Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 102 AS 2826/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 443/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. März 2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für dieses Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die Beschwerde der 1948 geborenen Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. März 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Gericht hat den Antrag der Antragstellerin vom 5. Februar 2007 auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt. Der Antragsgegner war nicht im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin über den 30. November 2006 hinaus monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 522, 34 EUR, statt der mit Bescheiden vom 20. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Januar 2007 für die Bewilligungszeiträume vom 1. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 und vom 1. Juni 2007 bis zum 30. September 2007 monatlich bewilligten 351,00 EUR, zu gewähren.
1.) Für die Gewährung von Leistungen ab Eintragseingang bei dem Sozialgericht Berlin bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren fehlt es an einem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände hat die Antragstellerin nicht vorgetragen, sie sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Dies bedeutet dass insoweit effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und der Antragstellerin ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.
2.) Für die Zeit ab Beschlussfassung des Senats in diesem Beschwerdeverfahren sind die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) entwickelt hat (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005,927 ff.). Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, wobei Art 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne (vgl. auch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2006 - L 10 B 1052/06 AS ER -).
Im vorliegenden Fall muss sich der Senat nicht auf eine Folgenabwägung beschränken, sondern er kann in der Sache entscheiden. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in der von ihr begehrten Höhe. Als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt nur § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Betracht. Danach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Ob die innegehabte Wohnung angemessen ist, ist allerdings entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Sozialgerichts nicht in erster Linie anhand der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AVWohnen) zu bestimmen. Die Prüfung der Angemessenheit setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R, zitiert nach juris RdNr. 19ff), von der abzuweichen der Senat nach erster Prüfung keinen Anlass sieht, vielmehr eine Einzelfallprüfung voraus. Dabei ist zunächst die maßgebliche Größe der Unterkunft zu bestimmen, und zwar typisierend (mit der Möglichkeit von Ausnahmen) anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus. In Berlin erscheint damit für 1 Person eine 1 ½ bis 2-Zimmer-Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche bis zu 50 m² angemessen, vgl. insoweit die zur Umsetzung von § 5 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) in Verbindung mit § 27 Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) erlassenen Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004 (Mitteilung Nr. 8/2004).
Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Als Vergleichsmaßstab ist regelmäßig die Miete am Wohnort heranzuziehen. Letztlich kommt es darauf an, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht (so genannte Produkttheorie, vgl. BSG a. a. O.).
Zur Bestimmung des angemessenen Mietzinses stützt sich der Senat auf den örtlichen, gemäß §§ 558c und 558d BGB qualifizierten Mietspiegel des Landes Berlin vom 22. August 2005 (Amtsblatt 2005 S. 3109 und Amtsblatt 2006 S. 515) und den Nachtrag zum Berliner Mietspiegel 2005 vom 22. Mai 2006 (Amtsblatt S. 1928). Die Wohnung der Antragstellerin liegt in einer einfachen Wohnlage im Ortsteil Lichtenrade, also im Süden des Bezirks Tempelhof- Schöneberg von Berlin. In dieser oder einer vergleichbaren Wohnlage im Süden oder im Südwesten Berlins sind Vergleichswohnungen in einfacher Wohnlage vorhanden. Die Spannen für solche Wohnungen in einfachen Wohnlagen mit 40 m² bis unter 60 m² reichen von 4,10 EUR pro m² bis 4,60 EUR pro m² in einem Neubau (Baujahr 1965 - 1972 mit Sammelheizung und Bad). In dem von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gemeinsam mit der Investitionsbank Berlin herausgegebenen 4. Wohnungsmarktbericht (Berliner Wohnungs-Marktbericht 2005) für das Jahr 2004 ist schließlich als gewichteter Mietspiegelwert (alle Wohnungen, nettokalt) ein Betrag von 4,49 EUR pro m² sowie als durchschnittliche Miete im sozialen Wohnungsbau (1. Förderweg, nettokalt) ein Betrag von 4,48 EUR festgestellt worden. Ausgehend von einem Mittelwert von 4,35 EUR pro m² (4,10 m² + 4,60 m²: 2) und selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin abweichend vom Berliner Mietspiegel und den AVWohnen von zusätzlichen "warmen" Betriebskosten von mittlerweile durchschnittlich 2,74 EUR pro m² ausgeht (vgl. Betriebskostenspiegel 2006 des Deutschen Mieterbundes unter http://www.mieterbund.de/presse/2006/pm 2006 12 14-2.html), ergibt sich nach alledem eine Angemessenheitsgrenze für Bruttowarmmieten in Höhe von 354,50 EUR (217,50 EUR Kaltmiete ( 4,35 EUR x 50 m² )und 137,50 EUR Betriebskosten ( 2,74 EUR x 50 m² )). Diese Kosten werden vor-liegend mit der innegehabten Wohnung in Höhe von der Antragstellerin begehrten 522,34 EUR erheblich überschritten.
In einem weiteren Schritt ist im Rahmen einer konkreten Angemessenheitsprüfung festzustellen, dass eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugängig ist. Andernfalls sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als angemessen anzusehen (BSG a. a. O. RdNr. 22). Der Senat teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass 1½ bis 2-Zimmer-Wohnungen, die nach den dargestellten abstrakten Kriterien angemessen sind, in einfacher Wohnlage im Süden oder Südwesten Berlins kurzfristig verfügbar sind. Es ist gerichtskundig, dass der Berliner Mietmarkt derzeit (noch) entspannt ist. Über eine Internetrecherche sind auf Anhieb mehrere passende Wohnungsobjekte zu ermitteln.
Im Übrigen würde auch eine Folgenabwägung nicht zu dem von der Antragstellerin begehrten Ergebnis führen. Die Aufgabe der von ihr genutzten Wohnung muss der Antragstellerin abverlangt werden; eine Aufgabe ihres weiteren Wohnumfeldes ist damit nicht verbunden, da es auch in dem von ihr bewohnten Stadtteil einfache Wohnlagen mit angemessenem Wohnraum gibt. Eine längerfristige Wohnungslosigkeit als Folge der Ablehnung des Antrages steht nicht zu befürchten. Der Antragsgegner hat die Antragstellerin bereits mit Schreiben vom 3. Mai 2006 darüber informiert, dass ihre Kosten für Unterkunft den angemessenen Umfang übersteigen und sie diese Kosten nicht länger als sechs Monate nach Zugang dieses Schreibens übernehmen wird. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin zudem zugesagt, die mit dem Umzug zusammenhängenden notwendigen Kosten zu übernehmen, so dass auch insoweit etwaige Hinderungsgründe nicht entgegenstehen. Die Antragstellerin hat demgegenüber offenbar noch keinerlei Anstrengungen unternommen, in eine (kleinere und) günstigere Wohnung umzuziehen.
Sie trägt insoweit lediglich vor, dass ihr ein Umzug nicht zumutbar sei, weil sie bereits dass 59. Lebensjahr vollendet habe und sie von Februar 2008 an eine Altersrente beziehen werde. Die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg hat hingegen mitgeteilt, dass die Antragstellerin am 18. Dezember 2006 einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbs-minderungsrente gestellt habe und dass dieser Antrag mit Bescheid vom 29. Januar 2007 abgelehnt worden ist. Einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente hat die Antragstellerin nicht gestellt. Da die Antragstellerin auch nicht verpflichtet ist, einen solchen Antrag auf Gewährung einer Alterrente zu stellen, könnte sie noch bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahr (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-halts, einschließlich der Kosten für die Unterkunft und Heizung, nach dem SGB II beziehen.
Soweit die Antragstellerin sich schließlich darauf beruft, dass auch ihr Sohn AE in der Wohnung wohnhaft sei und er ebenfalls Leistungen nach dem SGB II beziehe, trifft dies nicht zu. Nach Aktenlage befindet sich ihr Sohn seit dem 28. September 2005 in der Abteilung für FP im Krankenhaus des M. Er hat daher gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen (§ 73 a SGG in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde der 1948 geborenen Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. März 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Gericht hat den Antrag der Antragstellerin vom 5. Februar 2007 auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt. Der Antragsgegner war nicht im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin über den 30. November 2006 hinaus monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 522, 34 EUR, statt der mit Bescheiden vom 20. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Januar 2007 für die Bewilligungszeiträume vom 1. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 und vom 1. Juni 2007 bis zum 30. September 2007 monatlich bewilligten 351,00 EUR, zu gewähren.
1.) Für die Gewährung von Leistungen ab Eintragseingang bei dem Sozialgericht Berlin bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren fehlt es an einem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände hat die Antragstellerin nicht vorgetragen, sie sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Dies bedeutet dass insoweit effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und der Antragstellerin ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.
2.) Für die Zeit ab Beschlussfassung des Senats in diesem Beschwerdeverfahren sind die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) entwickelt hat (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005,927 ff.). Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, wobei Art 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne (vgl. auch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2006 - L 10 B 1052/06 AS ER -).
Im vorliegenden Fall muss sich der Senat nicht auf eine Folgenabwägung beschränken, sondern er kann in der Sache entscheiden. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in der von ihr begehrten Höhe. Als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt nur § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Betracht. Danach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Ob die innegehabte Wohnung angemessen ist, ist allerdings entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Sozialgerichts nicht in erster Linie anhand der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AVWohnen) zu bestimmen. Die Prüfung der Angemessenheit setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R, zitiert nach juris RdNr. 19ff), von der abzuweichen der Senat nach erster Prüfung keinen Anlass sieht, vielmehr eine Einzelfallprüfung voraus. Dabei ist zunächst die maßgebliche Größe der Unterkunft zu bestimmen, und zwar typisierend (mit der Möglichkeit von Ausnahmen) anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus. In Berlin erscheint damit für 1 Person eine 1 ½ bis 2-Zimmer-Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche bis zu 50 m² angemessen, vgl. insoweit die zur Umsetzung von § 5 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) in Verbindung mit § 27 Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) erlassenen Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004 (Mitteilung Nr. 8/2004).
Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Als Vergleichsmaßstab ist regelmäßig die Miete am Wohnort heranzuziehen. Letztlich kommt es darauf an, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht (so genannte Produkttheorie, vgl. BSG a. a. O.).
Zur Bestimmung des angemessenen Mietzinses stützt sich der Senat auf den örtlichen, gemäß §§ 558c und 558d BGB qualifizierten Mietspiegel des Landes Berlin vom 22. August 2005 (Amtsblatt 2005 S. 3109 und Amtsblatt 2006 S. 515) und den Nachtrag zum Berliner Mietspiegel 2005 vom 22. Mai 2006 (Amtsblatt S. 1928). Die Wohnung der Antragstellerin liegt in einer einfachen Wohnlage im Ortsteil Lichtenrade, also im Süden des Bezirks Tempelhof- Schöneberg von Berlin. In dieser oder einer vergleichbaren Wohnlage im Süden oder im Südwesten Berlins sind Vergleichswohnungen in einfacher Wohnlage vorhanden. Die Spannen für solche Wohnungen in einfachen Wohnlagen mit 40 m² bis unter 60 m² reichen von 4,10 EUR pro m² bis 4,60 EUR pro m² in einem Neubau (Baujahr 1965 - 1972 mit Sammelheizung und Bad). In dem von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gemeinsam mit der Investitionsbank Berlin herausgegebenen 4. Wohnungsmarktbericht (Berliner Wohnungs-Marktbericht 2005) für das Jahr 2004 ist schließlich als gewichteter Mietspiegelwert (alle Wohnungen, nettokalt) ein Betrag von 4,49 EUR pro m² sowie als durchschnittliche Miete im sozialen Wohnungsbau (1. Förderweg, nettokalt) ein Betrag von 4,48 EUR festgestellt worden. Ausgehend von einem Mittelwert von 4,35 EUR pro m² (4,10 m² + 4,60 m²: 2) und selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin abweichend vom Berliner Mietspiegel und den AVWohnen von zusätzlichen "warmen" Betriebskosten von mittlerweile durchschnittlich 2,74 EUR pro m² ausgeht (vgl. Betriebskostenspiegel 2006 des Deutschen Mieterbundes unter http://www.mieterbund.de/presse/2006/pm 2006 12 14-2.html), ergibt sich nach alledem eine Angemessenheitsgrenze für Bruttowarmmieten in Höhe von 354,50 EUR (217,50 EUR Kaltmiete ( 4,35 EUR x 50 m² )und 137,50 EUR Betriebskosten ( 2,74 EUR x 50 m² )). Diese Kosten werden vor-liegend mit der innegehabten Wohnung in Höhe von der Antragstellerin begehrten 522,34 EUR erheblich überschritten.
In einem weiteren Schritt ist im Rahmen einer konkreten Angemessenheitsprüfung festzustellen, dass eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugängig ist. Andernfalls sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als angemessen anzusehen (BSG a. a. O. RdNr. 22). Der Senat teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass 1½ bis 2-Zimmer-Wohnungen, die nach den dargestellten abstrakten Kriterien angemessen sind, in einfacher Wohnlage im Süden oder Südwesten Berlins kurzfristig verfügbar sind. Es ist gerichtskundig, dass der Berliner Mietmarkt derzeit (noch) entspannt ist. Über eine Internetrecherche sind auf Anhieb mehrere passende Wohnungsobjekte zu ermitteln.
Im Übrigen würde auch eine Folgenabwägung nicht zu dem von der Antragstellerin begehrten Ergebnis führen. Die Aufgabe der von ihr genutzten Wohnung muss der Antragstellerin abverlangt werden; eine Aufgabe ihres weiteren Wohnumfeldes ist damit nicht verbunden, da es auch in dem von ihr bewohnten Stadtteil einfache Wohnlagen mit angemessenem Wohnraum gibt. Eine längerfristige Wohnungslosigkeit als Folge der Ablehnung des Antrages steht nicht zu befürchten. Der Antragsgegner hat die Antragstellerin bereits mit Schreiben vom 3. Mai 2006 darüber informiert, dass ihre Kosten für Unterkunft den angemessenen Umfang übersteigen und sie diese Kosten nicht länger als sechs Monate nach Zugang dieses Schreibens übernehmen wird. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin zudem zugesagt, die mit dem Umzug zusammenhängenden notwendigen Kosten zu übernehmen, so dass auch insoweit etwaige Hinderungsgründe nicht entgegenstehen. Die Antragstellerin hat demgegenüber offenbar noch keinerlei Anstrengungen unternommen, in eine (kleinere und) günstigere Wohnung umzuziehen.
Sie trägt insoweit lediglich vor, dass ihr ein Umzug nicht zumutbar sei, weil sie bereits dass 59. Lebensjahr vollendet habe und sie von Februar 2008 an eine Altersrente beziehen werde. Die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg hat hingegen mitgeteilt, dass die Antragstellerin am 18. Dezember 2006 einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbs-minderungsrente gestellt habe und dass dieser Antrag mit Bescheid vom 29. Januar 2007 abgelehnt worden ist. Einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente hat die Antragstellerin nicht gestellt. Da die Antragstellerin auch nicht verpflichtet ist, einen solchen Antrag auf Gewährung einer Alterrente zu stellen, könnte sie noch bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahr (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-halts, einschließlich der Kosten für die Unterkunft und Heizung, nach dem SGB II beziehen.
Soweit die Antragstellerin sich schließlich darauf beruft, dass auch ihr Sohn AE in der Wohnung wohnhaft sei und er ebenfalls Leistungen nach dem SGB II beziehe, trifft dies nicht zu. Nach Aktenlage befindet sich ihr Sohn seit dem 28. September 2005 in der Abteilung für FP im Krankenhaus des M. Er hat daher gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen (§ 73 a SGG in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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