L 10 R 614/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 4242/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 614/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Umstritten ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1957 geborene Kläger, der keine berufliche Ausbildung absolvierte, arbeitete zuletzt von 1995 bis Ende 2005 als Ungelernter im Technikbereich der Firma H. K. Vertriebs GmbH (von 1995 bis 2001 Lager-, danach bis zuletzt Hausmeisterarbeiten). Das Arbeitsverhältnis endete auf Grund einer betriebsbedingten Kündigung.

Der Kläger leidet im Wesentlichen unter Wirbelsäulen- sowie Kniegelenksbeschwerden und Einschränkungen im Bereich des rechten Ellenbogens sowie der linken Schulter, Bronchialbeschwerden, einer Sprachstörung, einem geistigen Entwicklungsrückstand und psychischen Beschwerden.

Den Rentenantrag vom April 2005, zu dem der Kläger geltend machte, er halte sich seit Jahren für erwerbsgemindert, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. August 2005 und Widerspruchsbescheid vom 29. September 2005 ab, da der zuletzt als Hilfsarbeiter beschäftigte Kläger ihm zumutbare leichte bis mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen wenigstens sechs Stunden täglich verrichten könne.

Dem lag das Gutachten des Orthopäden Dr. R. (die zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Hilfsarbeiter sei sechs Stunden und mehr möglich, ebenso leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, zeitweilig im Sitzen und Gehen, ohne ausschließliche Überkopfarbeiten, statische Haltearbeit des Schultergürtels und ohne ausschließlich schwere Tätigkeiten in überwiegend gebückter Haltung seien vollschichtig möglich) zu Grunde.

Deswegen hat der Kläger am 24. Oktober 2005 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und u. a. einen geistigen Entwicklungsrückstand, Sprach- und seelische Störungen sowie eine Legasthenie geltend gemacht.

Das SG hat Akten der Bundesagentur für Arbeit sowie der Versorgungsverwaltung beigezogen und behandelnde Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der Orthopäde Dr. S. hat eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes für vollschichtig zumutbar erachtet mit Einschränkungen hinsichtlich der Belastbarkeit der Lendenwirbelsäule. Der Allgemeinmediziner Dr. L. hat das Gutachten von Dr. R. als formal korrekt erachtet, jedoch eine fehlende Einbeziehung des Gesamtbildes und auch des Arbeitsmarktes bemängelt.

Außerdem hat das SG Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. C. und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Th. eingeholt. Dr. C. ist im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, es bestünden Lendenwirbelsäulen- und Halswirbelsäulenbeschwerden, ein Knorpelschaden im Bereich des Gleitlagers der Kniescheibe rechts, ein Zustand nach Operation eines Tennisellenbogens rechts und ein ganz leichtes Rotatorenmanschetten-Syndrom links. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 10 kg, häufig gebückte Stellungen, einseitige Körperhaltungen und Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, Tätigkeiten mit häufigem sehr kräftigem Zufassen mit der rechten Hand und häufigem Knien und Hocken vollschichtig verrichten. Dr. Th. hat ein leichtes lumbales und cervicales Wurzelreizsyndrom, einen leichten Spannungskopfschmerz und eine leichte chronifizierte Depression diagnostiziert. Unter Berücksichtigung dessen könne der Kläger leichte und mittelschwere Tätigkeiten acht Stunden täglich vorwiegend im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, ohne häufiges Bücken, ohne gleichförmige Körperhaltung und Heben von Lasten über 15 kg vollschichtig verrichten. Akkordarbeiten sowie Schichtarbeit und Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung und Zeitdruck schieden aus, Klettern und Steigen sei vereinzelt möglich. Die nicht ausgeprägten depressiven Symptome korellierten mit vermehrten beruflichen Problemen, als der Kläger gezwungen gewesen sei, mit Computern zu arbeiten, was wegen der Legasthenie kaum möglich gewesen sei. Gegen eine Hirnleistungsschwäche und ein erniedrigtes Intelligenzniveau spreche aber die Tatsache, dass es der Kläger geschafft habe, Computer zu bedienen, indem er die Bedienungsschritte seiner Kollegen auswendig gelernt habe. Dadurch sei es ihm möglich gewesen, Computer in gewissem Maße zu bedienen, obwohl er weder lesen noch schreiben könne.

Mit Urteil vom 21. Dezember 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.

Gegen das am 11. Januar 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. Januar 2007 Berufung eingelegt, mit der er geltend macht, seine Schmerzen würden immer schlimmer, weswegen er Medikamente einnehme, die aber keine Besserung brächten. Seine Angst vor Menschen werde auch nicht besser.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Dezember 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 2. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2005 zu verurteilen, ihm ab 1. Mai 2005 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist u.a. auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Der Senat hat auf für den Kläger in Betracht kommende Sortier-, Verpackungs-, Versand- und Produktionshelfertätigkeiten wie Etikettieren von Farbdosen oder Versandumschlägen, Verpacken von Portionsbeuteln, das Abfüllen und Abpacken in Versandbehältnisse hingewiesen und berufskundliche Auskünfte in den Rechtsstreit eingeführt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die vorstehenden Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn der Kläger kann zur Überzeugung des Senats noch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Dies ergibt sich schlüssig und überzeugend aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr. R. sowie den vom SG eingeholten Sachverständigengutachten des Dr. C. und des Dr. Th ... Es bestehen zwar LWS-Beschwerden mit einem leichten lumbalen Wurzelreizsyndrom ohne weitergehende Schädigung einer lumbalen Wurzel, HWS-Beschwerden mit einem leichten cervicalen Wurzelreizsyndrom, ein Knorpelschaden im Bereich des Gleitlagers der Kniescheibe rechts, ein Zustand nach Operation eines Tennisellenbogens und ein ganz leichtes Rotatorenmanschettensyndrom im Bereich der linken Schulter, ein leichter Spannungskopfschmerz und eine leichte chronifizierte rezidivierende Depression. Diese Gesundheitsstörungen stehen jedoch nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. C. und auch Dr. Th. jedenfalls leichten und mittelschweren Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen oder Gehen ohne häufiges Bücken, ohne gleichförmige Körperhaltungen, ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne Akkordarbeit, Schichtarbeit, besondere nervliche Belastung und Zeitdruck mit nur vereinzeltem Klettern und Steigen nicht entgegen. Entsprechende Tätigkeiten kann der Kläger wenigstens sechs Stunden verrichten. Eine weitergehende Leistungsminderung ergibt sich aus den vorliegenden Gesundheitsstörungen zur Überzeugung des Senats nicht. Die pauschale Behauptung des Klägers in der Berufungsbegründung, er leide unter Schmerzen und müsse Medikamente einnehmen, die jedoch keine Besserung brächten, führt zu keinem anderen Ergebnis und gebietet auch keine weiteren Ermittlungen, da eine dauerhafte und wesentliche Verschlechterung der Leiden und des Leistungsvermögens gegenüber den Untersuchungsergebnissen der Gutachter nicht ersichtlich ist. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen kann der Kläger ihm - als ungelerntem Arbeiter - zumutbare Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden verrichten. Eine das Leistungsvermögen weitergehend einschränkende und für einfache Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes erhebliche Hirnleistungsschwäche besteht, wie vom Sachverständigen Dr. Th. überzeugend dargelegt, nicht, da der Kläger in der Lage war, einfachere Vorgänge am Computer trotz einer Legasthenie durchzuführen. Diese steht im Übrigen auch nicht den als mögliche Tätigkeiten benannten Verpackungs- und Sortierarbeiten entgegen. Solche können durchaus in wechselnder Körperhaltung, nämlich im Wechsel zwischen Stehen und Sitzen verrichtet werden. Aus den in den Rechtsstreit eingeführten berufskundlichen Stellungnahmen ergibt sich, dass in bestimmten Industriezweigen (insbesondere Metall-, Elektroindustrie, Spielwarenherstellung, Herstellung von Werbeartikeln) Kleinartikel von Hand versandfertig gemacht werden, wobei dies in wechselnder Körperhaltung geschieht. Gleiches gilt für manche Produktionshelfertätigkeiten, hier insbesondere das Etikettieren von Farbdosen oder Versandumschlägen, Verpacken von Portionsbeuteln Kaffee sowie Tätigkeiten als "Versandfertigmacher", wie das Abfüllen und Abpacken in Versandbehältnisse. Hierfür ist auch nicht generell eine normale Lese-und Schreibfähigkeit erforderlich. Nach den genannten berufskundlichen Stellungnahmen handelt es sich um einfache, wiederkehrende Tätigkeiten ohne intellektuelle Anforderungen oder nervliche Belastungen bzw. um geistig einfache Arbeiten. Damit reicht eine entsprechende praktische Einweisung aus ("kurzes Zeigen", siehe berufskundliche Aussage vom 21. Juli 2001 im Verfahren L 2 RJ 643/00 vor dem Thüringer Landessozialgericht am Ende). In diesem Zusammenhang ist auch festzustellen, dass der Kläger, wie vom Sachverständigen Dr. Th. ausgeführt, durchaus über eine gewisse Auffassungsgabe verfügt und er über Jahre in der Lage war, berufliche Tätigkeiten auszuüben und diesen die Lese- und Schreibschwäche nicht entgegenstand.

Da der Kläger somit ihm mögliche Tätigkeiten wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, sind die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser oder gar voller Erwerbsminderung nicht erfüllt. Daneben besteht auch kein Anhaltspunkt für einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI, was im Übrigen auch nicht geltend gemacht wird, da der Kläger lediglich Hilfsarbeiten verrichtet hat und damit unter Berücksichtigung seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar ist.

Nachdem das SG im Ergebnis die Klage zu Recht abgewiesen hat, ist die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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