L 10 U 2546/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 2328/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2546/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 04.04.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Anerkennung von Unfallfolgen und auf Verletztenrente hat.

Der 1948 geborene Kläger fuhr am 20.05.1997 mit dem Stapler beim Zurückfahren gegen einen anderen rückwärts fahrenden Stapler. Anschließend arbeitete der Kläger weiter. Der Durchgangsarzt und Unfallchirurg W. diagnostizierte am 22.05.1997 eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) und verordnete eine Schanzsche Krawatte für drei bis vier Tage. Das Röntgen der HWS ergab eine Steilstellung ohne knöcherne Verletzung sowie eine Arthrose C4/C5. Eine Untersuchung bei dem Neurologen und Psychiater Dr. J. im Juni 1997 ergab keinen Anhalt für neurologische Unfallfolgen, insbesondere keinen Hinweis für eine Commotio cerebri oder eine radikuläre Beteiligung bei HWS-Distorsion. Untersuchungen im November/Dezember 1997 durch den Nervenarzt B. ergaben als vorläufige Diagnose eine HWS-Distorsion ohne neurologisches Defizit mit massiver funktioneller Ausweitung der Beschwerden. Arbeitsunfähigkeit bestand bis zum 08.06.1997.

Vom 06.11. bis 09.12.1997 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L ...Prof. Dr. We., Ärztlicher Direktor der Unfallklinik, diagnostizierte eine HWS-Distorsion mit Beschwerden im Sinne einer konversionsneurotischen Fehlverarbeitung. Die kernspintomografische Untersuchung am 05.12.1997 ergab keinen Bandscheibenvorfall sondern degenerative Veränderungen mit Protrusion im Bereich HWK-6/7 rechts medio-lateral. Die Beklagte zog die Krankenunterlagen des Klägers von der AOK Br. bei, holte Befundberichte bei den behandelnden Ärzten ein (u. a. Internist Dipl.-Med. Mattern: bereits vor dem Unfall eine langfristige neurotische Fehlentwicklung) und holte das Gutachten des Unfallchirurgen Dr. K. vom Juni 2001 ein. Er stellte erhebliche unfallunabhängige Verschleißschäden und keine Unfallfolgen fest und nahm eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit für einen Zeitraum von vier Wochen an.

Mit Bescheid vom 22.02.2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ein Anspruch auf Leistungen wegen des Arbeitsunfalles vom 20.05.1997 bestehe über den 16.06.1997 hinaus nicht. Auf den Widerspruch holte die Beklagte das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. ein, der das Vorliegen von unfallbedingten Gesundheitsstörungen auf neurologischem und psychiatrischem Gebiet verneinte. Eine Persönlichkeitsstörung habe bereits vor dem Unfall bestanden. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2004 wies der Widerspruchs- und Einspruchsauschuss der Beklagten den Widerspruch zurück.

Dagegen hat der Kläger am 03.03.2004 Klage zum Sozialgericht Heilbronn erhoben (S 7 U 658/04) und als Unfallfolgen eine Schädigung der Nerven, Bänder-, Muskel- und Knochenstruktur, eine Tinnituserkrankung mit Einschlafstörung, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Konzentrations- und Gleichgewichtsstörungen geltend gemacht.

Das Sozialgericht hat die Klage zunächst zu einem anderen Verfahren verbunden (S 7 U 2040/03), später wieder getrennt und mit Urteil vom 04.04.2006 die Klagen abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig, denn dem Kläger stehe mangels Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.05.1997 keine Verletztenrente zu.

Gegen das am 24.04.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.05.2006 Berufung eingelegt und ergänzend vorgebracht, als Unfallfolgen stünden im Berufungsverfahren im Vordergrund die Blutdruckerhöhung bei HWS-Belastung, das ständige Kopfsummen, der Schwindel und die Sehbeschwerden. Es gehe ihm jetzt nicht mehr um eine Schädigung der Nerven, Bänder-, Muskel- und Knochenstruktur. Auch die Tinnituserkrankung mit Einschlafstörung halte er nicht mehr für so bedeutend. Im Übrigen sei die Wucht des Aufpralls der beiden Gabelstapler nicht zutreffend bewertet worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 04.04.2006 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 22.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2004 abzuändern und die Blutdruckerhöhung nach HWS-Belastung, das ständige Kopfsummen sowie die Seh- und Gleichgewichtsstörungen als Unfallfolgen festzustellen sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. ab Eintritt der Arbeitsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin dass, der Verletzungsmechanismus nur ein Beurteilungskriterium darstelle. Signalfunktion komme dem festgestellten Schadensbild zu. Eine traumatische Verletzung der Halswirbelsäule habe nicht nachgewiesen werden können.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Beim Kläger liegen keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.05.1997 vor und der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Der in Rede stehende Arbeitsunfall hat keine gesundheitlichen Schäden hinterlassen, sondern lediglich zu einer Distorsion der HWS geführt, die ausheilte. Soweit der Kläger im Bereich der HWS Beschwerden hat, sind diese auf die während des Verwaltungsverfahrens festgestellten degenerativen, also unfallunabhängigen Verschleißerscheinungen zurückzuführen.

Weitere Ermittlungen zur Wucht des Aufpralls der beiden Gabelstapler hält der Senat nicht für erforderlich. Zu Recht weist die Beklagte diesbezüglich darauf hin, dass der Verletzungsmechanismus nur ein Beurteilungskriterium darstellt und dass in erster Linie das nach dem Unfall festgestellte Schadensbild entscheidend ist. Der Durchgangsarzt W., den der Kläger zwei Tage nach dem Unfall aufgesucht hat, hat jedoch lediglich eine Steilhaltung der HWS und bewegungsabhängige Schmerzen der mittleren HWS diagnostiziert und der Röntgenbefund hat keine knöcherne Verletzung, jedoch eine Arthrose C4/C5 - die zu diesem Zeitpunkt nicht schädigungsbedingt sein kann - erbracht. Weiter ist dem Krankheitsbericht von Prof. Dr. We. vom 12.12.1997 (Untersuchung am 29.10.1997) zu entnehmen, dass kein Hinweis für das Vorliegen einer diskoligamentären Verletzung bestand. Auch die neurologische Untersuchung durch den Nervenarzt B. im November 1997 ergab lediglich eine HWS-Distorsion ohne neurologisches Defizit und die kernspintomografische Untersuchung am 05.12.1997 in der BG Klinik L. zeigte keinen Bandscheibenvorfall, sondern im Rahmen schädigungsunabhängiger degenerativer Veränderungen lediglich eine Protrusion im Bereich HWK 6/7. Vor diesem Hintergrund schließt sich auch der Senat wie das Sozialgericht und die Beklagte der überzeugenden Einschätzung von Dr. K. und Dr. E. an, wonach der Arbeitsunfall zu keinen bleibenden Schäden an der HWS führte.

Auch die jetzt (nur) noch als Unfallfolgen geltend gemachte Blutdruckerhöhung, das ständige Kopfsummen sowie Schwindel und Sehbeschwerden sind nicht auf den Arbeitsunfall vom 20.05.1997 zurückzuführen, da diese Störungen schon vor dem Unfall bestanden.

Zu Recht weisen die Beklagte und auch das Sozialgericht darauf hin, dass bereits im ärztlichen Entlassungsbericht der F. Klinik Bad B. über eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 09.08. bis 06.09.1996 - also vor dem Unfall - von einem erhöhten Blutdruck berichtet wird (RR im Liegen 145/100). Außerdem wurden rezidivierende orthostatische Kreislaufregulationsstörungen, zum Teil auch hyperton, angegeben. Damit wurde bereits vor dem Unfall ein leicht erhöhter diastolischer Wert beschrieben, dessen Erhöhung jetzt insbesondere vom Kläger geltend gemacht wird. Hinzu kommt, dass der vom Kläger vorgelegten Blutdrucklangzeitmessung am 21.03.2006 deutlich geringere Werte zu entnehmen sind als der im Entlassungsbericht der F. Klinik angegebene Wert.

Weiter litt der Kläger bereits vor dem Arbeitsunfall an Kopfschmerzen. So wird in dem Arztbrief des Augenarztes Dr. B. vom 15.12.1995 angegeben, der Kläger leide unter unklaren Cephalgien. Auch der vom Kläger als unfallbedingt geltend gemachte Schwindel lag bereits vor dem Arbeitsunfall vor. So wird in dem oben genannten Entlassungsbericht der F. Klinik aus dem Jahr 1996 bereits ein chronischer Vertigo angegeben.

Weiter waren die Sehbeschwerden bereits im Jahr 1995 vorhanden. So hat der Augenarzt Dr. B. im Arztbrief vom 15.12.1995 eine Hyperopie, Astigmatismus, Presbyopie, Cephalgie, Papillenrandunschärfe, Asthenopie und Verdacht auf Gesichtsfeldausfälle diagnostiziert.

Auch die Tinnituserkrankung, die der Kläger allerdings jetzt im Berufungsverfahren für nicht mehr so bedeutend hält, war bereits vor dem Arbeitsunfall vorhanden. So wird im Entlassungsbericht der F. Klinik ein chronischer Tinnitus angegeben. Daran ändert auch die vom Kläger vorgelegte Erklärung des Chefarztes der F. Klinik Dr. M. vom 27.04.2007 nichts. Er hat zwar bestätigt, dass der Kläger dort keine Angaben bezüglich eines bei ihm vorliegenden Tinnitus gemacht habe, hat jedoch weiter ausgeführt, dass die im Entlassungsbericht erwähnte Tinnitussymptomatik auf der Einweisungsdiagnose des einweisenden Arztes beruht hat. Damit ist aber klargestellt, dass der Kläger zumindest beim einweisenden Arzt über Tinnitusbeschwerden geklagt hat.

Die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten Arztbriefe des Chirurgen Dr. P. aus den Jahren 1996 und 2002 betreffen eine chronische Adduktorenzerrung rechts und haben nichts mit dem Arbeitsunfall zu tun. Vielmehr ist dem Arztbrief vom Februar 1996 zu entnehmen, dass der Kläger bereits damals vor dem Unfall derartige Beschwerden beim Besteigen seines Staplerfahrzeuges hatte.

Ein psychisches Betroffensein durch den Unfall liegt nicht vor. Dies wurde vom Kläger selbst anlässlich der Untersuchung durch Dr. E. so angegeben.

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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