L 28 B 453/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 11370/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 453/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Der Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner zu verpflichten, ihr in der Zeit vom 11. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 173,83 EUR als Zuschuss zu gewähren, kann keinen Erfolg haben.

1.) Für die Gewährung von Leistungen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren fehlt es an einem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung für die zurückliegenden Zeiträume erforderlich machen würde.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände hat die Antragstellerin jedoch nicht vorgetragen, sie sind auch nicht sonst ersichtlich. Dies bedeutet, dass effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und ihr insoweit ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.

2.) Für die Zeit ab Beschlussfassung des Senats in diesem Beschwerdeverfahren sind die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) entwickelt hat (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005,927 ff.). Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, wobei Art 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne (vgl. auch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2006 - L 10 B 1052/06 AS ER -).

Im vorliegenden Fall muss sich der Senat nicht auf eine Folgenabwägung beschränken, sondern er kann in der Sache entscheiden. Die 1983 geborene Antragstellerin, die eine Halbwaisenrente bezieht und nicht mehr bei einem Elternteil wohnt, hat keinen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II als Zuschuss vom Zeitpunkt der Beschlussfassung dieses Senates an.

Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Berufsausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Diese Voraussetzungen sind im Falle der Antragstellerin erfüllt. Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass es sich bei der Ausbildung der Antragstellerin zur Maskenbildnerin um eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nach dem BAföG handelt.

Ausnahmsweise können Auszubildende nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erhalten. Das Sozialgericht hat im Falle der Antragstellerin zu Recht einen besonderen Härtefall angenommen, weil die Antragstellerin im Mai 2007 die Ausbildung beendet und ohne die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu befürchten ist, dass die Ausbildung kurz vor diesem Ende abgebrochen werden muss (vgl. Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 7 RdNr. 102).

Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren sinngemäß vorträgt, dass sie aufgrund der Regelung des § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss habe, trifft dies nicht zu. Hiernach findet § 7 Abs. 5 SGB II auf Auszubildende keine Anwendung, die u. a. aufgrund von § 2 Abs. 1 a BAföG - nur diese Alternative kommt hier in Betracht - keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Nach § 2 Abs. 1 a BAföG erhalten Auszubildende, die, wie die Antragstellerin nicht mehr bei einem Elternteil wohnen, für den Besuch der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG bezeichneten Ausbildungsstätten nur unter weiteren persönlichen Voraussetzungen Ausbildungsförderung. Wird Ausbildungsförderung wegen Fehlens dieser persönlichen Voraussetzungen nicht geleistet, werden Leistungen nach §§ 19 ff. SGB II erbracht. Der Senat kann offen lassen, ob der Besuch der von der Antragstellerin besuchten H M schule GmbH, als eine nach § 2 Abs. 2 BAföG anerkannte Ergänzungsschule, mit dem Besuch einer der in § 2 Abs.1 Nr. 1 BAföG genannten Ausbildungsstätten (allgemeinbildende Schulen, Berufsfachschulen u. a.) oder mit dem Besuch einer der in § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BAföG genannten Ausbildungsstätten gleichzustellen ist. Unentschieden lassen kann der Senat auch, ob ein Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung eines Auszubildenden, der eine anerkannte Ergänzungsschule im Sinne von § 2 Abs. 2 BAföG besucht, überhaupt mit der Begründung des Fehlens einer der in § 2 Abs. 1 a BAföG genannten persönlichen Voraussetzungen abgelehnt werden kann. Denn diese anerkannten Ergänzungsschulen werden in § 2 Abs. 1 a BAföG jedenfalls nicht ausdrücklich genannt.

Das Bezirksamt C - W von B hat jedenfalls mit Bescheid vom 18. August 2006 die Gewährung von Leistungen nicht abgelehnt, weil die Antragstellerin wegen Fehlens der in § 2 Abs. 1 a BAföG aufgeführten persönlichen Voraussetzungen keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung habe, sondern weil ihr anzurechnendes Einkommen ihren Bedarf übersteigt.

Der Senat sieht gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Begründung ab und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war wegen fehlender Erfolgsaussicht abzulehnen (§ 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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