L 28 B 529/07 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AS 113/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 529/07 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. Februar 2007 abgeändert. Der Antragstellerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt G K, Fstr, N, beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Februar 2007, mit der sie sich ausdrücklich nur gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren wendet, ist gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Der Antragsteller ist für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zu gewähren.

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt nach den genannten Vorschriften voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Diese Erfolgsaussicht war im maßgeblichen Zeitpunkt, der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages in der ersten Instanz, am 24. Januar 2007, gegeben.

Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347, 357). Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht überspannt und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt (vgl. BVerfGE 81, 347, 358).

Kommt insbesondere eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden ausgehen würde, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. zuletzt Beschluss vom 3. Juni 2003, 1 BvR 1355/02, NJW-RR 2003, 1216). Dies muss dazu führen, dass die Erfolgsaussicht eines Rechtsschutzbegehrens dann nicht verneint werden darf, wenn entweder Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht besteht oder aber schwierige rechtliche Fragen zu klären sind, deren Klärung der Durchführung eines Verfahrens der Hauptsache vorbehalten sein muss.

Diese Voraussetzungen erfüllte das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin. Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner der Antragstellerin mit einem so genannten Änderungsbescheid vom 25. Oktober 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Bewilligungszeitraum vom 1. Dezember 2006 bis zum 30 April 2007 in Höhe von 131,20 EUR bewilligt und zugleich den "zur Zeit gültigen Bescheid aufgehoben". Mit weiterem Bescheid vom 26. Oktober 2006 hat er dann diese Zahlungen ab dem 1. Dezember 2006 "vorläufig eingestellt", weil er davon ausgehe, dass die Antragstellerin in einer "eheähnlichen Gemeinschaft" lebe. Die Antragstellerin forderte er unter Hinweis auf § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auf, eine Einkommenserklärung/Verdienstbescheinigung des Partners (V) beizubringen. Nachdem die Antragstellerin dieser Aufforderung nicht nachkam, "stellte" er die Leistungen mit Bescheid vom 17. Januar 2007 mit Wirkung vom 1. Dezember 2006 ein, weil die "Grundlagen für eine Leistungsgewährung nicht mehr gegeben seien." Die Antragstellerin habe die von ihr angeforderten Unterlagen über den V nicht beigebracht.

Dieser Sachverhalt wirft eine Vielzahl von offenen Fragen auf, die die beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages als nicht aussichtslos erscheinen ließ. Abgesehen davon dass das Rechtsschutzgesuch entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht nach § 86 Abs. 2 SGG, sondern nach § 86 Abs. 1 SGG zu beurteilen gewesen sein dürfte, weil sich die Antragstellerin nach dem aufgezeigten Sachverhalt in der Hauptsache gegen einen Eingriff in eine ihr bescheidmäßig eingeräumte Rechtsposition gewendet hat, gehört die Klärung des Tatbestandsmerkmals "Bedarfgemeinschaft" im Sinne von §§ 9 Abs. 1, 7 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu den schwierigsten Problemen des SGB II, das gegebenenfalls mit einer Beweisaufnahme zu klären ist. Ist dies im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht möglich, muss möglicherweise im Rahmen einer Folgenabwägung entschieden werden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005,927 ff.). Unklar ist im vorliegenden Fall jedenfalls, ob der Antragsgegner mit dem Bescheid vom 17. Januar 2007 seinen Bewilligungsbescheid vom 25. Oktober 2006 gemäß §§ 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II, 330 Drittes Buch Sozialgesetzbuch und § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch aufheben oder ob er die der Antragstellerin gewährten Leistungen gemäß § 66 SGB I mangels Mitwirkung entziehen will. Für Letzteres spricht der Teil der Begründung des Bescheides vom 17. Januar 2007, nach dem die Antragstellerin die von ihr angeforderten Unterlagen nicht beigebracht habe. In diesem Falle dürfte der Bescheid schon wegen Ermessensnichtgebrauch rechtswidrig sein. Denn der Bescheid des Antragsgegners vom 17. Januar 2007 lässt nicht erkennen, dass er Ermessen ausgeübt hat. Ermessen ist aber nach § 66 SGB I grundsätzlich auszuüben.

Soweit der Antragsgegner die Antragstellerin unter dem 26. Oktober 2006 aufgefordert hat, entsprechende Nachweise für V vorzulegen, ist dies im Übrigen weder ein geeignetes noch ein rechtlich zulässiges Ermittlungsmittel.

Der Antragsgegner hätte, da er von einer Bedarfsgemeinschaft ausgeht, diese Auskünfte vielmehr gemäß § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II unmittelbar bei V einholen müssen. Dies ist unterblieben. Die Auskunftspflichten des § 60 Abs. 1 bis 4 SGB II sind, anders als die Mitwirkungspflichten des Hilfebedürftigen, die (nur) Obliegenheiten darstellen, als öffentlich-rechtliche Leistungspflicht (Schuld) des Dritten ausgestaltet (Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 60, RdNr. 7). § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II setzt allerdings schon nach seinem Wortlaut voraus, dass Einkommen oder Vermögens des Partners zu berücksichtigen ist, mithin, dass eine Partnerschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a bis c SGB II besteht. Die Beklagte ist bei Bestehen einer derartigen Partnerschaft (hier. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II) berechtigt, die gesetzliche Auskunftspflicht des Dritten durch Verwaltungsakt zu konkretisieren (Blüggel, a. a. O., RdNrn. 44, 53 m. w. N.) und diesen mit den Mitteln der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen. Die Behörde kann den Partner als Zeugen vernehmen (§§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) und unter Umständen nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB X das zuständige Sozialgericht um die Vernehmung ersuchen. Bei unterbliebener oder pflichtwidriger Erfüllung einer bestehenden und fälligen Auskunftspflicht durch den Partner stehen dem Leistungsträger ferner die Rechte und Befugnisse nach §§ 62 und 63 SGB II (Schadenersatz, Geldbuße bis zu zweitausend Euro) zu. Eine Rechtsgrundlage dafür, die Auskünfte zum Einkommen und Vermögen des V unmittelbar von der Antragstellerin zu verlangen, besteht dagegen nicht. Hierzu ist sie tatsächlich auch nicht in der Lage. Denn sie ist nicht berechtigt, Mittel des unmittelbaren Zwanges zur Durchsetzung ihres Begehrens gegenüber V anwenden. Da es vorliegend um Daten des V und nicht um Daten der Antragstellerin geht, ist insbesondere auch kein Fall des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gegeben; auf eine Zustimmung des Klägers zur Auskunftserteilung im Sinne dieser Vorschrift kommt es daher nicht an.

Soweit der Antragsteller hingegen mit dem Bescheid vom 17. Januar 2007 den Bewilligungsbescheid vom 25. Oktober 2006 aufheben will, hierfür spricht, dass es in der Begründung auch heißt, es bestünde kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil die Antragstellerin nicht hilfebedürftig sei, wäre klärungsbedürftig, aufgrund welcher Datenlage der Antragsgegner diese Entscheidung getroffen hat. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragstellerin haben sich jedenfalls nach Aktenlage seit der Bewilligung nicht geändert. Angaben über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des V liegen ebenfalls nicht vor, weil der Antragsgegner insoweit bei dem V selbst nicht ermittelt hat.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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