L 19 AS 301/07 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 17 AS 32/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 AS 301/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag des Antragstellers vom 13. Februar 2007, die Vollziehung aus dem Tenor zu 1 des Beschlusses des Sozialgerichts Neuruppin vom 05. Februar 2007 bezüglich des Leistungszeitraumes 03. Januar bis 18. Januar 2007 auszusetzen, wird abgelehnt. 2. Der Antragsteller hat der Antragsgegnerin die außer-gerichtlichen Kosten des Verfahrens nach § 199 Abs. 2 SGG zu erstatten. 3. Der Antragsgegnerin wird Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin A L für das Verfahren wegen Vollziehungsaussetzung im zweiten Rechtszug bewilligt.

Gründe:

Die Beschwerde vom 13. Februar 2007 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 05. Februar 2007 hat - abgesehen von hier nicht gegebenen Ausnahmen - keine aufschiebende Wirkung (§ 175 Satz 1 SGG).

Die Ermessensaussetzung nach § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG beruht auf einer Interessenabwägung. Zu berücksichtigen ist einerseits das Vollziehungsinteresse des Vollstreckungsgläubigers, andererseits das Interesse des Vollstreckungsschuldners daran, nicht vor endgültiger Klarstellung der Rechtslage leisten zu müssen.

Dabei kann eine Rolle spielen, ob das in der Zwischenzeit auf den Titel Geleistete nach dessen Aufhebung eingetrieben werden könnte. Auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, hier der Beschwerde, sind im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 8. Auflage 2005, § 199 Rz. 8 m. w. N.).

Vor diesen Grundsätzen kann der Antrag keinen Erfolg haben:

Zutreffend dürfte der Ansatz des Sozialgerichts sein, die - im Ausgangspunkt auf den jeweilig in Betracht kommenden Personenkreis der Ausländer zu beziehende - leistungsausschließende Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 n. F. (BGBl I S. 2014, mit Wirkung vom 01. April 2006 in Kraft) im Lichte des Freizügigkeitsgesetzes/EU - FreizügG/EU - vom 30. Juli 2004, in Kraft ab 01. Januar 2005, zu interpretieren, soweit es wie hier die Grundsicherungsleistungen einer französischen Staatsangehörigen anbetrifft. Die von dem Antragsteller (Ast.) in Bezug genommene Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales - 11. Ausschuss - zu der neuen Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II - BT-Drucksache 16/688 S. 13 gibt hier in seinem besonderen Teil zur Nr. 2 (§ 7) einen Hinweis: Danach lehne sich der Wortlaut von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II erste Alternative (Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche) an § 2 des FreizügG/EU an. Nur in den Fällen, in denen sich das Aufenthaltsrecht ausschließlich auf den Grund "zur Arbeitssuche" (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 zweite Alternative) stütze, seien EU-Bürger vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen.

Nicht vom Ausschluss sollte danach erfasst sein, wer als EU-Bürger durch eine Vorbeschäftigung in Deutschland "Arbeitnehmerstatus" erlangt habe.

Vorderhand ist nicht ersichtlich, dass die bisher einmalige, versicherungspflichtige Vorbeschäftigung der Antragsgegnerin (Agg.), welche offenbar mit ihrem früheren französischen Lebensgefährten eingereist und seit dem 15. August 2002 im Bundesgebiet aufhältlich ist, in der Zeit vom 18. Mai bis 28. Mai 2006 für den Erwerb des Arbeitnehmerstatus nicht hinreichend sein soll. Nach den sich in den Verwaltungsakten befindlichen Unterlagen handelte es sich dabei um ein auf diese Dauer von vornherein befristetes Probearbeitsverhältnis als Verkaufshilfe bei einem markteingeführten Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen (r). Die im Beschwerdeverfahren erstmals vorgetragene Annahme des Ast., die Agg. habe damit nicht gezeigt, dass sie sich als Arbeitnehmerin in abhängiger Erwerbstellung am Wirtschaftsleben beteiligen wolle und könne daher nicht in den Genuss der EU-Freizügigkeitsregelungen kommen, erscheint fürs erste wenig plausibel. Jedenfalls gibt es keinen Hinweis darauf, es sei hier ein Arbeitsverhältnis in wirtschaftlich völlig unbedeutendem Umfange begründet worden, etwa ohne die Absicht, sich damit eine Sicherung des Lebensunterhalts zu verschaffen. Vielmehr dürften die - typisierten und generalisierten - Arbeitsbedingungen in dem Formvordruck des Arbeitnehmerüberlassers darauf hindeuten, dass dieser die für das Probeverhältnis typischen Arbeitsbedingungen der Agg. vorgegeben hat. Die Arbeitsleistung war bei verschiedenen r-Kunden und an verschiedenen Einsatzorten in der Regel im Gebiet B zu erbringen. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit betrug 49 Stunden. Das Tarifentgelt pro Stunde betrug 6,07 Euro gemäß den Regelungen des Branchentarifvertrages (vgl. Anlage 1 zum Arbeitsvertrag, Bl. 27 der Verwaltungsakte). Seiner formellen Aufmachung nach dürfte das Arbeitsverhältnis auf Probe so angelegt gewesen sein, dass es mit gleichen Bedingungen in eine Dauerbeschäftigung bei dem Arbeitnehmerüberlasser hätte einmünden können.

Hat die Agg. des hiesigen Verfahrens aber Arbeitnehmerstatus im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 erste Alternative FreizügG/EU erlangt, dürfte sie - initial aufhaltensrechtlich - in den Genuss von § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU kommen: Diese Norm dürfte für jene EU-Bürger, die Arbeitnehmerstatus "erlangt" haben, ein unbefristetes Aufenthaltsrecht bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit vorsehen. Damit wiederum korrespondiert die o. g. Begründung in der Drucksache 16/688 S. 13: Diese Arbeitnehmer dürften danach von dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht erfasst sein.

Demgegenüber hat das Schuldnerinteresse nur Mindergewicht: Dies folgt aus dem geringfügigen Leistungszeitraum von 16 Tagen, welcher einzig im Streit ist. Im Übrigen gibt es keinen Hinweis darauf, dass die streitige Forderung schon jetzt als gänzlich uneinbringlich zu beurteilen wäre, denn der Antragsteller ist gerade für die arbeitsmarktliche Reintegration auch der Agg. - sobald und sofern die vorrangige Betreuung des zu erwartenden Kindes ihr dies erlaubt - zuständig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog (Meyer-Ladewig, a. a. O., Rz. 7 c). Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe folgt aus § 73 a SGG i. V. m. den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtskraft
Aus
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