S 14 AS 1629/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 14 AS 1629/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Rücknahme der Bewilligung von zukünftigen Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts entfällt dann, wenn der Leistungsempfänger die treuhänderische Verwaltung von Fremdvermögen nachweist.
I. Der Bescheid vom 01.08.206 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2006 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach §§ 20 und 22 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB II) ab dem 01.09.2006.

Der am ... geborene Kläger war bis 2004 als Maler beschäftigt und bezog in der Zeit vom 20.11.2004 bis einschließlich 19.11.2005 Arbeitslosengeld.

Im Anschluss gewährte die Beklagte dem Kläger für sich und seinen mit in Bedarfsgemeinschaft lebenden Sohn R., geb. 1990, ab 20.11.2005 Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II in der Zeit vom 20.11.2005 bis 30.11.2005 in Höhe von 247,57 EUR und vom 01.12.2005 bis 31.10.2006 in Höhe von monatlich 1.088,84 EUR (Bescheide vom 19.10.2005 und 03.04.2006).

In seinem Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (18.10.2005) hat der Kläger die Frage nach dem Vorhandensein von Vermögen bei sich und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Sohn mit "nein" beantwortet.

Durch einen Datenabgleich wurde der Beklagten im April 2006 bekannt, dass für den Klä-ger bei der CC-Bank in M. ein Freistellungsauftrag für Kapitalerträge gespeichert war. Auf Vorhalt dieses Sachverhalts gab der Kläger unter dem 18.07.2006 u. a. ein bei der Sparkas-se L. geführtes Sparbuch mit einem Guthabensbetrag von 2.100,00 EUR sowie einen bei der CC-Bank in M. angelegten Sparbrief in Höhe von 30.677,55 EUR mit einem Zinsertrag von jährlich 1.564,55 EUR an. Zu dem Sparbrief und den Zinseinnahmen gab der Kläger unter Vorlage einer schriftlichen Erklärung seiner Eltern, U. und Dr. H. B., an, dass das Geld nicht ihm, sondern seinen Eltern gehört habe. Das Geld sei im April 2001 auf seinen Na-men zunächst auf einem Konto der AKB-Bank K. angelegt worden. Hintergrund sei gewe-sen, dass der Kläger im Fall des Ablebens seiner Eltern im Ausland deren Rückführung und Beisetzung damit hätte bezahlen sollen. Der Sparbrief sei auf 5 Jahre bis April 2006 angelegt gewesen. Es sei mit den Eltern vereinbart worden, das Geld nach Ablauf des An-lagezeitraums an diese zurückzuzahlen, was der Kläger mit einer Überweisung vom 10.04.2006 auch getan habe. Die jährlichen Zinserträge aus dem angelegten Sparbrief in Höhe von 1.564,55 EUR habe der Kläger an seine Eltern immer weitergeleitet bzw. in den ersten beiden Jahren durch seine später von ihm geschiedene Frau weiterleiten lassen. Es habe zwischen ihm und den Eltern eine Treuhandvereinbarung bestanden.

Mit Bescheid vom 01.08.2006 nahm die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab 01.09.2006 vollständig zurück, weil die Anspruchs-voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nicht vorgelegen hätten. Der Kläger sei im Hinblick auf anrechenbare Vermögenswerte in Höhe von 23.637,55 EUR nicht bedürftig. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch am 07.08.2006. Das Geld aus dem angelegten Sparbrief und die aus dem Sparbrief resultierenden Zinserträge hätte ihm nicht gehört. Er habe das Geld für seine Eltern verwaltet. Nach Ablauf des Anla-gezeitraums im April 2006 habe er das Geld wieder an seine Eltern zurückgezahlt. Das Geld sei im übrigen bewusst auf 5 Jahre bis Frühjahr 2006 angelegt worden, weil die El-tern zu diesem Zeitpunkt, mit dem Eintritt ihres Ruhestandes, die Rückkehr nach L. ge-plant hätten. Er habe deshalb das Geld bei der Antragstellung nicht angegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe das im Sparbrief angelegte Geld nicht angegeben. Die Angaben des Klä-gers zur treuhänderischen Verwaltung des Geldes seien als Schutzbehauptung zu werten. Den Eltern hätten auch andere Möglichkeiten zur Sicherung ihrer Rückführungs- und Be-stattungskosten zur Verfügung gestanden.

Hiergegen erhob der Kläger am 06.10.2006 Klage zum Sozialgericht Leipzig. Er habe das im Sparbrief angelegte Geld treuhänderisch für die Eltern verwaltet. Diesbezüglich sei mit seinen Eltern ein Treuhandvertrag abgeschlossen worden. Nach Ablauf des Anlagezeit-raums sei er verpflichtet gewesen, das Geld an seine Eltern zurückzugeben. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Auszahlung des Geldes an seine Eltern zu verweigern. Es sei des-halb auch kein verwertbares Vermögen im Sinne des § 12 SGB II.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 01.08.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält nach wie vor den angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird verwiesen auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und auf die Gerichtsakte, insbesondere auf den Inhalt der Erklärungen des Klägers und der Beklagten, die diese in der mündlichen Verhandlung am 25.01.2007 (vgl. Sitzungsniederschrift Blatt 75 ff. der Gerichtsakte) abgegeben haben.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der U. B. und des Dr. H. B. als Zeugen; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25.01.2007 (Blatt 75 ff., hier Blatt 76-78 R der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 01.08.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Beklagte ist nicht zur Rücknahme der Leistung ab 01.09.2006 berechtigt.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Leistung zur Grundsicherung nach SGB II ist § 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakte) nur zurückgenommen wer-den, soweit er rechtswidrig ist.

Entscheidungserheblich ist also, ob die Bewilligungsbescheide der Beklagten vom 19.10.2005 und 03.04.2006 bereits zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig waren.

Der Kläger hat die Frage nach Vermögen in seinem Leistungsantrag vom 18.10.2005 mit "nein" beantwortet. Da das Sparbriefguthaben in Höhe von 31.742,06 EUR seit April 2001 auf seinen Namen und mit seinem Wissen zunächst bei der AKB-Bank K. angelegt und dann von der CC-Bank in M. weiter verwaltet wurde, hat er wenn nicht unrichtige so doch unvollständige Angaben gemacht. Der Kläger war hier unabhängig von seiner eigenen Ein-schätzung der Rechtslage verpflichtet, schon bei den Angaben im Antragsformular auf das Vorhandensein von auf seinem Namen angelegten Geld hinzuweisen (vgl. hierzu auch BSG Urteil vom 13.09.2006 –B 11a AL 19/06 R-).

Gleichwohl kann die Beklagte die Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X stützen, da die unrichtige bzw. unvollständige Angabe nicht kausal für eine fehlerhafte Bewilligung geworden ist. Denn selbst wenn der Kläger voll-ständige und richtige Angaben in dieser Beziehung gemacht hätte, wären gleichwohl Leis-tungen zur Grundsicherung zu gewähren gewesen, denn das zum Zeitpunkt der Antragstel-lung noch bestehende Guthaben aus dem Sparbrief hätte nicht zum Verlust des Anspruches führen können. Auch konnte eine Vermögensanrechnung nicht vorgenommen werden, da für den Kläger gegenüber seinen Eltern die treuhänderische Verpflichtung zur Betreuung des angelegten Geldes bestand.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat gegen die Rechtsprechung der Landessozialgerichte ( z. B. LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.02.2006, L 3 AL 113/05) entschieden, dass der Rechtsschein der Kontoinhaberschaft nicht genügt, um eine sog. verdeckte Treuhand-vereinbarung zwischen einem Dritten und dem Leistungsempfänger als unbeachtlich er-scheinen zu lassen (BSG, Urteil vom 13.09.2006, Az: B 11 a AL 19/06 R).

Das BSG verlangt vielmehr, dass anhand aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln ist, ob tatsächlich und ggf. mit welchem Inhalt eine behauptete Treuhandvereinbarung vorliegt oder ob es sich nur um ein Scheingeschäft im Sinne des § 117 BGB handelt (vgl. auch Ur-teil des BSG vom 13.09.2006 – Az: B 11 a AL 19/06 R, so auch bereits BSG Urteil vom 24.05.2006 Az.: B 11 a AL 7/05 R). Da es sich um eine Angelegenheit in der Sphäre des Leistungsempfängers handelt, empfiehlt das BSG, die Antwort auf die Frage nach dem behaupteten Treuhandverhältnis für den Kläger von der Vorlage näherer Unterlagen zur Begründung eines Treuhandverhältnisses, wie z. B. Kontoauszüge, Nachweise über Kon-tobewegungen und Herkunft der Geldbeträge, abhängig zu machen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze nimmt es die Kammer dem Kläger ab, dass zwischen ihm und seinen Eltern ein wirksames Treuhandverhältnis bezüglich des angelegten Spar-briefguthabens bestand.

Die Kammer glaubt dem Kläger, dass er den auf seinen Namen angelegten Sparbrief treu-händerisch für die Eltern verwaltet hat. Der als Zeuge geladenen Vater des Klägers, Dr. H. B., hat hier zunächst glaubhaft bekundet, dass das Geld allein auf seine Veranlassung auf den Namen des Klägers angelegt wurde. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das von den Eltern übertragene Guthaben bereits 3 Jahre vor der Arbeitslosigkeit des Klägers angelegt und das Sparbriefguthaben zeitnah nach Ablauf der Anlagefrist wieder auf das Konto der Eltern zurücküberwiesen wurde. Die vom Kläger vorgelegten eigenen Kontoauszüge aus den Monaten April 2004 und April 2005 zeigen im übrigen, dass der Kläger auch die Zins-erträge aus dem Sparbriefguthaben zeitnah auf das Girokonto der Eltern weitergeleitet hat. Die Kammer nimmt dem Kläger auch ab, dass ebenso in den Jahren davor, also für die Jahre 2002 und 2003, die Zinserträge an die Eltern weitergegeben wurden. Hier hat der Kläger nachvollziehbar dargetan, dass dies noch von seiner später geschiedenen Ehefrau veranlasst wurde.

Dass der Kläger das Sparbriefguthaben nach Ablauf des Anlagezeitraums, also noch im April 2005 und damit noch vor bekannt werden der Ermittlungen der Beklagten zum Vermögen des Klägers, auf das Konto seiner Eltern zurück überwiesen hat, spricht eben-falls für die behauptete Treuhandvereinbarung. Hieraus schließt die Kammer, dass die Rückzahlung des angelegten Geldes nicht aus Anlass der Ermittlungen der Beklagten er-folgt ist, sondern weil es tatsächlich zwischen dem Kläger und seinen Eltern eine Verein-barung zur treuhänderischen Verwaltung des Geldes gab.

Allerdings nimmt die Kammer dem Kläger und seinen als Zeugen gehörten Eltern nicht den angegebenen Grund für die treuhänderische Verwaltung des Geldes ab. Die Darstellung, dass das vom Kläger verwaltete Geld allein zur Sicherstellung der Über-führungs- und Bestattungskosten im Fall des Ablebens der Eltern im Ausland vorgesehen gewesen sei, sieht die Kammer als Schutzbehauptung an. Hierfür hätte nämlich eine dem Kläger erteilte Versorgungs- oder Kontovollmacht ausgereicht. Insbesondere der Vater des Klägers hat bei seiner Einvernahme der Kammer den Eindruck vermittelt, dass es al-lein steuerliche Gründe waren, das Geld auf den Namen des Klägers anzulegen, insbeson-dere, um dessen nicht genutzte Freibeträge auszuschöpfen und die eigene Kapitalertrags-besteuerung des elterlichen Vermögens zu vermeiden. Die Kammer schließt dies nicht zuletzt aus den Angaben der Zeugen zu deren Gesamtvermögen, das Erträge erwarten ließ und lässt, die auch in der Vergangenheit über den hierfür vorgesehenen Freibeträgen für Kapitalerträge lagen. Einen weiteren Hinweis sieht die Kammer darin, dass der Zeuge Dr. H. B. nach dem bekannt werden des später auch erlassenen Rücknahme- und Erstattungs-bescheids vom 22.08.2006 zunächst für den Kläger den Rückforderungsbetrag in Höhe von 10097,13 EUR (!) an die Beklagte gezahlt hat. Aus diesem Verhalten schließt die Kam-mer, dass dem Zeugen die Konsequenzen der von ihm veranlassten Treuhandvereinbarung äußerst unangenehm waren und er den Kläger vor weiteren Schaden bewahren wollte.

Wenn auch die Kammer nicht den Angaben des Klägers und seiner als Zeugen gehörten Eltern zum Zweck der Treuhandvereinbarung folgt, hat sie keinen Zweifel, dass Eigentü-mer des auf den Namen des Klägers angelegten Geldes nur dessen Eltern waren.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X liegen daher nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG.
Rechtskraft
Aus
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