S 37 AS 2302/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 2302/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Dezember 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2006 verurteilt, der Klägerin ab 18.4.2005 Alg II unter Anrechnung des Kindergeldes zu gewähren. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist, ob während der Bearbeitung eines Alg II-Antrags gezahlte Unterstützungs-leistungen der Mutter der Klägerin die Hilfebedürftigkeit vermindern.

Am 18. April 2005 beantragte die Klägerin Alg II. Im Verlauf der Antragsbearbeitung wurde unter Hinweis auf fehlende Unterlagen eine Leistungsversagung aufgrund mangelhafter Mitwirkung verfügt (Bescheid vom 23.8.2005). In ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch wandte die Klägerin ein, die geforderten Unterlagen innerhalb der gesetzten Frist abgegeben zu haben.

Aus den einreichten Kontobelegen geht hervor, dass die Klägerin zusätzlich zum Kindergeld im Juni und Juli Überweisungen von ihrer Mutter erhielt, die im Kontoauszug als "Unter-stützung" bezeichnet werden. In einem Schreiben zur Vorlage beim JobCenter bestätigt die Mutter der Klägerin die Zahlung eines monatlichen "Unterhaltsgeldes" von 520,- EUR plus 67,- EUR für die Monatsfahrkarte.

In der Zeit vom 23.6. bis 17.7.2005 befand sich die Klägerin in stationärer Krankenhaus-behandlung, der sich ab 18.7.2005 eine teilstationäre Weiterbehandlung anschloss.

Mit Bescheid vom 7.12.2005 verneinte der Beklagte im Hinblick auf die Unterstützungs-zahlungen der Mutter und das Kindergeld die Hilfebedürftigkeit ab dem 20.7.2005, dem Rücklauf des ausgefüllten Antragsformulars. Einem internen Aktenvermerk zufolge wurde die im Rahmen der Krankenhausbehandlung gewährte Verpflegung als anrechenbares Einkommen mit einem Betrag von 35% des Regelsatzes gewertet.

Dem widersprach die Klägerin mit der Begründung, ihre Mutter habe nur zur Überbrückung der auf einer schleppenden Antragsbearbeitung beruhenden Notlage ausgeholfen. Die Mutter bestätigte dies in einer schriftlichen Erklärung vom 17.12.2005; ab Januar 2006 könne keine Hilfe mehr geleistet werden.

Der Widerspruch führte ab Januar 2006 zu einer um das Kindergeld gekürzten Bewilligung, hinsichtlich des Zeitraums 1.8.2005 bis 31.12.2005 rechnete der Beklagte außerdem die Unterstützungszahlung der Mutter voll an (Änderungsbescheid vom 27.1.2006). Im Widerspruchsbescheid vom 16.1.2006 bekräftigt der Beklagte seine Ansicht, bei den Zahlungen der Mutter handele es sich um anrechenbares Einkommen i.S. von § 11 SGB II.

Hiergegen richtet sich die am 14. März 2006 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage. Die Klägerin macht geltend, allein wegen der verzögerten Antragsbearbeitung Geld von ihrer Mutter erhalten zu haben. Das Geld sei in der Erwartung einer Rückzahlung bei Bewilligung des Alg II gegeben worden.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Dezember 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2006 zu verurteilen, der Klägerin ab 18.4.2005 Alg II unter Anrechnung des Kindergeldes zu gewähren

Die Beklagtevertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogene Leistungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat ab 18.4.2005 Anspruch auf Alg II, auf den nur das bereinigte Kindergeld von 124,- EUR monatlich anzurechnen ist.

Beginn der Leistungszahlung ist der im Antragformular vermerkte Tag der Antragstellung. Der Eingangstempel 20.7.2005 bezeichnet lediglich den Rücklauf des ausgefüllten Antrags, der für den Beginn der Leistung jedoch nicht konstitutiv ist. Nach § 37 SGB II kommt es auf den Tag der Antragstellung, hier der 18.4.2005, an.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II sind im streitbefangenen Zeitraum nicht streitig, so dass Ausführungen dazu entbehrlich sind.

Was die Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II betrifft, entspricht es bereits ständiger Recht-sprechung zum BSHG, dass zum Zweck der Überbrückung erbrachte Nothilfeleistungen den Hilfebedarf nicht schmälern. Erst Recht gilt dieser Grundsatz im SGB II, in dem die Leistung in Form eines Dauerverwaltungsaktes für einen bestimmten Zeitraum gezahlt wird. Die Notwendigkeit einer solchen Betrachtung liegt auf der Hand: ansonsten könnte der SGB II-Träger seiner Leistungsverpflichtung dadurch entgehen, dass er Alg II-Anträge schleppend bearbeitet. Die Heranziehung der Kontrollüberlegung in § 11 Abs. 3 SGB II (Rechtfertigung der Leistungsgewährung trotz Erlangung von Leistungen Dritter) kann als weiterer Beleg dafür angeführt werden, dass die zur Abwendung einer Notlage, die auf Verzögerungen bei der Antragsbearbeitung beruht, aufgewandten Leistungen dennoch eine ungekürzte Alg II-Bewilligung rechtfertigen. Denn sie werden nur zu dem Zweck erbracht, die Nachteile aus der antragsfernen Bearbeitung abzuwenden. Eine Verbesserung der Lebensstellung des Hilfebedürftigen ist damit nicht beabsichtigt.

Dass die Zahlungen in den Kontobelegen als Unterstützung und in der Erklärung der Mutter als Unterhalt bezeichnet werden, macht sie nicht zwingend zu Leistungen, die endgültig und anstelle des beantragten Alg II erbracht wurden; im Gegenteil zeigt die Beantragung von Alg II, dass die Klägerin von ihrer Mutter über die Weiterleitung des Kindergeldes hinaus nicht unterhalten wurde und auch nicht mehr unterhalten werden musste. Sie hatte ja bereits in 2004 Sozialhilfe bezogen. Die fehlende Vereinbarung einer Rückzahlung ist unter nahen Verwandten nicht ungewöhnlich und spricht daher ebenfalls nicht gegen die Behauptung von Mutter und Klägerin vom Darlehenscharakter der erbrachten Hilfe.

Der fristgemäß angefochtene Versagungsbescheid vom 23.8.2005 ist mangels Erlass eines Widerspruchsbescheides immer noch nicht bestandskräftig geworden, hinderte das Gericht somit nicht daran, in der Sache auf einen Alg II-Anspruch ab 18.4.2005 zu erkennen.

Aus demselben Grund steht der nach § 96 SGG zum Gegenstand der laufenden Klage gewordene Änderungsbescheid vom 27.1.2006, der mit verfügtem Leistungsbeginn 1.8.2006 konkludent eine Nachzahlungsentscheidung nach § 67 SGB I beinhaltet, einem früheren Leistungsanspruch nicht entgegen. Überdies ergibt sich aus der Leistungsakte, dass die angeforderten Unterlagen am 22.8.2005 (Montag) mit einem Eingangsstempel versehen wurden, was den Vortrag der Klägerin stützt, die Unterlagen am Freitag, den 19.8.2005, d.h. einen Tag nach Fristablauf, abgegeben zu haben. Bei dieser Sachlage wäre die Ablehnung einer rückwirkenden Bewilligung ab Antragstellung nicht vertretbar.

Die am 23.6.2005 stationär begonnene und ab 18.7.2005 teilstationär weitergeführte Behand-lung der Klägerin rechtfertigt keine Kürzung des Regelsatzes. Die im Rahmen des Kranken-hausaufenthalts gewährte Verpflegung ist Bestandteil der Heilbehandlung. Als sonstige Einnahme i.S. von § 2 b der Alg II-VO, die über eine analoge Anwendung von § 2 Abs. 4 Alg II-VO als bewertbarer Sachbezug angerechnet werden könnte, kann sie daher nicht berücksichtigt werden; dies ergibt sich auch schon daraus, dass die Bewertungsgrößen der SachbezugsVO über dem Regelsatzanteil für die Ernährung liegen. Die Anwendung der SachbezugsVO bleibt daher auf Fälle beschränkt, in denen die Sachleistung Bestandteil des Entgelts aus einer Erwerbstätigkeit ist.

Eine Anpassung des Regelsatzes an die Sonderbedarfslage bei stationärer oder teilstationärer Behandlung ist wegen einer fehlenden Öffnungskausel der SGB II-Regelsätze nicht möglich.

Somit bleibt nur das Kindergeld, vermindert um die 30,- EUR Versicherungspauschale nach § 3 Alg II-VO als bedarfsminderndes Einkommen übrig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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