S 29 AY 9/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
29
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AY 9/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.In Bezug auf einen Anspruch nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten rechtsmissbräuchliches aufenthaltsverlängerndes Verhalten ihrer Eltern nicht zuzurechnen und deshalb unschädlich; in einem solchen Fall kommt (bei minderjährigen Kinder, die mit ihren Eltern in einem Haushalt leben) allein ein Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 3 AsylbLG in Betracht.
2.Zeiten vor dem 01.01.2005, in denen ein (aktuell) Leistungsberechtigter nach § 1 AsylbLG nach vorheriger (ausländerrechtlicher sowie sozialleistungsrechtlicher) Gesetzeslage Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bezogen hat, sind in die 36-Monats-Frist einzubeziehen.
Die Beklagte wird unter entsprechender Abänderung ihres Bescheides vom 23.12.2005 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 24.10.2006 verurteilt, der Klägerin Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 21.11.2005 bis zum 31.01.2006 unter Anrechnung der bereits bewilligten Leistungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Leistungen entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Zeitraum vom 21.11.2005 bis zum 31.01.2006 und dabei insbesondere um die Frage, ob Zeiten des Bezuges von Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vor dem Jahr 2005 in die 36-Monats-Frist nach § 2 Abs. 1 AsylbLG einzubeziehen sind.

Die am 00.00.1987 in Syrien geborene Klägerin ist syrische Staatsangehörige und gehört nach ihren eigenen Angaben zur kurdischen Bevölkerungsgruppe und zugleich zur Glaubensgemeinschaft der Jeziden. Sie reiste am 04.10.1993 gemeinsam mit ihrer Mutter A P1 (-1953) sowie ihren Geschwistern G1 P2 (- 1976), B P2 (- 1981), Z P2 (- 1984) und G1 P2 (- 1989) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 06.10.1993 stellte die Mutter der Klägerin für sich ihre Kinder einschließlich der Klägerin einen Asylantrag gemäß Artikel 16 a Grundgesetz (GG) beim damaligen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl, heute Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – BAMF). Zur Begründung des Asylbegehrens berief sich die Mutter der Klägerin auf politische Verfolgung in Syrien und führte bei ihrer Anhörung beim Bundesamt am 12.10.1993 im Wesentlichen aus, sie habe mit ihrer Familie Syrien verlassen müssen, weil die Polizei und die syrischen Sicherheitskräfte bei der Suche nach ihrem in den Untergrund abgetauchten Ehemann mehrfach die Familie misshandelt und verhört hätten. Sie selbst sei für längere Zeit inhaftiert worden, die Wohnung werde häufig, teilweise auch nachts, durchsucht und es erfolgten immer wieder Verhöre und Malträtierungen mit dem Ziel, den Aufenthaltsort des Ehemannes zu erfahren. Die Kinder wollten zum einen gemeinsam mit ihr, der Mutter, hier als Familie leben. Zum anderen seien auch sie von den Maßnahmen der Sicherheitskräfte in Syrien tangiert worden.

Auf dieser Grundlage entschied das Bundesamt mit Bescheid vom 04.11.1993, Gz. C 0000000-000, über die Asylanträge der Klägerin und ihrer mit ihr eingereisten Familienangehörigen. Das Bundesamt lehnte den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, weil die Einreise in die Bundesrepublik aus einem sicheren Drittstaat erfolgt sei. Zugleich stellte das Bundesamt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) sowie von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG auf Grund des von der Mutter der Klägerin geschilderten Verfolgungsschicksals in Syrien fest. Es sei davon auszugehen, dass im Falle einer Rückkehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit politischer Verfolgung im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG zu rechnen sei.

Mit Bescheid vom 24.11.1993 wies die Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen die Klägerin mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern der Gemeinde N1 im Kreis T zu. Daraufhin nahm die Klägerin mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Gemeinde N1 und wohnte dort zunächst unter der Adresse L1 Straße 0 in 00000 N, später ebendort unter der Adresse G2weg 00.

Der Oberkreisdirektor des Kreises T als Ausländerbehörde erteilte der Klägerin sowie ihrer Mutter und den Geschwistern im Februar 1994 im Hinblick auf die Anerkennung als Flüchtlinge im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG Aufenthaltsbefugnisse, die in den folgenden Jahren regelmäßig verlängert wurden.

Der Vater der Klägerin, N2 P2 (- 1938), reiste nach seinen Angaben am 06.03.1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte sodann am 18.03.1994 einen Asylantrag, den er mit seinem Verfolgungsschicksal in Syrien begründete und hierzu im Einzelnen in seiner Anhörung beim Bundesamt am 21.03.1994 im Wesentlichen ausführte: Er sei seit etwa 1986 Sympathisant der Demokratischen Partei Kurdistans und habe in dieser Eigenschaft Kurierdienste – zuletzt im Juli 1993 - ausgeführt. Davon habe der Geheimdienst durch Geheimdienstangehörigen erfahren, die später zu ihm nach Hause gekommen und seinen Sohn L2 sowie seine Ehefrau festgenommen und nach seinem Aufenthaltsort befragt hätten. Seit ca. zwei Jahren sei er untergetaucht und habe seine politischen Aktivitäten im Untergrund zunächst weiter fortgesetzt. Dann habe er seine politische Tätigkeit beenden müssen, da der Geheimdienst verstärkt nach ihm gesucht habe.

Das Bundesamt lehnte dieses Asylbegehren mit Bescheid vom 31.10.1994, Gz. C 0000000-000, ab und stellte fest, dass sowohl die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Weiter forderte es den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung nach Syrien an. Dies stützte das Bundesamt darauf, dass der Vater der Klägerin sein Verfolgungsschicksal in Syrien nicht glaubhaft gemacht habe, was im Wesentlichen damit begründet wurde, dass er im Hinblick auf die Demokratische Partei Kurdistans weder deren Zielsetzung beschreiben könne, noch sonstige konkrete Kenntnisse von dieser Partei besitze. Auch im Übrigen bewertete das Bundesamt seine Angaben zu seinem Verfolgungsschicksal als unglaubhaft.

Der Vater der Klägerin erhielt vom Oberkreisdirektor des Kreises T als Ausländerbehörde zunächst eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens, nachdem er von der Bezirksregierung Arnsberg - Außenstelle Unna-Massen - mit Bescheid vom 06.07.1994 ebenfalls der Gemeinde N1 zugewiesen worden war.

Der Vater der Klägerin erhob gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes am 18.11.1994 Klage beim Verwaltungsgericht Arnsberg auf Anerkennung als Asylberechtigter, die mit rechtskräftigem Urteil vom 09.04.1996 – 0 K 0000/90.B - abgewiesen wurde.

Nach der Zuweisung in die Gemeinde N1 nahm der Vater der Klägerin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in N1 bei seinen übrigen Familienangehörigen, also auch mit der Klägerin. Am 09.09.1996 erteilte die Ausländerbehörde des Kreises T auch ihm eine befristete Aufenthaltsbefugnis, die in den folgenden Jahren zunächst regelmäßig verlängert wurde.

Die Klägerin und ihre Mutter sowie die Geschwister hatten vom Sozialamt der Gemeinde N1 im Zeitraum von Dezember 1993 bis Februar 1994 Leistungen nach dem AsylbLG erhalten. Nach Erteilung der Aufenthaltsbefugnisse hatten sie Sozialhilfe unmittelbar nach dem BSHG bekommen. Soweit erkennbar erhielt auch der Vater der Klägerin ab dem Zeitpunkt, zu dem ihm eine befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt wurde, Sozialhilfeleistungen.

Zum 01.04.1997 verzog die gesamte Familie der Klägerin – einschließlich der schon im Mai 1994 geborenen Schwester E - von N1 nach 00000 T, Cweg 0. Dort hielten sie sich bis Ende Juli 2004 auf und bezogen als "De-facto-Flüchtlinge" mit befristeten Aufenthaltsbefugnissen Sozialhilfe nach dem BSHG.

Im Jahr 1999 leitete das Bundesamt ein Rücknahmeverfahren im Hinblick auf die Flüchtlingsanerkennung der Mutter der Klägerin sowie der mit ihr eingereisten Kinder einschließlich der Klägerin ein. Mit an die Klägerin, ihre Mutter sowie ihre Schwestern Z und G2 gerichtetem Bescheid vom 08.08.2000, Gz. 0000000-000, nahm das Bundesamt den Bescheid vom 04.11.1993 insofern zurück, als dort das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festgestellt worden war. Das Bundesamt stützte dies auf § 73 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG), da die Anerkennung auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen erfolgt sei. Hierbei stützte sich das Bundesamt auf einen Vergleich der im Asylverfahren erfolgten Aussagen der Mutter der Klägerin einerseits und des Vaters der Klägerin andererseits sowie ferner der Brüder der Klägerin O und L2. Letztlich sei insbesondere durch Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 09.04.1996 – 0 K 0000/00.B - festgestellt, dass der Vater der Klägerin, von dessen angeblicher politischer Verfolgung sämtliche übrigen Familienmitglieder ihre Asylgründe ableiteten, in Syrien unter keinem denkbaren Gesichtspunkt asylrechtlich relevanter politischer Verfolgung unterlegen habe.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Klägerin und ihre ebenfalls von dem Bescheid betroffenen Familienangehörigen beim Verwaltungsgericht Arnsberg Klage, die mit Urteil vom 24.04.2002 – 0 K 0000/00.B - rechtskräftig abgewiesen wurde.

Zum 01.07.2002 verzog die Klägerin mit ihren Eltern und ihren Geschwistern nach 00000 X, F1hang 00, wo sie sich seitdem aufhält. Vom Sozialamt der Stadt X erhielt die Familie, wie auch zuvor in der gesamten Zeit in T, Sozialhilfe nach dem BSHG. Nach der rechtskräftigen Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung der Klägerin, ihrer Mutter sowie ihrer zwei Geschwister verfügten diese zunächst noch über befristete Aufenthaltsbefugnisse, nach deren Ablauf die Klägerin und ihre Eltern die Verlängerung dieser Aufenthaltsbefugnisse beantragten. Wegen dieser Verlängerungsanträge erhielten sie Bescheinigungen, wonach bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag der Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 69 Abs. 3 AuslG als erlaubt gilt. Diese zunächst am 13.03.2003 ausgestellten Bescheinigungen wurden in der Folgezeit regelmäßig verlängert, weil sich das Verfahren hinsichtlich der Aufenthaltsbefugnis hinzog, da die Klägerin und ihre Eltern nicht über Heimatpässe verfügten. In dieser Zeit erhielten sie weiterhin vom Sozialamt der Beklagten Leistungen nach dem BSHG. Soweit ersichtlich bezog die Klägerin nach dem Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes und dem Inkrafttreten des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) sowie des SGB XII ab Anfang des Jahres 2005 Leistungen nach dem SGB II von der ARGE X.

Mit Datum vom 07.07.2005 erteilte die Ausländerbehörde der Stadt X der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthaltG), die bis zum 29.06.2006 befristet war. Diese Aufenthaltserlaubnis wurde unter dem 09.06.2006 bis zum 08.06.2008 verlängert.

Nachdem die ARGE X von der Erteilung dieses Aufenthaltstitels der Klägerin Kenntnis erlangt hatte, lehnte diese eine Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld II (ALG II) mit Bescheid vom 12.10.2005 ab, weil die Klägerin Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG sei und deshalb gemäß § 7 Abs. 1 SGB II keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen habe.

Nachdem die Klägerin ihre Bedürftigkeit schon am 21.11.2005 gegenüber der Beklagten geltend gemacht hatte, stellte sie sodann am 25.11.2005 einen ausführlichen Antrag auf Sozialhilfe nach dem SGB XII unter Verwendung eines Antragsformulars der Beklagten. In dem Formular führte sie aus, dass sie wegen der Statusänderung (Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5) Leistungen nach dem AsylbLG beantrage. Mit Bescheid vom 23.12.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin Grundleistungen nach dem AsylbLG für die Zeit vom 21.11.2005 bis einschließlich Januar 2006 in Höhe von monatlich 150,80 EUR. Dabei berücksichtigte die Beklagte die Grundleistung für die Klägerin zuzüglich ihres Mietanteils an der gemeinsam mit ihren Eltern sowie ihren Schwestern G2 und E genutzten Wohnung, abzüglich des für die Klägerin gezahlten Kindergeldes von 154 EUR.

Mit zwar vom 16.01.2006 datierendem Schreiben, welches jedoch schon am 15.01.2006 bei der Beklagten einging, erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch, da ihr Leistungen nach § 2 AsylbLG bzw. direkt nach dem SGB XII zustünden, weil sie in den letzten Jahren durchgehend Leistungen nach dem BSHG erhalten habe.

Für die Eltern der Klägerin sowie ihre Geschwister G2 und E hatte die Beklagte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG mit Bescheid vom 16.12.2005 in gleicher Weise bewilligt wie bei der Klägerin. Insofern beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, der auch die übrigen Familienmitglieder vertritt, schon am 29.12.2005 beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf den Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf Asylbewerberleistungen gemäß § 2 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII ab 01.12.2005 für die Eltern und die Geschwister G2 und E (S 00 AY 0/00 ER). Die Vorsitzende der 24. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 20.01.2006 ab, weil im Hinblick auf die bewilligten und gezahlten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich sei. Die hiergegen mit Datum vom 16.02.2006 erhobene Beschwerde der Antragsteller hatte beim Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) Erfolg. Das LSG NRW verpflichtete die Beklagte (die Antragsgegnerin im dortigen Verfahren) unter Abänderung des Beschlusses des SG Düsseldorf im Wege der einstweiligen Anordnung, den Eltern und den Geschwistern der Klägerin für die Zeit vom 29.12.2005 bis zum 30.04.2006 Leistungen gemäß § 2 AsylbLG nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erbringen (L 00 B 00/00 AY ER). In dem Beschluss führte der 20. Senat des LSG NRW neben der Annahme eines Anordnungsgrundes aus, dass der von § 2 Abs. 1 AsylbLG vorausgesetzte Leistungszeitraum von 36 Monaten erfüllt sei, obwohl die dortigen Antragsteller über einen solchen Zeitraum noch nicht die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erhalten hatten, sondern vor allem Leistungen nach dem BSHG bezogen hätten. Es wäre nach Auffassung des Senats eine übertriebene Förmelei, wenn allein darauf abzustellen wäre, ob die Antragsteller Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen haben. Die Eltern und die Geschwister der Klägerin erhalten seitdem von der Beklagten vorläufig Leistungen nach § 2 AsylbLG.

Nachdem die Beklagte sich weigerte, in Bezug auf die Klägerin entsprechend zu verfahren, beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim erkennenden Gericht mit Datum vom 04.08.2006, eingegangen am 09.08.2006, den Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf Leistungen nach § 2 AsylbLG (S 00 AY 0/00 ER). Da die Beklagte auch in diesem Verfahren ihren Standpunkt nicht aufgab, verpflichtete das erkennende Gericht die Beklagte mit Beschluss vom 30.10.2006 im Wege der einstweiligen Anordnung, der Klägerin für die Zeit ab dem 09.08.2006 bis zum 30.11.2006 vorläufig Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend dem SGB XII unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen zu gewähren. Seitdem erhält die Klägerin vorläufig Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.

Schon am 18.09.2006 hatte die Klägerin in Bezug auf ihren Widerspruch vom 16.01.2006 gegen den Bescheid vom 23.12.2005 eine Untätigkeitsklage gegen die Beklagte anhängig gemacht (S 00 AY 0/00).

Mit Bescheid vom 24.10.2006 wies die Beklagte dann den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 23.12.2005 zurück. Dies begründete die Beklagte im Wesentlichen mit dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG ("die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben"), den sie für unmissverständlich hält.

Nach Ergehen des Widerspruchsbescheides erklärten die Beteiligten die Untätigkeitsklage S 00 AY 0/00 übereinstimmend für erledigt.

Die Klägerin hat am 10.11.2006 diese Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG weiterverfolgt und zur Begründung auf die Gründe der einstweiligen Anordnung im Verfahren S 00 AY 0/00 ER verweist.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 23.12.2005 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 24.10.2006 zu verurteilen, ihr Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 21.11.2005 bis zum 31.01.2006 unter Anrechnung der bereits bewilligten Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich zunächst auf ihren Widerspruchsbescheid vom 24.10.2006 sowie auf ihre Stellungnahmen im einstweiligen Anordnungsverfahren S 00 AY 0/00 ER. Weiterhin trägt sie zur Begründung vor: Die Grenze der Auslegung der gesetzlichen Norm sei der Wortlaut des Gesetzes. Der Gesetzgeber stelle auf einen tatsächlichen Leistungsbezug des Leistungsberechtigten ab. Auf die Erfüllung einer Aufenthaltszeit im Bundesgebiet werde gerade nicht abgestellt. Vor der Aufnahme der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG im November 2005 durch die Beklagte hätte die Klägerin aber bisher nicht mehr als drei Monate Grundleistungen nach § 3 AsylbLG vom Sozialamt N1 erhalten. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG sei derart eindeutig, dass eine Auslegung im Sinne des LSG NRW nicht möglich sei. Es könnten deshalb bei einem Aufenthalt von 36 Monaten in der Bundesrepublik Deutschland, während dem nicht durchgehend Leistungen nach § 3, sondern Leistungen anderer Art bezogen worden seien, oder auch bei Sicherstellung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln keine Leistungen nach § 2 AsylbLG bewilligt werden. Es sei nicht erkennbar, dass es nach Absicht des Gesetzgebers Berechtigten nach dem AsylbLG nur zu Beginn ihrer Abhängigkeit von staatlichen Leistungen zumutbar sein solle, auf die erhöhten Leistungen gemäß § 2 AsylbLG vorübergehend zu verzichten. In Bezug auf eine zuvor von der Beklagten nicht thematisierte rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts durch die Eltern der Klägerin vertritt die Beklagte nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts die Auffassung, ein eventueller Rechtsmissbrauch der Eltern der Klägerin sei dieser jedenfalls nicht zurechenbar. Ein eigener Rechtsmissbrauch der Klägerin sei nicht ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte dieses Verfahrens, die Streitakten S 00 AY 0/00 ER, S 00 AY 0/00, die beigezogenen Streitakten in Bezug auf die Verfahren der Eltern und der Geschwister der Klägerin S 00 AY 0/00 ER und S 00 AY 00/00 sowie die beigezogenen Leistungsvorgänge der Beklagten zum AsylbLG in Bezug auf die Klägerin sowie ihre Eltern und ihre Geschwister G2 und Dunja, sowie die Ausländerakten der Ausländerbehörde der Beklagten betreffend die Klägerin und ihre Eltern Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Klage ist begründet.

Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin nur Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gewährt und Leistungen nach § 2 AsylbLG abgelehnt werden; hierdurch ist die Klägerin beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 SGG). Sie hat für die Zeit vom 21.11.2005 bis zum 31.01.2006 einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.

Die Klage bezieht sich nur auf den Zeitraum vom 21.11.2005 bis zum 31.01.2006. Die Klägerin hat den Streitgegenstand auf diesen Zeitraum begrenzt. Dies ist im Hinblick auf die Zusage der Beklagten erfolgt, Folgezeiträume entsprechend dem rechtskräftigen Urteil in diesem Verfahren zu regeln.

Leistungsberechtigt nach dem AsylbLG sind nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG u.a. Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besitzen. Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte im Sinne von § 1 AsylbLG abweichend von §§ 3 bis 7 AsylbLG Leistungen entsprechend dem SGB XII, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin in Bezug auf die Zeit vom 21.11.2005 bis zum 31.01.2006 vor.

Die Klägerin war im streitigen Zeitraum Leistungsberechtigte im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG, da sie seit dem 07.07.2005 über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verfügte, die bis zum 29.06.2006 wirksam war (und nachfolgend verlängert wurde).

Die Klägerin hat – was zwischen den Beteiligten zu keinem Zeitpunkt im Streit stand – auch die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Rechtsmissbrauch in diesem Sinne ist eine von der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv vorwerfbare und zur Aufenthaltsverlängerung führende Ausnutzung einer Rechtsposition.

Vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09.02.2007 – B 9b AY 1/06 R -, Juris Rn. 18.

Es ist unstreitig, dass die Klägerin in eigener Person kein Verhalten an den Tag gelegt hat, das die Dauer ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik rechtsmissbräuchlich verlängert hat. Solches ist auch anderweitig nicht ersichtlich

Rechtsmissbräuchliches aufenthaltsverlängerndes Verhalten ihrer Eltern, das eventuell vorliegen könnte, ist ihr nach Auffassung des Gerichts nicht zuzurechnen und deshalb in Bezug auf die Klägerin unschädlich.

Es kommt zwar in Betracht, dass die Eltern der Klägerin in ihren Asylverfahren vorsätzlich falsche Angaben zu ihrem angeblichen Verfolgungsschicksal in Syrien gemacht haben. Dies ergibt sich daraus, dass der Vater der Klägerin mit seinem Asylbegehren bzw. dem auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG gerichteten Begehren zu keinem Zeitpunkt durchgedrungen ist. Die Mutter der Klägerin hatte hier ursprünglich in Bezug auf die Anerkennung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG Erfolg. Diese Feststellung durch den Bescheid des Bundesamts vom 04.11.1993 wurde jedoch durch den Rücknahmebescheid vom 08.08.2000 aufgehoben, weil das Bundesamt – bestätigt durch rechtskräftiges Urteil des VG Arnsberg vom 24.04.2002 – 0 K 0000/00.B, - davon ausging, dass die Anerkennung durch unrichtige Angaben bzw. durch Verschweigen wesentlicher Tatsachen erlangt worden sei. Insofern spricht einiges dafür, dass der Vater und die Mutter der Klägerin in ihren Anhörungen beim Bundesamt bzw. in den entsprechenden Aussagen gegenüber dem VG Arnsberg in den Asylprozessen sowie dem Prozess gegen den Rücknahmebescheid unwahre Angaben gemacht haben und ihnen im Ergebnis weder ein Asylgrund im Sinne von Art. 16 a GG noch ein Verfolgungsschicksal im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG zur Seite stand. Dies als zutreffend unterstellt, hätten die Eltern der Klägerin wohl rechtsmissbräuchlich gehandelt und hierdurch ihren eigenen Aufenthalt wie auch den ihrer Kinder in der Bundesrepublik verlängert, da z. B. die Klägerin aufgrund der Anerkennung als Flüchtling gemäß § 51 Abs. 1 AuslG die mehrfach verlängerte Aufenthaltsbefugnis erhielt und sich auf dieser Grundlage seit Februar 1994 in der Bundesrepublik aufhielt. Wäre die Anerkennung des Flüchtlingsstatus nicht erfolgt, wäre die Familie der Klägerin schon damals vollziehbar ausreisepflichtig gewesen und hätte mit der zwangsweisen Rückführung rechnen müssen.

Das Gericht lässt im Ergebnis offen, ob die Eltern der Klägerin im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich gehandelt haben, auch wenn hierfür sehr viel spricht. Dies wird wohl im Klageverfahren der Eltern S 00 AY 00/00 zu klären sein. Es kommt darauf hier nicht an, weil Verhalten ihrer Eltern der Klägerin in Bezug auf § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht zuzurechnen ist. Dies sehen die Beteiligten übereinstimmend ebenso.

Für dieses Ergebnis spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, der den Anspruch auf die regelmäßig höheren Leistungen entsprechend dem SGB XII dann ausschließt, wenn der Leistungsberechtigte die Dauer seines Aufenthalts selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat.

Vgl. Hohm, Leistungsrechtliche Privilegierung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG F. 2005, NVwZ 2005, 388 (389).

In systematischer Hinsicht streitet auch ein Vergleich mit anderen Vorschriften des Sozialrechts für dieses Verständnis. Soweit zum Beispiel in Bezug auf die Einschränkungen des Vertrauensschutzes in §§ 45 ff. Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X), insbesondere in Bezug auf § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X, davon ausgegangen wird, dass Verhalten bzw. Wissen der Eltern ihren minderjährigen Kindern zurechenbar ist, so enthalten z. B. die Ziff. 1 bis 3 in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X keinen vergleichbar deutlichen Hinweis darauf, dass ein vorwerfbares Verhalten oder Wissen in der eigenen Person verwirklicht werden muss, wie es das Tatbestandsmerkmal "selbst" fordert. Gerade dieser Unterschied in der Formulierung ermöglicht es, von einem anderen Sinngehalt auszugehen.

Dieser andere Sinngehalt wird auch durch den systematischen Zusammenhang mit § 2 Abs. 3 AsylbLG und der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers bzw. dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift deutlich. § 2 Abs. 3 AsylbLG regelt, dass minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nur erhalten, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Abs. 1 entsprechend dem SGB XII erhält. Hierdurch wird nach der Absicht des Gesetzgebers ein Gleichlauf des Leistungsbezugs zwischen Eltern und ihren mit ihnen zusammenlebenden minderjährigen Kindern hergestellt,

vgl. Begründung zu § 2 des Gesetzentwurfs vom 24.10.1995, BTDr. 13/ 2746, S. 15 ff., abgedruckt in Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG (GK-AsylbLG), Stand Juli 2006, § 2, S. 5 f.

Dadurch wird zugleich erreicht, dass minderjährige Kinder, deren Eltern Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht erhalten, weil sie die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben, ebenfalls keine Leistungen entsprechend dem SGB XII bekommen. Angesichts dieser Vorschrift besteht regelmäßig kein Bedürfnis, minderjährigen Kindern Verhalten ihrer Eltern als "Selbstbeeinflussung" der Dauer des Aufenthalts zuzurechnen. Gerade diesen Zusammenhang übersieht das SG Stade, wenn es – bei summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – die Auffassung vertritt, dass Rechtsmissbrauch der Eltern den minderjährigen Kindern in Bezug auf § 2 Abs. 1 AsylbLG zugerechnet werde,

vgl. Beschluss vom 07.03.2005 – S 19 AY 4/05 ER -, Juris Rn. 34.

In Bezug auf minderjährige Kinder wäre bei Zurechnung von Rechtsmissbrauch der Eltern ansonsten § 2 Abs. 3 AsylbLG überflüssig. Zudem sieht das Gericht keinen Anlass, volljährige Kinder, denen selbst kein Rechtsmissbrauch vorzuwerfen ist, im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 AsylbLG gewissermaßen für Rechtsmissbrauch ihrer Eltern in der Vergangenheit "haften" zu lassen. Diese Leistungsberechtigten sollen entsprechend der Absicht des Gesetzgebers nach 36 Monaten des Aufenthalts und laufendem Sozialleistungsbezug bessere Integrationsmöglichkeiten erhalten, wenn kein Rechtsmissbrauch vorliegt.

Die Klägerin hat auch das Erfordernis der 36-Monats-Frist erfüllt, da sie über einen insgesamt deutlich längeren Zeitraum (von über zehn Jahren) Grundleistungen nach § 3 AsylbLG sowie Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG erhalten hat. Zeiten vor dem 01.01.2005, in denen ein (aktuell) Leistungsberechtigter nach § 1 AsylbLG nach damaliger (ausländerrechtlicher sowie sozialleistungsrechtlicher) Gesetzeslage Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bezogen hat, sind nach am Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 AsylbLG orientierter Auslegung in die 36-Monats-Frist einzubeziehen.

Die Kammer folgt der Auffassung des 20. Senats des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), der entschieden hat, dass es eine übertriebene Förmelei darstellen würde, wenn allein darauf abzustellen wäre, dass die Antragsteller Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen haben, und deshalb Zeiten des Sozialhilfebezugs auszuklammern wären,

vgl. Beschluss vom 27.04.2006 - L 20 B 10/06 AY ER -.

Auch wenn der Beklagten zuzugeben ist, dass der Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG für ihre entgegengesetzte Auffassung streitet, so ist die Kammer mit dem LSG NRW der Auffassung, dass die Vorschrift unter Berücksichtigung der Absicht des Gesetzgebers und des Gesetzeszwecks erweiternd auszulegen ist.

Die konkrete Absicht des historischen Gesetzgebers der mit dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (ZuwanderungsG) eingefügten Neufassung des § 2 Abs. 1 AsylbLG ging dahin, das Bundessozialhilfegesetz - wie zuvor - grundsätzlich für alle Leistungsberechtigten im Sinne von § 1 AsylbLG nach 36 Monaten zur Anwendung kommen zu lassen und davon nur die Fälle auszunehmen, in denen der Ausländer die Dauer seines Aufenthalts rechtsmissbräuchlich (z. B. durch Vernichtung des Passes, Angabe einer falschen Identität) selbst beeinflusst hat. Es war die Intention des Gesetzgebers, insofern zwischen denjenigen Ausländern zu unterscheiden, die unverschuldet nicht ausreisen können, und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen.

Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf des ZuwanderungsG, BTDr. 15/ 420, S. 121, Zu Nummer 3.

Grund für die leistungsrechtliche Privilegierung, die § 2 Abs. 1 AsylbLG bewirkt, ist nach Auffassung des Gesetzgebers der Umstand, dass bei einem längeren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und noch nicht absehbarer weiterer Dauer des Aufenthalts nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden kann, wie er bei einem in der Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalt entsteht. Dann seien auch Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet seien.

Vgl. Begründung zur § 2 Abs. 1 AsylbLG funktional entsprechenden Vorschrift des § 1 a AsylbLG a. F., BTDr. 12/ 5008, S. 15.

Zugleich sollte mit der durch das ZuwanderungsG ab Anfang 2005 geschaffenen Fassung sichergestellt werden, dass vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer und Asylbewerber sowie Asylfolgeantragsteller keine Leistungen auf Sozialhilfeniveau erhalten, um so den Anreiz zur missbräuchlichen Asylantragstellung einzuschränken und letztlich eine Reduzierung der Asylanträge und dadurch eine Verfahrensbeschleunigung herbeizuführen.

So der Referentenentwurf zum ZuwanderungsG (Schily I), zitiert nach GK-AsylbLG, § 2, Rn. 10; ähnlich BTDr. 15/ 420, S. 120, Zu Artikel 8.

Abgesehen davon, dass viel dafür spricht, Zeiten des Sozialhilfebezugs erst recht in die 36-Monats-Frist nach § 2 Abs. 1 AsylbLG einzubeziehen, wenn der Bezug von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG hierfür Voraussetzung ist, so entspricht dies weiterhin der dargestellten Intention des Gesetzgebers, die mit dem objektiven Zweck des § 2 Abs. 1 AsylbLG, wie ihn das Gericht versteht, ebenfalls übereinstimmt.

Die Absicht des Gesetzgebers, dass nur solche Leistungsberechtigte im Sinne von § 1 AsylbLG von den Leistungen auf Sozialhilfeniveau nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ausgeschlossen sein sollen, die rechtsmissbräuchlich die Dauer ihres Aufenthalts verlängern bzw. ihre Ausreise verhindern, wird durch die Verständnisweise des Gerichts nicht weniger verwirklicht, als bei der sehr viel engeren von der Antragsgegnerin bevorzugten Auslegung. In beiden Fällen ist kumulatives Tatbestandsmerkmal, dass die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich von den Leistungsberechtigten beeinflusst worden sein darf. Dies ist somit gesondert zu prüfen.

Der Sinn des Wortlauts des § 2 Abs. 1 AsylbLG ("Grundleistungen nach § 3 erhalten haben") dient dabei nach Einschätzung der Kammer der Abgrenzung zum einen von den Leistungen nach § 4 bis 6 AsylbLG, die nicht ausreichen sollen, und zum anderen von den noch stärker abgesenkten Leistungen mit Sanktionscharakter nach § 1 a AsylbLG.

Vgl. GK-AsylbLG, a. a. O., Rn. 36 ff.

Gerade in Bezug auf den Ausschluss rechtsmissbräuchlich handelnder Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG liegt hier eine Überschneidung mit dem Tatbestandsmerkmal "keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer" vor. Das Gericht geht davon aus, dass es dem Gesetzgeber des ZuwanderungsG nicht darum ging, Fälle wie den der Klägerin aus dem Bezug von Sozialhilfeleistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG auszuschließen, sondern dass es sich eher um eine vom Gesetzgeber übersehene Konstellation handelt, die durch die Änderung des § 1 AsylbLG im Zusammenhang mit der Schaffung neuer Aufenthaltstitel im AufenthG erst möglich wurde.

Insofern versteht das Gericht die dargestellte Absicht des Gesetzgebers bei der Novellierung des § 2 Abs. 1 AsylbLG insbesondere so, dass rechtsmissbräuchlich ihren Aufenthalt beeinflussende Leistungsberechtigte vom Bezug der dem SGB XII entsprechenden Leistungen ausgeschlossen werden sollten, jedoch für nicht rechtsmissbräuchlich handelnde Leistungsberechtigte keine Veränderung gegenüber dem bisherigen Zustand bewirkt werden sollte. Für die Antragstellerin würde es aber eine Verschlechterung bedeuten, wollte man der Auffassung der Antragsgegnerin folgen: Sie wäre für einen längeren Zeitraum (wohl von 33 Monaten ab dem 21.11.2005) auf ein Leistungsniveau verwiesen, wie es das AsylbLG "Neuankömmlingen" in provisorischen Lebensverhältnissen zumutet. Die Klägerin hingegen hält sich seit Anfang Oktober 1993 in der Bundesrepublik Deutschland auf, erhielt Anfang November 1993 eine Anerkennung als Flüchtling gemäß § 51 Abs. 1 AuslG und in der Folge Aufenthaltsbefugnisse seit Februar 1994. Sie bezog dem SGB XII entsprechende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG von März 1993 bis Ende Dezember 2004 sowie nachfolgend Leistungen nach dem SGB II. Das von § 2 Abs. 1 AsylbLG vorgesehene höhere Leistungsniveau im Interesse besserer sozialer Integration in die deutsche Gesellschaft und einer Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse (auf der untersten Ebene) hat sie somit seit über zehn Jahren erlebt. Ihre faktische (wohl) weitgehende Integration verdeutlicht ihr Besuch des Berufskollegs F2 der Stadt X von August 2005 bis voraussichtlich 15.06.2007 gemäß Bescheinigung vom 21.11.2005 (zweijährige Berufsfachschule für Wirtschaft und Verwaltung – Handelsschule). Sie jetzt wieder auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu setzen, wäre für sie kaum nachvollziehbar und entbehrte auch eines sachlichen Grundes. Zudem würde dies den aktuell erreichten Stand der Integration und insbesondere ihre Schul- bzw. Berufsausbildung gefährden. Dies könnte nur dann vom Gesetzgeber gewollt sein, wenn der Sinn der Formulierung "die Leistungen nach § 3 erhalten haben" darin läge, alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG ausnahmslos für eine Zeit von 36 Monaten auf dem niedrigen Niveau der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG "darben" zu lassen, bevor sie die höheren Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten. Für einen solchen Zweck, der im Ergebnis die Haushalte der Träger der Asylbewerberleistungen entlasten würde, sieht das Gericht jedoch keine Anhaltspunkte.

Hinzu kommt, dass die hier vertretene Auffassung auch aus Gründen des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG als verfassungskonforme Auslegung geboten ist, da kein sachlicher Grund erkennbar ist, der es rechtfertigen würde, jemanden wie die Klägerin, die über (weit) mehr als 36 Monate höherwertige Sozialleistungen in der Bundesrepublik bezogen hat, anders zu behandeln, als Leistungsberechtigte, die über 36 Monate Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bezogen haben.

Vgl. Hess. LSG, Beschluss vom 21.03.2007 – L 7 AY 14/06 ER, L 7 B 90/07 AY -, Juris Rn. 26 ff.

Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob andere Fälle, wie sie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 31.08.2006 im Verfahren gleichen Rubrums S 00 AY 0/00 ER anführt, ebenfalls in die 36-Monats-Frist einzubeziehen wären. Fälle der Unabhängigkeit von Sozialleistungen aufgrund von anderweitigem Einkommen, familiärer Unterstützung oder ausländerrechtlichen Verpflichtungserklärungen sind eventuell anders gelagert und hier nicht einschlägig.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Berufung war nach § 144 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die hier entschiedenen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung haben und die Berufungssumme nicht erreicht ist.
Rechtskraft
Aus
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