vorliegen, nicht aussagekräftig. Die zum Beleg angeführte Veröffentlichung der Prof. Dr. E. ("Lösemittel gehen auf die Nerven – aber eine Berufskrankheit wird selten anerkannt" in Arbeit & Ökologie Briefe 2004, 8/9, S. 37 bis 41) in Bezug auf die Voraussetzungen einer Berufskrankheit (BK) Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische; Bundesarbeitsblatt (BArbBl. 1977-12, S. 31)) ist hier nicht relevant, weil sich die dort behandelten Fragen der Folgen einer Dauerexposition mit Lösemitteln von über fünf Jahren z.B. in Gestalt einer Polyneuropathie vorliegend wegen der einmaligen Carbamat-Exposition der Klägers und der durch objektive Befunde ausgeschlossenen Polyneuropathie nicht stellt. Die berechtigten Einwände des Sachverständigen Prof. Dr. W. betreffen im Übrigen auch die Feststellungen des Arztes Fa. in seinem Befundbericht vom 1. März 1998 (Blatt 38 ff. der Gerichtsakte). Dass und aus welchen Gründen demnach die "Erwerbsfähigkeit" des Klägers auf weniger als die Hälfte derjenigen gesunken sein soll, die eine ähnliche Vorbildung, Ausbildung und ein ähnliches Berufsbild haben, ist nicht ersichtlich.

Der Senat vermag angesichts der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. auch den Schlussfolgerungen des Prof. Dr. F. in seinem für das Sozialgericht erstellten Sachverständigengutachten vom 15. August 2001 nicht zu folgen, wonach der Kläger nur noch ein bis zwei Stunden leichte Arbeiten unter Einschränkungen verrichten kann. Prof. Dr. F., dessen Fachgebiet nach eigener Darlegung die Präventivmedizin im beruflichen Umfeld und speziell Krankheitsursachenforschung mit epidemiologischen Methoden ist, hat nicht in nachvollziehbarer Weise dargelegt, auf welchen - mit Ausnahme der Auswertung des dem Kläger vorab übersandten Fragebogens "Schnellinventur für Umweltfaktoren und erhöhte Sensitivität" - durch den Sachverständigen oder durch Hilfekräfte durchführten Untersuchungen die Leistungsbeurteilung beruht. Soweit Prof. Dr. F. diese nach Aktenlage vorgenommen und er dementsprechend keine Hinweise für eine anlagebedingte Hirnschädigung gesehen sondern "mit großer Wahrscheinlichkeit" aus den vorliegenden Kernspin-tomografie-Befunden eine durch Inhalation von Lösemitteln und Carbamat ausgelöste Hirnatrophie (Frontalhirn) abgeleitet hat, verweist der Senat auf die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. W. Danach besteht kein Anhalt für eine durch Lösemittel oder Carbamat verursachte Polyneuropathie sondern eher für eine anlagebedingte Asymmetrie, die aber keine oder nur eine unwesentliche Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit des Klägers hat.

Das Gutachten der Dr. H. kann nicht als Sachverständigengutachten (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 407a Abs. 2 ZPO) verwertet werden, denn er war nicht als Sachverständiger bestellt (vgl. BSG, Beschluss vom 18. September 2003 – Az.: B 9 VU 2/03 B in: SozR 4-1750 § 407a Nr. 1; Senatsbeschluss vom 3. März 2003 – Az.: L 6 B 25/02 SF; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 118 Rdnr. 11h m.w.N.). Unbeachtlich ist, dass Prof. Dr. W. in seinem Sachverständigengutachten bzw. in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 22. April 2003, 4. Januar sowie 1. November 2005 Ergebnisse des Gutachtens des Dr. H. zitiert. Denn er leitet seine Leistungseinschätzung nicht (auch) von den durch Dr. H. erzielten Resultaten ab. Vielmehr illustriert er lediglich die von ihm festgestellten ausgeprägten Aggravationstendenzen des Klägers. Darüber hinaus hat der Sachverständige dessen Konzentrations- und Merkfähigkeit u.a. durch einen Gedächtnistest eruiert und aufgrund der unauffälligen Testergebnisse (wie dargelegt kein Hinweis auf eine hirnorganische Wesensänderung oder eine endogene Psychose) keine Veranlassung für eingehende neuropsychiatrische Untersuchungen gesehen, was für den Senat nachvollziehbar ist.

Hinsichtlich des im Verfahren über Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung von der Holz-Berufsgenossenschaft eingeholten Rentengutachtens der Prof. Dr. E. vom 21. April 2001 teilt der Senat die vom Sachverständigen Prof. Dr. W. und auch von der Beklagten geäußerten Bedenken. So hat Prof. Dr. E. dargelegt, sie besitze keine Kenntnisse darüber, inwieweit eine Carbamat-Vergiftung eine verzögerte toxische Wirkung, ähnlich einer Vergiftung mit bestimmten Organophosphaten habe. Dennoch stellt sie beide Wirkmechanismen ohne weiteren Beleg in einen Zusammenhang und hält es für "wahrscheinlich", dass das von ihr festgestellte "Krankheitsbild" des Klägers (zentralnervöse Symptomatik mit Schwindel und Sehstörungen, körperliche Leistungsminderung mit Muskelschmerzen und Muskelzittern) auf die einmalige Exposition mit Carbamat zurückzuführen seien. Nach Darlegung der Prof. Dr. E. gelten Carbamate im Übrigen u.a. wegen der reversiblen Hemmung der Acetylcholinesterase und schneller zurückgehender Vergiftungssymptome als weniger gefährlich wie organische Phosphorsäureester. Dass die von ihr benannten Symptome chronisch geblieben seien, führt sie auf die nach ihrer Auffassung hohe Dosis des Carbamats zurück, ohne hierzu jedoch genaue Feststellungen getroffen zu haben. Überdies befand sich der Kläger unmittelbar nach dem Unfallereignis 1993 lediglich in zweitätiger stationärer Behandlung im Kreiskrankenhaus Bad L. bei unauffälligem klinischen Status (Arztbrief des Dr. M., der Dipl.-Med. An. und des Arztes im Praktikum B. vom 1. Dezember 1994). Eine gravierende akute Intoxikation konnte dort nicht festgestellt werden sondern nur leichte Symptome. Darauf weist der Sachverständige Prof. Dr. W. zu Recht hin.

Prof. Dr. E. bescheinigt dem Kläger eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v. H. Diese Einschätzung ist (zumindest) bzgl. der relevanten Leistungsfähigkeit im anhängigen Verfahren nicht brauchbar. Der Sachverständige Prof. Dr. W. weist zu Recht auf die methodische Unzulänglichkeit im Gutachten der Prof. Dr. E. hin. Dort sind keine Befunde aus körperlicher und neurologischer Untersuchung noch weiterführende objektivierende Untersuchungen zur Einschätzung der Leitungsfähigkeit des Klägers enthalten; trotzdem wird ein Zusammenhang zwischen der Carbamatintoxikation und der vom Kläger geschilderten chronischen Symptome hergestellt. Hinsichtlich der von Prof. Dr. E. in den Zusammenhang mit der Carbamat-Vergiftung gestellten leichten Lebererkrankung mit Steatose (diskrete Leberschädigung) folgt der Senat den Feststellungen des Prof. Dr. W. Demnach hat diese Erkrankung keine Auswirkung auf die (rentenrechtliche) Leistungsfähigkeit des Klägers, zumal ein Oberbauchsonographiebefund des Dr. Bö. vom 15. September 1995 keine auffälligen Leberbefunde (Echogenität, Größe und Oberfläche) ergab. Hinweise auf ein Fortschreiten dieser Erkrankung, z.B. verursacht durch eine Fettleberhepatitis mit Fibrose oder ein Übergang zur Zirrhose, liegen nicht vor. Dass die Holz-Berufsgenossenschaft auf Grundlage des von Prof. Dr. E. erstellten Gutachtens Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auf Basis einer MdE von 100 v. H. bewilligt hat, bindet den Senat nicht. Er teilt die von Prof. Dr. W. dargelegten erheblichen Bedenken gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens für das anhängige Rentenverfahren. Gleiches gilt für das im Auftrag der Holz-Berufsgenossenschaft gefertigte Gutachten der Prof. Dr. E. vom 26. Mai 2004 zur Überprüfung der MdE

Die Annahmen im Privatgutachten des Dr. F. vom 12. September 2002 – das als qualifizierter Beteiligtenvortrag zu würdigen ist (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 118 Rdnr. 12c m.w.N.) - , der Kläger leide an einem deutlichen extrapyramidalen Syndrom und einer Hirnleistungsminderung, hervorgerufen durch die "Mischintoxikation" 1993, werden durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. W. widerlegt. Im neurologischen Untersuchungsbefund haben sich keine Hinweise auf ein extrapyramidales System, insbesondere nicht auf einen Tremor, gefunden. Die durchgeführten elektrophysiologischen Untersuchungen (VEP, AEP und EEG) zeigen keine zum Sachverständigengutachten differierenden Befunde und Dr. F. hat auch keine (begründete) Einschätzung der rentenrechtlichen Leistungsfähigkeit des Klägers angegeben.

Die in dem Befundbericht des HNO-Facharztes Dr. M. vom 21. Februar 2002 diagnostizierte Hirnstammbeteiligung einer zentralen Gleichgewichtsstörung hat der Sachverständige Prof. Dr. W. aufgrund der weit über diese HNO-ärztliche Befundung hinausgehenden körperlichen und neurologischen Untersuchungen sowie der Elektrophysiologie (vgl. Blatt 489 f. der Gerichtsakte) insbesondere der akustisch evozierten Potenziale nicht verifizieren können. Er hat auch keinen Nystagmus in Ruhe oder unter Provokation und auch keine Schädigung der weiteren funtionellen Systeme (Motorik, Sensibilität, Sehen und EEG) feststellen können, so dass sich angesichts des Befundberichts keine Veränderungen in der Leistungseinschätzung ergeben. Die von Dr. K. unter dem 15. August 2003 gestellten Diagnosen multisensorische neurootologische Funktionsstörung, zentrale Gleichgewichtsfunktionsstörung vom Typ der labilen Hirnstammenthemmung, Hirnstammtaumeligkeit, zentrale Reaktionshemmung des optokinetischen Systems, pontomedulläre Hörbahnstörung weisen nicht auf eine Hirnstammstörung hin. Diese hat der Sachverständige Prof. Dr. W. aufgrund der eingehenden Untersuchung des Klägers nicht feststellen können. Seiner Stellungnahme vom 20. Mai 2005 zufolge dürfen die von Dr. K. angewandten Untersuchungsmethoden (Aequilibriometrie und evozierte Hirnpotentiale) als funktionelle Untersuchungsmethoden nicht unmittelbar zu der Diagnose einer toxischen Schädigung des Stammhirns führen. Insgesamt sei zu erwarten, dass eine toxische Schädigung des zentralen Nervensystems vorwiegend die Großhirnrinde betrifft, weniger den Hirnstamm. Auch führen toxische Schädigungen häufig zu einer ebenfalls nicht vorliegenden toxischen Erkrankung der peripheren Nerven im Sinne einer Polyneuropathie. Beides konnte der Sachverständige Prof. Dr. W. ausschließen.

Dieser Leistungseinschätzung entspricht im Ergebnis auch der Entlassungsbericht des Prof. Dr. P. und der Dipl.-Med. K. (B.-Klinik S.) vom 22. November 1996 über die stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 2. Oktober bis 13. November 1996. Dort wurden die Diagnosen neurotische Entwicklung bei Zustand nach Carbamatintoxikation 1993 und psychosexueller Entwicklungsrückstand gestellt und weiterhin Arbeitsfähigkeit angenommen.

Angesichts der dokumentierten psychiatrischen Befunde hält der Senat eine weitergehende Tatsachenfeststellung durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens für nicht notwendig. Denn eine für die Rentenversicherung relevante Leistungseinschränkung ergibt sich hieraus nicht und wird auch nicht vom Kläger vorgetragen. Nach dem Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. Fr. vom 28. November 1995 lagen produktive psychopathologische Phänomene nicht vor und die mnestischen Funktionen waren ebenfalls nicht beeinträchtigt. Der im Rahmen des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. W. erhobene psychische Befund ergibt keine Besonderheiten. Der Kläger war bei der Untersuchung bewusstseinsklar und zur Person, Zeit und Ort voll orientiert. Der Gedankenablauf war formal und inhaltlich unauffällig. Der Kläger hat sich selbst als psychisch stabil beschrieben. Seine Stimmungslage war während der Untersuchung ausgeglichen und ohne auffällige Schwankungen. Es hat sich kein Anhalt für eine hirnorganisch bedingte Wesensänderung oder für eine endogene Psychose ergeben.

Eine weitergehende neurologische Diagnostik insbesondere durch Elektronystagnografie (ENG) oder Craniocorpografie erscheint in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. W. nicht erforderlich, denn diese Befunde erlauben per se keine Rückschlüsse auf die rentenrechtliche Leistungsfähigkeit des Klägers. Hierzu sind - so der Sachverständige - die ausweislich des Sachverständigengutachtens durchgeführten neurologischen Untersuchungen im Zusammenspiel mit den in den Akten enthaltenen medizinischen Unterlagen einschließlich der erhobenen Anamnese ausreichend.

Das von dem Kläger übermittelte Attest der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin S. vom 31. März 2006 vermittelt keine entgegen stehenden Erkenntnisse. Die toxische Enzephalopathie ist angesichts des Sachverständigengutachtens Prof. Dr. W. nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger vorträgt, sein Gesundheitszustand habe sich seit Dezember 2005 erheblich verschlechtert, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn er hat dem Senat keine Fakten mitgeteilt, auf denen diese subjektive Einschätzung beruhen soll.

Der Senat sieht sich angesichts der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht gedrängt, ein neurootologisches Sachverständigengutachten eines HNO-Arztes einzuholen. Der Sachverhalt ist angesichts der umfangreichen neurologischen Begutachtung durch Prof. Dr. W. und ausweislich seiner intensiven Auseinandersetzung mit den in den Akten dokumentierten medizinischen Befunden und dem Vortrag des Klägers für die Feststellung eines vollschichtigen Leistungsvermögens hinreichend ermittelt. Aus neurologischer Sicht ist eine Stammhirnschädigung ausgeschlossen und kann somit nicht durch ein weiteres neurootologisches Sachverständigengutachten nachgewiesen werden.

Der Kläger muss sich entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hinsichtlich der Verweisungstätigkeit als Produktionshelfer auf den Arbeitsmarkt des gesamten Bundesgebietes verweisen lassen. Dort gibt es ausweislich des beigezogenen berufskundlichen Sachverständigengutachtens vom 6. Juni 2004 noch eine hinreichende Anzahl zumutbarer Arbeitsplätze, unabhängig davon, ob diese offen oder besetzt sind. Das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, trägt nicht die Beklagte, sondern die Arbeitsverwaltung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved