S 2 R 4138/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 4138/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen die Bescheide vom 17.06.2005 und 17.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2006 wird abgewiesen.
II. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Verrechnung von Ansprüchen, insbesondere während eines Insolvenzverfahrens.

Der Kläger schuldet mehreren Sozialleistungsträgern rückständige Sozialversicherungsbeiträge, Umlagebeiträge, Säumniszuschläge, Mahngebühren sowie Vollstreckungsgebühren. Derzeit verrechnet die Beklagte Forderungen der Regionaldirektion B. (vormals Landesarbeitsamt B.) mit der gewährten vollen Erwerbsminderungsrente in Höhe von 276,94 Euro monatlich.

Der 55-jährige Kläger erhält von der Beklagten seit 01.06.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von ursprünglich 922,28 Euro netto monatlich.

Verschiedene Sozialleistungsträger (u.a. B. Ersatzkasse, Betriebskrankenkasse der P. H. AG, AOK B., Bauberufsgenossenschaft B. und S., Innungskrankenkasse T. und auch die Regionaldirektion B.) haben die Beklagte ermächtigt, ihre einziehbaren und nicht verjährten Forderungen wegen unterbliebener Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, Säumniszuschlägen und Zinsen mit Leistungen an den Kläger nach § 52 Sozialgesetzbuch Eins (SGB I) zu verrechnen.

Nach entsprechender Anhörung verrechnete die Beklagte mit Bescheid vom 17.06.2005 die laufende Rente mit dem von der Regionaldirektion B. geltend gemachten Forderungen von 14.550,75 Euro mit monatlich 428,34 Euro ab 01.08.2005. Aufgrund des klägerischen Widerspruches mit einer Bedarfaufstellung änderte die Beklagte mit Bescheid vom 17.08.2005 den Bescheid vom 17.06.2005 insoweit ab, als die Verrechnung gegen die laufende Rente auf monatlich 276,94 Euro reduziert wurde. Außerdem stellte die Beklagte fest, dass es bei der Verrechnung gegen die halbe Nachzahlung aus dem Bescheid vom 08.03.2005 in Höhe von 965,57 Euro verbliebe.

Der Kläger erhob gegen diese Verrechnung die Einrede der Verjährung und beanstandete, dass der vorgenommene Betrag der Verrechnung nicht nachvollziehbar sei. Er überreichte eine Aufstellung über seine monatlichen Einnahmen und Ausgaben und die seiner Ehefrau. Er überreichte eine bei der ARGE Landkreis A. eingeholte Bescheinigung zum notwendigen Einkommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, soweit ihm nicht durch Bescheid vom 17.08.2005 abgeholfen worden war. Die vorgenommene Verrechnung sei zulässig. Es handele sich um verrechenbare Forderungen nach § 51 Abs. 2 SGB I (geschuldete Sozialversicherungsbeiträge - Winterbau-Umlage) für den Zeitraum April 1997 bis August 1997 in Höhe von 14.550,75 Euro, zuzüglich weiterer Kosten, Zinsen und Säumniszuschlägen, die nachgewiesen, bestands- und rechtskräftig festgestellt worden seien. Die vom Kläger vorgelegte Aufstellung der monatlichen Ausgaben sei berücksichtigt worden. Der danach errechnete Betrag in Höhe von 740,62 Euro sei zur Hälfte anzusetzen, da die Ehefrau eigenes Einkommen erziele und sich angemessen an den laufenden Kosten zu beteiligen habe. Zuzüglich sei der Regelsatz eines Haushaltsangehörigen in Höhe von 273,00 Euro, laut Bescheinigung des Landratsamtes A. vom 03.06.2005, in Ansatz zu bringen. Für den Nachzahlungszeitraum der laufenden Rentenleistung brauche die Hilfebedürftigkeit nicht geprüft zu werden, da diese nicht rückwirkend eintreten könne. Die Verrechnung sei daher mit laufend monatlich 276,94 Euro sowie einmalig in Höhe von 965,67 Euro vorzunehmen.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (Eingang am 08.05.2006) erhoben. Zur Begründung der Klage hat er vollinhaltlich auf seine im Vor- bzw. Widerspruchsverfahren zugeleiteten Schreiben vom 31.05.2005, 28.06.2005, 01.09.2005 und 18.10.2005 Bezug genommen.

Die Beklagte hat einen Beschluss des Amtsgerichts A. - Insolvenzgericht - vom 09.02.2007 vorgelegt, wonach Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Vollziehung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung gegen den Kläger untersagt werden, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. Bereits begonnene Maßnahmen werden einstweils eingestellt, § 21 Abs. 2 Nr. 3 Insolvenzordnung.

Der Kläger stellt den Antrag: Die Bescheide vom 17.06.2005 und 17.08.2005 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2006 werden aufgeho ben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Kammer hat zum Verfahren die Akten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Würzburg (S 12 R 4250/03) beigezogen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogenen Akten und Unterlagen sowie auf den Inhalt der Klageakte Bezug zugenommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Sachlich konnte die Klage nicht zum Erfolg führen. Denn die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung ist nicht zu beanstanden.

Nach § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind.

Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird (§ 51 Abs. 2 SGB I).

Der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger kann mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 die Aufrechnung zulässig ist (§ 52 SGB I).

Bei der beanstandeten Verrechnung mit Forderungen der Regionaldirektion B. handelte es sich um Forderungen nach § 51 Abs. 2 SGB I, die bis zur Hälfte der gewährten Erwerbsminderungsrente verrechnet werden können, wenn der Kläger dadurch nicht hilfsbedürftig wird.

Nach dem nicht bestrittenen Vorbringen der Beklagten beträgt das Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau zusammen 1.639,34 Euro monatlich. Der Bedarf liegt bei 1.109,41 Euro monatlich. Die Differenz beträgt somit 529,93 Euro. Die mit Rentenbescheid vom 08.03.2005 gewährte Erwerbsminderungsrente ab 01.06.2004 wurde mit netto monatlich 922,28 Euro festgestellt. Die Hälfte dieses Betrages (461,14 Euro) liegt unterhalb der Differenz zwischen dem maßgeblichen Einkommen des Klägers und seinem Bedarf. Somit könnte die Beklagte monatlich 461,14 Euro einbehalten. Der monatliche Einbehalt beträgt jedoch lediglich 276,94 Euro, so dass die Beklagte nicht ihre Möglichkeit in vollem Umfang ausgeschöpft hat.

Die verrechnete Forderung der Regionaldirektion B. ist auch vorrangig gegenüber der Sicherungsabtretung des Klägers an seine Ehefrau vom 11.05.2005, da die Forderungen der Regionaldirektion B. vorher geltend gemacht wurden und einen früheren Zeitraum betreffen. Die Abtretung des Klägers an seine Ehefrau vom 03.01.1997 betrifft lediglich die Abtretung von Arbeitsentgelt und nicht die Abtretung einer Erwerbsminderungsrente.

Die Verrechnung wird auch nicht durch den Beschluss des Amtsgerichts A. - Insolvenzgericht - vom 09.02.2007 beeinflusst. Denn dieses dort ausgesprochene Vollstreckungsverbot schließt nicht nach § 394 BGB die Aufrechnung aus (vgl. Heidelberger Kommentar, Eickmann/Flessner/Hirschlinger Kirchhof/ Kräft/Landwehrmann/Marotzke, Insolvenzordnung, 1999 zu § 21 Rdnr. 21). Denn grundsätzlich berührt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung nicht. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass eine wirksame Aufrechnungslage im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes oder aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner vorliegt (vgl. Bimmer/Dauernheim/Wagner/Weidekind, Handbuch des Fachanwalts, Insolvenzrecht, 2. Auflage, 2006 S. 277, 3. Kapitel Rdnr. 60).

Das Bundessozialgericht (Urteil vom 15.12.1994, 12 RK 85/92) hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Konkursordnung einer Verrechnung nach § 28 Nr. 1 SGB IV während des Konkursverfahrens nichts entgegensteht, wenn die verrechneten Ansprüche auf Beitragserstattung und auf rückständige Beiträge vor der Eröffnung des Konkursverfahrens entstanden sind. Denn die Vorschriften der Konkursordnung (nach Auffassung der Kammer auch der Insolvenzordnung) erklärt lediglich die Aufrechnung gegen bzw. mit Forderungen, die nach Eröffnung des Konkursverfahrens bzw. in Kenntnis der Zahlungsschwierigkeiten entstanden sind oder erworben wurden, während des Konkursverfahrens für unzulässig.

Nach einer anderen Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 15.12.1994 (12 RK 69/03) kann ein Sozialleistungsträger während des Konkursverfahrens mit dem auf ihn übergegangenen Anspruch gegen einen Beitragserstattungsanspruch aufrechnen, ohne dass die Aufrechnungsbefugnis durch die Vorschriften der Konkursordnung eingeschränkt wird.

Da § 52 SGB I eine Verrechnung zulässt, soweit nach § 51 die Aufrechnung zulässig ist, macht der Gesetzgeber keinen Unterschied zwischen Aufrechnung mit eigenen Ansprüchen und Verrechnung mit Ansprüchen anderer Leistungsträger.

Wenn das Bayerische Oberste Landgericht in seinem Beschluss vom 10.04.2001 ausführt, dass der zu Gunsten eines Sozialleistungsträgers vorgesehene Schutz einer Aufrechnungslage nicht den Schutz einer Verrechnungslage beinhalte und somit der Sozialleistungsträger mit eigenen Gegenansprüchen, nicht aber mit solchen eines Dritten gegen den Anspruch auf laufende Bezüge aufrechnen könne, so entspricht dies nicht der Intention des Gesetzgebers in § 52 SGB I und auch nicht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

Auch die Einrede der Verjährung geht ins Leere, denn die Verjährungsfrist beträgt 30 Jahre.

Nach § 25 SGB IV verjähren Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die Säumniszuschläge berechnen sich nach § 24 SGB IV.

Spätestens durch die Bescheide der Agentur für Arbeit A. vom 18.02.1998 bis 28.12.1999, die beständskräftig sind, wusste der Kläger um seine Leistungspflicht. Deshalb geht die Kammer davon aus, dass der Kläger die Beiträge vorsätzlich vorenthalten hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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