L 5 ER 119/07 KR

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 11 ER 115/07 KR
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 ER 119/07 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Gerichte müssen in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens orientieren wollen, die Rechtslage voll und nicht nur summarisch prüfen, sofern ohne die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstünden, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden könnten, insbesondere die Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen Krankheit (BVerfG NJW 2003, 1236; NJW 2004, 3100). Dies gilt aber nicht, wenn der Antragsteller gegenüber dem Sozialleistungsträger nicht alles getan hat, um diesem die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu ermöglichen.
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 4.4.2007 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Leistung einer ambulanten immunologischen Krankenbehandlung durch die Antragsgegnerin.

Der 1974 geborene Antragsteller, bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert, beantragte mit Schreiben vom 8.12.2006 die Gewährung einer Immunbehandlung durch den nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arzt Prof Dr de B , der als Neuroimmunologe an der Universität M /Niederlande tätig ist und in D eine Praxis zur ambulanten Krankenbehandlung betreibt. Beim Antragsteller wurde ärztlicherseits eine abgelaufene Myocarditis vermutet und die Verdachtsdiagnose eines Chronic-fatigue-Syndroms (CFID-Syndroms) gestellt. Der Antragsteller legte einen vorläufigen Therapieplan vor, in dem die verabreichten immunologischen Medikamente aufgeführt waren.

Durch Bescheid vom 11.12.2006 lehnte die Antragsgegnerin die Leistung ab, da derartige Immuntherapien nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung zählten. Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs stützte sich der Antragsteller auf ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 2.2.2006 (S 9 KR 59/05) sowie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6.12.2005 (1 BvR 347/98). Er erklärte, er sei mit einer Weitergabe seiner Unterlagen an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) nur einverstanden, wenn der begutachtende Arzt des MDK über eine immunologische Facharztausbildung verfüge. Im Hinblick darauf hat die Antragsgegnerin keine Begutachtung durch den MDK veranlasst.

Am 21.3.2007 hat der Antragsteller beim SG Speyer einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Das SG hat diesen durch Beschluss vom 4.4.2007 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes spreche deutlich mehr gegen als für einen Leistungsanspruch des Antragstellers in der Hauptsache. Denn der behandelnde Arzt Prof Dr de B verfüge nicht über die erforderliche Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Zudem stelle die Immuntherapie keine in der vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Behandlungsmethode dar. Neue Behandlungsmethoden, die nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss zugelassen seien, seien auch in Ansehung des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (aaO) von der Krankenkasse nicht zu gewähren, sofern es sich nicht um einen Fall des Systemversagens oder eine notstandsähnliche Krankheitssituation handele (Hinweis auf Bundessozialgericht BSG - 4.4.2006 B 1 KR 12/05 R; 7.11.2006 B 1 KR 24/06 R). Ein Systemversagen sei nicht ersichtlich. Es liege auch kein Notfall oder eine notstandsähnliche Situation vor. Trotz der Schwere des chronischen Müdigkeitssyndroms des Antragstellers und der generellen Gefährlichkeit einer Myocarditis fänden sich für eine solche Sachlage keine Anhaltspunkte. Zudem habe eine Myocarditis beim Antragsteller bisher nicht zweifelsfrei bestätigt werden können, und eine schwere Verlaufsform liege jedenfalls nicht vor. Bei der zu treffenden Interessenabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller eine Einzelfallprüfung durch den MDK faktisch untersagt habe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 19.4.2007 eingelegte Beschwerde des Antragstellers, der das SG nicht abgeholfen hat. Der Antragsteller trägt vor: Er habe keine Einzelfallprüfung durch den MDK untersagt, sondern lediglich gefordert, dass sich die Antragsgegnerin vergewissere, dass der Gutachter des MDK über eine immunologische Facharztausbildung verfüge. Unzweifelhaft sei die Myocarditis lebensbedrohlich. Die bisher aus seinen Ersparnissen finanzierte Immuntherapie habe bereits zu einer erheblichen Besserung der Laborwerte geführt.

II.

Die nach §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung sind nicht erfüllt.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG stellt Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können. Die Gerichte müssen in solchen Fällen grundsätzlich, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (BVerfG NJW 03, 1236; NJW 04, 3100). Dieser Maßstab gilt jedoch im vorliegenden Fall selbst dann nicht, wenn nicht auszuschließen sein sollte, dass die Erkrankung des Antragstellers ohne die Immunbehandlung zu lebensbedrohlichen Folgen führen kann. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es auch nicht darauf an, ob die zitierte Rechtsprechung des BVerfG einschlägig ist, wenn eine möglicherweise lebensbedrohende Erkrankung hier: Myocarditis nicht einmal eindeutig diagnostiziert und erst recht keine schwere Verlaufsform nachgewiesen ist. Auf die aufgezeigte Judikatur des BVerfG kann sich ein Versicherter nämlich nur dann stützen, wenn er gegenüber dem Leistungsträger alles getan hat, um diesem die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu ermöglichen. Denn nur unter dieser Voraussetzung fordert Art 19 Abs 4 GG eine volle und nicht nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens.

Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht in hinreichendem Umfang nachgekommen, indem er die Weitergabe der ihn betreffenden Unterlagen an den MDK nur unter der Voraussetzung gestattet hat, dass der begutachtende Arzt über eine Facharztausbildung im Bereich der Immunologie verfüge. Der Antragsteller war im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht gehalten, einer Zuleitung seiner Unterlagen an den MDK einschränkungslos zuzustimmen. Nach § 20 Abs 1 Satz 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) bestimmt der Leistungsträger Art und Umfang der Ermittlungen. Im Bereich des SGB V bedient sich die Krankenkasse des MDK (§ 275 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs SGB V). Ein Grundsatz, dass Fragen zu sozialmedizinischen Sachverhalten nur von Ärzten des MDK beurteilt werden dürfen, die über eine umfassende Ausbildung auf einem bestimmten, eng spezialisierten Gebiet verfügen, gibt es nicht. Es entspricht vielmehr allgemeiner Erfahrung, dass Ärzte des MDK auch auf medizinischen Gebieten für eine Begutachtung ausreichende Kenntnisse erwerben können, die nicht ihrem früheren (engen) Ausbildungsbereich entsprechen. Wenn der MDK-Gutachter im Einzelfall bei einer Begutachtung wesentliche Gesichtspunkte nicht beachtet, kann der Versicherte dies notfalls in einem anschließenden gerichtlichen Verfahren auch des vorläufigen Rechtsschutzes rügen.

Die summarische Prüfung des Sach- und Streitstandes führt zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller nach den aktenkundigen Fakten sehr wahrscheinlich keinen Anspruch auf Gewährung der Immuntherapie hat; insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses. Die im Rahmen der Entscheidung nach § 86b Abs 2 SGG vorzunehmende Interessenabwägung führt daher zu einem für den Antragsteller nachteiligen Ergebnis des vorliegenden Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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