L 16 R 403/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 RA 1289/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 403/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 26.957,35 EUR nebst Zinsen ab "Rechtshängigkeit".

Die 1935 geborene Klägerin, die seit September 1997 als deutsche Staatsangehörige in C lebt, bezieht von der Beklagten seit 01. Februar 1995 Altersrente (AR) für Frauen. Nach der Übersiedlung nach C kam es zu Unstimmigkeiten zwischen der Klägerin und der Beklagten bezüglich Zahlungsart und -weg der Rentenzahlung, in deren Folge die Beklagte die von der Klägerin begehrte Zahlung der AR auf ein Konto ihres Bruders mit Bescheid vom 05. März 2002 ablehnte.

Mit ihrer bei dem Sozialgericht (SG) Berlin eingelegten Klage hat die Klägerin zunächst die Zahlung der Rente durch auf EUR lautende Schecks geltend gemacht. Nach der Einrichtung eines Zahlungsweges für EUR-Schecks durch den Rentenservice der Deutschen Post und einer entsprechenden Änderung der Zahlungsart durch die Beklagte hat die Klägerin die Klage "insoweit" in der Hauptsache für erledigt erklärt und begehrt nunmehr die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 26.957,35 EUR nebst Zinsen "gemäß § 288 BGB ab Rechtshängigkeit", und zwar auf der Grundlage einer positiven Forderungsverletzung (pFV) des Versicherungsvertrages bzw. einer unerlaubten Handlung der Beklagten (Schriftsatz vom 16. Mai 2004). Das SG hat diese Klage mit Urteil vom 05. Dezember 2006 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die im Wege der Klageänderung nach § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung der Beklagten im Rahmen des Sozialrechtsverhältnisses. Eine pFV sei zwar grundsätzlich auch im öffentlichen Recht möglich, Voraussetzung hierfür sei jedoch ein besonders enges Verhältnis zwischen der öffentlich-rechtlichen Körperschaft und dem Betroffenen. Ein derartiges Verhältnis sei vorliegend nicht ersichtlich. Es handele sich vielmehr um einen öffentlich-rechtliches Zwangsversicherungsverhältnis mit den sich aus dem Gesetz ergebenden Rechten und Pflichten. Daher würden allein Schadensersatzansprüche aus Amtspflichtverletzung gemäß den §§ 823, 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. mit Artikel 34 Grundgesetz (GG) in Betracht kommen. Über einen Amtshaftungsanspruch könne das Gericht jedoch nicht entscheiden, da hierfür der Zivilrechtsweg gegeben sei. Da die Klägerin jedoch eine sozialrechtliche Anspruchsgrundlage geltend gemacht habe, sei eine Verweisung an das Zivilgericht aufgrund der geltend gemachten Amtspflichtverletzungen nicht möglich. Die Kostenentscheidung folge aus § 193 SGG und berücksichtige, dass auch die zunächst erhobene Klage nicht zulässig gewesen sei, und zwar schon deshalb nicht, weil die Beklagte nicht durch Verwaltungsakt über den von der Klägerin begehrten Zahlungsweg entschieden habe.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Das SG habe verkannt, dass sie auch einen sozialrechtlichen "Wiedergutmachungsanspruch" geltend mache. Dieser habe Vorrang vor einem Anspruch aus Amtspflichtverletzung im Übrigen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 26.957,35 EUR nebst Zinsen "gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch ab Rechtshängigkeit" zu zahlen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das Landgericht zu verweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Rentenakten der Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligen sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlich im Wege der vom SG zugelassenen und damit für das Berufungsgericht bindenden (§ 99 Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Beschluss vom 04. Mai 1999 – B 2 U 89/98 B – veröffentlicht in juris) Klageänderung erhobene Klage auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld nebst Zinsen weiter verfolgt, ist nicht begründet.

Eine sozialrechtliche Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatz bzw. das Schmerzensgeld – nur hierüber hat das SG entschieden – ist nicht ersichtlich, und zwar weder als Ausfluss einer pFV noch im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist ein von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut, das an die Verletzung behördlicher Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten im Sozialrechtsverhältnis anknüpft. Da dieser Anspruch nur eine Lücke im Schadensersatzrecht schließen soll (vgl. BSG SozR 2200 § 1303 Nr. 27), kann er aber von vornherein nicht auf die Gewährung von Schadensersatz im Sinne einer Kompensationsleistung in Geld gerichtet sein, sondern nur auf Naturalrestitution, d.h. auf Vornahme einer Amtshandlung (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2000 – B 12 KR 10/99 R = SozR 3-2400 § 28h Nr. 11 m. w. N.). Die Klägerin macht vorliegend aber ausschließlich eine Forderung auf Schadensersatz in Geld bzw. Schmerzensgeld geltend. Insofern kommen allenfalls Schadensersatzansprüche nach den §§ 823 ff, 839 BGB i.V. mit Artikel 34 GG in Betracht. Für derartige Schadensersatzansprüche sind nicht die Gerichte der Sozialgerichts-barkeit, sondern die Zivilgerichte zuständig (vgl. BSG a.a.O.). Der Senat hatte daher nicht darüber zu befinden, ob wegen des Verhaltens der Beklagten ein derartiger Amtshaftungsanspruch gegeben sein könnte. Denn die Entscheidung hierüber fällt ausschließlich in die Zuständigkeit der Zivilgerichte (Artikel 34 Satz 3 GG, § 17 Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG -). Daran ändert auch nichts die Regelung des § 202 SGG i. V. mit § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten entscheidet (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 V 12/99 R = SozR 3-1200 § 14 Nr. 28). Der hilfsweise von der Klägerin geltend gemachten Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht war somit nicht zu entsprechen (vgl. hierzu Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 51 Rz. 41 m.w.N.).

Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ergibt sich auch nicht aus einer pFV der Beklagten. Unter dieses gewohnheitsrechtlich anerkannte und nunmehr in § 280 BGB kodifizierte Rechtsinstitut fallen alle Pflichtverletzungen im Rahmen eines vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses, die nicht zur Unmöglichkeit oder zum Verzug der Leistung führen und deren Folgen nicht von den gesetzlichen Gewährleistungsvorschriften erfasst werden. Die vom Schuldner zu vertretene Verletzung derartiger Nebenpflichten begründet für den anderen Partner des Schuldverhältnisses einen Schadensersatzanspruch. Diese Grundsätze der pFV gelten zwar sinngemäß auch für öffentlich-rechtliche Sonderbeziehungen, sofern diese privatrechtlichen Schuldverhältnissen vergleichbare Leistungs- und Obhutsbeziehungen zum Gegenstand haben (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2000 – B 12 KR 10/99 R -). Voraussetzung hierfür ist aber ein "besonders enges Verhältnis" des Einzelnen zur Verwaltung, bei dem mangels gesetzlicher Regelung ein Bedürfnis nach einer angemessenen Verteilung der Verantwortung innerhalb des öffentlichen Rechts vorliegt (vgl. BSG a.a.O.). Ein solches enges Verhältnis liegt aber dann nicht vor, wenn – wie hier – sich die Rechte und Pflichten aus dem Sozialrechtsverhältnis unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Es liegt keine vertragsähnliche Sonderbeziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten vor, sondern ein gesetzliches Rentenversicherungsverhältnis nach Maßgabe der Vorschriften des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI).

Ungeachtet dessen, ob eine Pflichtverletzung der Beklagten vorliegt, kann diese jedenfalls im Sozialrechtsweg der vorliegenden Schadensersatz- bzw. Schmerzensgeldklage nicht zum Erfolg verhelfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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