L 1 KR 260/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 1024/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 260/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Beschäftigungsverhältnis ist im Sinne des § 230 Abs. 4 SGB VI auch bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses unterbrochen, wenn es mehr als einen Monat ruht.
Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV ist immer eine gegen Entgelt.
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst zu tragen haben. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Prüf- und Beitragsnachforderungsbescheids der Beklagten.

Sie ist ein Personal-Leasingunternehmen für Krankenpflegepersonal. Sie war bis Frühjahr 2003 eine OHG. Die Beigeladene zu 1), ausgebildete Krankenschwester, hat bei ihr als Studentin in der Zeit vom 1. Juli 1995 bis 31. Mai 2003 gearbeitet. In der Zeit vom 1. Juli 1999 bis zum 30. September 1999 absolvierte sie in den USA ein Praktikum. Sie war in der nachfolgenden Zeit ab 1. Oktober 1999 bis 31. Dezember 2002 durchgängig nicht nur geringfügig beschäftigt.

Die Beklagte führte bei der Klägerin in der Zeit vom 25. Februar 2003 bis 7. Juli 2003 eine Betriebsprüfung gemäß § 28 p Abs. 1 Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB IV) für die Zeit vom 1. Dezember 1998 bis 31. Dezember 2002 durch.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2003 stellte die Beklagte eine Nachforderung in Höhe von 10.023,11 EUR fest, konkret Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung für die Beigeladene zu 1) für die Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 31. Dezember 2002. Diese habe der Rentenversicherungspflicht unterlegen. Die Besitzstandsregelung des § 230 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI) in der Fassung des Art. 1 Nr. 26 Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25. September 1996 sei nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift blieben Personen, die am 1. 10. 1996 in einer Beschäftigung als ordentliche Studierende einer Fachschule oder Hochschule rentenversicherungsfrei gewesen seien, in dieser Beschäftigung weiterhin rentenversicherungsfrei. Voraussetzung sei also eine über den 30. September 1996 hinaus ununterbrochene Beschäftigung. Für die Erhaltung der Besitzstandsregelung reiche es aus, dass monatlich ein Arbeitseinsatz bei demselben Arbeitnehmer erfolge. Sollte dieser Arbeitseinsatz im Einzelfall wegen einer Arbeitsunfähigkeit oder Betriebsferien einmal ausfallen, sei auch dies unschädlich. In allen anderen Fällen trete nach einer Unterbrechung von einem Kalendermonat die Rentenversicherungspflicht ein. Hier sei die Beschäftigung in der Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1999 unterbrochen gewesen.

Bereits zuvor, am 9. Juli 2003 war ein identischer Bescheid an die Klägerin als OHG ergangen, aufgrund dessen die Klägerin die nachberechneten Beiträge unter Vorbehalt an die zuständige Einzugsstelle zahlte. Sie erhob am 5. Januar 2004 (erneut) Widerspruch. Es sei falsch, dass eine mehr als einmonatige Unterbrechung der Bezahlung eines Werkstudenten die Beschäftigung unterbreche. § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI stelle lediglich auf den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses ab, verlange jedoch nicht unbedingt auch ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt. § 7 Abs. 3 SGB IV sei nicht einschlägig. Dort sei nur der Fall der Aufrechterhaltung der Versicherungspflicht bei einer Beschäftigung ohne Arbeitsentgelt geregelt. Es liefe dem Wesen der früheren Werkstudentenregelung zuwider, eine ständige Beschäftigung ohne die Möglichkeit mehrmonatiger Unterbrechung zu fordern. Wesen der Werkstudentenbeschäftigung sei es gerade gewesen, dass mehrmonatige Unterbrechungen z. B. durch Studienprojekte, Hausarbeiten, studentische Auslandsaufenthalte, Praktika oder in der Diplomphase aufträten. Analog BeschFG aF (gemeint offenbar Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung [BeschFG vom 26. April 1985 BGBl. I 710] § 1) sei für eine unschädliche Unterbrechung vier Monate ein sachgerechter Zeitraum. Noch geeigneter sei der eines Semesters.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 18. März 2004 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin (SG) geklagt. Zur Begründung hat sie ihr vorgerichtliches Vorbringen wiederholt. Es dürfe nicht sein, dass Werkstudenten mindestens einmal im Monat eingesetzt werden müssten und z. B. kürzere Auslandsaufenthalte, Praktika, Studienprojekte oder die Anfertigung der Diplomarbeit nicht mehr möglich seien. Eine so rigide Auslegung sei auch nicht erforderlich, weil die Werkstudenten nicht ewig studierten, die Übergangsregelung also auslaufe.

Das SG hat im Erörterungstermin am 27. April 2005 die Komplementärin der Klägerin sowie die Beigeladene zu 1) angehört und danach die auf Aufhebung der Prüfbescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheids gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Mai 2005 abgewiesen. Die Klägerin könne sich nicht auf die Übergangsvorschrift des § 230 Abs. 4 SGB VI berufen. Das dort vorausgesetzte ununterbrochene Beschäftigungsverhältnis sei durch die dreimonatige Abwesenheit der Klägerin im Sommer 1999 unterbrochen worden. Was in der Sozialversicherung "Beschäftigung" bedeute, sei in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV geregelt. Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV, der am 1. Januar 1999 in Kraft getreten sei, gelte eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauere, jedoch nicht länger als einen Monat. Es sei nicht erkennbar, dass die Beschäftigungsbegriffe in den beiden Vorschriften unterschiedlich zu interpretieren seien. Ab Oktober 1999 sei deshalb ein neues Beschäftigungsverhältnis begründet gewesen, für welches die Beklagte zu Recht gemäß § 28 p SGB IV Rentenversicherungsbeiträge in unstreitiger Höhe festgesetzt habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wiederholt ihre Auffassung, es müsse zwischen § 7 Abs. 3 SGB IV und § 230 Abs. 4 SGB VI unterschieden werden. § 7 SGB IV differenziere zwischen den Beschäftigungsverhältnissen in Absatz 1 (zum Beispiel für ehrenamtlich Tätige) und solchen gegen Entgelt in Absatz 3. § 7 Abs. 3 SGB IV regele nur die Folgen fehlenden Entgeltes. Das Beschäftigungsverhältnis selbst könne über einen Monat fortbestehen. Sie hat die Gehaltsabrechnung Juni 1999 für die Beigeladene zu 1) eingereicht, aus deren Position 415 sich ergebe, dass für die geleistete durchschnittliche Stundenzahl von 53,88 Stunden im Voraus Urlaubsentgelt ausbezahlt worden sei.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Mai 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli/15. Dezember 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig.

Die Beigeladenen – die Beigeladene zu 2. ist die Einzugsstelle – haben sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, insbesondere hinsichtlich der eingeführten Lohnunterlagen und des Arbeitsvertrages zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung und damit die Klage selbst haben keinen Erfolg. Das SG hat die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen werden kann.

Die Beigeladene zu 1) unterlag in der Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 31. Dezember 2002 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Sie war in dieser Zeit bei der Klägerin gegen Entgelt im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV abhängig beschäftigt und erzielte durchweg Einkünfte über der jeweils geltenden Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV. Die Klägerin war und ist zahlungspflichtige Arbeitgeberin im Sinne des § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war ihre Arbeitnehmerin nicht nach § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI versicherungsfrei. Nach dieser Vorschrift bleiben Personen, die am 1. Oktober 1996 in einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit als ordentlich Studierende einer Fachschule oder Hochschule versicherungsfrei waren, in dieser Beschäftigung weiterhin versicherungsfrei. Die Regelung setzt die Fortsetzung einer am 30. September 1996 bereits bestehenden versicherungsfreien Beschäftigung voraus. Der Stichtag am 1. Oktober 1996 ist ein offensichtliches Redaktionsversehen (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 4 - 2600 § 5 Nr. 1). Obwohl das Arbeitsverhältnis und das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis weitgehend übereinstimmen, sind doch beide Institute nicht deckungsgleich und voneinander zu unterscheiden (vgl. BSG, Die Beiträge 1991, 115). Ein ruhendes -aber nicht unterbrochenes- Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 230 Abs. 4 SGB VI gibt es nicht: Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ist für die Anwendung des § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI unerheblich, denn die Vorschrift knüpft an die Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV an. Grundsätzlich gehört zur Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV (immer) die tatsächliche Arbeit gegen Entgelt (BSGE 68, 236, 240). Es gibt keinen Unterschied zwischen einer "Beschäftigung" und einer "Beschäftigung gegen Entgelt", weil Beschäftigung "die nichtselbständige Arbeit" ist, was rein ehrenamtliche Tätigkeiten ausschließt. Ausnahmen bestehen nur für bezahlten Urlaub, Krankheit, bezahlte Freistellung von der Arbeit sowie bei Streik und unbezahltem Urlaub, sofern diese Unterbrechungen von begrenzter Dauer sind (BSG, a.a.O.). Die zeitliche Höchstgrenze für eine solche noch unschädliche Beschäftigungslücke liegt seit Einführung des § 7 Abs. 3 SGB IV bei einem Monat. Auch wenn -wie hier- das Arbeitsverhältnis fortbesteht, endet das Beschäftigungsverhältnis, wenn die Beschäftigung faktisch ein Ende gefunden hat (BSGE 73, 90, 94 mit weiteren Nachweisen; im Ergebnis ebenso: LSG Berlin, Urteil vom 10.09.2003 – L 9 KR 740/01 – Juris; LSG Essen, Urteil vom 27.05.2002 – L 5 KR 119/01 – Juris). Für eine analoge Anwendung bereits außer Kraft getretener Vorschriften aus dem BeschFG besteht bereits mangels Regelungslücke kein Raum.

Die Beigeladene zu 1) erhielt hier für mehr als einen Monat kein Entgelt. Sie hat in den Monaten Juli bis September 1999 nicht für die Klägerin gearbeitet und auch kein Gehalt erhalten. Sie war vielmehr freigestellt. Dass sie in diesen Monaten kein Entgelt erhalten halt, ergibt sich -unstreitig- aus den eingereichten Lohnunterlagen. Das Gehaltskonto -Kopien hat die Klägerin der Beklagten im Widerspruchsverfahren übersandt- enthält für diese Monate nur Nulleintragungen. Dass die Beigeladene zu 1) mit der Gehaltsabrechnung Juni 1999 auch bezahlten Urlaub für die Folgezeit erhalten haben soll, ist erst im Berufungsverfahren vorgebracht worden. Dagegen spricht der bisherige einhellige Vortrag, das Arbeitsverhältnis habe in den Monaten Juli bis September 1999 (gänzlich) geruht. Die Position 415 ist auch nicht als Vorschuss bezeichnet sondern als "Urlaubsentgelt". Zur Überzeugung des Senats befand sich die Beigeladene deshalb in der fraglichen Zeit nicht (teilweise) im bezahlten Urlaub. Im Übrigen könnte ein unterstellter voller Jahresurlaub von 24 Werktagen nicht den erforderlichen Zeitraum von zwei vollen Monaten überbrücken: Nach den jetzigen Angaben der Klägerin hat die Beigeladene zu 1) durchschnittlich 53,88 Stunden im Monat gearbeitet, also weitaus mehr als die ursprünglich im Arbeitsvertrag geregelten 20 Stunden im Monat, und hat deshalb mit dem Erhalt eines Monatsgehaltes maximal einen Monat mit bezahltem Urlaub überbrückt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung, 197 a Abs. 2 Satz 2 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Der Rechtsfrage, wann eine ununterbrochene Beschäftigung im Sinne des § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI vorliegt, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil es sich um eine auslaufende Übergangsvorschrift handelt. Die Vorschrift selbst stellt weiter keine (mittelbare) Rückwirkung dar, weil das Werkstundentenprivileg für bereits bestehende Beschäftigungsverhältnisse gerade fortbestehen bleiben sollte.
Rechtskraft
Aus
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