L 13 RJ 52/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 15 RJ 238/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 RJ 52/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 52/04
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13. November 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im wesentlichen um Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU-Rente).

Die Klägerin wurde am 00.00.1951 in Bosnien geboren und hat die dortige Staatsangehörigkeit. Seit 1973 hält sie sich in Deutschland auf. Sie hat nach eigenen Angaben keine Schule besucht, ist Analphabetin und kann sowohl ihre Muttersprache als auch die deutsche Sprache weder lesen noch schreiben. Die Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war seit 1973 mit Unterbrechungen als Raumpflegerin tätig. Zuletzt war sie seit September 1988 als solche bei der Stadt M beschäftigt. Seit 1997/1998 ist sie arbeitsunfähig (au) erkrankt.

Im Dezember 1997 beantragte die Klägerin EU-Rente bzw. Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente), insbesondere wegen eines Zustandes nach Knieverletzung rechts aufgrund eines Wegeunfalls von Mai 1995, wegen dessen Folgen sie keine Unfallrente erhält. Die Beklagte holte ein fachchirurgisches Gutachten von Dr. E sowie ein fachinternistisches und sozialmedizinisches Gutachten von Dr. X, jeweils von März 1998, ein. Beide Sachverständige gelangten zu dem Ergebnis, die Klägerin könne noch vollschichtig körperlich leichte bis gelegentlich bzw. kurzfristig mittelschwere Arbeiten mit verschiedenen weiteren Einschränkungen verrichten, wobei sie insbesondere an einem Kniegelenksverschleiß rechts sowie einer Fußheberstörung rechts, einem Verschleiß der Wirbelsäule, einem Bluthochdruck, einem Asthma bronchiale und einem Übergewicht leide. Aufgrund der Feststellungen dieser Gutachten lehnte die Beklagte sodann den Rentenantrag mit Bescheid vom 20.04.1998/Widerspruchsbescheid vom 24.08.1998 ab.

Hiergegen richtete sich die am 21.09.1998 zum Sozialgericht (SG) Dortmund erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin insbesondere vorgetragen hat, sie könne nicht lesen und schreiben. Zudem seien bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" anerkannt.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und die Klägerin sodann von Dr. B, Chefarzt der neurologisch-psychiatrischen Klinik des Knappschaftskrankenhauses E begutachten lassen. Dieser ist aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 02.08.1999 zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin leide an rezidivierenden Beschwerden im Bereich des Achsenskelettes, vorwiegend der Lendenwirbelsäule (LWS), einem beginnenden Carpaltunnel-Syndrom rechts, Spannungskopfschmerzen bzw. Migräne und einer leichten reaktiven Depression. Unter Berücksichtigung ihrer Leistungseinschränkungen könne die Klägerin nur noch leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen unter Vermeidung von längeren Zwangshaltungen ausschließlich in geschlossenen Räumen und ohne Arbeiten in Wechsel- und Nachtschicht, mit besonderem Arbeitsdruck und mit häufigem Publikumsverkehr verrichten. Auch unter Beachtung dieser Einschränkungen, könne sie nur vier Stunden täglich und nicht mit der erforderlichen Regelmäßigkeit arbeiten. Zudem könne sie auch Strecken von 500 Metern nur unter deutlichen Beschwerden zurücklegen.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts auf diesem Fachgebiet hat das Gericht ein nervenärztliches Gutachten von Dr. H, Leitender Arzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Katholischen Krankenhaus I eingeholt, der aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 21.03.2000 zu dem Ergebnis gelangt ist, bei dieser lägen auf neurologischem Fachgebiet ein cervikogener Kopfschmerz (cervikale Migräne) und eine Fußheberschwäche rechtsseitig vor; auf psychiatrischem Fachgebiet lägen keinerlei Erkrankungen vor. Im Gegensatz zu Dr. B hat er angenommen, die Klägerin könne noch körperlich leichte, gelegentlich mittelschwere Arbeiten, im Stehen und/oder Sitzen, gelegentlich auch im Gehen vollschichtig und regelmäßig verrichten und sie könne auch die üblichen Fußwege zurücklegen. Nach seiner Ansicht kommt der gedrückten Stimmung der Klägerin keine pathologische Bedeutung zu; eine reaktive Depression hat er nicht festgestellt.

Auf Antrag der Klägerin hat das SG nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Allgemeinmediziners Dr. T vom 01.06.2001 vom 21.05.2001 eingeholt. Dieser hat eine Vielzahl von Erkrankungen festgestellt und ist zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin könne auch körperlich leichte Arbeiten nur noch "stundenweise (1-2 Stunden)" verrichten. Bei ihr liege eine Multimorbidität mit einer erheblichen Funktionseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule, der Hand- Hüft- Knie- Sprung- und Fußgelenke vor. Die Klägerin könne auch Fußwege von mehr als 500 Metern unter 20 Minuten nicht zurücklegen. In den zuvor eingeholten Gutachten sei weder das Asthma bronchiale, noch die hypertensive Herzkrankheit und die Koronarsklerose berücksichtigt worden. Auch werde die agitiert-depressive Verstimmung völlig unterbewertet. Zudem hätten sich in der Zwischenzeit die Verschleißerscheinungen in der Wirbelsäule und den Gelenken verschlimmert.

Daraufhin hat das SG zunächst im Hinblick auf eine bei der Klägerin im April 2001 durchgeführte Knieoperation einen Bericht des Krankenhauses M GmbH vom 05.06.2001 beigezogen und schließlich zwei weitere Gutachten, auf fachinternistisch-pneumologischem und auf fachorthopädischem Gebiet von Dr. M (Gutachten vom 17.05.2002 aufgrund einer Untersuchung vom 14.05.2002) und Dr. H1 (Gutachten vom 26.06.2002 aufgrund einer Untersuchung vom 18.06.2002) eingeholt. Die Sachverständigen haben eine Adipositas per magna mit Fettstoffwechselstörung, einen essentiellen Hypertonus, eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne eines Asthma bronchiales und einen Zustand nach Cholezystektomie wegen Cholelithiasis, fortgeschrittene Aufbraucherscheinungen der Sprunggelenke und Fußwurzelknochen, Aufbraucherscheinungen beider Kniegelenke, eine Fußheberschwäche rechts, beginnende Aufbraucherscheinungen der Lendenwirbelsäule bei Bandscheibenvorfall, Aufbraucherscheinungen der Brustwirbelsäule und beginnende Aufbraucherscheinungen der Halswirbelsäule festgestellt. Mit diesen Erkrankungen könne die Klägerin nur noch körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten, wobei die Verteilung zwischen Gehen und Stehen sowie Sitzen 50 zu 50 nicht zu Lasten des Gehens und Stehens überschreiten dürfe, die aber auch überwiegend im Sitzen verrichten werden könnten, ohne Arbeiten im Knien, Hocken, in gebückter Position oder in anhaltender Rumpfvorbeuge und ohne Gerüst- und Leiterarbeiten, im Freien und Witterungsschutz und ohne Tätigkeiten unter Umwelteinflüssen wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, ohne Exposition gegenüber Stäuben, Gasen oder Dämpfen und ohne Arbeiten unter zeitlichem Druck sowie ohne Arbeiten in Wechsel- und Nachtschicht zu verrrichten. Die zu hebenden und tragenden Lasten müssten auf unter 10 kg begrenzt werden. Mit diesen Einschränkungen könne die Klägerin noch vollschichtig und unter den betriebsüblichen Bedingungen arbeiten. Ihre Gehfähigkeit sei eingeschränkt, sie könne jedoch noch täglich insgesamt 4 x etwas mehr als 500 Meter in jeweils weniger als 20 Minuten gehen und sowohl öffentliche Verkehrsmittel nutzen als auch ein Kfz führen.

Mit Urteil vom 13.11.2002 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Klägerin sei nicht erwerbsunfähig (eu). Hinsichtlich der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen und den daraus resultierenden Leistungseinschränkungen sei im Wesentlichen den Gutachten von Dr. H, Dr. M und Dr. H1 zu folgen. Die Ausführungen von Dr. B und Dr. T seien nicht überzeugend. Der von Dr. B in seinem Gutachten beschriebenen leichten reaktiven Depression könne keine pathologische Bedeutung beigemessen werden, weil es sich um eine normal zu erklärende bedrückte Stimmung handele. Auch könne daraus, dass die Klägerin in der Vergangenheit lediglich 4 Stunden täglich gearbeitet habe, nicht der Schluss gezogen werden, es sei kein vollschichtiges Leistungsvermögen mehr möglich. Das Gutachten von Dr. T enthalte zum einen keine Darstellung der Befunde und sei schon deshalb nicht schlüssig. Zum anderen sei durch die "möglichen Nebenwirkungen der von der Klägerin eingenommenen Medikamente" keinesfalls nachvollziehbar, dass sie nur noch stundenweise täglich arbeiten könne. Mit dem somit gegebenen vollschichtigen Leistungsvermögen sei die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Ihre Leistungseinschränkungen seien nicht derart gravierend, dass dieser grundsätzlich als verschlossen angesehen werden könne. Es bestünde auch keine schwere spezifische Leistungseinschränkung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Insbesondere stelle der bei der Klägerin vorliegende Analphabetismus keine Leistungseinschränkung dar, die zur Gewährung einer EU-Rente führen könne, denn dieser beruhe nach den Ausführungen von Dr. B und Dr. H nicht auf gesundheitlichen Gründen. Vielmehr habe er seine Ursache in einer fehlenden Schulausbildung. Zwar sei nach der Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Prüfung von EU auch der Analphabetismus eines im Ausland aufgewachsenen Versicherten zu berücksichtigen. Die Kammer gehe allerdings davon aus, dass ein Analphabetismus nur dann Berücksichtigung finden könne, wenn dieser auf gesundheitlichen Einschränkungen beruhe. Schließlich sei die Klägerin auch in der Lage, die notwendigen Wege zur Arbeitsstätte zu bewältigen. Nach der Rechtsprechung des BSG könne ein Versicherter den erforderlichen Weg zur Arbeit zurücklegen, wenn noch viermal täglich eine Wegstrecke von etwas mehr als 500 Metern in einer Zeit von unter 20 Minuten zurückgelegt und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit benutzt werden könnten (Verweis auf Urteil des BSG vom 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90). Derartige Wegstrecken könne die Klägerin noch zurücklegen und sie könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die gegenteilige Auffassung von Dr. T sei nicht überzeugend, denn er bewerte einen postoperativen und keinen Dauerzustand. Bei der Untersuchung durch Dr. H1 habe nach Darstellung der Sachverständigen keine dauernde Reduzierung des Gehvermögens der Klägerin in rentenerheblichem Umfang vorgelegen. Zudem bestünden im Bereich der Lendenwirbelsäule nach den Ausführungen von Dr. H1 neben dem nachgewiesenen Bandscheibenvorfall lediglich beginnende Aufbrauchserscheinungen ohne wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen und ohne Zeichen einer Nervenwurzelreizung. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig (bu).Sie könne noch eine zumutbare Verweisungstätigkeit ausüben. Die subjektive Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richte sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. In der Regel sei als bisheriger Beruf die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit anzusehen. Dies sei bei der Klägerin derjenige einer Raumpflegerin. Selbst wenn die Klägerin diesen Beruf nicht mehr ausüben könne, sei sie nicht bu, denn sie sei auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisbar. Diese sog. subjektive Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richte sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Beurteilung der Wertigkeit habe die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Stufen eingeteilt. Im Rahmen dieses Mehrstufenschemas des BSG (Verweis auf Urteil des BSG vom 22.08.2002, B 13 RJ 19/02 R) sei die Klägerin in die unterste Stufe der ungelernten Arbeiter einzustufen. Die Tätigkeit einer Raumpflegerin setze keine Anlernzeit von mindestens drei Monaten voraus. Damit sei die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich, denn die Fülle der nicht durch Ausbildung oder Berufserfahrung qualifizierten Tätigkeiten mache es unmöglich, diese kurz und charakterisierend zu benennen. Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der seit dem 01.01.2001 geltenden neuen Fassung bestehe bereits deshalb nicht, weil die Klägerin noch vollschichtig erwerbstätig sein könne.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 09.12.2002 zugestellte Urteil am 03.01.2003 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie sich insbesondere auf die Gutachten von Dr. B und Dr. T stützt. Im übrigen hat sie darauf hingewiesen, das SG habe ihren Analphabetismus zu Unrecht entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht ausreichend berücksichtigt. Sie, die Klägerin, habe zu keinem Zeitpunkt eine Schule in Jugoslawien besucht. Sie sei in einer sehr gebirgigen Gegend aufgewachsen und ihre Eltern hätten einen kleinen Bauernhof gehabt. Das nächste Dorf habe 6 - 8 km entfernt gelegen und selbst dort sei keine Schule gewesen. Sie habe daher nicht zur Schule gehen können, zumal ihre Eltern auf ihre Arbeitskraft nicht hätten verzichten können. Die Klägerin hat eine Bescheinigung der Gemeinde P des serbischen Teils Bosniens und Herzegowinas vom 26.01.2005 vorgelegt, mit der ihr von der Gemeindeverwaltung (Abteilung für allgemeine Verwaltung) bescheinigt worden ist, dass sie weder jemals eine Schule besucht hanr, noch in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe und als solche den Status Hausfrau besitze. Da sie nach allem Analphabetin sei, müsse ihr nach der Rechtsprechung des BSG eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden; eine solche gebe es für sie nicht. Hierzu hat sie eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit Lünen vom 24.06.2005 vorgelegt, wonach ihre, der Klägerin, Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt nicht zu erwarten sei. Die Klägerin hat zur Berufungsbegründung auch ausgeführt, sie sei nicht dazu in der Lage, die erforderlichen Wegstrecken zurückzulegen, da sie sich nur mit einer Gehhilfe fortbewegen könne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13. November 2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.1998 zu verurteilen, ihr unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalls vom Dezember 1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, weiter hilfsweise wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat sich zunächst auf die Begründung des angegriffenen Urteils bezogen und später bestritten, dass die Klägerin tatsächlich Analphabetin sei. Jedenfalls könne die Klägerin aber noch zumutbare Verweisungstätigkeiten ausüben, was sich aus den im Berufungsverfahren beigezogenen berufskundlichen Sachverständigengutachten ergebe.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. H1 vom 28.05.2003 und eine Auskunft des letzten Arbeitgebers der Klägerin, der Stadt M, eingeholt, die mitgeteilt hat, es lägen dort keine Erkenntnisse dazu vor, ob die Klägerin des Lesens und Schreibens kundig sei. Des weiteren sind die Personalakte der Klägerin von der Stadt M beigezogen und eine Auskunft des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. T vom 22.11.2004 eingeholt worden. Dieser hat mitgeteilt, die Klägerin befinde sich seit ca. 20 Jahren in seiner hausärztlichen Behandlung. Soweit er sich erinnere, verfüge sie weder über Lese- noch Schreibfähigkeit.

Schließlich sind ein berufskundliches Sachverständigengutachten von C T1, Leiter des Bezirksarbeitsamtes I vom 29.06.1999 sowie ein Gutachten des Dipl.-Ing. M1 vom 30.12.2004 zu Verweisungstätigkeiten zum Thema "Summierung von ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen" beigezogen und in den Rechtsstreit eingeführt wurden; auf den Inhalt dieser schriftlichen Gutachten wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird i.ü. auf die Gerichts-und Verwaltungsakten sowie auf die beigezogenen Schwerbehindertenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Versichertenrente wegen EU, hilfsweise wegen BU, richtet sich noch nach den §§ 43, 44 SGB VI in der alten, bis zum 31.12.2000 geltenden, Fassung, da er auch Zeiten vor diesem Zeitpunkt betrifft. Die ab dem 01.01.2001 geltende Neuregelung der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit betrifft nur einen Rentenanspruch für die Zeit ab dem 01.01.2001 (§ 300 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI).

Nach § 44 Abs. 2 S. 1 Halbsatz 1 SGB VI a.F. sind eu Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitskeinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Nicht eu ist nach § 44 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB VI a.F. wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Die Klägerin ist nicht eu. Ihr Leistungsvermögen war bis zum 31.12.2000 nicht soweit herabgesunken, dass sie außerstande war, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben bzw. das erforderliche Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, denn sie verfügte noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen.

Der Umfang ihres Leistungsvermögens folgt aus dem Gesamtergebnis der im erstinstanzlichen Verfahren durchgeführten medizinischen Ermittlungen, insbesondere aus den vom SG eingeholten Gutachten von Dr. H, Dr. M und Dr. H1. Den Gutachten von Dr. B und Dr. T ist hingegen im Ergebnis nicht zu folgen. Der Senat nimmt insoweit nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die insoweit zutreffenden Gründe der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung Bezug. Dem Gutachten von Dr. B kann auch deshalb nicht gefolgt werden, weil er den Analphabetismus der Klägerin in die medizinische Leistungsbeurteilung einbezieht. So beschreibt er auf Seite 12 seines Gutachtens ausdrücklich, dass die Tatsache, dass die Klägerin nicht dazu in der Lage sei, zu lesen und zu schreiben, ihre Arbeitseinsatzfähigkeit doch erheblich beeinträchtige, da eine Kompensation der im körperlichen Bereich nicht mehr möglichen Tätigkeit in den psychisch-geistigen Bereich hinein entfalle. Da der Analphabetismus der Klägerin jedoch nicht auf medizinischen Gründen beruht, wie das SG zu Recht erkannt hat, darf er in die Leistungsbeurteilung eines medizinischen Sachverständigengutachtens keinen Eingang finden. Ob und in welchem Umfang er für die Frage der Erwerbsfähigkeit der Klägerin Bedeutung erlangt, obliegt liegt vielmehr allein der Entscheidung durch das Gericht. Zudem ist die von Dr. B diagnostizierte reaktive Depression mehr als fraglich, zumal sie von niemand anderem, insbesondere nicht dem die Klägerin behandelnden Neurologen/Psychiater Dr. U festgestellt wurde. Das Gutachten von Dr. T ist zur Überzeugung des Senats überhaupt nicht verwertbar, weil es sich hierbei im Wesentlichen um eine Aneinanderreihung von Diagnosen handelt, welche nicht durch Befunde untermauert werden. Der Sachverständige hat auch keine Begründung für seine Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Klägerin gegeben.

Bei Versicherten, die über eine vollschichtige Leistungsfähigkeit verfügen, ist grundsätzlich die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich. Es genügt die Feststellung, dass das Restleistungsvermögen körperlich mittelschwere oder leichte Arbeiten erlaubt, wie sie bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden (z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Sortieren, Verpacken, etc. - siehe hierzu insbesondere den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, BSGE 80, 24 ff. -). Von diesem Grundsatz ist jedoch nach der Rechtsprechung des BSG dann eine Ausnahme zu machen, wenn eine sog. Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen. Hierunter fallen nicht übliche Leistungseinschränkungen wie z.B. der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erfordern, etc. (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 10.12.2003, B 5 RJ 64/02 R mwN.). In diesem Ausnahmefall muss der leistungseingeschränkten Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden. Der Grund für diese Benennungspflicht liegt darin, dass der Arbeitsmarkt für solche Versicherte möglicherweise keine Arbeitsstelle bereit hält bzw. nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen gibt.

Im Rahmen der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungeinschränkungen vorliegt, ist entgegen der Ansicht des SG auch ein nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder einer Minderbegabung beruhender Analphabetismus zu berücksichtigen, denn es handelt sich dabei um ein individuelles Defizit, welches nach den tatsächlichen Verhältnissen der Arbeitswelt den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt in erheblichem Umfang begrenzen kann (nunmehr ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil des BSG vom 10.12.2003, B 5 RJ 64/02 R).

Vorliegend kann dahinstehen, ob bei die Klägerin muttersprachliche Analphabetin ist, was sie behauptet, die Beklagte aber bestreitet. Der Senat geht hiervon allerdings im Hinblick auf insbesondere die zuletzt von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung der Gemeinde P aus. Zudem sind auch die medizinischen Sachverständigen jeweils ausweislich der Anamnese ihrer Gutachten davon ausgegangen, dass die Klägerin weder lesen noch schreiben kann. Dahinstehen kann auch, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschräkungen unter Berücksichtigung eines Analphabetismus vorliegt.

Auch wenn die Klägerin Analphabetin ist und bei ihr eine solche Summierung vorliegt, ist sie dennoch nicht eu, weil sie zumutbar verweisbar ist auf Tätigkeiten in der Kunststoff- und Metallindustrie, wie sie von dem Sachverständigen Dipl.-Ing. M1 in dessen Gutachten vom 30.12.2004 beschrieben werden. Bei der Tätigkeit in der Kunststoffindustrie werden Funktion, Form, Farbe und ggf. Beschädigungen vorzugsweise kleiner Teile (z.B. Kabelkanäle im Spritzgussverfahren) mittels optischer Kontrollen überprüft. Des weiteren werden im Bereich der Kleinstteile ebenfalls Überprüfungen anhand sog. Referenzmuster vorgenommen. In der Metallindustrie müssen beispielsweise Kegelzapfen (Getriebebauteile) in einer eigens dafür gefertigten Lehre mittels optischer Wahrnehmung überprüft werden. Die Überprüfungen werden in beiden Industriebereichen anhand einfachster Sortierungen nach Farben, Formen und Größen vorgenommen. Im Bereich der Kunststofftechnik und Metallverarbeitung gibt es hierbei Sortier- und Prüftätigkeiten von Kleinteilen von nur eins bis einhundert Gramm. In der Kunststofftechnik sind dies beispielsweise gefertigte Einzelteile, die aus einem Spritzgießwerkzeug vollautomatisch ausgestoßen und in speziell aufgestellte Auffangbehälter eingebracht werden. Hier kann es durch die Umstellung zwischen zwei Produktionswechseln oder Werkzeugwechseln zu Vermischungen kommen, die zu Störungen führen können. Um die Produktionsausfälle zu vermeiden, müssen die fehlerhaften oder verworfenen Teile ausgesucht und ggf. an anderer Stelle dem Prozessablauf wieder zugeführt werden. Im Zeitalter der Massenproduktion, wo von einzelnen Bauteilen teilweise Millionen Stück hergestellt werden, kommt es infolge von Werkzeugverschleiß häufig zu Fehlern, die eine solche Maßnahme erforderlich machen; hier hat sich inszwischen ein ganzer Berufszweig etabliert. Im metallverarbeitenden Bereich entstehen beispielsweise Fehlerbilder häufig bei Unternehmen der Stanz- und Umformtechnik. Die hier produzierten Teile wie Schrauben, Federn, etc. müssen oft mittels einer Negativ-Form angepasst oder in diese eingelegt werden, um Form, Größe und ggf. Funktionen des Teils überprüfen zu können, ohne dass hierfür fachliche Kenntnisse erforderlich wären. Schließlich kommt neben dem bereits erwähnten Sortieren in der Kunststoff- und Metallindustrie das Kontrollieren und ggf. Nacharbeiten wiederum nach Vorlage eines Referenzmusters in Betracht. Standardarbeiten in diesem Bereich sind z.B. das Entfetten verschiedener metallischer Oberflächen an Behältern (Bremsanlagen) an metallischen Oberflächen, die im Sichtbereich liegen und später lackiert werden müssen; hierzu gehört ebenfalls für den Bereich der Nachbearbeitung das Entgraten z.B. an Kunststoffteilen oder das Nachkleben von gerissenen Gummiprofilen. Für alle diese Tätigkeiten sind weder eine Ausbildung noch Fachkenntnisse aus den Bereichen der Kunststoff- oder Metallindustrie oder die Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können, erforderlich. Die Arbeiten werden in der Regel von ungelernten und nicht ausgebildeten Arbeitskräften ausgeführt. Es können auch ausländische Arbeitnehmer/innen eingesetzt werden, weil auf die Sprache als Mittel der Verständigung und Erklärung verzichtet werden kann. Die genannten Tätigkeiten sind der Klägerin mithin unter Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zumutbar, schlicht weil solche Kenntnisse hierfür nicht verlangt werden.

Die Tätigkeiten entsprechen auch ihrem gesundheitlichem Leistungsvermögen. Es handelt sich um körperlich leichte Arbeiten, die im Wechsel von Gehen, Stehen und vorzugsweise Sitzen in geschlossenen Räumen ausgeführt werden. Sie kommen mithin dem Leistungsvermögen der Klägerin besonders entgegen, da diese überwiegend im Sitzen arbeiten darf. Zeitlicher Druck, dem die Klägerin nicht ausgesetzt werden darf, tritt nicht auf, weil die Arbeiten in Ruhe ausgeführt werden müssen, damit mögliche schon vorhandene Fehler nicht verstärkt, sondern erkannt und abgestellt werden können; Akkordtätigkeiten fallen in diesem Bereich mithin nicht an. Schließlich ist die Klägerin auch nicht den ihr verbotenen Expositionen ausgesetzt, da die Arbeiten nicht unter beispielsweise zu hoher Luftfeuchtigkeit oder Kälte ausgeübt werden dürfen, weil ansonsten der weitere Verbau der überprüften Teile möglicherweise verhindert würde. Schließlich sind die benannten Tätigkeiten in der Arbeitswirklichkeit auch tatsächlich vorhanden. Nach den Feststellungen des Sachverständigen gibt es mehere tausend Arbeitsplätze allein in Nordrhein-Westfalen, die den beschriebenen Tätigkeiten entsprechen. Diese Feststellungen basieren auf den tatsächlichen und von der Bundesagentur für Arbeit bekannt gegebenen Zahlen der offenen Arbeitsplätze in verschiedenen Wirtschaftszweigen. Die ungefähre Anzahl der Arbeitsplätze wurde vom Sachverständigen nach der Formel berechnet, dass Hilfsarbeiten in einem modernen Fertigungsbetrieb etwa sechs bis neun Prozent der gewerblichen Mitarbeiter ausmachen. Allein im Bereich der kunststoffverarbeitenden Industrie gibt es eine Vielzahl von Firmen, die Arbeitsplätze wie beschrieben zur Verfügung stellen - so beispielsweise die Firmen Ford-Werke, Köln, Delphi-Deutschland-GmbH, Wuppertal, DURA-Automotive GmbH, Plettenberg, 3M Deutschland, Kamen und Hilden, etc. -.

Schließlich ist die Klägerin auch nicht wegen ihrer eingeschränkten Gehfähigkeit eu. Zwar setzt die Erwerbsfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. u.a. Urteil vom 14.03.2002, B 13 RJ 25/03 R in SGb 2002, 329) grundsätzlich die Fähigkeit der Versicherten voraus, viermal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand - jeweils innerhalb von 20 Minuten -, zu Fuß zu bewältigen und zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Über diese Fähigkeit verfügt die Klägerin jedoch trotz der bei ihr vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen noch. Der Senat nimmt auch insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG auf das insoweit zutreffende erstinstanzliche Urteil Bezug.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf BU-Rente nach § 43 Abs. 2 SGG VI, weil sie nicht bu im Sinne dieser Vorschrift ist. Bu sind hiernach Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig oder seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Nicht bu ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt der Prüfung ist, wie vom SG bereits zutreffend ausgeführt, der bisherige Beruf der Versicherten. Dies ist im Fall der Klägerin derjenige einer Raumpflegerin. Diesen Beruf kann sie zwar nicht mehr verrichten, sie ist jedoch grundsätzlich zumutbar verweisbar auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Auch insoweit wird Bezug genommen auf die zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils (§ 153 SGG). Soweit aufgrund eines Analphabetismus bei der Klägerin ausnahmsweise eine Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit besteht, ist die Klägerin auf die bereits genannten ungelernten Tätigkeiten in der Kunststoff- und Metallverarbeitenden Industrie, wie ausgeführt, zumutbar verweisbar.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.01.2001 nach § 43 SGB VI in seiner neuen, seit dem 01.01.2001 geltenden, Fassung, weil sie noch vollschichtig erwerbstätig sein kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nach § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat jedenfalls keine grundsätzliche Bedeutung, denn bei der Prüfung, ob für die Klägerin tatsächlich zumutbare Verweisungstätigkeiten zur Verfügung stehen, handelt es sich um eine reine Tatsachenfeststellung.
Rechtskraft
Aus
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