L 29 B 275/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 AS 2006/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 B 275/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 02. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin A R wird abgelehnt. Die Beteiligten haben außergerichtliche Kosten auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Die 1985 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsbürgerin. Sie ist ledig. Sie reiste nach eigenen Angaben im Juni 2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Bezirksamt M von B erteilte ihr am 26. September 2005 eine Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU. Darin wurde ausgeführt, dass die Inhaberin der Bescheinigung zur Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis oder Arbeitsberechtigung-EU benötige. Ein bei dem Bezirksamt M von B am 22. September 2005 von der Antragstellerin angemeldetes Gewerbe wurde von dieser mit der Begründung "Tätigkeit wurde nie aufgenommen" am 25. Juli 2006 wieder abgemeldet. In den Verwaltungsakten des Antragsgegners befinden sich Unterlagen des Labors über eine serologische Untersuchung (Untersuchungsdatum 17. August 2006), aufgrund der festgestellt worden war, dass die Antragstellerin schwanger war; berechneter Entbindungstermin sei der 17. Februar 2007.

Am 12. Januar 2007 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 15. Januar 2007 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Hiergegen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz ihrer früheren Prozessbevollmächtigten vom 24. Januar 2007 Widerspruch eingelegt.

Am 24. Januar 2007 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Das Sozialgericht Berlin hat durch Beschluss vom 2. Februar 2007 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Antragstellerin sei von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der seit dem 01. April 2006 geltenden und hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl. I S. 558 ff.) ausgeschlossen.

Gegen den ihren früheren Prozessbevollmächtigten am 07. Februar 2007 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin durch ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten am 20. Februar 2007 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht Berlin hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Mit ihrer Beschwerde vertritt die Antragstellerin die Auffassung, die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sei wegen Verstoßes gegen EU-Recht unanwendbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Eine einstweilige Anordnung darf nur ergehen, wenn der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den so genannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden, den so genannten Anordnungsgrund glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).

Es fehlt hier schon an einem Anordnungsanspruch. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfsbedürftige).

Nach Satz 2 dieser Vorschrift in der seit dem 01. April 2006 geltenden Fassung sind Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, ihre Familienangehörigen sowie Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Nach Satz 3 dieser Vorschrift bleiben aufenthaltsrechtliche Bestimmungen unberührt.

§ 8 SGB II in der hier anzuwenden Fassung bestimmt: Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs. 1). Im Sinne von Abs. 1 können Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte (Abs. 2).

Ein Anordnungsanspruch für die Zeit ab 01. Januar 2007 fehlt schon deshalb, weil die Voraussetzungen von § 8 Abs. 2 SGB II nicht vorliegen. Danach können Ausländer nur erwerbsfähig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Die Antragstellerin verfügte nicht über eine Erlaubnis, eine Beschäftigung aufzunehmen (§ 8 Abs. 2 erste Alternative SGB II). Die notwendigen Voraussetzungen von § 8 Abs. 2 zweite Alternative SGB II sind ebenfalls nicht glaubhaft gemacht worden. Diese Norm ist dahingehend zu verstehen, dass die gesetzgeberisch eingeräumte, abstrakt-generelle Möglichkeit der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis - im Außenverhältnis durch die Ausländerbehörde bei ggf. erforderlicher Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit - ausreicht. Der Gesetzgeber hat mit der zweiten Alternative im Ausgangspunkt zunächst nur auf das je einschlägige Recht der Arbeitsmarktsteuerung verweisen wollen (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Dezember 2005 – L 25 B 1281/05 AS ER - in: juris; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Oktober 2006 - L 3 ER 175/06 AS - in: juris sowie NZS 2007 S. 220 - Leitsatz). Dass der Antragstellerin zwar abstrakt-generell eine Tätigkeit erlaubt werden könnte, ist vorliegend nicht zu bezweifeln. Sie kann sich als Polin auf das Freizügigkeitsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) berufen, dass die Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004, ABl. EU Nr. L 15 (vom 30. April 2004, S. 44, berichtigt: ABl. EU Nr. L 229 vom 29. Juni 2004, S. 35) umgesetzt hat. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU können sich Unionsbürger als Arbeitnehmer in Deutschland aufhalten. Für die Antragstellerin als Polin und damit als Staatsangehörige eines Staates, der mit Vertrag vom 16. April 2003 der Europäischen Union beitrat (BGBl 2003 II S. 1408), sieht § 13 FreizügG/EU jedoch insoweit eine Sonderregelung vor, als das Gesetz nur Anwendung findet, wenn die Beschäftigung durch die Bundesagentur für Arbeit gemäß § 284 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) genehmigt wurde. Angehörige der Staaten, die der Europäischen Union mit dem vorgenannten Vertrag vom 16. April 2003 beigetreten sind, sind nicht gehindert, ihr prinzipiell unbeschränktes Aufenthaltsrecht als Arbeitsuchende geltend zu machen. Durch die Genehmigungsbedürftigkeit der Beschäftigung ist die Arbeitssuche für sie zwar - europarechtlich zulässigerweise - erschwert, aber sie ist nicht von vornherein erfolglos, da die Genehmigung erteilt werden kann (vgl. dazu Strick, NJW 2005, 2182, 2186). Unter Berücksichtigung des § 13 FreizügG/EU könnte deshalb eine Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB II Angehörigen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die mit Vertrag vom 16. April 2003 beigetreten sind und deren prinzipiell unbeschränktes Aufenthaltsrecht als Arbeitssuchende lediglich zur Abschottung der Arbeitsmarkt erschwert worden ist, erlaubt werden. Das Prüfprogramm der Arbeitsmarktzulassung nach § 285 SGB III ist aber im Wesentlichen beibehalten worden (vgl. Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8. Auflage, 2005, § 39 Rz. 2 ff.).

Der Antragstellerin, die über eine Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht nach § 5 FreizügG/EU vom 26. September 2005 des Bezirksamtes Mitte von Berlin verfügt aus der hervorgeht, dass sie zur Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsberechtigung-EU benötige, hat im Verfahren aber noch nicht einmal glaubhaft gemacht, dass sie einen entsprechenden Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit gestellt hat. Insoweit erweist sich die Beschwerde als unbegründet.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Aus den zuvor dargelegten Gründen war auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung nach §§ 73a SGG, 114 Zivilprozessordnung (ZPO) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) angefochten werden; § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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