S 12 KA 701/06

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 701/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Abgrenzung der Zweigpraxis von ausgelagerten Praxisräumen ist auch nach Änderung der Berufsordnungen auf der Grundlage des Leistungsangebots vorzunehmen. Für eine Zweigpraxis kommt es danach maßgeblich darauf an, ob der Arzt ein ähnliches Angebot in einer Praxis vorhalten will. Ausgelagerte Praxisräume bedingten demgegenüber, dass die dort angebotenen Leistungen nicht auch in den eigentlichen Praxisräumen erbracht werden (vgl. BSG, Urt. v. 12.09.2001 - B 6 KA 64/00 R, SozR 3-2500 § 135 Nr. 20). Die gilt auch nach der ab 01.01.2007 geltenden Neufassung des § 24 Ärzte-ZV.
2. „Verbesserung“ der Versorgung der Versicherten i. S. d. § 24 Ärzte-ZV n. F. ist wenigstens in dem Sinne zu verstehen, dass eine „Bedarfslücke“ besteht, die zwar nicht unbedingt geschlossen werden muss, die aber nachhaltig eine durch Angebot oder Erreichbarkeit veränderte und im Sinne der vertragsärztlichen Versorgung verbesserte Versorgungssituation herbeiführt. Es kann nicht darauf abgestellt werden, dass jede weitere Eröffnung einer Praxis bzw. Zweigpraxis das Versorgungsangebot unter dem Gesichtspunkt der Freiheit der Arztwahl „verbessert“. Hätte der Gesetzgeber dies unterstellt bzw. gewollt, so hätte er von weiteren Bedarfsgesichtspunkten abgesehen.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat der Beklagten und der Beigeladenen die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Er hat auch die Gerichtskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Widerruf der Genehmigung einer Zweigpraxis des Klägers in A-Stadt B ...

Der Kläger ist als Internist zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt., N., G-Straße zugelassen. Er ist hausärztlich tätig. Die Beigeladene ist als Fachärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in der U-Straße, A-Stadt zugelassen.

Auf seinen Antrag vom 08.07.2005 erteilte ihm die Landesstelle der Beklagten mit Bescheid vom 16.08.2005 die Genehmigung zur Ausübung ärztlicher Tätigkeit über seinen Praxissitz hinaus in der BB-Straße, A-Stadt. Zur Begründung verwies sie auf § 17 Abs. 2 Satz 1 der Berufsordnung, der es dem Arzt gestatte, über den Praxissitz hinaus an zwei weiteren Orten ärztlich tätig zu sein. Eine Bedarfsprüfung sei nicht durchzuführen.

Hiergegen legte die Beigeladene am 15.12.2005 Widerspruch ein.

Die Beklagte führte eine Befragung der im Umfeld der Zweigpraxis tätigen Ärzte durch und nahm eine Bedarfsprüfung vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2006, zugestellt am 10.03., gab die Beklagte dem Widerspruch statt und hob den Bescheid vom 16.08.2005 auf. In der Begründung führte sie aus, der Widerspruch sei zulässig, da die Beigeladene durch die Genehmigung möglicherweise in ihrer Berufsausübungsfreiheit nach Art 12 Abs. 1 GG verletzt werde. Durch die Zweigpraxis werde die Wettbewerbssituation der anderen im gleichen Planungsbereich tätigen Ärzte beeinflusst, da ein Arzt mit mehreren Praxissitzen auch mehrere Patienten erreiche. Der Widerspruch sei auch begründet. Zwar sehe §17 Abs. 2 der Berufsordnung in Hessen vor, dass es dem Arzt gestattet sei, über den Praxissitz hinaus an zwei weiteren Orten ärztlich tätig zu sein. § 15a Abs. 1 Satz 1 BMV-Ä/EKV-Ä sei jedoch als spezielleres Recht anzuwenden. Danach dürfe eine Genehmigung nur erteilt werden, wenn die Zweigpraxis zur Sicherung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung erforderlich sei. In A-Stadt seien ebenso wie in den benachbarten Stadtteilen H, B, P und S keine Zulassungen von Hausärzten mehr möglich. Die dort tätigen Ärzte verfügten nach ihren Angaben noch über freie Behandlungskapazitäten. Die Beigeladene werde durch die rechtswidrige Genehmigung auch in ihren Rechten verletzt.

Hiergegen hat der Kläger am 10.04.2006 die Klage erhoben. Er trägt vor, er wohne in der BB-Straße. Im Verwaltungsverfahren sei ihm Akteneinsicht verwehrt worden. Ein Anspruch auf Genehmigung folge aus § 17 Abs. 2 der Berufsordnung. Voraussetzung sei lediglich, dass Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße ärztliche, insbesondere eine zeitnahe Versorgung der Patienten an allen Orten der Tätigkeit bereitgestellt werde. Er könne beide Orte innerhalb kurzer Zeit erreichen. Das Vertragsarztrecht werde der Berufsordnung gegenwärtig angepasst. Die Bedarfsdeckungssituation sei fehlerhaft geprüft worden. Es müssten die Anzahlstatistiken beigezogen werden. Der Stadtteil X. sei durch die Autobahnen quasi von den anderen Stadtteilen isoliert. Er sei fußläufig von den anderen Stadtteilen nicht zu erreichen.

Der Kläger beantragt,
den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 01.03.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Widerspruch der Beigeladenen zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Ergänzend zu ihren Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid trägt sie vor, die Genehmigung der Zweigpraxis sei zur Sicherung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung nicht erforderlich. Der Planungsbereich des Klägers sei überversorgt. Die von ihr nachgeholte Bedarfsanalyse habe eine ausrechende Versorgungssituation gezeigt. Im Stadtteil A-Stadt sowie den angrenzenden Stadtteilen bestehe eine Behandlungskapazität von mindestens 3.500 freien Plätzen. Ein schutzwürdiges Vertrauen habe nicht vorgelegen. Hierauf habe der Kläger sich auch nicht berufen. Sie habe im Ausgangsbescheid auf das erforderliche Benehmen verwiesen und sich den Widerruf vorbehalten.

Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene ist der Auffassung, es müssten die Voraussetzungen nach § 15a Abs. 1 Satz 1 BMV-Ä/EKV-Ä vorliegen. Ein Sicherstellungsbedarf liege nicht vor. Auch nach der Neuregelung durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz lägen die Voraussetzungen nicht vor. Die geplante Zweigniederlassung verbessere nicht die Versorgung der Versicherten.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 18.04.2006 die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 16.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2006 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Die Beklagte konnte dem Kläger die Zweigpraxisgenehmigung wieder entziehen. Der Kläger hatte und hat keinen Anspruch auf Genehmigung einer weiteren Praxisstätte in A-Stadt, BB-Straße. Die Klage war daher abzuweisen.

Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB). Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 SGB X).

Die Genehmigung vom 16.08.2005 war rechtswidrig. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Genehmigung einer Zweigpraxis. Für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt des Erlasses der Aufhebungsentscheidung abzustellen.

Die Zulassung erfolgt für den Ort der Niederlassung als Arzt (Vertragsarztsitz - § 24 Abs. 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte – Ärzte-ZV i. d. F. des bis 2006 geltenden Rechts). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, ist unter Vertragsarztsitz die konkrete Praxisanschrift zu verstehen (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 10.05.2000, Az.: B 6 KA 67/98 R, BSGE 86, 121 = SozR 3 5520 § 24 Nr. 4, zitiert nach juris Rdnr. 18). Soweit nunmehr die Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen in der Fassung der letzten Änderung vom 24. Mai 2005 (vgl. Hessisches Ärzteblatt 7/2005 S. 496 ff.) es dem Arzt gestattet, über den Praxissitz hinaus an zwei weiteren Orten ärztlich tätig zu sein (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Hessische Berufsordnung), so folgt hieraus nicht, dass dies auch unmittelbar Geltung im vertragsärztlichen Bereich entfalten kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es wie hier um die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in einer Zweigpraxis geht.

Auf der Grundlage der Berufsordnungen alter Fassung, die grundsätzlich nur eine Anzeigepflicht für ausgelagerte Praxisräume und eine Genehmigungspflicht für Zweigpraxen vorsahen, hat das Bundessozialgericht die Abgrenzung der Zweigpraxis von ausgelagerten Praxisräumen auf der Grundlage des Leistungsangebots vorgenommen. Für eine Zweigpraxis kommt es danach maßgeblich darauf an, ob der Arzt ein ähnliches Angebot in einer Praxis vorhalten wolle. Ausgelagerte Praxisräume bedingten demgegenüber, dass die dort angebotenen Leistungen nicht auch in den eigentlichen Praxisräumen erbracht werden (vgl. BSG, Urt. v. 12.09.2001, Az.: B 6 KA 64/00 R, SozR 3-2500 § 135 Nr. 20, hier zitiert nach juris Rdnr. 23 f.). Auch nach Änderung der Berufsordnungen hat diese begriffliche Abgrenzung für das Vertragsarztrecht weiterhin Bedeutung (vgl. zum Problem Engelmann, Zweigpraxen und ausgelagerte Praxisräume in der ambulanten (vertrags-)ärztlichen Versorgung, GesR 2004, S. 113 ff., 115 f.; s. a. TA., Zweigpraxis versus ausgelagerter Praxisraum – aktuelle Entwicklungen, GesR 2003; S. 196 ff., 199 f.). Die Bundesmantelverträge knüpfen damit an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an und sehen nunmehr vor, dass ein Fall einer genehmigungspflichtigen Zweigpraxis nicht vorliegt, wenn der Vertragsarzt vertragsärztliche Leistungen in einer nach dem maßgeblichen Berufsrecht zugelassenen ausgelagerten Praxisstätte ("ausgelagerte Praxisräume" im Sinne von § 18 MBO-Ä) erbringt. Die als statische Verweisung zu verstehende Definition greift die genannte Abgrenzung der BSG-Rechtsprechung auf. Zu beachten ist hierbei aber die Systematik mit der Bindung der vertragsärztlichen Tätigkeit an den Praxissitz sowie der Zulassung des Vertragsarztes, die jeweils nur für seinen Zulassungsbereich erfolgt (vgl. bereits Beschluss der Kammer, SG Marburg v. 06.09.2005, Az.: S 12 KA 454/05 ER, www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Maßgeblich für die Genehmigung einer Zweigpraxis sind daher die bundesmantelvertraglichen Vorschriften.

§ 15a BMV-Ä (Genehmigung von Zweigpraxen, ausgelagerte Praxisstätten) lautet:

(1) Die Tätigkeit eines Vertragsarztes in einer weiteren Praxis (Zweigpraxis) außerhalb seines Vertragsarztsitzes bedarf der Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung im Benehmen mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen auf Landesebene. Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn die Zweigpraxis zur Sicherung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung erforderlich und im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung gelegen ist. Besondere Genehmigungsvoraussetzungen, welche die Sicherstellung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung bei der Durchführung bestimmter vertragsärztlicher Leistungen außerhalb der Vertragsarztpraxis in anderen Vorschriften dieses Vertrages betreffen, bleiben unberührt.
(2) Ein Fall des Absatzes 1 Satz 1 liegt nicht vor, wenn der Vertragsarzt 1. vertragsärztliche Leistungen in einer nach dem maßgeblichen Berufsrecht zugelassenen ausgelagerten Praxisstätte ("ausgelagerte Praxisräume" im Sinne von § 18 MBO-Ä) erbringt; dies gilt auch, wenn eine ärztliche Tätigkeit des Vertragsarztes nach der bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 12. September 2001 – B 6 KA 64/00 R – maßgeblichen Auslegung der ärztlichen Berufsordnung durch die zuständige Ärztekammer als Tätigkeit in ausgelagerten Praxisräumen gestattet war, für die Fortdauer dieser Tätigkeit; 2. ambulante Operationen in einem Operationszentrum ausführt, soweit es sich um Operationen bei Versicherten handelt, welche den Vertragsarzt an seiner Praxisstätte in Anspruch genommen haben. Für besondere Versorgungsfunktionen kann in anderen Vorschriften dieses Vertrages auch die Genehmigung der vertragsärztlichen Tätigkeit in einer ausgelagerten Praxisstätte vorgesehen werden.
(3) Wird dem Vertragsarzt die Tätigkeit in einer Zweigpraxis genehmigt, ist er verpflichtet, die Behandlung von Versicherten in der Zweigpraxis persönlich durchzuführen. Die Beschäftigung eines Assistenten oder Vertreters allein zur Durchführung der Behandlung in der Zweigpraxis ist nicht gestattet.
(4) Wird die Genehmigung zur Tätigkeit in einer Zweigpraxis widerrufen, ist dem Vertragsarzt eine angemessene Übergangszeit zur Beendigung seiner Tätigkeit in der Zweigpraxis einzuräumen.

Vorliegend begehrte der Kläger die Genehmigung einer Zweigpraxis, da davon auszugehen ist, dass er als Hausarzt weitgehend die gleiche Versorgung wie in seiner Hauptpraxis anbieten wollte.

Die Genehmigung war rechtswidrig, da die Zweigpraxis zur Sicherstellung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung nicht erforderlich war. Von einer ausreichenden Sicherstellung ist in überversorgten großstädtischen Planungsbereichen wie der Stadt A-Stadt jedenfalls für den hausärztlichen Bereich auszugehen. Entsprechendes hat auch die Befragung der Ärzte in X. und Umgebung eindeutig ergeben. Hierzu wird im Einzelnen auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid (Seite 3) verwiesen (§ 136 Abs. 3 SGG). Ferner hat die Beklagte nicht das Benehmen mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen auf Landesebene hergestellt.

Bereits von daher war der Genehmigungsbescheid der Beklagten rechtswidrig und bestand kein Anspruch des Klägers auf Genehmigung. Auf die Frage, ob die Beigeladene tatsächlich ein subjektives Recht auf eine solche Unterlassung hat, kommt es hierbei nicht an. Sowohl bei einem zulässigem oder unzulässigem Widerspruch der Beigeladenen kann eine Aufhebung nur nach § 45 SGB X erfolgen. Auch ist die Frage, ob der Widerspruch der Beigeladenen zulässig oder begründet war, nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Vertrauensschutz liegt nicht vor. Weder im Widerspruchsverfahren noch mit der Klageerhebung hat der Kläger sich auf Vertrauen berufen. In den Schriftsätzen seines Bevollmächtigten vom 07.04., 02.10. und 15.12.2006 hat er im Wesentlich allein auf einen Genehmigungsanspruch nach der Berufsordnung abgestellt und eine im Widerspruchsverfahren fehlerhafte Prüfung der Bedarfsdeckungssituation. Erst in der mündlichen Verhandlung hat sein Prozessbevollmächtigter erklärt, der Kläger habe im Hinblick auf die Genehmigung die Zweigpraxis eingerichtet. Im Übrigen ist der Genehmigungsbescheid offensichtlich rechtwidrig, so dass der Kläger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes jedenfalls infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Allein auf den Umstand, dass die Beklagte offensichtlich in gleicher Weise die rechtlichen Voraussetzungen verkannt hat wie er selbst, kann er sich nicht berufen. Der Gesetzgeber geht mit § 45 SGB davon aus, dass gerade auch bei rechtswidrigen Verwaltungsakten die Adressaten Kenntnis von der Rechtswidrigkeit haben oder diese jedenfalls hätten erkennen können. Ferner weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass der Verwaltungsakt mit einem Widerrufsvorbehalt versehen war. Von daher konnte der Kläger auch nicht auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertrauen, solange nicht die Voraussetzung des Widerrufsvorbehalts, das fehlende Benehmen mit den Kassenverbänden, entfallen war.

Von daher konnte die Beklagte den Genehmigungsbescheid aufheben. Soweit hierfür der Beklagten ein Ermessen eingeräumt wird und sie dies, offensichtlich auch in Verkennung der Rechtsgrundlagen, nicht ausgeübt hat, ist dies unerheblich, da insoweit die Kammer von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgeht. Nicht zur Aufhebung konnte auch die rechtswidrige Nichtgewährung von Akteneinsicht führen (vgl. § 42 Satz 1 SGB X).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Genehmigung aufgrund geänderter Rechtslage.

Durch das Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz - VÄndG) v. 22.12.2006 BGBl. I S. 3439 wurde mit Geltung ab 01.01.2007 wurde die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte geändert. Art. 5 Nr. 7 VÄndG änderte § 24 Ärzte-ZV durch Einfügen der neuen Absätze 3 bis 6 ab. Diese lauten:

"(3) Vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten sind zulässig, wenn und soweit 1. dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und 2. die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird. Sofern die weiteren Orte im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung liegen, in der der Vertragsarzt Mitglied ist, hat er bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 Anspruch auf vorherige Genehmigung durch seine Kassenärztliche Vereinigung. Sofern die weiteren Orte außerhalb des Bezirks seiner Kassenärztlichen Vereinigung liegen, hat der Vertragsarzt bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 Anspruch auf Ermächtigung durch den Zulassungsausschuss, in dessen Bezirk er die Tätigkeit aufnehmen will; der Zulassungsausschuss, in dessen Bezirk er seinen Vertragsarztsitz hat, sowie die beteiligten Kassenärztlichen Vereinigungen sind vor der Beschlussfassung anzuhören. Der nach Satz 3 ermächtigte Vertragsarzt kann die für die Tätigkeit an seinem Vertragsarztsitz angestellten Ärzte auch im Rahmen seiner Tätigkeit an dem weiteren Ort beschäftigen. Er kann außerdem Ärzte für die Tätigkeit an dem weiteren Ort nach Maßgabe der Vorschriften anstellen, die für ihn als Vertragsarzt gelten würden, wenn er an dem weiteren Ort zugelassen wäre. Zuständig für die Genehmigung der Anstellung nach Satz 6 ist der für die Erteilung der Ermächtigung nach Satz 3 zuständige Zulassungsausschuss. Keiner Genehmigung bedarf die Tätigkeit eines Vertragsarztes an einem der anderen Vertragsarztsitze eines Mitglieds der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft nach § 33 Abs. 2, der er angehört.
(4) Die Genehmigung und die Ermächtigung zur Aufnahme weiterer vertragsärztlicher Tätigkeiten nach Absatz 3 können mit Nebenbestimmungen erteilt werden, wenn dies zur Sicherung der Erfüllung der Versorgungspflicht des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz und an den weiteren Orten unter Berücksichtigung der Mitwirkung angestellter Ärzte erforderlich ist. Das Nähere hierzu ist einheitlich in den Bundesmantelverträgen zu regeln.
(5) Erbringt der Vertragsarzt spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen an weiteren Orten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz (ausgelagerte Praxisräume), hat er Ort und Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit seiner Kassenärztlichen Vereinigung unverzüglich anzuzeigen.
(6) Ein Vertragsarzt darf die Facharztbezeichnung, mit der er zugelassen ist, nur mit vorheriger Genehmigung des Zulassungsausschusses wechseln."

Danach ist davon auszugehen, dass die Abgrenzung zwischen einer "Zweigpraxis" und "ausgelagerten Praxisräumen" an der bisherigen Rechsprechung des Bundessozialgerichts anknüpft, wie die Beschränkung auf eine Anzeigepflicht in Absatz 5 zeigt. Wenn auch die Neuregelung z. T. über die berufsrechtlichen Voraussetzungen hinausgeht, so verzichtet sie – anderes wäre mit dem geltenden Planungsrecht auch schwerlich vereinbar – nicht vollständig auf Bedarfsgesichtspunkte.

Nach der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen die neuen Absätze 3 und 4 für den Vertragsarzt die durch den 107. Deutschen Ärztetag 2004 in § 17 Abs. 2 MBO-Ä vorgenommene Lockerung der Bindung des Arztes an seinen Vertragsarztsitz, soweit dies mit der spezifischen Pflicht eines Vertragsarztes, die vertragsärztliche Versorgung an seinem Vertragsarztsitz zu gewährleisten (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 4 und Absatz 3 SGB V i. V. m. den Regelungen zur regionalen Bedarfsplanung), vereinbar ist, vollziehen. Die berufsrechtliche Neuregelung in § 17 Abs. 2 MBO-Ä gestatte es den Ärzten, über den Praxissitz hinaus an zwei weiteren Orten ärztlich tätig zu sein, sofern sie Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße Versorgung ihrer Patienten an jedem Ort ihrer Tätigkeit träfen. Diese berufsrechtliche Änderung werde in Absatz 3 in der Weise umgesetzt, dass dem Vertragsarzt ermöglicht werde, neben der Tätigkeit an seinem Vertragsarztsitz an weiteren Orten tätig zu sein, wenn diese die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessere und die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Vertragsarztsitz nicht gefährde; eine bestimmte Höchstzahl der weiteren Orte gebe das Vertragsarztrecht, anders als die MBO-Ä, nicht vor (Satz 1). Befinde sich der Ort der weiteren Tätigkeit im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung, dessen Mitglied der Vertragsarzt sei, habe der Vertragsarzt bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 Anspruch auf Genehmigung durch seine Kassenärztliche Vereinigung (Satz 2).

Der Kläger bedarf daher weiterhin einer Genehmigung. Dabei kann hier dahinstehen, ob eine Genehmigung erst nach Aufnahme der entsprechenden Regelungen in den Bundesmantelverträgen erteilt werden kann. Genehmigungsvoraussetzung ist jedenfalls, dass mit der Genehmigung einer Zweigpraxis die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird. Damit werden zwar geringere Bedarfsgesichtspunkte gefordert als nach § 15a BMV-Ä/§ 15a EKV-Ä, nach dem die Genehmigung zur Sicherung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung erforderlich sein musste. Statt einer "Erforderlichkeit" reicht nunmehr eine "Verbesserung" aus. "Verbesserung" ist wenigstens in dem Sinne zu verstehen, dass eine "Bedarfslücke" besteht, die zwar nicht unbedingt ("Erforderlichkeit") geschlossen werden muss, die aber nachhaltig eine durch Angebot oder Erreichbarkeit veränderte und im Sinne der vertragsärztlichen Versorgung verbesserte Versorgungssituation herbeiführt. Es kann nicht darauf abgestellt werden, dass jede weitere Eröffnung einer Praxis bzw. Zweigpraxis das Versorgungsangebot unter dem Gesichtspunkt der Freiheit der Arztwahl "verbessert". Hätte der Gesetzgeber dies unterstellt bzw. gewollt, so hätte er von weiteren Bedarfsgesichtspunkten abgesehen. Der Gesetzgeber hat es ferner bei der Grundentscheidung für die Bedarfsplanung gelassen, dass maßgebend die Versorgung im Planungsbereich ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, soweit es auf Entfernungen ankommt, den Versicherten jedenfalls Wege von mehreren Kilometern zumutbar sind.

Bzgl. einer "Verbesserung" ist seitens des Klägers nichts substantiiert vorgetragen worden und für die Kammer auch nichts ersichtlich. Wie bereits ausgeführt, ist in überversorgten großstädtischen Planungsbereichen wie der Stadt A-Stadt jedenfalls für den hausärztlichen Bereich von einer ausreichenden Versorgung auszugehen, was auch die Befragung der Ärzte eindeutig ergeben hat. Auch in den Randbezirken einer Großstadt besteht eine hinreichende Verdichtung und Verkehrsvernetzung, die das Aufsuchen eines Vertragsarztes in benachbarten Stadtteilen ermöglicht. X. ist mit 3.287 Einwohnern der kleinste Stadtteil F ... X. ist verkehrstechnisch gut angeschlossen. Die S-Bahn hält hier (vgl. www.frankfurt.de). Von daher kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass nach den BedarfsplRL-Ä von Verhältniszahlen unter 2.000 Bewohnern für einen Vertragsarztsitz im hausärztlichen Bereich ausgegangen wird (vgl. Anlagen 4.1 bis 4.3 BedarfsplRL-Ä), da diese Anhaltszahlen lediglich für die Bedarfsdeckung eines gesamten Planungsbereiches heranzuziehen sind. Hinzu kommt, dass mit der Niederlassung der Beigeladenen in X. bereits eine Vertragsarztpraxis vorhanden ist.

Im Ergebnis war der angefochtene Bescheid rechtmäßig und die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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