L 1 KR 21/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 KR 164/04
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 21/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Krankengeld aufgrund einer ab 25. März 2003 attestierten Arbeitsunfähigkeit.

Der am X.XXXXXXX 1942 geborene, seit 1976 als selbständiger Versicherungsmakler tätig gewesene und derzeit im Bezug von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch stehende Kläger war bei der Beklagten bis zum 15. August 2003 (siehe das Urteil des Senats vom heutigen Tag: LSG H. 11.4.2007 - L 1 KR 22/06) freiwillig krankenversichert.

Nachdem er zuletzt am 3. September 1992 einen Anspruch auf Krankengeld wegen Erreichens der Höchstanspruchsdauer von 78 Wochen ausgeschöpft hatte, trat mehr als drei Jahre danach Arbeitsunfähigkeit ab 2. April 1996 wegen einer depressiv-neurotischen Entwicklung ein. Der behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. bescheinigte am 20. Dezember 1996 eine fortdauernde, zeitlich nicht abgrenzbare Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer depressiv-neurotischen Entwicklung mit erheblichen reaktiven Zuflüssen und streckenweise Alkoholabusus. Nach einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung H. (MDK) vom 21. August 1997 war von einer weiteren, mittelfristigen Dauer der Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Mit dem 21. Oktober 1997 war der Anspruch auf Krankengeld wegen Erreichens der Höchstanspruchsdauer ausgeschöpft. Dr. M. bescheinigte auf dem letzten Krankengeldauszahlschein eine weitere Arbeitsunfähigkeit über den 21. Oktober 1997 hinaus bis zum 4. November 1997.

Nach Ablauf der Blockfrist vom 2. April 1996 bis zum 1. April 1999 trat ab 19. August 1999 wegen einer lang hingezogenen, mittelschweren depressiven Erkrankung erneut Arbeitsunfähigkeit ein. Der behandelnde Nervenarzt Dr. H. bescheinigte am 13. September 1999 zum einen, dass die Arbeitsunfähigkeit des Klägers voraussichtlich noch ca. vier bis acht Wochen andauern werde, zum anderen, dass der Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit voraussichtlich nicht wieder aufnehmen könne. Nach einem Gutachten des MDK vom 31. August 2000 sei seit vielen Jahren eine endogene Depression mit rezidivierenden depressiven Phasen bekannt. Die Ausdehnung der Phasen und deren Frequenz habe sich fortlaufend verschlechtert. Die jetzt anhaltende Phase zeige im Verlauf keine Besserung trotz Einnahme von Psychopharmaka. Der Kläger fühle sich in keiner Weise leistungsfähig. Nach dem Zustandsbild wirke die Erkrankung weitgehend therapieresistent, chronifiziert, eine wesentliche Besserung zur Erreichung eines Leistungsniveaus sei nicht mehr absehbar. Der Kläger sei weiter arbeitsunfähig ohne positives Leistungsbild. Die Arbeitsunfähigkeit werde zweifellos bis zum Leistungsende fortdauern, ein positives Leistungsbild werde nicht mehr erreicht werden. Ein Rentenantrag sei medizinisch ausreichend begründet. Mit dem 8. März 2001 war der Anspruch auf Krankengeld erneut wegen Erreichens der Höchstanspruchsdauer ausgeschöpft. Dr. H. bescheinigte auf dem letzten Krankengeldauszahlschein eine weitere Arbeitsunfähigkeit über den 8. März 2001 hinaus.

Vom 9. März 2001 bis zum 24. März 2003 bezog der Kläger von der H., Bezirksamt W., Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz. Erwerbseinkünfte des Klägers fanden bei der Berechnung des Hilfebedarfs keine Berücksichtigung.

Nach Ablauf der zweiten Blockfrist vom 2. April 1999 bis zum 1. April 2002 bescheinigte der Nervenarzt Dr. H. am 26. März 2003 dem Kläger Arbeitsunfähigkeit ab 25. März 2003 wegen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome. Der Kläger stellte daraufhin bei der Beklagten den streitbefangenen Antrag auf Zahlung von Krankengeld.

Durch Schreiben vom 1. April 2003 forderte die Beklagte den Kläger im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Krankengeld auf, eine Beschreibung seiner Tätigkeit vorzulegen und die Einkommensteuerbescheide von 1999, 2000 und 2001 zu übersenden. In einem Gesprächsvermerk der Beklagten vom 2. April 2003 ist dokumentiert, der Kläger habe mitgeteilt, dass er seit der letzten Leistungsunterbrechung seine Tätigkeit nicht habe voll aufnehmen können sondern immer nur zeit- bzw. stundenweise. Für ihn habe jemand anderes gearbeitet, er selbst habe nur von zu Hause die telefonische Akquisition gemacht. Der Kläger erklärte zudem, der Sozialhilfebezug habe zum Erhalt seiner Selbständigkeit beigetragen; in die volle selbständige Unabhängigkeit sei er nicht mehr gelangt. Seine selbständige Tätigkeit als Versicherungsmakler bestehe hauptsächlich in Bestandspflege und er habe sie bis zum Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit "bedingt eingeschränkt" ausgeübt. Seine Einnahmen lägen unterhalb des zu versteuernden Einkommens; eine steuerliche Veranlagung sei seit ca. acht Jahren nicht mehr erfolgt.

Dr. H. teilte der Beklagten auf Anfrage mit, die letzte Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe über den 8. März 2001 hinaus bis zum 2. Mai 2002 bestanden; zuvor hätte schon eine allmähliche Besserung des Befindens stattgefunden. Ab Mai 2002 habe der Kläger aus medizinischer Sicht seine Tätigkeit als selbständiger Versicherungsmakler wieder aufnehmen können. Eine Verschlimmerung der Depressionen des Klägers sei ab Anfang März 2003 eingetreten. Behandelt worden sei der Kläger am 14. Juni 2001, 19. Juli 2001, 11. Oktober 2001, 10. Januar 2002, 2. Mai 2002, 23. Mai 2002, 9. Oktober 2002, 15. Januar 2003, 3. März 2003, 26. März 2003, 9. April 2003, 23. April 2003 und 9. Mai 2003. Befundberichte aus diesem Zeitraum lägen nicht vor. Die weiteren Behandlungen nach dem 2. Mai 2002 seien erfolgt, da die Depression nicht abgeklungen gewesen und, wie dann eingetreten, ein Wiederauftreten bzw. eine Verschlimmerung möglich gewesen wäre. Eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit habe nicht bestanden. Kontinuierlich habe eine medikamentöse Therapie stattgefunden. Von einer Suchterkrankung des Klägers sei ihm nichts bekannt.

In einem Gutachten des MDK vom 23. Juli 2003 nach ambulanter Untersuchung des Klägers wird als die Arbeitsunfähigkeit begründende Diagnose eine anhaltende depressive Störung bei Alkoholkrankheit mit verminderter Belastbarkeit benannt. Es sei von Arbeitsunfähigkeit auf Dauer auszugehen. Für die Vergangenheit sei eine Arbeitsunfähigkeit schwer zu beweisen bzw. sei es schwer zu widerlegen, wenn der Kläger behaupte, nicht arbeitsunfähig gewesen zu sein. Jedoch sei es aufgrund der medizinischen Erfahrung schwer vorstellbar, dass sich zwischenzeitlich das Leistungsvermögen so deutlich bessere, dass der Kläger einer wirtschaftlich bedeutsamen Tätigkeit nachgehen könne.

Durch Bescheid vom 31. Juli 2003 lehnte die Beklagte sodann den Antrag des Klägers auf die Zahlung von Krankengeld ab. Denn diese setze voraus, dass zwischen der Leistungsunterbrechung am 8. März 2001 und der erneut bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ab 25. März 2003 der Kläger mindestens sechs Monate nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war und er erwerbstätig war oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand. Daran fehle es. Der Kläger sei nach der Leistungsunterbrechung am 8. März 2001 als durchgehend arbeitsunfähig krank im krankenversicherungsrechtlichen Sinne anzusehen. Es sei schwer vorstellbar, dass sich sein Leistungsvermögen zwischenzeitlich so verbessert habe, dass er einer wirtschaftlich bedeutsamen Tätigkeit habe nachgehen können. Die jetzt attestierte Arbeitsunfähigkeit ab 25. März 2003 löse somit nach § 48 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) keinen neuen Anspruch auf Krankengeld aus.

Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Beklagte habe lediglich aufgrund von Vermutungen und Unterstellungen entschieden. So könne für die letzten drei Jahre, in denen er vom MDK nicht untersucht worden sei, seine Arbeitsfähigkeit vom MDK nicht beurteilt werden. Er verwies darauf, sich in den Monaten Mai bis Juli 2003 selbst finanziert zu haben und in der Vergangenheit immer in der Lage gewesen zu sein, die Kosten für sein Auto zu erwirtschaften. In den vorherigen Fällen habe es bei gleichem Sachverhalt doch auch keine Probleme gegeben.

Durch Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zuvor hatte der MDK in einer von der Beklagten erbetenen ergänzenden Stellungnahme vom 7. November 2003 an seiner gutachtlichen Äußerung vom 23. Juli 2003 festgehalten.

Hiergegen richtet sich die am 12. Februar 2004 erhobene Klage. Mit ihr trägt der Kläger unter anderem vor, dass das MDK-Gutachten unzutreffend sei. Es habe in der Zwischenzeit Arbeitsfähigkeit, nicht aber durchgehende Arbeitsunfähigkeit bestanden. Er sei in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Durch Gerichtsbescheid vom 1. Juni 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Krankengeld scheitere jedenfalls daran, dass der Kläger nach der vorangegangenen Leistungsunterbrechung nicht mindestens sechs Monate erwerbstätig gewesen sei oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden habe (§ 48 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Denn angesichts der nach Auskunft des Bezirksamts W. in der Zeit vom 9. März 2001 bis zum 24. März 2003 dem Kläger ohne Berücksichtigung von Erwerbseinkünften gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt sei auch unter Berücksichtigung seines Vortrags, er habe mehr als gelegentlich stundenweise gearbeitet, sei aber nicht mehr in die volle selbständige Unabhängigkeit gelangt und habe kein zu versteuerndes oder auch nur dem Finanzamt zu deklarierendes Einkommen erreicht, vernünftigerweise kein Zweifel daran möglich, dass er in dieser Zeit nicht für mindestens sechs Monate tatsächlich eine Erwerbstätigkeit von wirtschaftlichem Wert ausgeübt habe.

Gegen den am 2. Juni 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20. Juni 2006 Berufung eingelegt. Mit ihr trägt er erneut vor, dass keine durchgehende Erkrankung vorgelegen habe, sondern von der Beklagten konstruiert worden sei. Diese habe den Beweis einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit nicht erbringen können. Die Besonderheiten der Feststellung von Arbeitsunfähigkeit bei Selbständigen mit freier Zeiteinteilung seien zu beachten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Juni 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld aufgrund seiner ab 25. März 2003 attestierten Arbeitsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Kläger sei zumindest im Anschluss an die Leistungsunterbrechung am 8. März 2001 aufgrund einer im psychiatrischen Bereich liegenden Erkrankung nicht in der Lage gewesen, seine selbständige Tätigkeit ohne Gefährdung seines Gesundheitszustandes auszuüben und deshalb im Sinne der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien durchgehend arbeitsunfähig gewesen. Somit fehle es an der Voraussetzung der mindestens sechsmonatigen Erwerbsausübung.

Am 18. Oktober 2006 fand vor dem Berichterstatter ein Termin zur Erörterung des Sachverhalts – zusammen mit dem Verfahren L 1 KR 22/06 – statt.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit verhandeln und entscheiden, weil er ordnungsgemäß vom Termin am 11. April 2007, 11:15 Uhr, benachrichtigt und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Auch ist der Senat im Termin erst nach einer Wartezeit von 15 Minuten in die mündliche Verhandlung eingetreten. Anlass für ein längeres Zuwarten bestand nicht, da Hinweise auf Gründe für das Ausbleiben oder eine Verspätung des Klägers nicht vorlagen.

Die Berufung ist statthaft (§ 105 Abs. 2, §§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2004 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf das begehrte Krankengeld.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht.

Hier lag aufgrund der am 26. März 2003 attestierten rezidivierenden depressiven Störung des Klägers unstreitig Arbeitsunfähigkeit ab 25. März 2003 vor. Dem Kläger war ebenso unstreitig bereits zuvor zweimal – ab 2. April 1996 und ab 19. August 1999 – wegen desselben depressiven Grundleidens Arbeitsunfähigkeit attestiert worden und hatte er deshalb in den Dreijahreszeiträumen (Blockfristen) vom 2. April 1996 bis 1. April 1999 und vom 2. April 1999 bis 1. April 2002 jeweils unter Ausschöpfung der Höchstanspruchsdauer von 78 Wochen Krankengeld bezogen.

Weil der Kläger in der letzten Blockfrist vom 2. April 1999 bis 1. April 2002 für 78 Wochen Krankengeld wegen derselben Krankheit bezogen hatte, unterliegt sein streitbefangener Anspruch auf Krankengeld in der neuen Blockfrist ab 2. April 2002 den einschränkenden Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 SGB V. Dieser stellt wegen der Risikoabgrenzung zur Rentenversicherung für das Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld bei einheitlichem Grundleiden in einer neuen Blockfrist zusätzliche Anforderungen auf, die kumulativ vorliegen müssen. Bei mehrfachen Arbeitsunfähigkeiten wegen derselben Krankheit besteht danach für Versicherte ein Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit, wenn sie bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate 1. nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und 2. erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen.

Dabei liegt Arbeitsunfähigkeit nicht schon deshalb nicht vor, weil sie nicht ärztlich attestiert ist; ebenso liegt Arbeitsunfähigkeit nicht schon deshalb vor, weil sie ärztlich attestiert ist. Arbeitsfähigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit sind vielmehr allererst durch die Krankenkasse und im Rechtsstreit durch das Gericht festzustellen. Es vermag daher vorliegend noch nichts aus dem Umstand zu folgen, dass der Kläger in der Zeit vom 9. März 2001 (Tag nach Erschöpfung des Krankengeldanspruchs in der letzten Blockfrist) bis zum 24. März 2003 (Tag vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit in der neuen Blockfrist) nicht durchgängig arbeitsunfähig geschrieben worden war.

Für den Eintritt des Versicherungsfalles der Arbeitsunfähigkeit ist auch bei freiwillig Versicherten auf die unmittelbar vor ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit verrichtete Erwerbstätigkeit abzustellen (BSG 30.5.2006 – B 1 KR 19/05 R, SozR 4-2500 § 47 Nr. 4; BSG 14.12.2006 – B 1 KR 6/06 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte wegen Krankheit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung fähig ist, seine zuletzt ausgeübte oder eine gleichgeartete Erwerbstätigkeit zu verrichten. Die Arbeitsunfähigkeit ist danach zu beurteilen, welche Bedingungen die zuletzt ausgeübte Tätigkeit im Wesentlichen geprägt haben und welche der bisherigen Tätigkeit gleichgeartete Tätigkeiten in Betracht kommen (siehe nur Höfler, in: Kasseler Kommentar, § 44 SGB V Rn. 10, 16).

Vorliegend hat der Kläger seine zuletzt vor ärztlicher Feststellung von Arbeitsunfähigkeit ab 25. März 2003 verrichtete Tätigkeit, die er ohne Krankheit ausüben würde, dahin beschrieben, als selbständiger Versicherungsmakler tätig gewesen zu sein. Nähere Angaben zur konkret verrichteten Tätigkeit lassen sich seinem Vortrag jedoch nicht entnehmen. Die Schwierigkeiten, für die Prüfung seiner Arbeitsfähigkeit oder Arbeitsunfähigkeit hinsichtlich des zeitlichen Umfangs seiner selbständigen Tätigkeit und ihres Inhalts handhabbare Maßstäbe zu gewinnen, fallen daher auf den Kläger selbst zurück. Sie haben ihren Grund darin, dass er aufgrund mehrfacher, jeweils lang anhaltender Arbeitsunfähigkeitszeiten und zwischenzeitlichen Sozialhilfebezugs nur wenig gearbeitet haben dürfte. Dem Senat – wie schon im Verwaltungsverfahren dem MDK – war es daher nicht verwehrt, seiner Beurteilung das Normalbild einer vollschichtigen selbständigen Tätigkeit eines Versicherungsmaklers zugrunde zu legen. Nach den online-Informationen der Bundesagentur für Arbeit BERUFENET (http://berufenet.arbeitsamt.de/berufe/index.jsp) wird das Tätigkeitsbild der Versicherungsmakler geprägt dadurch, dass sie Versicherungsleistungen aller Art kaufen, verkaufen und vermitteln. Sie bringen Vertragsabschlüsse zwischen Dritten zustande und erhalten dafür – meist prozentual bemessene – Provisionen. Im Auftrag der Kunden ermitteln sie verschiedene Versicherungsangebote und bieten sie den Kunden an. Sie sind im Interesse der Kunden tätig (nicht im Auftrag z. B. einer Versicherungsgesellschaft), um die für sie passendsten und günstigsten Dienstleistungen auszuwählen. Zu ihrem Service können das Prüfen und Vergleichen von Angeboten hinsichtlich des Preis-Leistung-Verhältnisses, die Risikoanalyse und die weitere Betreuung der Kunden gehören. Gegenüber den Kunden haben sie weit reichende Aufklärungs- und Beratungspflichten. Sie brauchen umfassende Branchenkenntnisse und ein überzeugendes, kundenorientiertes Auftreten. Da die Kundenbetreuung im Vordergrund steht, benötigt man neben Fachkenntnissen Kommunikationsfähigkeit und muss kompetent beraten können. Verhandlungstalent und Überzeugungskraft sind unerlässlich.

Zwar war der Kläger in der Zeit vom 9. März 2001 bis zum 24. März 2003 nicht durchgängig von seinem behandelnden Nervenarzt Dr. H. arbeitsunfähig geschrieben worden. Doch ist der Senat bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände davon überzeugt, dass der Kläger in dieser Zeit die gesundheitlichen Anforderungen an die Ausübung der Tätigkeit des Versicherungsmaklers nicht für mindestens sechs Monate zu erfüllen vermochte. Dabei lag bis zum 2. Mai 2002 schon nach Auskunft von Dr. H. ohnehin Arbeitsunfähigkeit vor. Aber auch anschließend, in der Zeit vom 3. Mai 2002 bis zur erneuten Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit durch Dr. H. ab 25. März 2003, erhielt der Kläger aufgrund seiner depressiven Störung fortlaufend Verordnungen für Medikamente. Diese Störung stellte – gewiss mit Ausschlägen und Schwankungen – ein Dauerleiden dar. Nichts spricht dafür, dass der Kläger in der Zeit vom 3. Mai 2002 bis 24. März 2003 für mindestens insgesamt sechs Monate die nervliche Belastungsfähigkeit aufwies, um als selbständiger Versicherungsmakler Kunden persönlich zu betreuen und zu beraten. Die vorliegenden Unterlagen geben vielmehr das Bild eines zurückgezogenen Lebens wieder. Die bekannten Umstände erlauben die Feststellung, dass der Kläger in dieser Zeit außer Stande war, ohne Gefahr der Verschlimmerung seiner depressiven Störung in nennenswertem Umfang als Versicherungsmakler tätig zu sein.

Unzutreffend ist die Behauptung des Klägers, eine solche Feststellung, wie sie auch schon die Beklagte getroffen hatte, beruhe allein auf Vermutungen und Unterstellungen. Zwar ist der Kläger in dem hier für den streitbefangenen Anspruch auf Krankengeld relevanten Zeitraum vor Beginn der ab 25. März 2003 attestierten Arbeitsunfähigkeit in der Tat nicht durch den MDK begutachtet worden. Doch bestand hierfür auch kein Anlass. Denn dem Kläger war durch seinen behandelnden Arzt über den 8. März 2001 hinaus bis zum 2. Mai 2002 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden, ohne dass ein Krankengeldanspruch bestand. Und bis zum Beginn der ab 25. März 2003 attestierten Arbeitsunfähigkeit war ein Krankengeldanspruch nicht geltend gemacht worden. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass sich die Beklagte, so wie nunmehr auch der Senat, unter anderem auf das erst im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des MDK stützte, zumal Dr. H. mitgeteilt hatte, Befundberichte aus dem hier relevanten Zeitraum lägen nicht vor. Daneben aber begründet sich die Feststellung einer durchgängigen Arbeitsunfähigkeit auch auf die Auskünfte von Dr. H. und des Klägers sowie auf den aus den Unterlagen sich ergebenden Eindruck im zeitlichen Längsschnitt. Soweit der Kläger das Gutachten des MDK nicht akzeptiert, geht es mithin nicht darum, die Feststellungen der Beklagten und des Gerichts beruhten auf Vermutungen und Unterstellungen, sondern darum, dass der Kläger die Beurteilung des MDK nicht akzeptiert. Insoweit aber geht es um die rechtliche Bewertung eines Sachverhalts und hat der Senat bei dieser die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger in der hier relevanten Zeit vom 9. März 2001 bis zum 24. März 2003 durchgängig arbeitsunfähig, jedenfalls aber nicht für mindestens sechs Monate arbeitsfähig war.

Es kommt entgegen dem Beharren des Klägers hierauf nicht entscheidend auf die Beantwortung der Frage an, ob in der Zeit vom 9. März 2001 bis zum 24. März 2003 auch durchgehend Alkoholabusus vorlag oder nicht. Entscheidend ist, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in dieser Zeit die depressive Erkrankung so in den Hintergrund getreten ist, dass der Kläger auch mindestens sechs Monate zur Erzielung von Arbeitseinkommen zumindest im Rahmen seines Restleistungsvermögens in der Lage, also arbeitsfähig war.

Zudem hat der Kläger selbst vorgetragen, seine Tätigkeit als Versicherungsmakler habe im Wesentlichen in Bestandspflege bestanden. Dies dürfte eher eine Umschreibung dafür sein, dass eine Tätigkeit nicht ausgeübt worden ist, weil hierfür die erforderliche gesundheitliche Leistungsfähigkeit fehlte. Selbst wenn er, wie vorgetragen, nur stundenweise und eingeschränkt tätig gewesen wäre – Belege hierfür fehlen –, führte dies noch nicht zur Annahme von Arbeitsfähigkeit des Klägers. Es gibt keine Teil-Arbeitsunfähigkeit oder prozentual bemessene Arbeitsunfähigkeit; die nur teilweise Aufnahme einer Beschäftigung ändert nichts an der Arbeitsunfähigkeit (siehe Höfler, a. a. O., § 44 SGB V Rn. 19 f.). Zu Recht hat die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass eine bestehende Arbeitsunfähigkeit auch durch eine Beschäftigung im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung in ihrem Fortbestand nicht berührt würde (§ 74 SGB V). Diese Wertung lässt sich auch auf den vorliegenden Fall übertragen.

Dies leitet dazu über, dass ein Krankengeldanspruch des Klägers auch voraussetzt, dass er mindestens sechs Monate erwerbstätig war oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand. Für eine tatsächliche Erwerbstätigkeit in diesem Umfang aber spricht erst recht nichts. Zur Annahme einer Erwerbstätigkeit führt insbesondere nicht schon der Hinweis des Klägers auf die Besonderheiten der Stellung eines selbständigen Versicherungsmaklers. Denn der Verweis auf die Selbständigkeit begründet noch nicht die Annahme einer tatsächlich verrichteten selbständigen Tätigkeit. Aussagekräftige Belege hierfür aber, insbesondere konkrete Einkünfte aus einer nachweislich verrichteten selbständigen Tätigkeit als Versicherungsmakler, vermochte der Kläger nicht vorzulegen. Hierfür langt auch seine unsubstantiierte Behauptung nicht, immer in der Lage gewesen zu sein, die Kosten für sein Auto zu erwirtschaften.

Vielmehr ist bekannt, dass der Kläger in der Zeit nach Ende des letzten Krankengeldanspruchs, ab 9. März 2001, bis unmittelbar vor Beginn der ab 25. März 2003 attestierten Arbeitsunfähigkeit Sozialhilfe ohne Anrechnung von Erwerbseinkünften bezog. Erst ab April 2003 und damit nach Beginn dieser attestierten Arbeitsunfähigkeit, nicht aber im für den streitbefangenen Anspruch relevanten Zeitraum davor, stellte der Träger der Sozialhilfe die Leistungen ein. Aus einem Gesprächsvermerk der Beklagten vom 2. April 2003 im Verwaltungsverfahren ergibt sich zudem die Mitteilung des Klägers, dass das Sozialamt ab April 2003 deshalb keine Leistungen mehr gewährte, weil er Zahlungen für seine Mutter erhalten habe. Zwar hat der Kläger auch behauptet, er habe von Mai bis Juli 2003 deshalb keine Sozialhilfe mehr erhalten, weil er sich aus der Abrechnung eines Auftrags ("Spätfälligkeit aus Immo-Andienung mit Erfolg, durch Makelfreund, üblich nach Abwicklung") selbst habe finanzieren können. Doch selbst wenn letzteres zuträfe – eine Aufklärung ließ der Kläger nicht zu, weil er mit der Beiziehung seiner Sozialhilfeakte nicht einverstanden war – und die Einnahme auf eigener Tätigkeit des Klägers beruhen sollte, ließe dies nicht einmal den Schluss auf eine wenn auch nur geringfügige, auf Erzielung von Arbeitseinkommen gerichtete, mindestens sechs Monate andauernde selbständige Tätigkeit zu. Schon deshalb vermag es vorliegend nichts auszutragen, dass nach Titel 3.3 des Gemeinsamen Rundschreibens betreffend Dauer des Anspruchs auf Krankengeld nach § 48 SGB V der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 6. Oktober 1993 auch eine geringfügige selbständige Tätigkeit der Erwerbstätigkeit zuzurechnen sei (siehe bei Krauskopf, SGB V, § 48 Rn. 26). Denn vorliegend hatte der Kläger allenfalls einen Auftrag abgerechnet erhalten und erlaubt dies noch nicht, von einer geringfügigen Erwerbstätigkeit zu sprechen. Zudem ist es nach dem Normzweck des § 48 Abs. 2 SGB V, mit dem das Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld von verschärften Voraussetzungen abhängig gemacht wird, auch abzulehnen, dass schon mit einer geringfügigen Tätigkeit das Wiederaufleben herbeigeführt werden kann (vgl. Höfler, a. a. O., § 48 SGB V Rn. 9e; Kritik auch bei Krauskopf, a. a. O.).

Unzutreffend ist der wiederholte Vortrag des Klägers, das Bezirksamt W. habe seine Angaben zum Sozialhilfebezug des Klägers in den streitbefangenen Anspruch berührender Weise richtig gestellt. Denn zu keinem Zeitpunkt hat der Träger der Sozialhilfe seine Angabe korrigiert, der Kläger habe in der Zeit vom 9. März 2001 bis zum 24. März 2003 Sozialhilfe ohne Anrechnung von Einkommen bezogen. Möglich ist, dass die zwischenzeitliche Einstellung der Sozialhilfeleistungen ab April 2003 ihren Grund in einer zuvor vom Kläger erarbeiteten Einnahme gehabt hatte. Doch belegt dies, träfe es zu, entgegen der Ansicht des Klägers eben nicht, dass in der Zeit nach Ende der letzten attestierten Arbeitsunfähigkeit vom 3. Mai 2002 bis zum 24. März 2003 für mindestens sechs Monate keine Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne und eine tatsächliche Erwerbstätigkeit vorlagen. Dafür fehlt ein Anhaltspunkt und auch entsprechende Ermittlungen drängen sich nicht auf. Der Kläger selbst hat mitgeteilt, er könne seine Erwerbstätigkeit nicht anders als durch die Auskunft des Bezirksamts und eine eidesstattliche Versicherung belegen.

Der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt. Denn hierzu hätte er sich tatsächlich der Arbeitsverwaltung zur Vermittlung zur Verfügung stellen müssen. Dies getan zu haben, behauptet er schon selbst nicht.

Von vornherein unbeachtlich ist der wiederholte Vortrag des Klägers, dass sich sein Zustand nach Aufgabe des Alkohol- und Nikotingebrauchs verbessert habe. Denn diese Veränderung trat nach dem hier für den streitbefangenen Anspruch relevanten Zeitraum ein.

Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf Krankengeld aufgrund der ab 25. März 2003 attestierten Arbeitsunfähigkeit innerhalb der dritten Blockfrist vom 2. April 2002 bis 1. April 2005.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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