Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 28/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. März 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die vielfältigen Beschwerden der Klägerin Ausdruck einer durch Arbeitsstoffe verursachten Erkrankung sind, die als Berufskrankheit anzuerkennen ist und die Klägerin wegen der Folgen dieser Berufskrankheit Anspruch auf Verletztenrente hat.
Im Juni 1986 erfolgte die Anzeige über eine Berufskrankheit durch die seit Ende 1976 bis zur Arbeitsunfähigkeit ab März 1986 bzw. Arbeitslosigkeit ab 30. Dezember 1986 und dann nochmals vom Mitte April bis Mitte Mai 1987 als freiberufliche Grafikerin tätige Klägerin (zuvor Grafikerin in abhängiger Beschäftigung oder in freien Mitarbeitsverhältnissen seit November 1969). Mit Wirkung vom 1. Januar 1985 wurde sie als Mitglied der Beklagten aufgenommen (Schreiben vom 9. Oktober 1986; später berichtigt auf den 1. Dezember 1984, Schreiben vom 2. Dezember 1986). Mit Schreiben vom 22. November 1986 nahm die Klägerin ihren "Antrag auf Entschädigung" zurück. Daraufhin stellte die Beklagte alle Ermittlungen ein (Schreiben vom 1. Dezember 1986). Unter dem 26. November 1986 erfolgte die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit durch die Ärzte für Allgemeinmedizin Dres. G ... Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 9. März 1988 um Wiederaufnahme des Verfahrens gebeten hatte, führte die Beklagte ihre unterbrochenen Ermittlungen weiter.
Der staatliche Gewerbearzt Z. führte in seiner Stellungnahme vom 6. Januar 1989 aus, bei der Klägerin lägen diffuse uncharakteristische Befunde vor, für die trotz vielfältiger Untersuchungen eine befriedigende Diagnose nicht habe gefunden werden können. Hieraus ergebe sich jedoch kein begründeter Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit. Insbesondere spreche auch eine Verschlechterung der Symptomatik während eines Italienaufenthalts gegen einen Zusammenhang mit beruflichen Stoffen.
Nach Untersuchung der Klägerin kam der Arbeitsmediziner Prof. Dr. S. im Gutachten vom 13. Februar 1990 zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der beruflichen Einwirkung überwiegend nicht sehr großer Mengen an Lösemitteln nicht wahrscheinlich zu machen sei. Zum einen seien Symptome, wie sie bei einer Exposition mit den angeschuldigten Substanzen zu erwarten gewesen seien, nicht festgestellt worden. Zum anderen seien die unspezifischen Allgemeinsymptome hinreichend als durch die vorliegenden Blutdruckverhältnisse, durch allergische Reaktionen und durch ein irritables Colon hervorgerufen zu erklären. Die häufigen Darmbeschwerden stünden in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit Auslandsreisen.
Unter Verweis auf die Stellungnahme des staatlichen Gewerbearztes und das Gutachten von Prof. Dr. S. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. März 1990 die Anerkennung einer zu entschädigenden Berufskrankheit ab. Die umfangreichen ärztlichen Untersuchungen hätten keinen Befund erbracht, der den Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheitenverordnung begründen könne.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin mit Schreiben vom 23. April 1990 (Eingang beim Gericht 27. April 1990) Klage erhoben.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Facharzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Dr. P. im Gutachten vom 23. März 1993 (in der Fassung der Korrektur vom 6. April 1993) ausgeführt, die Klägerin sei im Verlauf ihres Arbeitslebens in nicht quantifizierbarem Umfang verschiedenen Lösemitteln über die Atemluft und über den Hautkontakt ausgesetzt gewesen. Außerdem habe sie Kontakt zu hautsensibilisierenden Fotochemikalien gehabt. Hierdurch könne eine toxische Enzephalopathie hervorgerufen worden sein. Allerdings fehle bisher eine neuro-psychiatrische Untersuchung mit psychometrischer Testung zur Feststellung, ob eine solche Erkrankung vorliege. Weiter könne eine beruflich bedingte Latexallergie bestehen. Auch insoweit stehe die Testung noch aus. Es fehle auch eine lungenärztlich-allergologische Provokationstestung zur Feststellung, ob eine Latexallergie-bedingte obstruktive Atemwegserkrankung vorliege. Ohne die noch ausstehenden Untersuchungen könne eine abschließende gutachterliche Einschätzung nicht vorgenommen werden.
Nach Einholung einer Reihe von ärztlichen Berichten und Durchführung der angeregten Allergietestung hat Dr. P. in der ergänzenden Stellungnahme vom 25. Mai 1994 festgestellt, dass nach dem Ergebnis der Allergietestung eine Latexallergie nicht vorliege und damit auch eine hierdurch bedingte Atemwegserkrankung ausscheide. Die vom behandelnden Internisten Dr. W1 beschriebenen Befindlichkeitsstörungen und Beschwerden ließen sich nicht mit einer neurotoxisch bedingten Enzephalopathie in Verbindung bringen. Die von der Klägerin verfasste Beschwerdeliste passe auch in keiner Weise zu dem klinischen Bild einer Lösemittelenzephalopathie. Es handele sich vielmehr um eine ausgeprägte psychosomatische Störung bzw. um eine Somatisierungsstörung. Zu denken wäre auch an ein MCS-Syndrom (Multiple Chemical Sensivity Syndrome). Für eine berufliche Verursachung der zuletzt genannten Erkrankung gebe es bisher keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. In seiner weiteren Stellungnahme vom 22. August 1994 hat Dr. P. nochmals seine Auffassung dargelegt und ergänzend darauf hingewiesen, dass von einer Lösemittelexposition in toxikologisch relevantem Umfang ausgegangen werden könne.
Der Nervenarzt Dr. B. hat in seinem gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachten vom 25. April 1998 das Vorliegen einer Polyneuorpathie, einer Myopathie, einer Ataxie, eines Tremors, einer schweren Leistungs- und Wesensänderung sowie einer zunehmenden chemischen Überempfindlichkeit nach langjähriger toxischer Exposition in der beruflichen Tätigkeit diagnostiziert. Sämtliche Erkrankungen seien beruflich bedingt. Es liege eine Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vor. Seit Aufgabe der beruflichen Tätigkeit betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 100 % (davor seit Mitte der 80-iger Jahre 30 bis 40 %). Im Zusatzgutachten vom 5. Juni 1998 kommt der Diplompsychologe K. zu dem Ergebnis, die testpsychologischen Verfahren zeigten eine recht deutliche kognitive Leistungsminderung und eine cerebrale Insuffizienz. Das Testergebnis möge zwar durch eine depressive Symptomatik negativ beeinflusst worden sein, jedoch sei eine ausschließlich depressionsbedingte Leistungsminderung äußerst unwahrscheinlich.
In seiner weiteren Stellungnahme vom 8. Februar 2000 hat Dr. P. dargelegt, der Befundbericht des Fachkrankenhauses N. vom 22. Februar 1995 bestätige seine bisherige Einschätzung, dass (neben einer allergischen Diathese und einer reaktiven Depression) ein MCS-Syndrom vorliege. Die im Zusatzgutachten des Diplompsychologen K. dargelegten Untersuchungen zeigten eine deutliche Diskrepanz zwischen dem hohen Intelligenzniveau und dem relativ niedrigen Leistungsspektrum in den Bereichen Kurzzeitgedächtnis, Informationsverarbeitungskapazität sowie konzentrative Belastbarkeit. So etwas sei mit einer toxischen Enzephalopathie zwar vereinbar, jedoch für diese Erkrankung nicht typisch. Seiner Auffassung nach liege keine Enzephalopathie vor, denn die Klägerin beschreibe selbst, dass die von ihr wahrgenommenen Leistungseinschränkungen sehr von ihrem Gesamtbefinden abhingen. Solche Schwankungen dürften bei einer toxischen Enzephalopathie nicht feststellbar sein, deuteten vielmehr auf eine primär psychogene Ursache. Außerdem sei die Untersuchung elf Jahre nach Expositionsende durchgeführt worden und unterstellt, es liege eine toxische Enzephalopathie vor, hätte diese im Zeitablauf in ihrer Auswirkung eher abnehmen müssen, so dass ursprünglich eine außergewöhnlich hohe Exposition mit Lösemittel vorgelegen haben müsste, für die es keinen Anhalt gebe. Die dokumentierte Lösemittelbelastung erscheine allenfalls geeignet, eine toxische Enzephalopathie des Schweregrades I hervorzurufen, die in der Regel nach zwei Jahren ausgeheilt sei. Zu dem passe der Krankheitsverlauf nicht zu einer toxischen Enzephalopathie, denn bis 1990 habe sich die Erkrankung progredient entwickelt, danach sei es zu einer deutlichen Besserung gekommen mit Symptomfreiheit im Jahre 1992 und seit April 1993 seien wieder Beschwerden mit kontinuierlicher Verschlechterung aufgetreten. Darüber hinaus sei das geklagte Beschwerdebild außergewöhnlich komplex und die Symptome vielfältig, insbesondere mit der Auslösung gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch eine Vielzahl von Alltagsgegenständen und –materialien.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. März 2001 abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt. Wegen eines bei ihr vom behandelnden Arzt F. festgestellten Enzymdefektes sei der Entgiftungsprozess im Körper behindert und das Entstehen einer toxischen Enzephalopathie sehr plausibel. Außerdem gebe es neue Erkenntnisse in der medizinischen Wissenschaft, die es erforderlich machten, dass weitere Gutachten zur Frage des Vorliegens einer Berufskrankheit bei der Klägerin eingeholt werden müssten. Zur Unterstützung ihres Vorbringens hat die Klägerin das Attest ihres behandelnden Arztes F. vom 12. Januar 2004 sowie dessen Stellungnahme vom 17. Januar 2004, die Bescheinigung des behandelnden Internisten Dr. N1. vom 27. Juni 2005 und den Bericht über Klebestoff- und Lösemittelanalysen der W1. C. GmbH vom 24. Juni 1987 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. März 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. März 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Klägerin eine toxische Enzephalopathie/Polyneuropathie und/oder ein MCS-Syndrom als Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung bzw. nach § 551 Abs. 2 RVO anzuerkennen und Verletztenrente zu gewähren, hilfsweise nach § 109 SGG ein ärztliches Gutachten bei Prof. H. nebst nervenärztlichen Zusatzgutachten zu der Frage, ob bei der Klägerin eine beruflich bedingte Schädigung des zentralen Nervensystems (Enzephalopathie/Polyneuropathie o. ä.) vorliegt, einzuholen, hilfshilfsweise die Einholung eines neuropsychologischen Gutachtens/Testung hinsichtlich des Vorliegens einer Schädigung des zentralen Nervensystems/Enzephalopathie der Klägerin.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist weiter der Auffassung, ihr ablehnender Bescheid sei nicht zu beanstanden.
Im Berufungsverfahren ist nach Vertagung des Verhandlungstermins vom 20. Januar 2004 der Neurologe/Psychiater Dr. L. im Gutachten vom 25. August 2006 zu der Feststellung gelangt, bei der Klägerin bestehe seit dem Ende der 80er Jahre ein vielgestaltiges Beschwerdebild mit einer umfassenden Befindlichkeitsstörung nahezu aller Organsysteme einschließlich von Symptomen, die auf eine Beteiligung des zentralen oder peripheren Nervensystems und der Muskulatur hinweisen könnten. Weder sei eine toxische Enzephalopathie nachzuweisen, noch liege ein MCS-Syndrom vor, denn die Beschwerden gingen weit über Beschwerden im Rahmen eines MCS-Syndroms hinaus. Nach jetzigem Kenntnisstand sei eine berufliche Verursachung nicht anzunehmen. Es sei jedoch sinnvoll arbeitsmedizinisch klären zu lassen, ob die Exposition mit beruflichen Schadstoffen ihrer Höhe nach geeignet zur Auslösung einer toxischen Enzephalopathie sei. Weiterhin wird eine neuropsychologische Testung empfohlen. Die im Gutachten Dr. B. diagnostizierten Erkrankungen Ataxie, Myopathie, Neuropathie und Tremor lägen hingegen nicht vor. Es fänden sich insoweit völlig unauffällige neurologische und neurophysiologische Befunde.
Nachdem der Senat das gegen Dr. P. gerichtete Ablehnungsgesuch der Klägerin mit Beschluss vom 20. Februar 2007 zurückgewiesen hat, ist dieser im Gutachten vom 30. März 2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass auch die behandelnden Ärzte F. und Dr. N1. das Vorliegen einer toxischen Enzephalopathie nicht belegen könnten. Es sei weiter am ehesten von einem MCS-Syndrom auszugehen. Eine berufliche Verursachung sei weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung überwiegend wahrscheinlich. Weitere Studien zu den Ursachen des MCS-Syndroms hätten bisher keine eindeutigen Erkenntnisse zur Ätiologie und Pathogenese ergeben. Übereinstimmung bestehe nur insoweit, als es sich um ein multifaktoriell bedingtes Leiden handele. Weitere Ermittlungen und Einschätzungen zum Umfang der beruflich bedingten Schadstoffbelastung seien nicht erforderlich. Eine erneute neuropsychologische Testung könne keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 22. Mai 2007 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Vorliegens einer toxischen Enzephalopathie als Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV oder nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), weil bereits das Vorliegen einer Enzephalopathie nicht festgestellt werden kann. Ein MCS-Syndrom ist ebenfalls nicht als Berufskrankheit anzuerkennen, weil es bisher an ausreichenden medizinischen Erkenntnissen zu den Ursachen einer solchen Erkrankung fehlt und es deswegen kein Anhalt für eine durch berufliche Schadstoffe bedingten Entstehung oder Verschlimmerung gibt. Damit scheidet auch die Gewährung von Verletztenrente aus.
Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der RVO Anwendung, weil ein Versicherungsfall aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).
Der Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung setzt das Vorliegen einer Berufskrankheit voraus (§§ 547, 551 Abs. 1 RVO). Berufskrankheiten sind die in der Anlage zur BKV aufgeführten Krankheiten, die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Voraussetzung für das Vorliegen einer Berufskrankheit ist, dass die schädigende Einwirkung ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (sog. haftungsbegründende Kausalität) und die schädigende Einwirkung die Krankheit wesentlich (mit-) verursacht hat (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Während die einzelnen Glieder dieser Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung, Gesundheitsschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, genügt für den Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d. h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen. Allerdings reicht die bloße Möglichkeit eines Zusammenhanges nicht aus. Gemäß § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfalle eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.
Zu den Berufskrankheiten zählen nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die sonstigen Voraussetzungen vorliegen, denn die geltend gemachten Ansprüche auf Anerkennung und Entschädigung einer toxischen Enzephalopathie scheitern daran, dass sich das Vorliegen einer Enzephalopathie nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen lässt. Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. P. und Dr. L. passen die bei der Klägerin vorliegenden Symptome nicht nur zu einer Enzephalopathie, sondern auch zu anderen Erkrankungen wie einer ausgeprägten psychosomatischen Störung, einer Somatisierungsstörung bzw. eines MCS-Syndroms, wobei nach Auffassung von Dr. P. letzteres am wahrscheinlichsten sei. Weder die durchgeführten Testverfahren noch die SPECT-Untersuchung oder der "Enzymdefekt" können das Vorliegen einer Enzephalopathie beweisen. Der Senat folgt mit Dr. P. nicht der von der allgemeinen Auffassung in der medizinischen Wissenschaft abweichenden Meinung des behandelnden Arztes F., die SPECT-Untersuchung habe einen Aussagewert für die Funktionsfähigkeit des Gehirns als Organ. Vielmehr lässt sich mit ihr allenfalls die Aktivität bestimmter Gehirnregionen im Moment der Untersuchung belegen. Damit lässt sie keine verlässlichen Schlussfolgerungen auf eine Hirnerkrankung zu. Mit den durchgeführten Tests kann nur ein Bild der vorliegenden (größtenteils vom Probanten angegebenen, für den Tester nicht sicher überprüfbaren) Befindlichkeitsstörungen und ggfs. der einzelnen Fähigkeiten (wie Gedächtnisleistung) gezeichnet werden. Von einem "Enzymdefekt" kann schon nicht gesprochen werden, sondern es handelt sich um eine Normvariante, deren Auswirkung in der medizinischen Wissenschaft noch in weiten Teilen unerforscht ist. Deswegen folgt der Senat auch nicht der Behauptung des behandelnden Arztes F., der "Enzymdefekt" beweise das Vorliegen einer Enzephalopathie. Gestützt wird die Auffassung Dr. P.’s, es liege am ehesten ein MCS-Syndrom vor, durch die gleichlautende Diagnose im Befundbericht des Fachkrankenhauses N. vom 22. Februar 1995 sowie die Annahme einer Lösemittelsensibilisierung durch den behandelnden Arzt Dr. N1 ... Gegen das Vorliegen einer Enzephalopathie sprechen weiter der Krankheitsverlauf, sowie die Schwankungen in den Beschwerden und ihre Auslösbarkeit durch alltägliche Situationen, wie Dr. P. überzeugend dargelegt hat. Des Weiteren gehen – wie Dr. L. und Dr. P. anschaulich darlegen – Umfang und Verschiedenartigkeit der Symptome weit über das hinaus, was eine Enzephalopathie kennzeichnet.
Unterstellt, Dr. B. wolle unter dem Begriff einer "schweren Leistungs- und Wesensänderung" eine Enzephalopathie beschreiben, folgt der Senat dieser Einschätzung nicht. Weder in diesem Punkt noch in seinen sonstigen Ausführungen kann das Gutachten von Dr. B. überzeugen. Ihm fehlt bereits jede Begründungsangabe. Weder sind die Diagnosen nachvollziehbar aus Befunden hergeleitet, noch die Einschätzungen argumentativ begründet worden.
Unabhängig davon, dass eine Enzephalopathie bereits nicht festgestellt werden kann, würde die Anerkennung und Entschädigung einer solchen Erkrankung auch an der fehlenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges zwischen schädigender Einwirkung und Gesundheitsstörung scheitern. Außer dem Umstand, dass die Exposition hinsichtlich Art und Umfang wohl ausreichend hoch zum Auslösen einer Enzephalopathie gewesen ist, spricht nichts für einen Ursachenzusammenhang. Gegen einen solchen Zusammenhang spricht die Krankheitsgeschichte, denn – wie insbesondere Dr. P. ausführlich und überzeugend darlegt – es gab mehrere Phasen der Besserung und Verschlechterung der Symptomatik, bei denen schon ein zeitlicher Zusammenhang mit einer Schadstoffeinwirkung fehlt und die in einem zeitlichen Zusammenhang mit Auslandsaufenthalten sowie der allgemeinen psychischen Befindlichkeit der Klägerin standen, so dass hierfür andere Ursachen als die berufliche Belastung mit bestimmten Schadstoffen wahrscheinlicher zu machen sind.
Selbst wenn der Senat entgegen der Auffassung Dr. L.’s das Vorliegen eines MCS-Syndroms annehmen würde, wäre diese Erkrankung nicht als Berufskrankheit anzuerkennen oder zu entschädigen. Der Senat schließt sich den Ausführungen von Dr. P. an, wonach die Ursachen einer solchen Erkrankung bis heute weitgehend unbekannt sind. Eine Zuordnung zu beruflich bedingten Ursachen ist daher nicht möglich. Da es hinsichtlich der Ursachen nur Annahmen und nicht belegte Thesen gibt, kann dahin gestellt bleiben, welche Anforderungen an neue medizinische Erkenntnisse zu stellen sind, um die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung nach § 551 Abs. 2 RVO zu begründen.
Das Vorliegen einer Polyneuropathie kann ebenfalls nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Außer in dem Gutachten Dr. B. und im jetzt vorgelegten Bericht des Neurologen/Psychiaters Dr. R. vom 24. April 1996 stellt kein Gutachter eine derartige Erkrankung fest. Dr. L. schließt ihr Vorliegen ausdrücklich aus und weist darauf hin, dass auch eine Untersuchung bei Dr. R1. im Jahre 1986 (Bericht an Dr. P1. vom 30. Mai 1986) unauffällige Nervenleitgeschwindigkeiten des Nervus medianus und der Kernmuskeln der Arme beiderseits ergeben habe. Dieser Einschätzung folgt der Senat schon deshalb, weil Dr. B. für seine gegenteilige Einschätzung keinerlei Begründung angibt und die Diagnose einer Polyneuropathie im Bericht von Dr. R. nicht durch entsprechende Befunde belegt wird.
Den Hilfsanträgen der Klägerin war nicht stattzugeben. Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag u. a. des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung mehrerer Ärzte kommt grundsätzlich nur ausnahmsweise in Betracht und setzt stets besondere Gründe voraus (vgl. Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, Rdnr. 4a zu § 109 m. w. N.). Vorliegend hat die Klägerin keine Gründe vorgetragen und solche sind auch nicht sonst ersichtlich, die eine weitere Anhörung eines Arztes ihres Vertrauens – nachdem in der ersten Instanz bereits Dr. B. ein Gutachten gemäß § 109 SGG erstattet hat – rechtfertigen. Dem Antrag auf erneute Durchführung einer neuropsychologischen Testung war ebenfalls nicht stattzugeben. Der Senat folgt Dr. P., der eine solche Testung – trotz des umstrittenen Ergebnisses der ersten von Dr. K. durchgeführten Testung – nicht für erforderlich, sondern alle Fragestellungen für ausreichend geklärt hält. Zwar hat der Senat in einer anderen personellen Zusammensetzung eine Begutachtung durch einen Neurologen/Psychiater mit neuropsychologischer Testung veranlasst, jedoch hat Dr. L. dieser Testung bei Dr. B1. wegen fehlender Bereitschaft der Klägerin nicht durchführen lassen können. Er gibt in seinem Gutachten noch die Notwendigkeit einer solchen Testung neben der Erforderlichkeit eines arbeitsmedizinischen Gutachtens an. Dr. P. führt jedoch überzeugend aus, dass eine Testung mit der Feststellung aktueller Befunde zur kognitiven Leistungsfähigkeit und zu ggf. vorhandenen Persönlichkeitsveränderungen ca. 20 Jahre nach Ende der Exposition keinen Erkenntnisgewinn bringen könne. Vorliegend ist darüber hinaus – selbst unterstellt, eine neuropsychologsiche Testung könne ein bereits früher vorhandenes kognitives Defizit belegen – eine erneute Testung schon deswegen nicht erforderlich, weil es – wie oben ausgeführt – nicht nur am Vorliegen einer Enzephalopathie fehlt, sondern auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges mit einer beruflichen Schadstoffexposition vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die vielfältigen Beschwerden der Klägerin Ausdruck einer durch Arbeitsstoffe verursachten Erkrankung sind, die als Berufskrankheit anzuerkennen ist und die Klägerin wegen der Folgen dieser Berufskrankheit Anspruch auf Verletztenrente hat.
Im Juni 1986 erfolgte die Anzeige über eine Berufskrankheit durch die seit Ende 1976 bis zur Arbeitsunfähigkeit ab März 1986 bzw. Arbeitslosigkeit ab 30. Dezember 1986 und dann nochmals vom Mitte April bis Mitte Mai 1987 als freiberufliche Grafikerin tätige Klägerin (zuvor Grafikerin in abhängiger Beschäftigung oder in freien Mitarbeitsverhältnissen seit November 1969). Mit Wirkung vom 1. Januar 1985 wurde sie als Mitglied der Beklagten aufgenommen (Schreiben vom 9. Oktober 1986; später berichtigt auf den 1. Dezember 1984, Schreiben vom 2. Dezember 1986). Mit Schreiben vom 22. November 1986 nahm die Klägerin ihren "Antrag auf Entschädigung" zurück. Daraufhin stellte die Beklagte alle Ermittlungen ein (Schreiben vom 1. Dezember 1986). Unter dem 26. November 1986 erfolgte die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit durch die Ärzte für Allgemeinmedizin Dres. G ... Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 9. März 1988 um Wiederaufnahme des Verfahrens gebeten hatte, führte die Beklagte ihre unterbrochenen Ermittlungen weiter.
Der staatliche Gewerbearzt Z. führte in seiner Stellungnahme vom 6. Januar 1989 aus, bei der Klägerin lägen diffuse uncharakteristische Befunde vor, für die trotz vielfältiger Untersuchungen eine befriedigende Diagnose nicht habe gefunden werden können. Hieraus ergebe sich jedoch kein begründeter Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit. Insbesondere spreche auch eine Verschlechterung der Symptomatik während eines Italienaufenthalts gegen einen Zusammenhang mit beruflichen Stoffen.
Nach Untersuchung der Klägerin kam der Arbeitsmediziner Prof. Dr. S. im Gutachten vom 13. Februar 1990 zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der beruflichen Einwirkung überwiegend nicht sehr großer Mengen an Lösemitteln nicht wahrscheinlich zu machen sei. Zum einen seien Symptome, wie sie bei einer Exposition mit den angeschuldigten Substanzen zu erwarten gewesen seien, nicht festgestellt worden. Zum anderen seien die unspezifischen Allgemeinsymptome hinreichend als durch die vorliegenden Blutdruckverhältnisse, durch allergische Reaktionen und durch ein irritables Colon hervorgerufen zu erklären. Die häufigen Darmbeschwerden stünden in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit Auslandsreisen.
Unter Verweis auf die Stellungnahme des staatlichen Gewerbearztes und das Gutachten von Prof. Dr. S. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. März 1990 die Anerkennung einer zu entschädigenden Berufskrankheit ab. Die umfangreichen ärztlichen Untersuchungen hätten keinen Befund erbracht, der den Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheitenverordnung begründen könne.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin mit Schreiben vom 23. April 1990 (Eingang beim Gericht 27. April 1990) Klage erhoben.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Facharzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Dr. P. im Gutachten vom 23. März 1993 (in der Fassung der Korrektur vom 6. April 1993) ausgeführt, die Klägerin sei im Verlauf ihres Arbeitslebens in nicht quantifizierbarem Umfang verschiedenen Lösemitteln über die Atemluft und über den Hautkontakt ausgesetzt gewesen. Außerdem habe sie Kontakt zu hautsensibilisierenden Fotochemikalien gehabt. Hierdurch könne eine toxische Enzephalopathie hervorgerufen worden sein. Allerdings fehle bisher eine neuro-psychiatrische Untersuchung mit psychometrischer Testung zur Feststellung, ob eine solche Erkrankung vorliege. Weiter könne eine beruflich bedingte Latexallergie bestehen. Auch insoweit stehe die Testung noch aus. Es fehle auch eine lungenärztlich-allergologische Provokationstestung zur Feststellung, ob eine Latexallergie-bedingte obstruktive Atemwegserkrankung vorliege. Ohne die noch ausstehenden Untersuchungen könne eine abschließende gutachterliche Einschätzung nicht vorgenommen werden.
Nach Einholung einer Reihe von ärztlichen Berichten und Durchführung der angeregten Allergietestung hat Dr. P. in der ergänzenden Stellungnahme vom 25. Mai 1994 festgestellt, dass nach dem Ergebnis der Allergietestung eine Latexallergie nicht vorliege und damit auch eine hierdurch bedingte Atemwegserkrankung ausscheide. Die vom behandelnden Internisten Dr. W1 beschriebenen Befindlichkeitsstörungen und Beschwerden ließen sich nicht mit einer neurotoxisch bedingten Enzephalopathie in Verbindung bringen. Die von der Klägerin verfasste Beschwerdeliste passe auch in keiner Weise zu dem klinischen Bild einer Lösemittelenzephalopathie. Es handele sich vielmehr um eine ausgeprägte psychosomatische Störung bzw. um eine Somatisierungsstörung. Zu denken wäre auch an ein MCS-Syndrom (Multiple Chemical Sensivity Syndrome). Für eine berufliche Verursachung der zuletzt genannten Erkrankung gebe es bisher keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. In seiner weiteren Stellungnahme vom 22. August 1994 hat Dr. P. nochmals seine Auffassung dargelegt und ergänzend darauf hingewiesen, dass von einer Lösemittelexposition in toxikologisch relevantem Umfang ausgegangen werden könne.
Der Nervenarzt Dr. B. hat in seinem gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachten vom 25. April 1998 das Vorliegen einer Polyneuorpathie, einer Myopathie, einer Ataxie, eines Tremors, einer schweren Leistungs- und Wesensänderung sowie einer zunehmenden chemischen Überempfindlichkeit nach langjähriger toxischer Exposition in der beruflichen Tätigkeit diagnostiziert. Sämtliche Erkrankungen seien beruflich bedingt. Es liege eine Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vor. Seit Aufgabe der beruflichen Tätigkeit betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 100 % (davor seit Mitte der 80-iger Jahre 30 bis 40 %). Im Zusatzgutachten vom 5. Juni 1998 kommt der Diplompsychologe K. zu dem Ergebnis, die testpsychologischen Verfahren zeigten eine recht deutliche kognitive Leistungsminderung und eine cerebrale Insuffizienz. Das Testergebnis möge zwar durch eine depressive Symptomatik negativ beeinflusst worden sein, jedoch sei eine ausschließlich depressionsbedingte Leistungsminderung äußerst unwahrscheinlich.
In seiner weiteren Stellungnahme vom 8. Februar 2000 hat Dr. P. dargelegt, der Befundbericht des Fachkrankenhauses N. vom 22. Februar 1995 bestätige seine bisherige Einschätzung, dass (neben einer allergischen Diathese und einer reaktiven Depression) ein MCS-Syndrom vorliege. Die im Zusatzgutachten des Diplompsychologen K. dargelegten Untersuchungen zeigten eine deutliche Diskrepanz zwischen dem hohen Intelligenzniveau und dem relativ niedrigen Leistungsspektrum in den Bereichen Kurzzeitgedächtnis, Informationsverarbeitungskapazität sowie konzentrative Belastbarkeit. So etwas sei mit einer toxischen Enzephalopathie zwar vereinbar, jedoch für diese Erkrankung nicht typisch. Seiner Auffassung nach liege keine Enzephalopathie vor, denn die Klägerin beschreibe selbst, dass die von ihr wahrgenommenen Leistungseinschränkungen sehr von ihrem Gesamtbefinden abhingen. Solche Schwankungen dürften bei einer toxischen Enzephalopathie nicht feststellbar sein, deuteten vielmehr auf eine primär psychogene Ursache. Außerdem sei die Untersuchung elf Jahre nach Expositionsende durchgeführt worden und unterstellt, es liege eine toxische Enzephalopathie vor, hätte diese im Zeitablauf in ihrer Auswirkung eher abnehmen müssen, so dass ursprünglich eine außergewöhnlich hohe Exposition mit Lösemittel vorgelegen haben müsste, für die es keinen Anhalt gebe. Die dokumentierte Lösemittelbelastung erscheine allenfalls geeignet, eine toxische Enzephalopathie des Schweregrades I hervorzurufen, die in der Regel nach zwei Jahren ausgeheilt sei. Zu dem passe der Krankheitsverlauf nicht zu einer toxischen Enzephalopathie, denn bis 1990 habe sich die Erkrankung progredient entwickelt, danach sei es zu einer deutlichen Besserung gekommen mit Symptomfreiheit im Jahre 1992 und seit April 1993 seien wieder Beschwerden mit kontinuierlicher Verschlechterung aufgetreten. Darüber hinaus sei das geklagte Beschwerdebild außergewöhnlich komplex und die Symptome vielfältig, insbesondere mit der Auslösung gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch eine Vielzahl von Alltagsgegenständen und –materialien.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. März 2001 abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt. Wegen eines bei ihr vom behandelnden Arzt F. festgestellten Enzymdefektes sei der Entgiftungsprozess im Körper behindert und das Entstehen einer toxischen Enzephalopathie sehr plausibel. Außerdem gebe es neue Erkenntnisse in der medizinischen Wissenschaft, die es erforderlich machten, dass weitere Gutachten zur Frage des Vorliegens einer Berufskrankheit bei der Klägerin eingeholt werden müssten. Zur Unterstützung ihres Vorbringens hat die Klägerin das Attest ihres behandelnden Arztes F. vom 12. Januar 2004 sowie dessen Stellungnahme vom 17. Januar 2004, die Bescheinigung des behandelnden Internisten Dr. N1. vom 27. Juni 2005 und den Bericht über Klebestoff- und Lösemittelanalysen der W1. C. GmbH vom 24. Juni 1987 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. März 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. März 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Klägerin eine toxische Enzephalopathie/Polyneuropathie und/oder ein MCS-Syndrom als Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung bzw. nach § 551 Abs. 2 RVO anzuerkennen und Verletztenrente zu gewähren, hilfsweise nach § 109 SGG ein ärztliches Gutachten bei Prof. H. nebst nervenärztlichen Zusatzgutachten zu der Frage, ob bei der Klägerin eine beruflich bedingte Schädigung des zentralen Nervensystems (Enzephalopathie/Polyneuropathie o. ä.) vorliegt, einzuholen, hilfshilfsweise die Einholung eines neuropsychologischen Gutachtens/Testung hinsichtlich des Vorliegens einer Schädigung des zentralen Nervensystems/Enzephalopathie der Klägerin.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist weiter der Auffassung, ihr ablehnender Bescheid sei nicht zu beanstanden.
Im Berufungsverfahren ist nach Vertagung des Verhandlungstermins vom 20. Januar 2004 der Neurologe/Psychiater Dr. L. im Gutachten vom 25. August 2006 zu der Feststellung gelangt, bei der Klägerin bestehe seit dem Ende der 80er Jahre ein vielgestaltiges Beschwerdebild mit einer umfassenden Befindlichkeitsstörung nahezu aller Organsysteme einschließlich von Symptomen, die auf eine Beteiligung des zentralen oder peripheren Nervensystems und der Muskulatur hinweisen könnten. Weder sei eine toxische Enzephalopathie nachzuweisen, noch liege ein MCS-Syndrom vor, denn die Beschwerden gingen weit über Beschwerden im Rahmen eines MCS-Syndroms hinaus. Nach jetzigem Kenntnisstand sei eine berufliche Verursachung nicht anzunehmen. Es sei jedoch sinnvoll arbeitsmedizinisch klären zu lassen, ob die Exposition mit beruflichen Schadstoffen ihrer Höhe nach geeignet zur Auslösung einer toxischen Enzephalopathie sei. Weiterhin wird eine neuropsychologische Testung empfohlen. Die im Gutachten Dr. B. diagnostizierten Erkrankungen Ataxie, Myopathie, Neuropathie und Tremor lägen hingegen nicht vor. Es fänden sich insoweit völlig unauffällige neurologische und neurophysiologische Befunde.
Nachdem der Senat das gegen Dr. P. gerichtete Ablehnungsgesuch der Klägerin mit Beschluss vom 20. Februar 2007 zurückgewiesen hat, ist dieser im Gutachten vom 30. März 2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass auch die behandelnden Ärzte F. und Dr. N1. das Vorliegen einer toxischen Enzephalopathie nicht belegen könnten. Es sei weiter am ehesten von einem MCS-Syndrom auszugehen. Eine berufliche Verursachung sei weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung überwiegend wahrscheinlich. Weitere Studien zu den Ursachen des MCS-Syndroms hätten bisher keine eindeutigen Erkenntnisse zur Ätiologie und Pathogenese ergeben. Übereinstimmung bestehe nur insoweit, als es sich um ein multifaktoriell bedingtes Leiden handele. Weitere Ermittlungen und Einschätzungen zum Umfang der beruflich bedingten Schadstoffbelastung seien nicht erforderlich. Eine erneute neuropsychologische Testung könne keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 22. Mai 2007 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Vorliegens einer toxischen Enzephalopathie als Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV oder nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), weil bereits das Vorliegen einer Enzephalopathie nicht festgestellt werden kann. Ein MCS-Syndrom ist ebenfalls nicht als Berufskrankheit anzuerkennen, weil es bisher an ausreichenden medizinischen Erkenntnissen zu den Ursachen einer solchen Erkrankung fehlt und es deswegen kein Anhalt für eine durch berufliche Schadstoffe bedingten Entstehung oder Verschlimmerung gibt. Damit scheidet auch die Gewährung von Verletztenrente aus.
Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der RVO Anwendung, weil ein Versicherungsfall aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).
Der Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung setzt das Vorliegen einer Berufskrankheit voraus (§§ 547, 551 Abs. 1 RVO). Berufskrankheiten sind die in der Anlage zur BKV aufgeführten Krankheiten, die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Voraussetzung für das Vorliegen einer Berufskrankheit ist, dass die schädigende Einwirkung ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (sog. haftungsbegründende Kausalität) und die schädigende Einwirkung die Krankheit wesentlich (mit-) verursacht hat (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Während die einzelnen Glieder dieser Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung, Gesundheitsschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, genügt für den Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d. h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen. Allerdings reicht die bloße Möglichkeit eines Zusammenhanges nicht aus. Gemäß § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfalle eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.
Zu den Berufskrankheiten zählen nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die sonstigen Voraussetzungen vorliegen, denn die geltend gemachten Ansprüche auf Anerkennung und Entschädigung einer toxischen Enzephalopathie scheitern daran, dass sich das Vorliegen einer Enzephalopathie nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen lässt. Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. P. und Dr. L. passen die bei der Klägerin vorliegenden Symptome nicht nur zu einer Enzephalopathie, sondern auch zu anderen Erkrankungen wie einer ausgeprägten psychosomatischen Störung, einer Somatisierungsstörung bzw. eines MCS-Syndroms, wobei nach Auffassung von Dr. P. letzteres am wahrscheinlichsten sei. Weder die durchgeführten Testverfahren noch die SPECT-Untersuchung oder der "Enzymdefekt" können das Vorliegen einer Enzephalopathie beweisen. Der Senat folgt mit Dr. P. nicht der von der allgemeinen Auffassung in der medizinischen Wissenschaft abweichenden Meinung des behandelnden Arztes F., die SPECT-Untersuchung habe einen Aussagewert für die Funktionsfähigkeit des Gehirns als Organ. Vielmehr lässt sich mit ihr allenfalls die Aktivität bestimmter Gehirnregionen im Moment der Untersuchung belegen. Damit lässt sie keine verlässlichen Schlussfolgerungen auf eine Hirnerkrankung zu. Mit den durchgeführten Tests kann nur ein Bild der vorliegenden (größtenteils vom Probanten angegebenen, für den Tester nicht sicher überprüfbaren) Befindlichkeitsstörungen und ggfs. der einzelnen Fähigkeiten (wie Gedächtnisleistung) gezeichnet werden. Von einem "Enzymdefekt" kann schon nicht gesprochen werden, sondern es handelt sich um eine Normvariante, deren Auswirkung in der medizinischen Wissenschaft noch in weiten Teilen unerforscht ist. Deswegen folgt der Senat auch nicht der Behauptung des behandelnden Arztes F., der "Enzymdefekt" beweise das Vorliegen einer Enzephalopathie. Gestützt wird die Auffassung Dr. P.’s, es liege am ehesten ein MCS-Syndrom vor, durch die gleichlautende Diagnose im Befundbericht des Fachkrankenhauses N. vom 22. Februar 1995 sowie die Annahme einer Lösemittelsensibilisierung durch den behandelnden Arzt Dr. N1 ... Gegen das Vorliegen einer Enzephalopathie sprechen weiter der Krankheitsverlauf, sowie die Schwankungen in den Beschwerden und ihre Auslösbarkeit durch alltägliche Situationen, wie Dr. P. überzeugend dargelegt hat. Des Weiteren gehen – wie Dr. L. und Dr. P. anschaulich darlegen – Umfang und Verschiedenartigkeit der Symptome weit über das hinaus, was eine Enzephalopathie kennzeichnet.
Unterstellt, Dr. B. wolle unter dem Begriff einer "schweren Leistungs- und Wesensänderung" eine Enzephalopathie beschreiben, folgt der Senat dieser Einschätzung nicht. Weder in diesem Punkt noch in seinen sonstigen Ausführungen kann das Gutachten von Dr. B. überzeugen. Ihm fehlt bereits jede Begründungsangabe. Weder sind die Diagnosen nachvollziehbar aus Befunden hergeleitet, noch die Einschätzungen argumentativ begründet worden.
Unabhängig davon, dass eine Enzephalopathie bereits nicht festgestellt werden kann, würde die Anerkennung und Entschädigung einer solchen Erkrankung auch an der fehlenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges zwischen schädigender Einwirkung und Gesundheitsstörung scheitern. Außer dem Umstand, dass die Exposition hinsichtlich Art und Umfang wohl ausreichend hoch zum Auslösen einer Enzephalopathie gewesen ist, spricht nichts für einen Ursachenzusammenhang. Gegen einen solchen Zusammenhang spricht die Krankheitsgeschichte, denn – wie insbesondere Dr. P. ausführlich und überzeugend darlegt – es gab mehrere Phasen der Besserung und Verschlechterung der Symptomatik, bei denen schon ein zeitlicher Zusammenhang mit einer Schadstoffeinwirkung fehlt und die in einem zeitlichen Zusammenhang mit Auslandsaufenthalten sowie der allgemeinen psychischen Befindlichkeit der Klägerin standen, so dass hierfür andere Ursachen als die berufliche Belastung mit bestimmten Schadstoffen wahrscheinlicher zu machen sind.
Selbst wenn der Senat entgegen der Auffassung Dr. L.’s das Vorliegen eines MCS-Syndroms annehmen würde, wäre diese Erkrankung nicht als Berufskrankheit anzuerkennen oder zu entschädigen. Der Senat schließt sich den Ausführungen von Dr. P. an, wonach die Ursachen einer solchen Erkrankung bis heute weitgehend unbekannt sind. Eine Zuordnung zu beruflich bedingten Ursachen ist daher nicht möglich. Da es hinsichtlich der Ursachen nur Annahmen und nicht belegte Thesen gibt, kann dahin gestellt bleiben, welche Anforderungen an neue medizinische Erkenntnisse zu stellen sind, um die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung nach § 551 Abs. 2 RVO zu begründen.
Das Vorliegen einer Polyneuropathie kann ebenfalls nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Außer in dem Gutachten Dr. B. und im jetzt vorgelegten Bericht des Neurologen/Psychiaters Dr. R. vom 24. April 1996 stellt kein Gutachter eine derartige Erkrankung fest. Dr. L. schließt ihr Vorliegen ausdrücklich aus und weist darauf hin, dass auch eine Untersuchung bei Dr. R1. im Jahre 1986 (Bericht an Dr. P1. vom 30. Mai 1986) unauffällige Nervenleitgeschwindigkeiten des Nervus medianus und der Kernmuskeln der Arme beiderseits ergeben habe. Dieser Einschätzung folgt der Senat schon deshalb, weil Dr. B. für seine gegenteilige Einschätzung keinerlei Begründung angibt und die Diagnose einer Polyneuropathie im Bericht von Dr. R. nicht durch entsprechende Befunde belegt wird.
Den Hilfsanträgen der Klägerin war nicht stattzugeben. Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag u. a. des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung mehrerer Ärzte kommt grundsätzlich nur ausnahmsweise in Betracht und setzt stets besondere Gründe voraus (vgl. Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, Rdnr. 4a zu § 109 m. w. N.). Vorliegend hat die Klägerin keine Gründe vorgetragen und solche sind auch nicht sonst ersichtlich, die eine weitere Anhörung eines Arztes ihres Vertrauens – nachdem in der ersten Instanz bereits Dr. B. ein Gutachten gemäß § 109 SGG erstattet hat – rechtfertigen. Dem Antrag auf erneute Durchführung einer neuropsychologischen Testung war ebenfalls nicht stattzugeben. Der Senat folgt Dr. P., der eine solche Testung – trotz des umstrittenen Ergebnisses der ersten von Dr. K. durchgeführten Testung – nicht für erforderlich, sondern alle Fragestellungen für ausreichend geklärt hält. Zwar hat der Senat in einer anderen personellen Zusammensetzung eine Begutachtung durch einen Neurologen/Psychiater mit neuropsychologischer Testung veranlasst, jedoch hat Dr. L. dieser Testung bei Dr. B1. wegen fehlender Bereitschaft der Klägerin nicht durchführen lassen können. Er gibt in seinem Gutachten noch die Notwendigkeit einer solchen Testung neben der Erforderlichkeit eines arbeitsmedizinischen Gutachtens an. Dr. P. führt jedoch überzeugend aus, dass eine Testung mit der Feststellung aktueller Befunde zur kognitiven Leistungsfähigkeit und zu ggf. vorhandenen Persönlichkeitsveränderungen ca. 20 Jahre nach Ende der Exposition keinen Erkenntnisgewinn bringen könne. Vorliegend ist darüber hinaus – selbst unterstellt, eine neuropsychologsiche Testung könne ein bereits früher vorhandenes kognitives Defizit belegen – eine erneute Testung schon deswegen nicht erforderlich, weil es – wie oben ausgeführt – nicht nur am Vorliegen einer Enzephalopathie fehlt, sondern auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges mit einer beruflichen Schadstoffexposition vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
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