Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 SO 2148/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 112/07 SO PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. März 2007 aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin C R, Pstraße , B, beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 73a Sozialgerichtsgesetz [SGG] i. V. mit §§ 114 ff., 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO] liegen vor. Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise selbst aufbringen könnte und eine Vertretung durch eine Rechtsanwältin ist erforderlich. Die Rechtsverfolgung hat auch hinreichend Aussicht auf Erfolg, so dass diese Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ebenfalls erfüllt ist. Um eine "hinreichende" Erfolgsaussicht annehmen zu können, dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Denn das Verfahren der Prozesskostenhilfe soll den verfassungsrechtlichen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen (siehe stellvertretend Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschlüsse vom 14. Oktober 2003 – 1 BvR 901/03 – info also 2004, 23 – und vom 29. September 2004 – 1 BvR 1281/04 –, NJW-RR 2005, 140). Im vorliegenden Fall erscheint nach Aktenlage jedenfalls ein teilweises Obsiegen der Klägerin möglich, was ausreicht, um eine hinreichende Erfolgsaussicht bejahen zu können. Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Sozialgerichts kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die Frist für die Einlegung des Widerspruchs gewahrt hat. Als sich die Bevollmächtigte der Klägerin in der Klageschrift vom 26. September 2006 erstmals zum Zugangsdatum des Bescheides vom 20. Januar 2006 geäußert hat (die Beklagte hatte – nachdem sie der Klägerin mit Schreiben vom 21. März 2006 noch eine Auflage in der Sache gemacht hatte – ohne weiteren Hinweis und damit praktisch im Wege einer "Überraschungsentscheidung" den Widerspruch als unzulässig "zurückgewiesen"), hatte sie den 25. Januar 2006 angegeben. Dieses Zugangsdatum wird durch den Stempelaufdruck auf der von der Bevollmächtigten überreichten Ablichtung des Bescheides vom 20. Januar 2006 belegt. Damit hat die Klägerin ausreichend Tatsachen vorgetragen, um die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB XII) zu erschüttern und die Beweislastumkehr nach § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X eintreten zu lassen (s. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 37 Rz. 13 m. w. Nachw.). Dass die Angabe "27. Januar 2006" im Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 13. Februar 2007 auf einem Irrtum beruht, ist plausibel. Die Bedeutung des Datumsstempels "25. Jan. 2006" erschließt sich ohne Weiteres, da sie nach menschlichem Ermessen nur vom Absender – also dem Beklagten (dann wäre der Widerspruch zwangsläufig fristgerecht eingelegt) – oder dem Empfänger – also der Bevollmächtigten der Klägerin – angebracht worden sein konnte. Wenn der Datumsstempel entsprechend dem Vortrag der Bevollmächtigten der Klägerin von ihr angebracht worden ist, dann ist wiederum nicht zu erkennen, welche andere Bedeutung er haben sollte als die, den Eingang des gestempelten Schriftstücks zu markieren. Die Vermutung des Sozialgerichts, es könne sich angesichts des auf dem Widerspruchsbescheid angebrachten Stempels bei dem im Januar verwendeten nicht um den anwaltlichen Eingangsstempel handeln, hat die Bevollmächtigte in ihrem Schriftsatz vom 22. Mai 2007 überzeugend entkräftet. In der Sache könnte die Klägerin jedenfalls mit ihrem Anfechtungsbegehren Erfolg haben. Denn eine endgültige Entscheidung über den Leistungsantrag im derzeitigen Verfahrensstadium könnte gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstoßen (s. dazu etwa BSG SozR 3-2600 § 248 Nr. 8; 3-1300 § 32 Nr. 2: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2007 – L 13 AS 211/07 ER-B). Die Beklagte hat den Bescheid vom 20. Januar 2006 und ebenso in Hilfserwägungen zur Begründetheit den Widerspruchsbescheid vom 10. August 2006 damit begründet, dass die Klägerin dem Grunde nach zu den Leistungsberechtigten nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) zähle. Sie hat indessen nicht geklärt, ob der Träger der Grundsicherung nach dem SGB II diese Auffassung teilt (in dem Bescheid des JobCenters Friedrichshain-Kreuzberg vom 15. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2006 – dem Beklagten seit dem Widerspruchsverfahren bekannt – hat er dies immerhin nicht getan; der gegen diese Bescheide anhängig gemachte Rechtsstreit SG Berlin S 109 AS 2714/06 ist augenscheinlich noch anhängig) und gegebenenfalls das nach § 21 Satz 2 SGB XII vorgesehene Verfahren eingeleitet. Sollte die Frage der Zuständigkeit zu Lasten des Beklagten geklärt sein, wäre des Weiteren von Amts wegen aufzuklären, ob die Voraussetzungen für die begehrte Leistung vorliegen. Es muss nicht näher ausgeführt werden, dass diese Aufklärung nicht zwangsläufig nur in der Befragung der Klägerin bestehen muss (die wiederum durch eine Anordnung des persönlichen Erscheinens zu einem Verhandlungstermin erreicht werden könnte), sondern etwa auch in der Beiziehung der Ausländerakte (zur Feststellung des Aufenthaltsstatus). Nur am Rand wird im übrigen darauf hingewiesen, dass eine Versagung von Leistungen wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten (§ 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch [SGB I]) – anders als der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 10. August 2006 meint – schon deshalb ausscheidet, weil die Voraussetzungen nach § 66 Abs. 3 SGB I nicht erfüllt sind. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 73a SGG i. V. mit § 127 Abs. 4 ZPO. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 73a Sozialgerichtsgesetz [SGG] i. V. mit §§ 114 ff., 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO] liegen vor. Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise selbst aufbringen könnte und eine Vertretung durch eine Rechtsanwältin ist erforderlich. Die Rechtsverfolgung hat auch hinreichend Aussicht auf Erfolg, so dass diese Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ebenfalls erfüllt ist. Um eine "hinreichende" Erfolgsaussicht annehmen zu können, dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Denn das Verfahren der Prozesskostenhilfe soll den verfassungsrechtlichen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen (siehe stellvertretend Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschlüsse vom 14. Oktober 2003 – 1 BvR 901/03 – info also 2004, 23 – und vom 29. September 2004 – 1 BvR 1281/04 –, NJW-RR 2005, 140). Im vorliegenden Fall erscheint nach Aktenlage jedenfalls ein teilweises Obsiegen der Klägerin möglich, was ausreicht, um eine hinreichende Erfolgsaussicht bejahen zu können. Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Sozialgerichts kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die Frist für die Einlegung des Widerspruchs gewahrt hat. Als sich die Bevollmächtigte der Klägerin in der Klageschrift vom 26. September 2006 erstmals zum Zugangsdatum des Bescheides vom 20. Januar 2006 geäußert hat (die Beklagte hatte – nachdem sie der Klägerin mit Schreiben vom 21. März 2006 noch eine Auflage in der Sache gemacht hatte – ohne weiteren Hinweis und damit praktisch im Wege einer "Überraschungsentscheidung" den Widerspruch als unzulässig "zurückgewiesen"), hatte sie den 25. Januar 2006 angegeben. Dieses Zugangsdatum wird durch den Stempelaufdruck auf der von der Bevollmächtigten überreichten Ablichtung des Bescheides vom 20. Januar 2006 belegt. Damit hat die Klägerin ausreichend Tatsachen vorgetragen, um die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB XII) zu erschüttern und die Beweislastumkehr nach § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X eintreten zu lassen (s. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 37 Rz. 13 m. w. Nachw.). Dass die Angabe "27. Januar 2006" im Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 13. Februar 2007 auf einem Irrtum beruht, ist plausibel. Die Bedeutung des Datumsstempels "25. Jan. 2006" erschließt sich ohne Weiteres, da sie nach menschlichem Ermessen nur vom Absender – also dem Beklagten (dann wäre der Widerspruch zwangsläufig fristgerecht eingelegt) – oder dem Empfänger – also der Bevollmächtigten der Klägerin – angebracht worden sein konnte. Wenn der Datumsstempel entsprechend dem Vortrag der Bevollmächtigten der Klägerin von ihr angebracht worden ist, dann ist wiederum nicht zu erkennen, welche andere Bedeutung er haben sollte als die, den Eingang des gestempelten Schriftstücks zu markieren. Die Vermutung des Sozialgerichts, es könne sich angesichts des auf dem Widerspruchsbescheid angebrachten Stempels bei dem im Januar verwendeten nicht um den anwaltlichen Eingangsstempel handeln, hat die Bevollmächtigte in ihrem Schriftsatz vom 22. Mai 2007 überzeugend entkräftet. In der Sache könnte die Klägerin jedenfalls mit ihrem Anfechtungsbegehren Erfolg haben. Denn eine endgültige Entscheidung über den Leistungsantrag im derzeitigen Verfahrensstadium könnte gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstoßen (s. dazu etwa BSG SozR 3-2600 § 248 Nr. 8; 3-1300 § 32 Nr. 2: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2007 – L 13 AS 211/07 ER-B). Die Beklagte hat den Bescheid vom 20. Januar 2006 und ebenso in Hilfserwägungen zur Begründetheit den Widerspruchsbescheid vom 10. August 2006 damit begründet, dass die Klägerin dem Grunde nach zu den Leistungsberechtigten nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) zähle. Sie hat indessen nicht geklärt, ob der Träger der Grundsicherung nach dem SGB II diese Auffassung teilt (in dem Bescheid des JobCenters Friedrichshain-Kreuzberg vom 15. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2006 – dem Beklagten seit dem Widerspruchsverfahren bekannt – hat er dies immerhin nicht getan; der gegen diese Bescheide anhängig gemachte Rechtsstreit SG Berlin S 109 AS 2714/06 ist augenscheinlich noch anhängig) und gegebenenfalls das nach § 21 Satz 2 SGB XII vorgesehene Verfahren eingeleitet. Sollte die Frage der Zuständigkeit zu Lasten des Beklagten geklärt sein, wäre des Weiteren von Amts wegen aufzuklären, ob die Voraussetzungen für die begehrte Leistung vorliegen. Es muss nicht näher ausgeführt werden, dass diese Aufklärung nicht zwangsläufig nur in der Befragung der Klägerin bestehen muss (die wiederum durch eine Anordnung des persönlichen Erscheinens zu einem Verhandlungstermin erreicht werden könnte), sondern etwa auch in der Beiziehung der Ausländerakte (zur Feststellung des Aufenthaltsstatus). Nur am Rand wird im übrigen darauf hingewiesen, dass eine Versagung von Leistungen wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten (§ 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch [SGB I]) – anders als der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 10. August 2006 meint – schon deshalb ausscheidet, weil die Voraussetzungen nach § 66 Abs. 3 SGB I nicht erfüllt sind. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 73a SGG i. V. mit § 127 Abs. 4 ZPO. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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