L 14 KG 1/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KG 28/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 KG 1/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Finanzgericht Nürnberg, Deutschherrnstraße 8, 90403 Nürnberg, verwiesen.

Gründe:

I.

Der im Jahre 1941 geborene Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Thailand, beantragte im Juni 2005 bei der Landesversicherungsanstalt Berlin unter Angabe seiner dortigen Versicherungsnummer und unter Hinweis auf einen Zeitungsartikel "Rentner erhalten Kindergeld ...auch im Ausland! ... Deutsche erhalten nach dem Einkommenssteuergesetz (§ 62 EStG) Kindergeld, wenn sie ..." Kindergeld für seinen 2000 in Thailand geborenen Sohn T ... Die daraufhin mit der Angelegenheit befasste Familienkasse der Agentur für Arbeit Nürnberg lehnte einen Antrag auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) vom 10.06.2005 mit Bescheid vom 08.09.2005 und einen Antrag auf Kindergeld nach dem EStG vom 10.06.2005 mit einem zweiten Bescheid vom 08.09.2005 ab.

Auf den vom Kläger mit Telefax vom 14.09.2005 eingelegten "Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.09.2005 (BKGG)" und den mit gleichem Schreiben erhobenen "Einspruch gegen dem Bescheid vom 08.09.2005. EStG" erging in Angelegenheiten des BKGG der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005 (Rechtsbehelfsbelehrung: Klage beim Sozialgericht Nürnberg) und in Angelegenheiten des EStG die Einspruchsentscheidung vom 05.10.2005 (Rechtsbehelfsbelehrung: Klage beim Finanzgericht Nürnberg).

Laut einem möglicherweise von der Beklagten unvollständig ausgefüllten Zustellungsnachweis wurde dem Kläger über die Deutsche Botschaft in Bangkok (nur) "1 Einspruchsentscheidung" am 12.11.2005 zugestellt. Dem folgte ein bei der Beklagten am 16.01.2006 eingegangenes Telefax des Rechtsanwaltes H. M. , nach dessen Wortlaut unter Bezug auf "Kindergeld nach dem BKGG" auftragsgemäß Widerspruch gegen einen Bescheid vom 08.09.2005, der dem Kläger im November 2005 über die Deutsche Botschaft in Bangkok zur Kenntnis gebracht worden sei, erhoben wurde. Es erging daraufhin der Hinweis der Beklagten an den Anwalt, dass Widerspruch und Einspruch bereits eingelegt und auch hierüber entschieden worden sei.

Am 20.06.2006 ging beim Sozialgericht Nürnberg eine vom Kläger selbst verfasste "Klage über den Widerspruchsbescheid der Agentur für Arbeit (Familienkasse) vom 05.10.2005" ein, die angeblich wegen eines Missverständnisses des Anwalts M. erst jetzt eingelegt werden konnte. Der Kläger berief sich auf die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herausgearbeitete Freistellung des Existenzminimums für Kinder von Steuern, die Möglichkeit des Abzugs eines Kinderfreibetrags bei der Veranlagung zur Einkommensteuer (§ 32 Abs.6 Satz 4 EStG) und den in § 31 EStG geregelten Familienleistungsausgleich, der auch Rentnern mit geringem Einkommen - er beziehe allein eine Altersrente von 493,97 EUR - zu Gute kommen sollte, damit nicht Art.3 Abs.1 und Art.6 Abs.1 des Grundgesetzes verletzt würden; hier habe man mit Einschränkung der BRD die Möglichkeit eingeräumt, gemäß § 63 Abs.2 EStG und § 2 Abs.6 BKGG Missstände in der Form einer Ausnahmegenehmigung abzustellen und durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass einem Berechtigten, der im Inland erwerbstätig sei oder sonst seine hauptsächlichen Einkünfte erziele, für seine im Ausland lebenden Kinder ganz oder teilweise Kindergeld geleistet werde.

Das Sozialgericht Nürnberg wies die Klage mit Urteil vom 13.11.2006 ab, wobei es ausschließlich eine Klage wegen Kindergelds nach dem BKGG (Bescheid vom 08.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2005) sah und unter Bezugnahme auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids und des Widerspruchsbescheids abhandelte. Vorweg führte es zur Zulässigkeit der Klage aus, dass diese nicht verfristet sei. Ein Zustellungsnachweis sei nur für die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 05.10.2005 und nicht für den Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005 vorhanden; bei dem Widerspruchsschreiben des Rechtsanwalts M. vom 16.01.2006 solle es sich bereits um eine Klage gehandelt haben. Nicht mehr zu entscheiden sei, ob die Voraussetzungen für eine Widereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt seien. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Ergebnis, dass der Kläger kein Kindergeld nach dem BKGG erhalte, sah das Sozialgericht nicht.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung rügt der Kläger, dass das Sozialgericht den § 31 EStG nicht beachtet und §§ 62, 63 EStG falsch ausgelegt habe. Die Rechtsgrundlage für das von ihm als "steuerpflichtigen Rentner" beanspruchte Kindergeld sei in den §§ 31 f., 62 f. EStG und nicht im BKGG geregelt. Er verstehe daher nicht, warum man bei der Ablehnung ausschließlich nach dem BKGG geurteilt habe. Er sei als beschränkt Steuerpflichtiger zu behandeln und beantrage daher, das Urteil aufzuheben und ihm die zustehende steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG zu leisten, weil er durch seine niedrige Rente nicht die Freibeträge nach § 32 Abs.6 EStG geltend machen könne. Es sei ihm durchaus klar, dass er keinen gesetzlichen Anspruch auf Kindergeld im Sinne des BKGG für seinen in Thailand lebenden Sohn habe.

Auf die vom Senat geäußerten Zweifel, ob die beim Sozialgericht Nürnberg eingelegte Klage überhaupt fristgerecht gewesen sei, und auf Hinweise des Senats, dass der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld nach steuerrechtlichen Vorschriften geltend mache, für den die Zuständigkeit der Finanzgerichte begründet sei (vgl. hierzu die Rechtsbehelfsbelehrung in der Einspruchsentscheidung), behauptet der Kläger, er habe, weil er nur eine Rechtsmittelbelehrung für das Sozialgericht erhalten habe, keine Klage beim Finanzgericht einreichen können. Im Übrigen sei die Rechtmäßigkeit seiner Klage vom Sozialgericht unter "Entscheidungsgründe" ("die Klage ist zulässig") überprüft worden, und er habe, wenn nun die Kompetenz beim Finanzgericht liegen sollte, dies nicht zu verantworten. Er habe in seinen Begründungen seine Rechtsansichten deutlich gemacht und die Vorschriften des EStG zitiert. Eine Zurückziehung seiner Klage erwäge er nicht, erkläre sich aber einverstanden, dass diese zuständigkeitshalber an das Finanzgericht weiter geleitet werde.

Im Übrigen reicht der Kläger Kopien von vier Schriftstücken ein, aus denen hervorgehen soll, dass er das Notwendige zur Einreichung einer fristgerechten Klage veranlasst habe.

II.

Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist - hinsichtlich eines Kindergeldanspruchs auf der Grundlage des Einkommenssteuergesetzes - unzulässig. Der Rechtsstreit war an das zuständige Finanzgericht zu verweisen.

In erster Instanz hatte der Kläger sowohl einen Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG als auch nach dem EStG geltend gemacht. Es ist nicht zu übersehen, dass er im sozialgerichtlichen Verfahren vorrangig einen Anspruch auf Familienleistungsausgleich gemäß § 31, § 62 f. EStG betrieben hat. Sowohl die zitierte Anspruchsgrundlage als auch die damit im Zusammenhang stehenden Normen stammten (abgesehen vom § 2 Abs.6 BKGG) aus dem Bereich des Einkommensteuerrechts, ebenso die vom Kläger verwendete Begründung eines Anspruchs (Freistellung des Existenzminimums für Kinder von der Einkommensteuer), die letztlich vom Bundesverfassungsgericht stammt und den Gesetzgeber veranlasst hat, das Kindergeldrecht ab 01.01.1996 grundsätzlich neu, und zwar im EStG, zu regeln.

Aus dem Umstand, dass der Kläger - mehr oder minder zufällig einmal neben § 63 Abs.2 EStG den gleich lautenden § 2 Abs.6 BKGG zitiert hat, und vor allem daraus, dass er in seiner Klage den Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005 erwähnte, kann zu seinen Gunsten bei damaligen Zweifeln, die das Sozialgericht nicht abgeklärt hat, davon ausgegangen werden, dass der Kläger neben dem "steuerrechtlichen" Kindergeldanspruch auch einen sozialrechtlichen Kindergeldanspruch bei Gericht verfolgen wollte (Prinzip der Meistbegünstigung bei einem nicht eindeutigen Sachverhalt). Immerhin war im Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005 der Anspruch auf das Kindergeld nach dem BKGG geregelt, wohingegen die Einspruchsentscheidung vom 05.10.2005 das Kindergeld nach dem EStG betraf.

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird (§ 51 Abs.1 Nr.10 Sozialgerichtsgesetz); § 15 BKGG bestimmt, dass für Streitigkeiten nach diesem Gesetz die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig sind. Im Gegensatz hierzu ist die Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 31 f., 62 bis 78 EStG dem Bundeszentralamt für Steuern (früher: Bundesamt für Finanzen) übertragen (§ 5 Abs.1 Nr.11 Finanzverwaltungsgesetz - FVG -). Der Finanzrechtsweg ist in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten (im weitesten Sinne, vgl. § 33 Abs.2 Finanzgerichtsordnung - FGO -), soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden, eröffnet (§ 33 Abs.1 Nr.1 FGO). Die Bundesagentur für Arbeit stellt dem Bundeszentralamt für Steuern zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs ihre Dienststellen als Familienkassen zur Verfügung, die aber als Bundesfinanzbehörden gelten, soweit sie den Familienleistungsausgleich durchführen, und insoweit der Fachaufsicht des Bundeszentralamts unterliegen (§ 5 Abs.1 Nr.11 FVG). Dies erklärt, dass bei getrennter Zuständigkeit der Sozialgerichte und der Finanzgerichte für Kindergeldansprüche die gleiche Behörde unter der Bezeichnung Familienkasse auftritt, aber einmal in der Eigenschaft als Finanzbehörde, ein andermal als für Sozialleistungen zuständiger Leistungsträger im Sinne von § 12 Sozialgesetzbuch Teil I.

Das Sozialgericht hat den vom Kläger geltend gemachten Familienleistungsausgleich (§§ 31, 62 bis 78 EStG) und damit auch die Zuständigkeit des Finanzgerichts für einen Teil des Rechtsstreits in erster Instanz völlig übersehen. In seinem Urteil hat es offensichtlich allein einen Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG angesprochen und ausschließlich eine Klage wegen dieses materiell-rechtlichen Anspruchs abgewiesen, ohne sich auch nur zur Begründetheit/Unbegründetheit des Anspruchs auf das steuerrechtliche Kindergeld oder wenigstens zur Zulässigkeit/Unzulässigkeit eines derartigen Klageanspruchs zu äußern. Selbst für den Kläger war die einseitige Verfahrensweise des Sozialgerichts so deutlich, dass er in zweiter Instanz seine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass er nicht verstehe, warum man ausschließlich bei der Ablehnung nach dem BKGG geurteilt habe. Diese Einsicht des Klägers hätte nur zu der weiteren Erkenntnis führen sollen, dass das Sozialgericht beileibe nicht im Bezug auf zwei verschiedene Streitgegenstände aus dem Bereich des BKGG und des EStG die Zulässigkeit der Klage (und des Rechtswegs zu den Sozialgerichten) bejaht hat, als es am Anfang der Entscheidungsgründe des Urteils bemerkte, dass die Klage zulässig sei. Auch dies bezog sich allein auf einen Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG und die diesbezügliche Klage.

Hierüber hatte der Senat nicht mehr zu befinden. Der Kläger hatte zwar nach dem Wortlaut seines Schreibens vom 23.12.2006 Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegt, aber durchaus deutlich gemacht, dass er sich nicht durch die Abweisung der Klage wegen Kindergelds nach dem BKGG beschwert fühlte. Sinngemäß ging es ihm nicht darum, dass das Urteil wegen der durchaus richtigen Entscheidung über einen fehlenden Kindergeldanspruch nach dem BKGG aufgehoben werde, sondern dass die fehlende Entscheidung über den steuerrechtlichen Finanzleistungsausgleich nachgeholt werde, und zwar in dem Sinne, dass die Beklagte zur Leistung des steuerrechtlichen Kindergelds verurteilt werde.

Die Behandlung dieser Klage oblag allerdings allein dem Finanzgericht. Der Senat konnte noch in zweiter Instanz insoweit den vom Kläger beschrittenen Rechtsweg zu den Sozialgerichten als unzulässig erklären und die Sache an das zuständige Gericht verweisen, denn er war nicht durch eine vorausgehende Entscheidung des Sozialgerichts über Begründetheit/Unbegründetheit oder auch nur über Zulässigkeit/Unzulässigkeit einer Klage wegen des steuerrechtlichen Kindergelds und damit durch eine (wenn auch falsche) Entscheidung über den insoweit eröffneten Rechtsweg zu den Sozialgerichten gebunden (§ 17a Abs.2 Satz 1 und Abs.5 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG -).

Bei dieser Verweisung an das Finanzgericht war es dem Senat verwehrt, über die Prozessvoraussetzungen der verwiesenen Klage irgendeine Entscheidung zu treffen. Maßgebend war, dass der Streitgegenstand von seiner Natur her in die Zuständigkeit des Finanzgerichts fiel, das über die Notwendigkeit und ggf. das Vorhandensein einschlägiger anfechtbarer Verwaltungsakte, die Rechtzeitigkeit der Klage und ggf. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand usw. eigenständig zu entscheiden hat. Insoweit sind Äußerungen des Sozialgerichts Nürnberg zur Zulässigkeit der Klage wegen des Kindergelds nach dem BKGG ohne Belang und nicht verbindlich für die Klage wegen des steuerrechtlichen Kindergelds, und mangels einer eigenen Beurteilungskompetenz sah der Senat davon ab, die zum Teil aus seiner Sicht nicht nachvollziehbaren Ausführungen des Sozialgerichts einer Kritik zu unterziehen.

Über die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Streitverfahrens wird das Finanzgericht ebenfalls noch eine Entscheidung zu treffen haben. Die Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss wird nicht zugelassen (§ 17a Abs.4 Satz 3 GVG).
Rechtskraft
Aus
Saved