L 7 AS 1727/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 6172/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1727/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar bis 9. Februar 2005.

Der 1944 geborene Kläger hatte ursprünglich Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) bis 10. Dezember 2004. Die Arbeitsagentur lud ihn zum 3. und 17. November 2004 zur Antragsaufnahme für Arbeitslosenhilfe (Alhi) und Arbeitslosengeld II ein. Zu beiden Meldeterminen erschien der Kläger unentschuldigt nicht. Die Arbeitsagentur stellte daraufhin die Gewährung von Alg mit Säumnis- und Aufhebungsbescheid vom 19. November 2004 zum 4. November 2004 ein. Darüber hinaus hatte der Kläger Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Januar 1999, die Rente ruhte jedoch wegen des Bezugs von Krankengeld, später Alg. Mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Oberbayern vom 27. Dezember 2005 wurde die Rente des Klägers neu berechnet, ab 1. November 2004 erhielt er monatlich 567,62 EUR (Auszahlungsbetrag). Der hiergegen erhobene Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg, da der ausgesprochene Verzicht auf die Berufsunfähigkeitsrente zur Belastung eines Leistungsträgers führe und daher nach § 46 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) unwirksam sei (Widerspruchsbescheid vom 4. April 2006).

Am 10. Februar 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Die Beklagte bewilligte daraufhin Leistungen für die Zeit vom 10. bis 28. Februar 2005 in Höhe von 509,81 EUR und für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2005 in Höhe von monatlich 804,97 EUR (Bescheid vom 22. Februar 2005). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei an einer rechtzeitigen Antragstellung krankheitshalber gehindert gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und verwies zur Begründung auf § 37 SGB II. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende könnten nur auf Antrag erbracht werden, somit nicht für Zeiten vor der Antragstellung. Der Kläger sei von der Arbeitsagentur zur Antragsaufnahme eingeladen worden, habe die Termine jedoch unentschuldigt nicht wahrgenommen. Insoweit habe er die Möglichkeit einer rechtzeitigen Antragstellung gehabt, da er nach eigenen Angaben erst ab Weihnachten 2004 in U. gewesen und dort erkrankt sei.

Hiergegen richtet sich die am 28. September 2005 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Der Kläger ist der Auffassung, die Einladungstermine im November 2004 hätten zur Beratung seines Antrags auf Alg II gedient, seien jedoch nicht zur Bestimmung einer Abgabefrist für den Antrag bestimmt gewesen. Er habe seinen Antrag zwischen Weihnachten und Neujahr 2004 rechtzeitig abgeben wollen. Aufgrund seiner unvorhersehbaren schweren Erkrankung in U. sei er erst am 8. Februar 2005 wieder reisefähig gewesen und habe folglich seinen Antrag erst am 10. Februar 2005 persönlich abgeben können.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. März 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach § 37 SGB II nur auf Antrag erbracht würden. Die einzige gesetzlich vorgesehene Ausnahme nach § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II sei nicht einschlägig. Die Antragstellung sei nicht durch Umstände verzögert worden, die der Sphäre der Beklagten zugerechnet werden könnten. Nur wenn sich dies feststellen ließe, käme eine Rückwirkung der Antragstellung etwa über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auf den 1. Januar 2005 überhaupt in Betracht. Zwar könnten Härten entstehen, wenn der Antragstellung Hindernisse entgegenstünden, die vom Arbeitslosen nicht zu vertreten seien, aber seiner Sphäre zugerechnet werden müssten. Diese seien dadurch abgemildert, dass § 37 SGB II keine Form für die Antragstellung vorschreibe. Der Antragsteller habe daher trotz Erkrankung auch durch einen Dritten oder telefonisch den Leistungsantrag stellen können.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 3. April 2006 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Er leide seit 2003 an einer schweren chronischen Erkrankung und habe die Beratungstermine im November 2004 leider übersehen, nachdem sein Alltagsleben durch starke Schmerzen und ständige Medikamente sehr stark beeinträchtigt sei. Er habe krankheitshalber den für Anfang Dezember geplanten Abgabetermin auf die Zeit nach den Feiertagen verschoben. Er habe nicht vorhersehen können, dass ihm die Rückkehr rechtzeitig nicht möglich sein werde. Die schwere Erkrankung und Reiseunfähigkeit in U. habe er durch ärztliche Atteste nachgewiesen. Auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland sei er sofort arbeitsunfähig krank geschrieben worden. Da er seit dem 4. November 2004 kein Alg mehr bekommen habe, bedeute für ihn diese zusätzliche Belastung eine besondere soziale Härte. Er habe bis zum 10. Februar 2005 sämtliche Lebenshaltungskosten und Medikamente aus geliehenen Geldbeträgen finanzieren müssen. Hierzu hat er eine Bescheinigung einer Frau K. vorgelegt, welche schriftlich bestätigt, dem Kläger am 1. Dezember 2004 2.400,00 EUR geliehen zu haben. Der Kläger macht geltend, wegen der rückwirkenden Einstellung des Alg ab dem 4. November 2004 und der erst ab 1. Januar 2005 möglichen Gewährung von Alg II in einer aussichtslosen Lage gewesen zu sein.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. März 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 22. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. September 2005 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 1. Januar bis 9. Februar 2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger habe den Antrag auf SGB II-Leistungen im Jahr 2004 nicht gestellt, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass - unabhängig von der vorzeitigen Beendigung des Alg - dieses bis längstens 10. Dezember 2004 bezahlt werden könne. Der Kläger gebe selbst an, dass er nach seiner geplanten Rückreise aus U. zwischen dem 27. und 31. Dezember 2004 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II habe stellen wollen. Einen Termin für die Antragstellung habe der Kläger vor seiner Abreise nach U. weder telefonisch noch schriftlich vereinbart. Diese Mitwirkung sei auch unter Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustandes des Klägers zumutbar gewesen.

Ein Anspruch auf eine andere vorrangige Leistung gegenüber dem SGB II bestehe nicht. Es könne deshalb auch nicht angenommen werden, dass der Kläger den Antrag auf SGB II-Leistungen bewusst nicht gestellt habe, um die Entscheidung über eine andere vorrangige Leistung abzuwarten. § 28 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) treffe daher hier nicht zu.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Leistungsakten der Arbeitsagentur und der Beklagten, die Rentenakte der Deutschen Rentenversicherung Oberbayern (jetzt Bayern Süd), die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senates Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung trotz Abwesenheit des Klägers aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Mai 2007 entscheiden, da der Kläger in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsbestimmung hierauf hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufung den Beschwerdewert von 500,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat in der streitbefangenen Zeit keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Der Kläger hat den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II erst am 10. Februar 2005 gestellt, so dass er erst ab diesem Zeitraum Leistungen beanspruchen kann. Das SG hat mit zutreffender Begründung unter Heranziehung und Darstellung der maßgeblichen Regelung des § 37 SGB II die Klage abgewiesen. Das LSG sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auch unter anderen Gesichtspunkten hat die Berufung keinen Erfolg. Eine Rückwirkung des am 10. Februar 2005 gestellten Antrages nach § 28 SGB X (vgl. hierzu BSG SozR 1300 § 28 Nr. 1) kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift gilt: Hat ein Leistungsberechtigter von der Stellung seines Antrages auf eine Sozialleistung abgesehen, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und wird diese Leistung versagt oder ist sie zu erstatten, wirkt der nunmehr nachgeholte Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist. Satz 1 gilt auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzungen unterlassen wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre. § 28 SGB X zielt damit auf den Schutz des Versicherten ab, der es im Hinblick auf die Geltendmachung einer konkurrierenden Sozialleistung unterlassen hat, die jetzt beanspruchte Sozialleistung geltend zu machen (vgl. dazu die Begründung zur Einführung dieser Vorschrift in BT-Drs. 8/4022, S. 81). Diese Konstellation liegt hier nicht vor. Weder hat es der Kläger im Hinblick auf die ihm zustehende Berufsunfähigkeitsrente unterlassen, die Leistungen nach dem SGB II zu beantragen, noch ist die Berufsunfähigkeitsrente abgelehnt worden oder im hier streitigen Zeitraum zu erstatten. Die bereits zum 1. November 1999 bewilligte Berufsunfähigkeitsrente ruhte lediglich bis 31. Oktober 2004 und kam ab 1. November 2004 wieder zur Auszahlung.

Auch über die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ist es vorliegend nicht möglich, eine rechtzeitige Antragstellung zu fingieren. Denn dies würde voraussetzen, dass die Antragstellung durch Umstände verzögert wurde, die der Sphäre der Beklagten zuzurechnen wären. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Arbeitsagentur hat den Kläger im November 2004 zwei Mal zur Antragsaufnahme eingeladen. Diesen Terminen ist der Kläger unentschuldigt fern geblieben. Auch wenn der Kläger nach den vorliegenden Unterlagen seit 2003 an Neuralgie, Herpes Zoster und einer mittelgradigen depressiven Episode leidet, ist nicht ersichtlich, dass es ihm bis zur Abreise nach U. nicht möglich gewesen sein sollte, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Dies gilt umso mehr, als der Antrag rechtsverbindlich auch formlos gestellt werden kann (Schoch in LPK - SGB II, 2. Auflage, § 37 Rdnr. 10). Dass die vom Kläger vorgesehene persönliche Vorsprache nach den Weihnachtsfeiertagen wegen der Erkrankung in U. und der damit verbundenen Reiseunfähigkeit des Klägers nicht stattfinden konnte, ist nicht der Beklagten anzulasten. Auch insoweit ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass der Kläger auch von U. aus einen Antrag hätte stellen können, beispielsweise schon durch Absenden einer Postkarte. Nach alledem besteht aufgrund der fehlenden Antragstellung kein Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar bis 9. Februar 2005.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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