L 4 R 1019/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 15 RA 530/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 R 1019/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1964 geborene Klägerin ist gelernte Krippenerzieherin und war zuletzt beim Bezirksamt H von B als Erzieherin beschäftigt. Ab Oktober 1999 bis März 2001 war sie aufgrund psychischer und psychosomatischer Beschwerden arbeitsunfähig. Eine im Mai 2000 begonnene stationäre Behandlung in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses H brach die Klägerin nach nur fünf Tagen ab. Für die Zeit vom 28. November 2000 bis zum 23. Januar 2001 wurde ihr ein psychotherapeutisches/psychosomatisches Heilverfahren in der Rehaklinik am H gewährt. Der Entlassungsbericht vom 19. Februar 2001 weist als Diagnosen eine Somatisierungsstörung sowie eine generalisierte Angststörung mit agoraphobischen und soziophobischen Anteilen aus. Die Entlassung erfolgte als einsetzbar für sechs Stunden und mehr sowohl als Erzieherin als auch für sonstige leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten unter Beachtung einiger qualitativer Einschränkungen. Anschließend war die Klägerin im Rahmen eines Wiedereingliederungsversuchs erneut in ihrem Beruf tätig. Seit September 2002 war sie wieder arbeitsunfähig. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 40 anerkannt. Im Verfahren S 44 SB 760/06 des Sozialgerichts Berlin erstrebt sie eine Höherstufung.

Im Oktober 2002 beantragte die Klägerin die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung und berief sich zur Begründung darauf, dass sie seit Oktober 1999 aufgrund ihrer psychischen Probleme und der damit einhergehenden Begleiterscheinungen jedenfalls für einige Zeit nicht in der Lage sei, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Aufgrund der Nebenwirkungen könne sie keine Medikamente nehmen, und durch die stationären Behandlungen seien ihre Beschwerden nur schlimmer oder jedenfalls nicht gebessert worden. Die Beklagte ließ die Klägerin durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L untersuchen. Diese stellte bei der Klägerin in ihrem Gutachten vom 24. Juni 2003 eine somatoforme Funktionsstörung sowie eine Anpassungsstörung in beruflicher Konfliktsituation fest. Zum Leistungsvermögen gab sie an, dass die Klägerin aus nervenärztlicher Sicht nicht mehr leistungsfähig in ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Erzieherin sei, jedoch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen für mittelschwere körperliche Arbeiten verfüge, die nicht mit besonderen Anforderungen an die Verantwortung für Personen und Maschinen oder mit Zeitdruck einhergingen und die nicht unter besonderen Stressbedingungen sowie auf Leitern und Gerüsten zu verrichten seien. Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2003 die Gewährung einer Rente ab.

Auf den am 22. Juli 2003 erhobenen Widerspruch der Klägerin, mit dem diese im Wesentlichen geltend machte, an erheblich weitergehenden Beschwerden zu leiden als von der Sachverständigen festgestellt, holte die Beklagte einen Befundbericht bei dem die Klägerin behandelnden Facharzt für Nervenheilkunde – Psychotherapie – Dr. J H ein. Sodann wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08. Januar 2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei. Sie sei vielmehr in der Lage, eine Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

Mit ihrer am 23. Januar 2004 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht Berlin hat Befundberichte bei der Ärztin Dipl.-Med. E F und Dr. H angefordert, woraufhin Erstgenannte angegeben hat, dass die Klägerin bereits seit zwei Jahren nicht mehr in ihrer Behandlung gewesen sei. Sodann hat das Sozialgericht ein Gutachten bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie Dr. E P eingeholt. Diese hat nach Untersuchung der Klägerin in deren Wohnung am 23. September 2005 in ihrem Gutachten vom 15. Oktober 2005 bei der Klägerin eine somatoforme autonome Funktionsstörung, eine Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation sowie eine abhängige asthenische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Weiter bestünden diskrete Hinweise auf einen möglichen Alkoholabusus. Trotz ihrer gesundheitlichen Leiden sei die Klägerin in der Lage, einer leichten körperlichen Arbeit unter Beachtung einiger im Einzelnen aufgeführter qualitativer Einschränkungen vollschichtig nachzugehen. Allerdings seien Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle dergestalt zu berücksichtigen, dass die Klägerin eine Begleitperson benötige. Diese Einschränkung sei durch ihre Ängste begründet, wobei sie freie und soziale Ängste selbst nicht reflektiere, sondern lediglich die Phobien, die Wohnung zu verlassen. Allerdings sei die Wohnung selber so perfekt geordnet und gepflegt, dass dies ohne Verlassen des Haushaltes nicht möglich sei. Auch sei unklar, wozu die Klägerin über einen PC-Arbeitsplatz in ihrer Wohnung verfüge. Allgemein sei die Klägerin nicht motiviert, konkrete Angaben zu machen. Sie habe inzwischen ein ausgesprochenes Vermeidungsverhalten entwickelt und entziehe sich sämtlichen Kontrollen einschließlich körperlicher Untersuchung und Labor. Wann es zu den Einschränkungen gekommen sei, sei daher nicht genau zu sagen. Es bestünde jedoch begründete Aussicht, dass die Leistungsminderung ganz oder teilweise behoben werden könne, und zwar durch eine stationäre Psychotherapie, die innerhalb von zwei bis drei Monaten durchführbar sei.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Berlin am 29. Mai 2006 hat die Klägerin noch beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu verurteilen, ihr ab dem 01. Juni 2003 bis zum 31. Mai 2009 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) sei. Sie sei zwar in ihrer Leistungsfähigkeit durchaus eingeschränkt, gleichwohl aber noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten unter Beachtung einiger qualitativer Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Dies ergebe sich zur Überzeugung der Kammer aus den überzeugenden Darlegungen der gerichtlichen Sachverständigen. Diese habe die erhobenen Befunde ausführlich dargestellt und ausgewertet sowie die Klägerin eingehend untersucht. Sie habe den Schweregrad der Erkrankungen genau herausgearbeitet und deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen untersucht. Zudem sei es ihr nach Auffassung der Kammer gut gelungen, die Entwicklung und Behandlung der verschiedenen Leiden der Klägerin auch in ihrer Gesamtheit zu würdigen und daraus Schlussfolgerungen auf das derzeitige Krankheitsbild und Leistungsvermögen abzuleiten. Bei dieser gründlichen und differenzierenden Betrachtungsweise sehe die Kammer keinerlei Gründe, an der Richtigkeit der Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen zu zweifeln. Dies ergebe sich auch nicht daraus, dass sie angebe, die Klägerin könne nicht mehr viermal täglich mindestens 500 Meter Fußstrecke in 20 Minuten zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Es handele sich hierbei erkennbar lediglich um die Wiedergabe der Angaben der Klägerin, wobei die Sachverständige selbst in ihrem Gutachten wiederholt ihre erheblichen Zweifel an den Angaben der Klägerin äußert. Die Kammer habe sich danach nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die Wegefähigkeit der Klägerin aufgehoben sei. Die erheblichen Restzweifel daran, die aus dem Gutachten der Sachverständigen hervorgingen und gestützt würden durch die Sauberkeit der Wohnung, die Selbstversorgung der Klägerin und die zumindest drei- bis viermal im Quartal möglichen Besuche bei dem behandelnden Neurologen und Psychiater, gingen zu Lasten der Klägerin. Angesichts der mangelnden Mitwirkung der Klägerin seien auch weitere Ermittlungen von Amts wegen weder angezeigt noch möglich. Zudem ergebe sich aus dem Gutachten, dass die Klägerin bei der ihr möglichen konsequenten Behandlung in Form einer z.B. stationären Psychotherapie und Medikamenteneinnahme in der Lage wäre, ihre Erkrankung binnen zwei bis drei Monaten einer Besserung zuzuführen. Auch unter diesem Aspekt sei die Wegeunfähigkeit nach Auffassung der Kammer zu verneinen. Aus den Befundberichten der behandelnden Ärzte ergäben sich keine anderen Einschätzungen der Leistungsfähigkeit der Klägerin. Von der Gutachterin im Vorverfahren werde die Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Klägerin geteilt.

Gegen dieses ihr am 15. Juni 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. Juli 2006 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie sei nunmehr zu weitergehenden Untersuchungen auch außerhalb ihrer Wohnung bereit. Auch betreibe sie keinen Alkoholabusus.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Januar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01. Juni 2003 bis zum 31. Mai 2009 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Nachdem der Senat im August 2006 darauf hingewiesen hatte, dass er von Amts wegen keine weiteren Ermittlungen beabsichtige, hat die Klägerin beantragt, ihren behandelnden Arzt Dr. H gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Gutachter zu hören. Daraufhin haben der Senat sowie die Beklagte Bedenken an dessen Unparteilichkeit geäußert mit der Folge, dass die Klägerin als Sachverständige die Neurologin/Psychiaterin Dr. E F benannt hat, bei der sie vor ca. vier Jahren in Behandlung gewesen sei. Nachdem die Beklagte diese Ärztin aufgrund ihrer Vorbefassung nicht für geeignet erachtet und die Berichterstatterin angeregt hatte, einen Arzt zu benennen, zu dem die Klägerin noch keinerlei Kontakt gehabt hatte, hat diese den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K ausgewählt. Dieser hat auf Anfrage der Berichterstatterin die Erstattung des Gutachtens abgelehnt. Die der Klägerin daraufhin Anfang Februar 2007 gesetzte vierwöchige Frist zur Benennung eines anderen Sachverständigen hat sie ungenutzt verstreichen lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die erstinstanzlich eingeholten Befundberichte, das Gutachten sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Der Senat konnte nach erfolgter vorheriger Anhörung der Beteiligten über die Berufung durch Beschluss entscheiden, weil er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG).

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Berlin bewertet in seinem angegriffenen Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Januar 2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zur Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung auf das überzeugende erstinstanzliche Urteil Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Sozialgericht Berlin hat sich in diesem unter Zugrundelegung der einschlägigen Vorschrift in der gebotenen Gründlichkeit und im Ergebnis überzeugend mit der Sach- und Rechtslage auseinandergesetzt. Anlass zu Ergänzungen besteht ebenso wenig wie zu weitergehenden medizinischen Ermittlungen von Amts wegen. Im Interesse einer erfolgreichen Behandlung der Klägerin ist eine körperliche Untersuchung sicher sachdienlich. Nicht aber sieht der Senat sie zur Einschätzung des Leistungsvermögens für erforderlich an. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin an gesundheitlichen Beeinträchtigungen außerhalb des psychiatrischen Fachgebietes leiden könnte, die ihr Leistungsvermögen längerfristig in einem rentenrechtlich relevanten Umfange mindern könnten. Auch hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Die Sachverständige Dr. P stimmt mit der Vorgutachterin und insbesondere auch dem behandelnden Arzt Dr. H darin überein, dass die Klägerin dringend adäquat, nämlich vorübergehend stationär, behandelt werden muss. Daraus folgt jedoch keine Erwerbsminderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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