S 119 AS 751/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
119
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 119 AS 751/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verpflichtet, seinen Erstattungsbescheid vom 24. März 2006 in der Fassung des Aufhebungs- und Rückerstattungsbescheides vom 13. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2006 aufzuheben und die insoweit seit April 2006 einbehaltenen Beträge in Höhe von 50,- EUR monatlich zurückzuerstatten sowie von einer weiteren Aufrechnung abzusehen. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten.

Die geschiedene Klägerin ist Mutter zweier Kinder. Sie bezieht seit dem 01. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Seit dem 07. Januar 2005 ist die 1993 geborene Tochter der Klägerin in einem Heim untergebracht. Der 1990 geborene Sohn der Klägerin lebt bei ihr. Am 01. März 2006 hat die Klägerin wieder geheiratet. Ihr Ehemann ist seitdem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.

Im Dezember 2005 stellte der Beklagte anlässlich eines Datenabgleichs nach § 52 SGB II fest, dass für die Klägerin im Juli und August 2005 Beiträge zur Rentenversicherung im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung abgeführt worden waren. Daraufhin wurde die Klägerin von dem Beklagten aufgefordert, eine Bescheinigung ihres Arbeitgebers über den Zeitraum und die Höhe des erzielten Einkommens abzugeben. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 17. Februar 2006 mit, dass sie seit dem 01. August 2005 einen Minijob bei der Firma ... habe. Sie arbeite 10 Stunden in der Woche und verdiene im Monat 165,- EUR. Ausweislich einer Bescheinigung des Arbeitgebers der Klägerin endete die Beschäftigung am 08. März 2006.

Mit Schreiben des Beklagten vom 09. März 2006 wurde die Klägerin darüber informiert, dass sie nach Auffassung des Beklagten in der Zeit vom 01. September 2005 bis 31. März 2006 einen Arbeitslosengeld II in Höhe von 815,32 EUR wegen des damals nicht bekannten Hinzuverdienstes zu Unrecht erhalten habe. Der Klägerin wurde Gelegenheit gegeben, sich zur beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung von Leistungen für den vorgenannten Zeitraum und einer anschließenden Aufrechnung der zuviel gezahlten Beträge zu äußern.

Mit "Erstattungsbescheid" vom 24. März 2006 forderte der Beklagte von der Klägerin den zuviel gezahlten Betrag in Höhe von 815,32 EUR zurück. Am selben Tag ging ein Schreiben der Klägerin bei dem Beklagten ein, in dem sie darauf hinwies, dass nach ihrer Auffassung von ihrem Hinzuverdienst nur 52,- EUR monatlich in Anrechnung zu bringen seien. Dieses Schreiben behandelte der Beklagte als Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. März 2006 und erließ am 13. April 2006 einen neuen "Aufhebungs- und Erstattungsbescheid", mit dem er den Bescheid vom 24. März 2006 wieder aufhob. Gleichzeitig forderte er nunmehr nur noch einen Betrag in Höhe von 662,32 EUR von der Klägerin zurück und kündigte an, diesbezüglich ab April 2006 in monatlichen Raten in Höhe von 50,- EUR mit der Regelleistung aufrechnen zu wollen. Mit Widerspruchsbescheid vom 08. September 2006 wurde der Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde angeführt, dass der angefochtene Bescheid in der Fassung des Änderungsbescheid vom 13. April 2006 nunmehr rechtmäßig sei. Das Einkommen der Klägerin in Höhe von 165,- EUR habe die Geldleistungen des Jobcenters in den Monaten September 2005 bis März 2006 einschließlich gemindert. Da ihr das Einkommen des Monats August 2005 erst im Folgemonat September 2005 zugeflossen sei, sei es auch erst im September zu berücksichtigen. In den folgenden Ausführungen des Widerspruchsbescheides wurden im einzelnen die Grundlagen für die Berechnung des zurückzuerstattenden Betrages dargelegt.

Am 19. September 2006 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie beanstandet die Höhe des von ihr zurückgeforderten Betrages, da sie der Auffassung ist, dass von ihrem Einkommen monatlich nur 52,- EUR auf ihren Arbeitslosengeld II - Anspruch in Anrechnung hätten gebracht werden dürfen. Zudem weist sie darauf hin, dass der Beklagte seit April monatlich 50,- EUR von ihrem Arbeitslosengeld II einbehalte, ohne dass es hierfür eine Begründung gebe.

Die dem Termin zur mündlichen Verhandlung unentschuldigt ferngebliebene Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten zu verpflichten, seinen Erstattungsbescheid vom 24. März 2006 in der Fassung des Aufhebungs- und Rückerstattungsbescheides vom 13. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2006 aufzuheben und die insoweit seit April 2006 einbehaltenen Beträge in Höhe von 50,- EUR monatlich zurückzuerstatten sowie von einer weiteren Aufrechnung abzusehen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und weist darauf hin, dass die Klägerin entgegen ihrer Behauptung ihren Mitteilungspflichten nicht nachgekommen sei. In den eingereichten Einkommenserklärungen vom 20. Juli 2005 und 20. Dezember 2005 sei das erzielte Einkommen nicht angegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Erstattungsbescheid vom 24. März 2006 in der Fassung des Aufhebungs- und Rückerstattungsbescheides vom 13. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Dem Beklagten ist zwar insoweit zuzustimmen, als dass die Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu erfolgen hatte. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Im Zeitpunkt der Bewilligung von Arbeitslosengeld II im Jahr 2005 war noch nicht bekannt, dass die Klägerin jedenfalls seit dem 01. August 2005 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung Einkommen erzielte, der ihren Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts verringerte. Nach Bekanntwerden dieser Änderung der Verhältnisse war der Beklagte gehalten, das zuviel gezahlte Arbeitslosengeld II zurückzufordern. Der in der "Soll"-Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ohnehin eingeschränkte Vertrauensschutz wird durch den Verweis in § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) auf § 330 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) dahingehend noch weiter eingeschränkt, als dass auch in atypischen Fällen eine Ermessensausübung ausscheidet und eine gebundene Entscheidung des Leistungsträgers zu erfolgen hat (vgl. SG Schleswig, Urteil vom 13.06.2006, S 9 AS 834/05).

Sowohl die Entscheidung über die Aufhebung als auch über die Rückforderung ist jedoch mangels hinreichender Bestimmtheit rechtswidrig. Gemäß § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Diesen Anforderungen genügt der Erstattungsbescheid des Beklagten vom 24. März 2006 in der Fassung des Aufhebungs- und Rückerstattungsbescheides vom 13. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2006 nach Überzeugung der Kammer nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Rückabwicklung für vergangene Zeiträume nach Auszahlung rechtswidrig bewilligter Leistungen in einem zweistufigen Verfahren vollzieht, so dass zwischen der Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides für die Vergangenheit einerseits und der Rückforderung geleisteter Zahlungen andererseits zu unterscheiden ist (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2006 – L 9 AS 127/06 ER -). Der Aufhebungsbescheid und der die Rückforderung stützende Erstattungsbescheid sind dabei die Umkehr (das Spiegelbild) des Leistungsverhältnisses (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.1992 – 5 C 29/88 -, DVBl. 1992, 1483 = NJW 1993, 215).

Nach dem Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit ist für eine Aufhebung zunächst eine hinreichende Identifizierung des jeweils zurückzunehmenden Bewilligungsbescheides durch konkrete Benennung erforderlich. Sinnvollerweise erfolgt dies durch Angabe des Datums des aufzuhebenden Bescheides, der Leistungsart und des Bewilligungszeitraumes, der Leistungshöhe insgesamt und – soweit mehrere Personen als Leistungsempfänger in einem Bescheid zusammengefasst sind - auch des Leistungsanteils der betroffenen Person (vgl. Schwabe, Rückforderung von "Hartz IV" – Rechtsprechungshinweise in: Zeitschrift für das Fürsorgewesen, 1/2007, S. 15); denn auch nach dem neuen Leistungs- und Bedarfssystem des SGB II für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist vom Grundsatz des Individualanspruchs des einzelnen Hilfebedürftigen auszugehen. Dies hat das Bundessozialgericht nunmehr in seinem Urteil vom 07. November 2006 (B 7b AS 8/06 R) klargestellt und ausgeführt, dass das SGB II keinen Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft als solcher kenne, sondern dass Anspruchsinhaber jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft seien. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Erfolgt die Leistungsgewährung an mehrere Leistungsempfänger, so ist daher bereits bei der Leistungsbewilligung eine "Aufteilung" der Hilfegewährung auf die einzelnen hilfeberechtigten Personen erforderlich.

Eine nach diesen Maßstäben hinreichende Identifizierung des zurückzunehmenden Bescheides ist vorliegend nicht erfolgt. In dem "Aufhebungs- und Erstattungsbescheid" vom 13. April 2006 heißt es insoweit lediglich: "Die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wird mit Wirkung vom 01.09.2005 bis 31.03.2006 teilweise aufgehoben." Aus diesem Verfügungssatz lässt sich bereits nicht entnehmen, welcher Bescheid genau aufgehoben werden soll. Auch ergibt sich daraus nicht, welche Personen "Leistungsempfänger" im materiellen Sinn waren und in welchem Umfang im einzelnen an sie Leistungen gewährt wurden. Insoweit ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Zeitraum vom 01. September 2005 bis zum 28. Februar 2006 eine Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Sohn und ab 01. März 2006 zusätzlich mit ihrem zweiten Ehemann bildete. Der Beklagte hat vorliegend die Leistungsbewilligung allein gegenüber der Klägerin zurückgenommen und diese so behandelt, als hätte ihr allein der Anspruch auf die ihr und ihrem Sohn sowie ab 01. März 2006 auch ihrem Ehemann gewährten Leistungen zugestanden.

Diese Vorgehensweise kann auch nicht im Hinblick auf die Regelung des § 38 SGB II gerechtfertigt werden. Die Vorschrift sieht lediglich vor, dass - soweit Anhaltspunkte nicht entgegenstehen – vermutet wird, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Das ändert aber nichts daran, dass die Vertretenen – hier der Sohn und ab 01. März 2006 auch der 2. Ehemann der Klägerin – ihren jeweiligen individuellen Anspruch behalten, der auch für sie individuell entschieden werden muss (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.08.2006 – L 5 B 549/06 AS ER -). Schon von daher genügt der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid dem Individualisierungsgrundsatz und damit den Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit des Verwaltungsaktes nicht.

Dieser Mangel der hinreichenden Individualisierung des Bewilligungsbescheides setzt sich in dem Teil des Bescheides, der die Rückforderung geleisteter Zahlungen betrifft, fort, indem die Erstattungsforderung über die Gesamtsumme der für alle drei Personen gezahlten Leistungen allein gegen die Klägerin geltend gemacht wird. Richtigerweise hätte bei der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs dagegen nur das der jeweiligen Person Zugewandte zurückgefordert werden dürfen, und zwar von dieser allein. Genauso wenig, wie aus der Bedarfsgemeinschaft eine Gesamtgläubigerschaft jedes Mitgliedes für die Ansprüche der anderen Mitglieder abgeleitet werden kann (vgl. BSG im o.a. Urteil vom 07. November 2006), kann von der Annahme einer gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen werden (so ausdrücklich Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24.04.2003 – 12 LA 85/03 – hinsichtlich der Rückerstattung von zu Unrecht gewährter Sozialhilfe). Daraus folgt, dass gegenüber jedem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ein rechtlich gesonderter Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ergehen muss (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.08.2006 – l 5 B 549/06 AS ER -), wobei Bescheide, die Leistungen für minderjährige Kinder aufheben, an die jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu adressieren sind. Eine Auslegung des Bescheides dahingehend, dass sich die Rücknahme und die Erstattungsforderung allein auf die konkret der Klägerin gewährten Leistungen beziehen sollen, scheitert zur Überzeugung der Kammer daran, dass dies mit der offensichtlich nicht zutreffenden Höhe der Erstattungsforderung nicht in Einklang zu bringen ist.

Da die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit vorliegend nach alledem nicht erfüllt waren, war der Erstattungsbescheid vom 24. März 2006 in der Fassung des Aufhebungs- und Rückerstattungsbescheides vom 13. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2006 rechtwidrig und damit aufzuheben. Soweit die gegenüber der Klägerin geltend gemachte Forderung seit April 2006 mit der ihr zustehenden Regelleistung in monatlichen Raten von 50,- EUR aufgerechnet worden ist, wie die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung bestätigte, war im Urteil auszusprechen, dass die entsprechenden Beträge zurückzuerstatten sind und von einer weiteren Aufrechnung abzusehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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