L 7 SO 4969/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SO 296/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 4969/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 24. August 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

In diesem Verfahren geht es um die Übernahme von Kosten für eine stationäre Krankenhausbehandlung des Klägers im Rahmen der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Der 1956 geborene Kläger hatte in der hier maßgeblichen Zeit (Mai bis August 2005) keinen Krankenversicherungsschutz. Nach seinen Angaben war er damals Student - allerdings beurlaubt - und unterzog sich einer Diplomprüfung. Am 19. Mai 2005 sprach er mittags im St. J. Krankenhaus in H. wegen erheblicher Bauchschmerzen vor. Die dortigen Ärzte stellten anhand einer Untersuchung eine phlegmonöse Appendicitis fest; eine sofortige Operation sei angezeigt. Der Kläger konnte sich hierzu nicht entschließen und verließ das Krankenhaus wieder. Nach seinen Angaben erkundigte er sich bei einem Bekannten und erhielt außerdem die Diagnose bei einer weiteren Untersuchung im Universitätsklinikum Heidelberg bestätigt. Am Abend des 19. Mai 2005 rief er im St. J. Krankenhaus an: er habe sich nunmehr dazu entschlossen, seine Einwilligung in die Operation zu geben. Nachdem ihm erklärt worden sei, dass eine Operation in der Nacht mehr Kosten verursache als tagsüber, habe er die Nacht über gewartet. Am nächsten Morgen sprach der Kläger erneut im St. J. Krankenhaus vor und wurde sofort operiert. Bei der Operation musste auch ein Teil des Darms entfernt werden.

Mit einer Rechnung vom 3. Juni 2005 stellte ihm das St. J. Krankenhaus für die ärztliche Behandlung und den stationären Aufenthalt bis zum 23. Mai 2005 insgesamt den Betrag von 2.395,31 EUR in Rechnung. Mit Schreiben vom 28. Juni 2005 mahnte das Krankenhaus den ausstehenden Betrag an.

Über seinen damaligen Bevollmächtigten wandte sich der Kläger am 7. Juli 2005 schriftlich an das Sozialamt der Beklagten und begehrte die Übernahme der angefallenen Operationskosten im Rahmen der Sozialhilfe. Er sei nicht in der Lage die Kosten zu bezahlen, da er nur geringfügige Einkünfte habe. Mit Bescheid vom 1. August 2005 lehnte die Beklagte dies ab. Nach § 18 SGB XII setze die Hilfe ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe bekannt werde, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorlägen. Von stationären Aufenthalt habe das Sozialamt erstmals am 7. Juli 2005 erfahren. Die Notlage sei zu diesem Zeitpunkt beendet gewesen. Sozialhilfe diene dazu, eine gegenwärtige Notlage zu beheben. Es handle sich bei der Klinikrechnung um Schulden, welche nicht aus Sozialhilfemitteln abzudecken seien.

Hiergegen erhob der Kläger über seinen jetzigen Bevollmächtigten rechtzeitig Widerspruch und machte geltend, es habe sich um eine Notoperation wegen einer akuten Blinddarmentzündung gehandelt. Es sei ihm weder zumutbar noch möglich gewesen, vor dem operativen Eingriff eine Kostenzusage einzuholen oder zu beantragen. Die Notsituation sei mit der Krankenhausbehandlung zu Ende gewesen. Deshalb spiele der Zeitpunkt des Antrags keine Rolle. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 2005 als unbegründet zurück und wiederholte die Begründung des Ausgangsbescheides. Weiter heißt es in dem Widerspruchsbescheid, eine notfallmäßige Aufnahme im Sinne des § 25 SGB XII habe es offensichtlich nicht gegeben. Die stationäre Aufnahme sei einen Tag nach der erstmaligen Vorstellung erfolgt. Es sei deshalb zumutbar gewesen, vor dem Aufenthalt in der Klinik Kontakt mit der Stadt aufzunehmen.

Hiergegen hat der Kläger am 25. Januar 2006 zum Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Er hat vorgetragen, unmittelbar nach der Operation habe er Studienabschlussprüfungen durchführen müssen. So habe er am 27. Juni 2005 seine Diplomprüfung im Ergänzungsfach Jura gemacht. Es sei ihm deshalb nicht möglich und zumutbar gewesen, das Amt vor der Krankenhausaufnahme zu informieren. Im Übrigen habe das Sozialamt Donnerstag nachmittags keine Sprechstunde.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten wies das SG diese Klage mit Gerichtsbescheid vom 24. August 2006 (zugestellt am 29. August) ab und führte zur Begründung aus, § 25 SGB XII gelte nicht für den Kläger. Die dort geregelte Anspruchsgrundlage stehe nur dem so genannten Nothelfer zur Verfügung, im Falle des Klägers also dem St. J. Krankenhaus. Dieses habe sich nicht an das Sozialamt gewendet. Die für § 25 SGB XII geltenden Grundsätze könnten auf den Sozialhilfeanspruch des Hilfebedürftigen nicht übertragen werden. Für diesen gelte § 18 SGB XII, wonach Sozialhilfe eine gegenwärtige, nicht behobene Notlage voraussetze.

Der Kläger hat am 29. September 2006 hiergegen Berufung eingelegt. Er trägt vor, die Grundsätze zu § 25 SGB XII, wonach der Anspruch des Nothelfers bis zu fünf Monate nach der Hilfe noch geltend gemacht werden könne, müssten auf den Hilfeanspruch des Sozialhilfeempfängers übertragen werden. Wende man diese Grundsätze an, so habe er seinen Antrag rechtzeitig gestellt.

Er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 24. August 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Dezember 2005 zu verurteilen, die Behandlungskosten, die für den stationären Aufenthalt des Klägers im St. J. Krankenhaus H. vom 20. Mai 2005 bis 24. Mai 2005 in Höhe von 2.395,31 EUR entstanden sind, zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt unter Wiederholung der Argumente aus den ablehnenden Bescheiden vor, telefonisch sei die Stadtverwaltung rund um die Uhr zu erreichen. Die entsprechenden Nummern würden regelmäßig in ganzseitigen Anzeigen in den Zeitungen veröffentlicht und seien auch in den Telefonbüchern zu finden. Es existiere auch eine SOS-Nummer. Der Kläger habe nicht einmal versucht, die Beklagte vor Behandlungsbeginn zu erreichen. Dass sein Zustand dringend behandlungsbedürftig gewesen sei, werde nicht verkannt. Er habe jedoch gerade im Hinblick auf seine finanzielle Situation seine gesundheitlichen Bedenken zurückgestellt und sich erst einen Tag nach der Diagnose zur Operation entschlossen. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, warum er nicht in der Lage gewesen sein solle, die Beklagte zwischenzeitlich - auch telefonisch - zu kontaktieren. Auch nach dem Krankenhausaufenthalt sei eine geraume Zeit vergangen, bis er den Anspruch bei der Beklagten geltend gemacht habe.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, die Akten des SG - S 10 SO 296/06 - und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgerichtsgesetz (SGG)).

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 500,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger, der nach dem Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten zum Zeitpunkt der Operation im St. J. Krankenhaus keinen Krankenversicherungsschutz hatte und wegen Durchführung eines Studiums auch nicht dem Grunde nach anspruchsberechtigt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) war (vgl. § 7 Abs. 5 SGB II), hat zwar dem Grunde nach Anspruch auf Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII. Dieser Anspruch ist jedoch für die hier entstandenen Kosten deshalb nicht gegeben, weil der Träger der Sozialhilfe von dem Bedarf vor seiner Befriedigung keine Kenntnis hatte (§ 18 Abs. 1 SGB XII). Dieser Kenntnisgrundsatz des § 18 Abs. 1 SGB XII ist anders als der Erstattungsanspruch des Nothelfers nach § 25 SGB XII nicht an eine Frist gebunden (vgl. § 25 Satz SGB XII).

Es kann im vorliegenden Fall offen bleiben, ob in Fällen, in denen - etwa wegen einer bestehenden Ohnmacht oder sonstiger schwerer Verletzungsfolgen - eine Mitteilung des Bedarfs an den Sozialhilfeträger gar nicht möglich ist, eine nachträgliche Hilfebewilligung und gegebenenfalls innerhalb welcher Frist diese noch möglich ist. Im hier zu entscheidenden Fall war es - wie die Beklagte durch Vorlage von Unterlagen über ihre Erreichbarkeit belegt hat - ohne weiteres möglich, vor Durchführung der Operation eine kurze Mitteilung an das Sozialamt zu richten. Der Kläger war sich - wie sich aus seinem eigenen Vortrag ergibt - der Problematik der Kosten durchaus bewusst. Er hat deshalb eine Operation zur Nachtzeit abgelehnt. Bei diesem Ablauf ist der Senat davon überzeugt, dass es ihm auch möglich gewesen wäre, die Stadtverwaltung der Beklagten über den akuten Bedarf zu informieren. Dies gilt umso mehr, als es der Kläger offenbar geschafft hat, im Laufe des Nachmittags des 19. Mai 2005 einen weiteren Arzt zu konsultieren und sich die Diagnose im Universitätsklinikum H. bestätigen zu lassen. Er war also in der Lage, sich in der Stadt zu bewegen, zu telefonieren, zu anderen Menschen Kontakt aufzunehmen und Entscheidungen zu treffen. Damit kann keine Rede davon sein, es sei ihm unmöglich gewesen, die Beklagte zu verständigen.

Zum Zeitpunkt des Antrags am 7. Juli 2005 war ein akuter Bedarf für die Behandlung einer Krankheit nicht mehr gegeben, weshalb zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf eine Leistung der Sozialhilfe nicht (mehr) entstehen konnte. Die Bedarfsdeckung - sei es durch Selbsthilfe, sei es durch Hilfe Dritter (einschließlich von Nothelfern) -, die vor der Kenntnis des Sozialhilfeträgers stattgefunden hat, schließt einen Sozialhilfeanspruch für den erledigten Bedarf aus (Beschluss des Senats vom 2. Januar 2006 - L 7 SO 4414/05 PKH-B - m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 161 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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