S 2 R 1122/07 AK-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 1122/07 AK-A
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Fehlen im klägerischen Antrag oder im klägerischen Vorbringen im Übrigen Anhaltspunkte, dass nur eine Erwerbsminderungsrente auf Zeit begehrt wird, kommt eine Vermutung, dass mit dem Klagebegehren stets nur eine zeitlich befristete Rente begehrt werde, nicht in Betracht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Klageziel die Gewährung einer unbefristeten Erminderungsrente ist. 2. Begehrt der Kläger eine unbefristete Rente wegen Erwerbsminderung und erkennt der Rentenversicherungsträger nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens den Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit an, entspricht es regelmäßig billigem Ermessen, wenn der Rentenversicherungsträger nur die Hälfe der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen hat.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe des von der Beklagten zu tragenden Anteils an den außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die ... geborene Klägerin beantragte am 15. Februar 2005 Rente wegen Erwerbsminderung. Sie begründete diesen Antrag unter Hinweis auf einen Bescheid des Versorgungsamtes Rottweil vom 29. Juli 2004, in dem ein Grad der Behinderung von 50 und das Merkzeichen G aufgrund einer Hüftdysplasie beidseitig, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule und einer Wirbelsäulenverformung anerkannt wurde, sowie mit einem Attest des Orthopäden Dr ..., der verschiedene gesundheitliche Beeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet diagnostizierte.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 23. Mai 2005 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Februar 2005.

Hiergegen legte die Klägerin am 27. Mai 2005 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass es ihr aufgrund ihrer starken körperlichen Behinderungen nicht möglich sei, auch nur stundenweise eine Arbeit aufzunehmen. Sie bat um Anerkennung der – so wörtlich – vollen Erwerbsminderung.

Die Beklagte beauftragte daraufhin den Arzt für Orthopädie Dr ... mit der Erstellung eines Gutachtens über die Klägerin. Dr ... kam in seinem Gutachten vom 4. August 2005 zu dem Ergebnis, dass in Zusammensicht aller Befunde die Erwerbsfähigkeit der Klägerin gemindert, jedoch nicht aufgehoben sei. Aus fachorthopädischer Sicht sei sie weiterhin in der Lage, leichte Tätigkeiten unter Beachtung diverser qualitativer Funktionseinschränkungen vollschichtig zu verrichten. In ihrer letzten beruflichen Tätigkeit als Friseurin sei die Klägerin dauerhaft nicht mehr einsetzbar.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 19. Oktober 2005 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden erwerbstätig sein könne.

Hiergegen erhob die Klägerin am 21. November 2005 Klage und kündigte den Antrag an, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr auf ihren Antrag vom 15. Februar 2005 hin Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren. In der Klagebegründung vom 26. Januar 2006 vertrat die Klägerin die Auffassung, dass sie zu den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr erwerbsfähig sei.

Nachdem das Gericht zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört hat, bestellte es den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr ... zum gerichtlichen Sachverständigen. Dr ... kam in seinem Gutachten über die Klägerin vom 9. Juli 2006 zu der Beurteilung, dass bei der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet eine mittelgradig ausgeprägte Depression, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit ängstlich vermeidenden und abhängigen Zügen vorliege. Diese Beeinträchtigungen bewirkten, dass die Klägerin noch leichte Tätigkeiten ohne besondere Verantwortung und ohne Akkord- oder Schichtarbeit und nicht am Fließband verrichten könne. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne die Klägerin noch drei bis unter sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche arbeiten. Die Einschränkungen bestünden seit Rentenantragsstellung.

Die Beklagte erkannte sodann mit Schriftsatz vom 3. August 2006 an, dass die Klägerin seit Januar 2005 voll erwerbsgemindert sei. Da sie noch mindestens drei Stunden arbeiten könne, liege volle Erwerbsminderung allerdings lediglich aufgrund der Arbeitsmarktlage vor, so dass die Rente wegen Erwerbsminderung zu befristen sei. Die Beklagte erklärte sich bereit, Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. August 2005 bis zum 31. Dezember 2007 zu gewähren und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach zur Hälfte zu übernehmen.

Die Klägerin nahm das Anerkenntnis mit Schriftsatz vom 19. März 2007 an, verwahrte sich aber gegen die nur hälftige Kostentragung durch die Beklagte. Sie ist der Ansicht, dass sie Rente wegen voller Erwerbsminderung nur auf Zeit begehrt habe.

Die Klägerin beantragt,

ihre außergerichtlichen Kosten der Beklagten aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

ihr die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte aufzuerlegen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin eine zeitlich unbefristete Rente begehrt hatte.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Das Gericht entscheidet gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Da Entscheidungskriterien im Gesetz nicht genannt sind, hat das Gericht nach sachgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze, wie sie in anderen Verfahrensordnungen, insbesondere der Zivilprozessordnung (ZPO), niedergelegt sind, über die Kostentragung zu entscheiden, ohne an ein starres System oder bestimmte einzelne Vorschriften gebunden zu sein (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.11.2005, Az.: L 13 B 9/05 SB; vgl. auch BSG, Beschluss vom 24.05.1991, Az.: 7 RAr 2/91; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2006, Az.: L 5 R 4632/06 AK-B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.02.2005, Az.: L 11 R 233/05 AK-B; Hessisches LSG, Beschluss vom 18.02.2003, Az.: L 12 B 89/02 RJ).

In erster Linie ist danach der Verfahrensausgang bzw. der mutmaßliche Verfahrensausgang maßgebend, so dass im Zweifel derjenige die Kosten trägt, der unterliegt (BSG, Urteil vom 18.07.1989, Az.: 10 RKg 22/88; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.04.2006, Az.: L 8 R 5579/05 AK-B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.11.2005, Az.: L 13 B 9/05 SB; LSG Berlin, Beschluss vom 30.04.2003, Az.: L 17 RA 62/02; Hessisches LSG, Beschluss vom 18.02.2003, Az.: L 12 B 89/02 RJ; vgl. auch BSG, Beschluss vom 07.09.1998, Az.: B 2 U 10/98 R; BSG, Beschluss vom 24.05.1991, Az.: 7 Rar 2/91). Bei nur teilweisem Klageerfolg – sei es durch gerichtliche Entscheidung oder durch Verfahrensbeendigung auf andere Weise – ist eine dem Erfolgsanteil entsprechende Quotelung vorzunehmen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.04.2006, Az.: L 8 R 5579/05 AK-B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.11.2005, Az.: L 13 B 9/05 SB).

Daneben tritt als zweiter Gesichtspunkt die Frage, wer die Führung des Rechtsstreits veranlasst hat (BSG, Urteil vom 18.07.1989, Az.: 10 RKg 22/88; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.11.2005, Az.: L 13 B 9/05 SB; LSG Berlin, Beschluss vom 30.04.2003, Az.: L 17 RA 62/02; Hessisches LSG, Beschluss vom 18.02.2003, Az.: L 12 B 89/02 RJ). Es gilt also zu prüfen, ob es sich etwa um einen von vorneherein vermeidbaren oder überflüssigen Prozess gehandelt hat und wem dieses gegebenenfalls zur Last zu legen ist (Hessisches LSG, Beschluss vom 18.02.2003, Az.: L 12 B 89/02 RJ).

2. a) Die Beklagte hat Anlass zur Klageerhebung gegeben, weil die angefochtenen Bescheide rechtswidrig gewesen sind. Letzteres entspricht auch der Auffassung der Beklagten, die während des Rechtsstreits anerkannt hat, dass bei der Klägerin volle Erwerbsminderung besteht.

b) Dies allein führt jedoch nicht automatisch zu einer vollen Kostentragungspflicht der Beklagten. Entscheidend ist ferner, ob die Klägerin ihr Klageziel in vollem Umfang erreicht hat. Dies ist nicht der Fall. Indem die Klägerin wie schon im Widerspruchsverfahren die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung beantragt hat, hat sie einen Antrag auf eine Dauerrente gestellt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.02.2005, Az.: L 11 R 233/05 AK-B). Hinweise auf eine Befristung finden sich weder im ursprünglichen, im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag noch im Klageantrag oder in den sonstigen Ausführungen der Klägerin. Fehlen im klägerischen Antrag oder im klägerischen Vorbringen im Übrigen jedoch Anhaltspunkte, dass nur eine Erwerbsminderungsrente auf Zeit begehrt wird, kommt eine Vermutung dahingehend, dass mit einem Klagebegehren auf Erwerbsminderungsrente grundsätzlich stets nur eine zeitlich befristete Rente begehrt werde, nicht in Betracht (in diesem Sinne auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.02.2005, Az.: L 11 R 233/05 AK-B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.10.2005, Az.: L 11 R 4138/05 AK-B; SG Reutlingen, Beschluss vom 07.11.2005, Az.: S 12 R 2997/05 AK-A; a. A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.03.2007, Az.: L 2 R 4839/06 AK-B; wohl auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2006, Az.: L 5 R 4632/06 AK-B). Lässt sich aus dem Klageantrag und –vortrag nicht eindeutig entnehmen, dass nur eine befristete Rentengewährung begehrt wird, ist vielmehr davon auszugehen, dass das Klageziel die Gewährung einer unbefristeten Erwerbsminderungsrente ist (so bereits auch SG Reutlingen, Beschluss vom 07.11.2005, Az.: S 12 R 2997/05 AK-A).

Dies würde – und dies erlangt für die Kammer besondere Bedeutung – auch außer Zweifel stehen, wenn das Verfahren durch eine gerichtliche Entscheidung beendet worden wäre und das Gericht zu beurteilen gehabt hätte, ob es mit Blick auf § 123 SGG, aus dem das Verbot folgt, mehr zuzusprechen als beantragt (vgl. Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 123 Rn. 4), auch eine unbefristete Rente zusprechen dürfte (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.02.2005, Az.: L 11 R 233/05 AK-B; SG Reutlingen, Beschluss vom 07.11.2005, Az.: S 12 R 2997/05 AK-A). Nur die Verurteilung zur Gewährung einer befristeten Rente hätte eine teilweise Klageabweisung dargestellt. Die Auslegung des klägerischen Antrages kann aber nicht im Hinblick auf die Hauptsache anders als im Hinblick auf die Kostenentscheidung erfolgen. Vielmehr hat die Kostenentscheidung vor dem Hintergrund des von der Klägerin gestellten Klageantrages und damit ihrem selbst gewählten Spektrum von Chance und Risiko zu erfolgen. Wenn sich die Klägerin mit der Klage die Möglichkeit schafft, seitens des Gerichts eine Dauerrente zugesprochen zu bekommen, ist es billig, ihr andererseits auch nur einen Teil der Kosten zuzusprechen, wenn sich die Chance des Klageerfolges nur teilweise – und sei es im Wege eines Teilanerkenntnisses – realisiert hat.

Dies gilt auch, obwohl Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VI grundsätzlich nur auf Zeit geleistet werden. Diesem Gesichtspunkt muss im Klageantrag Rechnung getragen werden (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.04.2006, Az.: L 8 R 5579/05 AK-B; a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2006, Az.: L 5 R 4632/06 AK-B). Wer der Ansicht ist, dass die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI für eine unbefristete Rente vorliegen, trägt das Risiko, dass sich diese Voraussetzungen im Prozess nicht nachweisen lassen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.04.2006, Az.: L 8 R 5579/05 AK-B). Dementsprechend bedeutete das Anerkenntnis der Beklagten keinen vollen Klageerfolg, sondern lediglich ein Teilanerkenntnis.

Eine unbefristete Rente bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 115 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) hätte eine dreizehnjährige Bezugsdauer bedeutet, während aufgrund des Teilanerkenntnisses Rente für zwei Jahre und fünf Monate – also für einen Bruchteil der Zeit – bewilligt wurde (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.01.2004, Az.: L 14 RJ 175/03); außerdem hat die Beklagte nach Vorlage des Sachverständigengutachtens den Klageanspruch unverzüglich anerkannt, soweit dies durch das Gutachten gerechtfertigt war. Andererseits hatte die Beklagte Anlass zur Klage (auf Verurteilung einer Rente auf Zeit) gegeben. Eine hälftige Teilung der außergerichtlichen Kosten des Klägers entspricht vor diesem Hintergrund billigem Ermessen (ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.02.2005, Az.: L 11 R 233/05 AK-B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.10.2005, Az.: L 11 R 4138/05 AK-B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.04.2006, Az.: L 8 R 5579/05 AK-B).
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