Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 4043/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 1204/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Beschwerdeführers hat keinen Erfolg.
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht R (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis 31. März 2007 richtet sich das einstweilige Rechtsschutzbegehren nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, da der Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2006, mit dem die Beschwerdegegnerin die Bewilligung der Leistungen für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis 31. März 2007 aufgehoben hat, gem. § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. LSG Baden-Württemberg, NZS 2006, 448 und Eicher/Spellbrink § 39 SGB II Rdnr. 10 ff.), im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Bewilligungsbescheid vom 21. September 2006 in Kraft gesetzt würde, so dass die bewilligten Leistungen ausbezahlt werden müssten. Die Entscheidung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grund einer Interessenabwägung, wobei aus dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) folgt, dass hinsichtlich des "ob" des vorläufigen Rechtsschutzes kein Ermessen besteht, sondern nur hinsichtlich des "wie" (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 86 b SGG Rdnr. 12 m.w.H.). Bei der Entscheidung sind die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage 2005, Rdnr. 195). Für die Zeit ab 1. April 2007 ist Rechtsgrundlage des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Hiernach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller/Beschwerdeführer ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69; 94, 166; BVerfG in NJW 2003, 1236; Niesel, der Sozialgerichtsprozess, 4. Auflage Rdnr. 643). Die Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG) setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller/Beschwerdeführer glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO)-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b Rdnr. 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG in Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Wäre dagegen eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit Existenz sichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggfs. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers/Beschwerdeführers zu entscheiden (vgl. BVerfG in Breithaupt 2005, 803 und BVerfG in NJW 2003, 2236).
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundsätze ist weder die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2006 anzuordnen, noch für die Zeit ab 1. April 2007 eine Regelungsanordnung vorzunehmen, denn der Beschwerdeführer hat zur Überzeugung des Senats gegenüber der Beschwerdegegnerin im streitgegenständlichen Zeitraum (ab 1. November 2006) keinen Anspruch auf Leistungen. Gem. § 36 SGB II richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Träger für Leistungen der Grundsicherung (s. hierzu Gagel SGB III mit SGB II, § 36 SGB II Rdnr. 1 m.w.N.) danach, in wessen Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; ist ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht feststellbar, so ist der Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige tatsächlich aufhält. Den "gewöhnlichen Aufenthalt" hat eine Person dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Der gewöhnliche Aufenthalt ist, verglichen mit dem Wohnsitz, zukunftsoffen und gibt den örtlichen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse an (Gagel a.a.O. Rdnr. 7 am Ende). Der gewöhnliche Aufenthalt kann auch an mehreren Orten gegeben sein. Dies setzt voraus, dass der Hilfebedürftige an zwei Orten Wohnungen unterhält und abwechselnd hier und dort lebt, wobei sich die wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen zu den beiden Aufenthalten hinsichtlich ihrer Intensität nicht wesentlichen unterscheiden dürfen (vgl. BSGE 27, 88). Ansonsten liegt nur ein einziger tatsächlicher und rechtlich maßgebender Aufenthalt vor (Gagel a.a.O Rdnr. 8 m.w.N.).
Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer jedenfalls seit 21. September 2006 in R keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne eines örtlichen Schwerpunktes seiner Lebensverhältnisse (mehr) hatte. So hat er seit 17. Mai 2006 in seinen Schreiben nicht mehr die Wohnanschrift, Gstr., xxxxx Reutlingen, angegeben, sondern das eingerichtete Postfach, xxxxx R. Bereits unter dem 20. Juni 2006 hat er auf die umfassende Modernisierung, die auch die Briefkastenanlage des Gebäudes betreffe, hingewiesen sowie darauf, dass der Schriftwechsel über das Postfach abzuwickeln sei. Unter dem 24. September 2006 hat er mitgeteilt, dass die Wohnung aufgrund der massiven Sanierungs- und Baumaßnahmen nur noch sehr eingeschränkt bzw. zeitweise überhaupt nicht nutzbar sei und die Nutzung ein Gesundheitsrisiko darstelle. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2006 gegenüber dem SG hat er angegeben, dass die Wohnung bereits seit Monaten nicht mehr bewohnbar sei. Gegenüber der Stadt R hat sein damaliger Bevollmächtigter vorgetragen, dass deren Bescheid vom 6. Dezember 2006 nicht zugegangen sei, weil der Beschwerdeführer sich im Dezember tatsächlich nicht mehr in der Wohnung habe aufhalten können. Schließlich erklärten Nachbarn gegenüber einem Außendienstmitarbeiter, dass der Beschwerdeführer nur sporadisch komme und dort noch nie wohnhaft gewesen sei (vgl. Bl. 218 d. Verw.-Akten). Die von der Polizei durchgeführten Ermittlungen aufgrund der Anzeige der Beschwerdegegnerin vom 20. Oktober 2006 enthalten begründete Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer seit Jahren zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder in A wohnt (s. Schreiben der Polizeidirektion Reutlingen vom 20. November 2006). Die vom Senat beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft R bestätigt dies. Der Zeuge G, neuer Eigentümer des Hauses, hat ausgesagt, dass er sich seit dem 1. Mai 2006 täglich im Haus aufhalte, der Beschwerdeführer seit diesem Zeitpunkt die Wohnung im Haus nicht mehr bewohnt habe. Entgegen der Angaben des Beschwerdeführers können auch nicht Modernisierungs- bzw. Sanierungsarbeiten der Briefkastenanlage die Einrichtung eines Postfachs erforderlich gemacht haben (so sein Schreiben vom 21. Juni 2006), da die Polizei noch am 7. November 2006 eine ohne Einschränkung nutzbare Briefkastenanlage vorgefunden hat. Die Polizei hat auch ermittelt, dass seit 1999 nahezu kein Gasverbrauch mehr stattgefunden und somit auch nicht mehr geheizt worden sein kann, woraus nur abgeleitet werden kann, dass die Wohnung zumindest ab dieser Zeit nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt wurde. Der Verbrauch einer minimalen Menge Strom lässt sich mit der Zeitschaltuhr für die Lichtsteuerung erklären. Schließlich hat die Durchsuchung beider Wohnungen ergeben, dass der Beschwerdeführer seine Wohnung in R seit langem nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt hat und sein Lebensmittelpunkt in A liegt. Die befragte Zeugin Reich hat gegenüber der Polizei ausgesagt, dass der Beschwerdeführer in den 3 Jahren, in denen sie in der Gstraße gewohnt hat, nie in seiner Wohnung genächtigt habe, sondern nur dort regelmäßige erschienen sei, um die Wohnung nach einem kurzen Aufenthalt wieder zu verlassen. Auch die Zeugen M und S bestätigten dies. Nach alledem hat der Senat keinen Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne seines örtlichen Lebensschwerpunktes im streitgegenständlichen Zeitraum nur noch in Albstadt hatte.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist § 43 SGB I nicht einschlägig. Die örtliche Zuständigkeit ist unter den Leistungsträgern Jobcenter R und ARGE Z nicht streitig; lediglich der Beschwerdeführer bestreitet die örtliche Zuständigkeit der ARGE; diese sieht dagegen - ausweislich ihres Schreibens an den Beschwerdeführer vom 15. Januar 2007 - ihre örtliche Zuständigkeit als gegeben an.
Schließlich ist ein Anordnungsanspruch auch nicht mit § 35 SGB X zu begründen. Da nach Überzeugung des Senats der Bescheid vom 21. September 2006 aus den zuvor genannten Gründen von Anfang an rechtswidrig gewesen ist, beinhaltet der Bescheid vom 18. Oktober 2006 lediglich eine falsche Begründung, da er sich auf § 48 SGB X statt auf § 45 SGB X stützt (vgl. Steinwedel in Kassler Kommentar § 48 SGB X Rdnr. 8 m.w.N.); ob die von der Behörde für wesentlich erachteten Gründe tragfähig sind, ist keine Frage des § 35 SGB X, sondern der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes (Krasney in Kasseler Kommentar § 35 SGB X Rdnr. 5 m.w.N.). Die Voraussetzung des § 45 SGB X sind aber im vorliegenden Fall erfüllt. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Beschwerdeführers ist im Hinblick auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht gegeben und eine Ermessensausübung gem. § 40 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Beschwerdeführers hat keinen Erfolg.
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht R (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis 31. März 2007 richtet sich das einstweilige Rechtsschutzbegehren nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, da der Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2006, mit dem die Beschwerdegegnerin die Bewilligung der Leistungen für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis 31. März 2007 aufgehoben hat, gem. § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. LSG Baden-Württemberg, NZS 2006, 448 und Eicher/Spellbrink § 39 SGB II Rdnr. 10 ff.), im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Bewilligungsbescheid vom 21. September 2006 in Kraft gesetzt würde, so dass die bewilligten Leistungen ausbezahlt werden müssten. Die Entscheidung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grund einer Interessenabwägung, wobei aus dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) folgt, dass hinsichtlich des "ob" des vorläufigen Rechtsschutzes kein Ermessen besteht, sondern nur hinsichtlich des "wie" (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 86 b SGG Rdnr. 12 m.w.H.). Bei der Entscheidung sind die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage 2005, Rdnr. 195). Für die Zeit ab 1. April 2007 ist Rechtsgrundlage des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Hiernach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller/Beschwerdeführer ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69; 94, 166; BVerfG in NJW 2003, 1236; Niesel, der Sozialgerichtsprozess, 4. Auflage Rdnr. 643). Die Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG) setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller/Beschwerdeführer glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO)-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b Rdnr. 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG in Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Wäre dagegen eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit Existenz sichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggfs. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers/Beschwerdeführers zu entscheiden (vgl. BVerfG in Breithaupt 2005, 803 und BVerfG in NJW 2003, 2236).
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundsätze ist weder die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2006 anzuordnen, noch für die Zeit ab 1. April 2007 eine Regelungsanordnung vorzunehmen, denn der Beschwerdeführer hat zur Überzeugung des Senats gegenüber der Beschwerdegegnerin im streitgegenständlichen Zeitraum (ab 1. November 2006) keinen Anspruch auf Leistungen. Gem. § 36 SGB II richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Träger für Leistungen der Grundsicherung (s. hierzu Gagel SGB III mit SGB II, § 36 SGB II Rdnr. 1 m.w.N.) danach, in wessen Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; ist ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht feststellbar, so ist der Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige tatsächlich aufhält. Den "gewöhnlichen Aufenthalt" hat eine Person dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Der gewöhnliche Aufenthalt ist, verglichen mit dem Wohnsitz, zukunftsoffen und gibt den örtlichen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse an (Gagel a.a.O. Rdnr. 7 am Ende). Der gewöhnliche Aufenthalt kann auch an mehreren Orten gegeben sein. Dies setzt voraus, dass der Hilfebedürftige an zwei Orten Wohnungen unterhält und abwechselnd hier und dort lebt, wobei sich die wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen zu den beiden Aufenthalten hinsichtlich ihrer Intensität nicht wesentlichen unterscheiden dürfen (vgl. BSGE 27, 88). Ansonsten liegt nur ein einziger tatsächlicher und rechtlich maßgebender Aufenthalt vor (Gagel a.a.O Rdnr. 8 m.w.N.).
Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer jedenfalls seit 21. September 2006 in R keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne eines örtlichen Schwerpunktes seiner Lebensverhältnisse (mehr) hatte. So hat er seit 17. Mai 2006 in seinen Schreiben nicht mehr die Wohnanschrift, Gstr., xxxxx Reutlingen, angegeben, sondern das eingerichtete Postfach, xxxxx R. Bereits unter dem 20. Juni 2006 hat er auf die umfassende Modernisierung, die auch die Briefkastenanlage des Gebäudes betreffe, hingewiesen sowie darauf, dass der Schriftwechsel über das Postfach abzuwickeln sei. Unter dem 24. September 2006 hat er mitgeteilt, dass die Wohnung aufgrund der massiven Sanierungs- und Baumaßnahmen nur noch sehr eingeschränkt bzw. zeitweise überhaupt nicht nutzbar sei und die Nutzung ein Gesundheitsrisiko darstelle. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2006 gegenüber dem SG hat er angegeben, dass die Wohnung bereits seit Monaten nicht mehr bewohnbar sei. Gegenüber der Stadt R hat sein damaliger Bevollmächtigter vorgetragen, dass deren Bescheid vom 6. Dezember 2006 nicht zugegangen sei, weil der Beschwerdeführer sich im Dezember tatsächlich nicht mehr in der Wohnung habe aufhalten können. Schließlich erklärten Nachbarn gegenüber einem Außendienstmitarbeiter, dass der Beschwerdeführer nur sporadisch komme und dort noch nie wohnhaft gewesen sei (vgl. Bl. 218 d. Verw.-Akten). Die von der Polizei durchgeführten Ermittlungen aufgrund der Anzeige der Beschwerdegegnerin vom 20. Oktober 2006 enthalten begründete Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer seit Jahren zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder in A wohnt (s. Schreiben der Polizeidirektion Reutlingen vom 20. November 2006). Die vom Senat beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft R bestätigt dies. Der Zeuge G, neuer Eigentümer des Hauses, hat ausgesagt, dass er sich seit dem 1. Mai 2006 täglich im Haus aufhalte, der Beschwerdeführer seit diesem Zeitpunkt die Wohnung im Haus nicht mehr bewohnt habe. Entgegen der Angaben des Beschwerdeführers können auch nicht Modernisierungs- bzw. Sanierungsarbeiten der Briefkastenanlage die Einrichtung eines Postfachs erforderlich gemacht haben (so sein Schreiben vom 21. Juni 2006), da die Polizei noch am 7. November 2006 eine ohne Einschränkung nutzbare Briefkastenanlage vorgefunden hat. Die Polizei hat auch ermittelt, dass seit 1999 nahezu kein Gasverbrauch mehr stattgefunden und somit auch nicht mehr geheizt worden sein kann, woraus nur abgeleitet werden kann, dass die Wohnung zumindest ab dieser Zeit nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt wurde. Der Verbrauch einer minimalen Menge Strom lässt sich mit der Zeitschaltuhr für die Lichtsteuerung erklären. Schließlich hat die Durchsuchung beider Wohnungen ergeben, dass der Beschwerdeführer seine Wohnung in R seit langem nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt hat und sein Lebensmittelpunkt in A liegt. Die befragte Zeugin Reich hat gegenüber der Polizei ausgesagt, dass der Beschwerdeführer in den 3 Jahren, in denen sie in der Gstraße gewohnt hat, nie in seiner Wohnung genächtigt habe, sondern nur dort regelmäßige erschienen sei, um die Wohnung nach einem kurzen Aufenthalt wieder zu verlassen. Auch die Zeugen M und S bestätigten dies. Nach alledem hat der Senat keinen Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne seines örtlichen Lebensschwerpunktes im streitgegenständlichen Zeitraum nur noch in Albstadt hatte.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist § 43 SGB I nicht einschlägig. Die örtliche Zuständigkeit ist unter den Leistungsträgern Jobcenter R und ARGE Z nicht streitig; lediglich der Beschwerdeführer bestreitet die örtliche Zuständigkeit der ARGE; diese sieht dagegen - ausweislich ihres Schreibens an den Beschwerdeführer vom 15. Januar 2007 - ihre örtliche Zuständigkeit als gegeben an.
Schließlich ist ein Anordnungsanspruch auch nicht mit § 35 SGB X zu begründen. Da nach Überzeugung des Senats der Bescheid vom 21. September 2006 aus den zuvor genannten Gründen von Anfang an rechtswidrig gewesen ist, beinhaltet der Bescheid vom 18. Oktober 2006 lediglich eine falsche Begründung, da er sich auf § 48 SGB X statt auf § 45 SGB X stützt (vgl. Steinwedel in Kassler Kommentar § 48 SGB X Rdnr. 8 m.w.N.); ob die von der Behörde für wesentlich erachteten Gründe tragfähig sind, ist keine Frage des § 35 SGB X, sondern der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes (Krasney in Kasseler Kommentar § 35 SGB X Rdnr. 5 m.w.N.). Die Voraussetzung des § 45 SGB X sind aber im vorliegenden Fall erfüllt. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Beschwerdeführers ist im Hinblick auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht gegeben und eine Ermessensausübung gem. § 40 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved