Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 654/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei Kontoauszügen handelt es sich um Beweismittel im Sinne des § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I, deren Nichtvorlage zu einer Versagungsentscheidung gem. §§ 66 Abs. 1 und 3 SGB I führen kann. Eines konkreten Missbrauchsverdachtes bedarf es hierbei nicht. 2. Bei einer Versagungsentscheidung gem. §§ 66 Abs. 1 und 3 SGB I handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Der Leistungsträger hat bei dieser Entscheidung im Rahmen seines Ermessens nicht nur darüber zu entscheiden, ob er überhaupt von der Versagung oder Entziehung Gebrauch macht, sondern insbesondere auch darüber, ob er die Sozialleistung ganz oder teilweise versagt oder entzieht. 3. Bei der Nichtvorlage von Kontoauszügen gibt es keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass immer die gesamten Leistungen zu versagen bzw. zu entziehen sind.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2007 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch SGB II. Grund für die Versagung ist die Weigerung der Klägerin der Beklagten Kontoauszüge vorzulegen.
Die Klägerin beantragte erstmals am 17.11.2004 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für sich und ihre drei Kinder, die von der Beklagten antragsgemäß bewilligt wurden.
Im Rahmen dieses Erstantrages legte die Klägerin verschiedene Kontoauszüge vor (Bl. 18 bis 20, 23 bis 24 und 33 der Verwaltungsakte).
Anlässlich eines Fortzahlungsantrages forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 27.07.2005 zur Vorlage von Kontoauszügen aus den Monaten Juni und Juli 2005 bis zum 08.08.2005 auf. Es wurde angekündigt, dass die Leistungen eingestellt würden, wenn die Antragstellerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme. Das in der Verwaltungsakte enthaltene Schreiben enthält den handschriftlichen Vermerk: "wurden angeblich vorgelegt ... erledigt." (Bl. 64/1 der Verwaltungsakte)
Die Klägerin und ihre Kinder erhielten bis 31.10.2005 Leistungen. Ab dem 01.11.2005 wurden keine Leistungen durch die Beklagte mehr erbracht, da die Klägerin ausreichendes Einkommen erzielte (Bl. 152 der Verwaltungsakte).
Am 07.08.2006 beantragte die Klägerin erneut Leistungen, da sie ihre Arbeitsstelle verloren hatte (Bl. 72/1 Verwaltungsakte). Auf dem Zusatzblatt 3 zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens gab die Klägerin an, sie verfüge weder über Bargeld noch über ein Girokonto (Bl. 72/6 der Verwaltungsakte). Trotz dieser Angabe legte die Klägerin im Rahmen der Antragstellung auszugsweise Kontoauszüge über ein Konto " ..." bei der ... vom 28.07.2006 und 14.09.2006 vor. Am 28.07.2006 wies das Girokonto ein Guthaben in Höhe von 3,58 EUR und am 14.09.2006 in Höhe von 125,46 EUR auf (Bl. 98 der Verwaltungsakte). Eine lückenlose Vorlage von Kontoauszügen wurde von der Klägerin verweigert.
Mit Schreiben vom 29.08.2006 forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage der kompletten Kontoauszüge der letzten drei Monate mit einer Frist bis zum 15.09.2006 auf. Sollte die Klägerin bis zu diesem Termin nicht antworten, werde die Leistung ganz versagt (A 1 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 26.09.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin und der mit dieser in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kindern Leistungen nach dem SGB II vom 01.09.2006 bis 31.01.2007 (A 4 der Verwaltungsakte).
Am 20.12.2006 beantragte die Klägerin die Fortzahlung der gewährten Leistungen und gab hierbei an, dass es zu keinen Änderungen in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gekommen sei (Bl. 158 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 10.01.2007 forderte die Beklagte die Klägerin erneut zur Vorlage der kompletten Kontoauszüge der letzten drei Monate auf und setzte eine neue Frist zum 29.01.2007. Sollte die Klägerin bis zu diesem Termin die geforderten Unterlagen nicht einreichen, werde die Leistung ganz versagt (A 6 der Verwaltungsakte). Adressiert war dieses Schreiben ausschließlich an die Klägerin, nicht jedoch an deren Kinder.
Mit Schreiben vom 25.01.2007 wies die Beklagte die Klägerin auf ein zwischenzeitlich ergangenes Urteil der 2. Kammer des SG Reutlingens hin, wonach eine Verpflichtung bestehe, die Kontoauszüge der letzten drei Monate ungeschwärzt vorzulegen (Bl. 141 der Verwaltungsakte).
In einem Telefongespräch vom 31.01.2007 bot die Beklagte der Klägerin an, dass die Kontoauszüge nicht kopiert, sondern nur eingesehen würden. Die Klägerin lehnt dies ab. Ausweislich des gefertigten Aktenvermerkes lehnte die Klägerin ein gleichlautendes Ansinnen bereits am 22.01.2007 ab (Bl. 142 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 31.01.2007, der ausschließlich an die Klägerin und nicht an deren Kinder gerichtet ist, versagte die Beklagte der Klägerin ab dem 01.02.2007 Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin habe die fehlenden Unterlagen / Nachweise trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vorgelegt. Die Klägerin sei ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und habe die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert (A 7 der Verwaltungsakte).
Am 07.02.2007 beantragte die Klägerin sinngemäß den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung führte sie aus, bei dem Urteil der 2. Kammer des Sozialgerichts Reutlingen handle es um ein "Fehlurteil". Das Sozialgericht Reutlingen irre, wenn es meine, in den § 60 ff SGB I eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für das Verlangen auf Vorlage von Kontoauszügen für die letzten drei Monate zu finden. Das Sozialgericht Reutlingen sei in seinem Urteil bemüht gewesen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das immerhin Verfassungsrang habe, mit allgemeinen Erwägungen zum allgemeinen Interesse "totzuschlagen". Zu Folgen sei der überzeugenden anderslautenden Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichtes, wonach die verlangten Kontoauszüge weder leistungserheblich noch erforderlich im Sinne des § 60 Abs.1 Nr.1 SGB I seien. Das Ansinnen der Beklagten verstoße gegen das Sozialgeheimnis der Kläger. Zur Verhinderung von Leistungsmissbrauch habe der Gesetzgeber u.a. den automatisierten Datenabgleich gemäß § 52 SGB II und besondere Anzeige und Mitwirkungspflichten gem. den §§ 56 ff SGB II eingeführt. Aus diesen Normen würden sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Ermächtigungsgrundlage zur Vorlage von Kontoauszügen ergeben. Jede andere Auffassung würde zu einer Kriminalisierung großer Bevölkerungsteile führen, die unverschuldet in Arbeitslosigkeit geraten seien.
Ebenfalls mit Schreiben vom 06.02.2007 (Eingang bei der Beklagten am 07.02.2007) erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 31.01.2007 Widerspruch. Zur Begründung nahm sie auf ihre Ausführungen im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz Bezug.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2007, der wiederum ausschließlich an die Klägerin und nicht an deren Kinder gerichtet ist, zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II setzte voraus, dass die Klägerin und deren Kinder hilfebedürftig seien, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht aus Einkommen oder Vermögen oder durch Hilfeleistungen von anderen sichern könne. Die beanspruchte Leistung sei daher zu recht abgelehnt worden, da eine abschließende Prüfung der Bedürftigkeit nicht vorgenommen werden konnte. Die Klägerin sei gem. § 60 SGB I verpflichtet, die erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Diese Mitwirkungspflicht habe die Klägerin nicht erfüllt, so dass die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung zu versagen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erfüllung dieser Mitwirkungspflicht unzumutbar sei oder die Beklagte sich die erforderlichen Kenntnisse durch geringeren Aufwand beschaffen könnte. Bei den Kontoauszügen handle es sich um Unterlagen und Nachweise, die zur Feststellung und Prüfung der Bedürftigkeit erforderlich, geeignet und angemessen seien. Auch habe die Beklagte aufgrund ihrer Prüfungspflicht die geforderten Unterlagen zu verlangen. Für die Feststellung, ob Einkommen und Vermögen vorhanden sei, genüge der aktuelle Kontoauszug nicht, da die Ermittlung von Kontenbewegungen der letzten Monate zur vollständigen Ermittlung von Einkommen und Vermögen erforderlich seien. Ein Verdacht auf beabsichtigten Leistungsmissbrauch sei nicht erforderlich. Wenn die Klägerin Leistungen nach dem SGB II erhalten möchte, müsse sie die angeforderten Nachweise vorlegen, da das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch die §§ 60 SGB I im Interesse daran, aus Steuermitteln finanzierte ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden, eingeschränkt werde.
Mit Beschluss vom 16.02.2007 verpflichtete das Gericht die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur einstweiligen Leistung, ohne dass es hierfür der Vorlage von Kontoauszügen bedarf. Das Gericht führte in diesem Beschluss aus, dass die Frage, ob eine Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen besteht, in der bisher hierzu ergangenen Rechtsprechung heftig umstritten ist. Vor dem Hintergrund dieser offenen und umstrittenen Rechtslage, sei dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz im Rahmen einer Interessenabwägung stattzugeben, da eine Klärung der Problematik in einem Hauptsachverfahren zu erfolgen habe. Wegen des genauen Inhalts des Beschlusses wird auf Bl. 11- 25 der Akte Az.: S 12 AS 477/07 ER Bezug genommen.
Ebenfalls am 16.02.2007 erhob die Klägerin hiergegen die Klage in der Hauptsache (Az.: S 12 AS 654/07). Zur Begründung nahm die Klägerin auf die Ausführungen im Verfahren auf einstweiligen Rechtschutz Bezug.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung fest und verweist auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden.
Wegen des weitern Vorbringens der Beteiligten und weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist erfolgreich, da sie zulässig und begründet ist.
I.
Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Die Klägerin hat insbesondere zu recht in der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2007 einen reinen Anfechtungsantrag gestellt. Ein Bescheid mit dem die Verwaltung gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bis zur Nachholung der Mitwirkung eine Leistung versagt hat, weil ein Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, ist in der Hauptsache grundsätzlich allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen (vgl. zu BSG, Urteil vom 25.10.1988, Az.: 7 RAr 70/87, veröffentlicht u.a. in JURIS). Grund hierfür ist, dass die Beklagte mit der Versagung von Arbeitslosengeld II mangels Mitwirkung eine Entscheidung getroffen hat, die sich ihrem Wesen nach von der Ablehnung des Leistungsanspruchs wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung unterscheidet. Anders als die Ablehnung einer Leistung wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung ist die Versagung nach § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I nämlich ausdrücklich "bis zur Nachholung der Mitwirkung" begrenzt und, weil der Leistungsträger versagte Leistungen nach Mitwirkung nachträglich erbringen kann (§ 67 SGB I), auch für die Zeit bis zur Nachholung vorläufiger Natur. Dies hat zur Folge, dass die Anfechtung einer Versagung grundsätzlich nicht mit einer Leistungsklage verbunden werden kann, die Versagung vielmehr allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. Anders als im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz, in dem richtigerweise alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ins Rubrum aufzunehmen gewesen wären, wird die vorliegende Klage zutreffend nach entsprechender Klarstellung in der mündlichen Verhandlung ausschließlich von der Klägerin verfolgt. Da es sich um eine reine Anfechtungsklage handelt, ist ausschließlich die Klägerin als alleiniger Adressat des Versagungsbescheides von diesem betroffen. Im Hinblick auf die Kinder der Klägerin, denen ein eigenständiger Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zusteht, hat die Beklagte vielmehr bislang noch gar keine Versagungsentscheidung getroffen.
II.
Die Klage ist auch in der Sache begründet. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten erweist sich insoweit als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in deren Recht auf pflichtgemäße Ermessenausübung, als die Beklagte bei ihrer Entscheidung das ihr zustehende Ermessen nicht erkannt hat.
Als Rechtsgrundlage für die angegriffene Versagungsentscheidung kommen ausschließlich die. §§ 60 Abs. 1 Nr. 3, 66 Abs.1 und 3 SGB II in Betracht.
Die Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 10.01.2007 (Bl. A 6 der Verwaltungsakte) unstreitig unter Fristsetzung und Rechtsfolgenbelehrung zur Vorlage von Kontoauszügen für die letzten drei Monate aufgefordert. Zwar stellt die Nichtvorlage von Kontoauszügen nach Auffassung der Kammer eine fehlende Mitwirkung dar, die zu einer Versagung der Leistungen führen kann (hierzu unter 1.). Allerdings hat die Beklagte verkannt, dass ihr im Rahmen der zu treffenden Entscheidung gem. §§ 60, 66 Abs.1 und 3 SGB I sowohl hinsichtlich des "Ob" der Versagung, als auch hinsichtlich des Umfangs der Versagung, Ermessen eingeräumt ist (hierzu unter 2).
1.)
Zunächst ist zur Klarstellung und ggf. Vermeidung künftiger Prozesse anzumerken, dass es sich bei den von der Beklagten angeforderten Kontoauszügen nach Ansicht der Kammer um Beweismittel im Sinne des § 60 Abs.1 Nr. 3 SGB I handelt, deren Nichtvorlage zu einer Versagungsentscheidung gem. §§ 66 Abs.1 und 3 SGB I führen kann.
Die Klägerin hat anlässlich ihres Fortzahlungsantrages vom 07.08.2006 auszugsweise Kontoauszüge über ein Konto " ..." bei der ... vorgelegt, welches am 14.09.2006 ein Guthaben in Höhe von 125,46 EUR aufwies (Bl. 98 der Verwaltungsakte). Im Rahmen des Fortzahlungsantrages vom 16.12.2006 gab sie an, dass sich keine Änderung in den Vermögensverhältnisse ergeben habe. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in der Zwischenzeit Einnahmen erzielt hat, die ihre Bedürftigkeit ausschließen, existieren nicht.
Inwieweit eine Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen auch dann besteht, wenn kein konkreter Missbrauchsverdacht besteht, ist in der bisher hierzu ergangenen Rechtsprechung umstritten (eine entsprechende Verpflichtung verneinend: Hessisches LSG, Beschluss vom 22.08.2005, Az.: L 7 AS 32/05 ER; SG Detmold, Beschluss vom 07.09.2006, Az.: S 21 AS 133/06 ER; SG Bayreuth, Beschluss vom 27.02.2006, Az.: S 8 AS 34/06 ER; wohl ebenfalls einen konkreten Missbrauchsverdacht erfordernd: LSG, Nordrhein - Westfalen, Beschluss vom 12.07.2006, Az.: l 9 B 48/06 AS ER. Eine Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen auch ohne Anhaltspunkte für einen Missbrauch bejahen hingegen: SG Reutlingen, Urteil vom 09.01.2007, Az.: S 2 AS 1073/06; SG München, Beschluss vom 09.09.2005, Az.: S 50 AS 472/05 ER; SG Dresden, Beschluss vom 01.03.2006, Az.: S 34 AS 274/06 ER; SG Nürnberg, Beschluss vom 15.02.2006, Az.: S 20 AS 75/06 ER; SG Konstanz, Beschluss vom 27.03.2007, Az.: S 9 AS 539/07 ER; LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 02.01.2007, Az.: L 18 B 1237/06 AS). Eine eindeutige Klärung der aufgeworfenen Problematik war offenbar auch zur Zeit des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) nicht erfolgt. So wurde vom VG Sigmaringen die Berechtigung eines Sozialamtes bejaht, zum Zwecke der der umfassenden Überprüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnissen von Antragstellern die Vorlage von lückenlosen Kontoauszügen der letzten Monate als Voraussetzung für eine Hilfegewährung zu verlangen, ohne dass im konkreten Fall Anhaltspunkte bestanden, aus denen sich ein Leistungsmissbrauch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ergab (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2000, Az.: 2 K 1886/99). Vom VG Hannover wurde hingegen ausdrücklich offen gelassen, ob die Vorlage von Kontoauszügen nur dann als "erforderlich" erachtet werden kann, wenn Zweifel an der Vollständigkeit oder Richtigkeit der entscheidungserheblichen Angaben bestehen (VG Hannover, Urteil 28.01.2004, Az.: 9 A 645/02).
Nach Ansicht der Kammer besteht eine Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen, mit der möglichen Folge der Versagung bei Verweigerung der Mitwirkung, auch dann, wenn wie vorliegend kein konkreter Verdacht auf einen Missbrauch besteht.
a.)
Nach § 60 Abs.1 Nr. 3 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Hierzu sind auch Kontoauszüge zu rechnen. Soweit vom Hessische Landessozialgericht in einem Beschluss vom 22.08.2005 die gegenteilige Auffassung vertreten wurde, Kontoauszüge der zurückliegenden Monate seien keine leistungserheblichen oder erforderlichen Belege iS des § 60 Abs. 1 S. 1 Nr.1 SGB I, da zurückliegende Kontobewegungen nichts an der aktuellen Bedarflage ändern könnten (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 22.08.2005, Az.: L 7 AS 32/05 ER, m.w.N., veröffentlicht jeweils in JURIS und www.sozialgerichtsbarkeit.de), vermochte dies die Kammer nicht zu überzeugen. Es ist ohne weiteres denkbar und dem Gericht aus anderen Fällen auch bekannt, dass sich aus Kontenbewegung in der Vergangenheit Zweifel an der aktuellen Bedürftigkeit ergeben. Allein der aktuelle Kontostand vermag keine Anhaltspunkte dafür zu bieten, ob vor der Erstellung dieses Kontoauszuges Einzahlungen und anschließende Abhebungen erfolgt sind. Für die Feststellung, ob Einkommen und Vermögen vorhanden ist, genügt die Vorlage eines aktuellen Kontoauszuges daher nicht, da die Kenntnis der Kontenbewegungen der letzten Monate zur vollständigen Ermittlung von Einkommen und Vermögen erforderlich ist. Eine Vorlage nur der aktuellen Kontoauszüge liefert hinsichtlich des Einkommens nur punktuelle und hinsichtlich in der Vergangenheit erworbenen Vermögens keinerlei Informationen.
b.)
Der Verpflichtung zur Vorlage der Kontoauszüge steht auch § 65 SGB I, der die Grenzen der Mitwirkungspflicht regelt, nicht entgegen. Nach § 65 Abs.1 SGB I bestehen die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit 1.) ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder 2.) ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder 3.) der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann.
aa.)
In Anbetracht der in Streit stehenden Höhe der SGB II Leistungen von monatlich mehreren Hundert Euro bestehen bei der Kammer keinerlei durchgreifenden Bedenken an der Angemessenheit. Die Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen erscheint der Kammer ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel, um die Frage des Bestehens eines Leistungsanspruchs im Rahmen des SGB II zu klären.
bb.)
Ein wichtiger Grund, der die Vorlage der Kontoauszüge für die Klägerin unzumutbar machen würde, ist für die Kammer nicht ersichtlich. Insbesondere vermag die Kammer einen solchen nicht aus dem Schutz der Sozialdaten gem. §§ 35 SGB I , 67 ff. SGB X zu erkennen. Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei den Kontoauszügen um leistungserhebliche Beweismittel, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Sozialverwaltung erforderlich sind, so dass es sich um eine zulässige Datenerhebung im Sinne des § 67a SGB X handelt. Weiterhin vermag die Kammer die Einschätzung der Klägerin, die Verpflichtung zur Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge auch ohne Vorliegen eines konkreten Verdachtes, führe zu einer pauschalen Kriminalisierung großer Bevölkerungsteile, nicht zu teilen. Die Klägerin begehrt die Bewilligung steuerfinanzierte Fürsorgeleistungen auf die gem. § 9 SGB II nur Hilfebedürftige einen Anspruch haben. Hilfebedürftig ist nur, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen bestreiten kann. Es obliegt demjenigen, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt, nachzuweisen, dass er über kein die Bedürftigkeit ausschließendes Einkommen oder Vermögen verfügt. Wenn die Beklagte daher Unterlagen, wie beispielsweise Kontoauszüge, anfordert mit denen die Einkommens- und Vermögenssituation nachgewiesen werden kann, so stellt dies nichts anderes dar, als die der Beklagten obliegende Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen eines eventuell bestehenden Anspruchs. Mit einer Kriminalisierung hat dies nichts zu tun. Dies gilt um so mehr, da objektiv unzutreffende Angaben im Antragsformular keineswegs zwingend auf vorsätzlichen Falschangaben der Betroffenen beruhen müssen, sondern vielmehr in Anbetracht des durchaus komplexen Antragsvordrucks auch auf Missverständnissen beruhen können. Auch in dieser Hinsicht muss der Beklagten jedoch eine Prüfungsmöglichkeit eröffnet sein.
Gerade der vorliegende Fall belegt eindrucksvoll, dass Angaben in Antragsformularen als alleiniges Entscheidungskriterium äußerst kritisch sind. Dass ein grundsätzliches Bedürfnis zur Überprüfung der Angaben in den Leistungs- und Fortzahlungsanträgen besteht, hat die Klägerin nämlich selbst dadurch belegt, dass sie im Rahmen ihres Leistungsantrages vom August 2006 auf dem Zusatzblatt 3 zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens angab, sie verfüge weder über Bargeld noch über ein Girokonto (Bl. 72/6 der Verwaltungsakte). Die Kammer geht davon aus, dass es sich insoweit um einen "Flüchtigkeitsfehler" handeln dürfte, da die Klägerin offenkundig über ein Girokonto verfügt, wie sie selbst auf dem Zusatzblatt 1 ihres Antrages angegeben hat (Bl 72/3 der Verwaltungsakte). Vermutlich sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass dieses Konto über kein relevantes Guthaben verfügt. Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass die Klägerin im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz zunächst auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hatte und in dem von ihr unterzeichneten Antragsformular u.a. angab, dass keine Rechtsschutzversicherung bestehe. Nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Gericht, wurde jedoch der PKH - Antrag zurückgenommen und mitgeteilt, dass eine Rechtsschutzversicherung die Kosten übernehme. Eine Erklärung weshalb im PKH - Antrag das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung ausdrücklich verneint wurde, erfolgte nicht. Auch hier geht die Kammer zu Gunsten der Klägerin von einem "Flüchtigkeitsfehler" aus. Gerade die Möglichkeit derartiger "Flüchtigkeitsfehler" in Anträgen dokumentiert jedoch, dass das Verlangen nach Kontoauszügen nichts mit der von der Klägerin befürchteten "Kriminalisierung" zu tun hat. Vielmehr sind ohne weiteres etliche Fälle denkbar, in denen Antragsteller sich über die Meldepflicht bestimmter Einnahmen (z.B. Nebenkostennachzahlung, Steuerrückerstattung, Geldgeschenke von Verwandten) ohne bösen Willen nicht im Klaren sind, so dass es bei einer steuerfinanzierten Fürsorgeleistung in der Tat bedenklich erscheint, allein die bloßen Angaben der Antragsteller genügen zu lassen (ebenso SG Dresden, a.a.O).
cc.)
Bereits aus dem soeben gesagten ergibt sich, dass sich der Leistungsträger nicht durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Eine effektive Aufklärung der zuvor genannten Einnahmen (wie etwa Nebenkostennachzahlung, Steuerrückerstattung, Geldgeschenke von Verwandten) ist nach Ansicht der Kammer insbesondere auch nicht durch den automatisierten Datenabgleich gem. § 52 SGB II und die besonderen Mitwirkungspflichten der §§ 56 ff SGB II möglich, so dass der Verweis auf diese Regelung in der Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts die Kammer nicht zu überzeugen vermochte.
dd.)
Etwas anderes ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht. Zwar dürfte der Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung in der Tat eröffnet sein und durch die Verpflichtung zur Vorlage der Kontoauszüge erfolgt ein entsprechender Eingriff. Allerdings gilt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht schrankenlos. Eingriffe in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechte sind vielmehr im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, das heißt hier aufgrund der Gesamtheit aller formell und materiell verfassungsmäßigen Normen zulässig. Die § 60 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 SGB I und § 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X sind formell und materiell verfassungsmäßige Normen, die taugliche Schranken des informationellen Selbstbestimmungsrechts darstellen (vgl. hierzu ausführlich: SG Reutlingen, Urteil vom 09.01.2007, Az.: S 2 AS 1073/06; m.w.N.).
2.)
Obwohl die Kammer daher von einer grundlegenden Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen ausgeht, war der Klage hier deshalb stattzugeben, da die Beklagte das ihr zustehende Ermessen nicht erkannt hat.
Bei einer Entscheidung gem. §§ 66 Abs.1 und 3 SGB I handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Nach § 66 Abs 1 kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Der Leistungsträger muss also nicht entziehen oder versagen, die Entscheidung steht vielmehr in seinem Ermessen. Dementsprechend hat die Beklagte bei einer Bescheiderteilung nach § 66 Abs. 1 SGB I den Anspruch der Klägerin auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und den gesetzlichen Grenzen des Ermessens (§ 39 Abs. 1 SGB I) zu beachten. Die Ermessenserwägungen sind dem Betroffenen im Bescheid im Einzelnen darzulegen. Die Begründung muss ersehen lassen, welche Gesichtspunkte die Beklagte bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt und wie sie diese gewichtet hat (v. Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, § 35, Rn. 6). Ohne Mitteilung dieser Gesichtspunkte ist nicht zu erkennen, ob sie vom Ermessen in pflichtgemäßer, dem Zweck der Ermächtigung entsprechender Weise Gebrauch gemacht hat. Nicht ausreichend begründet ist eine Ermessensentscheidung z.B. beim Gebrauch von nicht nachvollziehbaren Leerformeln, etwa, wenn nur mitgeteilt wird, es lägen keine Besonderheiten vor, ohne dass die bei der Gewinnung dieser Auffassung angelegten Beurteilungsmaßstäbe erkennbar sind (BSG SozR 3-2700 § 76 Nr 2 S 5 = HVBG-Info 2000, 1811; BSG SozR 1300 § 35 Nr 3). Die gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen beschränkt sich darauf, ob die Beklagte ihr Ermessen pflichtgemäß und fehlerfrei ausgeübt hat. Das Gericht darf insbesondere nicht sein Ermessen anstelle desjenigen der Verwaltung setzen. Zu berücksichtigen sind daher nur die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen und nicht eigene Erwägungen des Gerichts. Nach § 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch
Vorliegend hat die Beklagte weder im Ausgangsbescheid noch im Widerspruchsbescheid Ermessenserwägungen zur Frage des "Ob" und insbesondere auch zur Frage der Höhe der Versagung mitgeteilt. Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 66 Abs.1 SGB I entnehmen lässt, umfasst das der Beklagten eingeräumte Ermessen nicht nur die Frage, ob der Leistungsträger überhaupt von der Versagung oder Entziehung Gebrauch macht, sondern es erstreckt sich auch darauf, ob die Sozialleistung ganz oder teilweise versagt oder entzogen wird und ob die Versagung oder Entziehung mit Nachholung der Mitwirkung oder früher enden soll. Da sich die Beklagte des ihr eingeräumten Ermessensspielraums ausweislich der Ausführungen in Bescheid und Widerspruchsbescheid nicht bewusst war, hat die Beklagte das ihr zustehend Ermessen unterschritten, so dass das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde.
Die Entscheidung der Beklagten wäre nach alledem nur dann rechtmäßig, wenn eine sog, Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, d.h. einzig und allein die von der Beklagten verfügte vollständige Versagung rechtmäßig wäre. Dies ist jedoch nach Ansicht der Kammer nicht der Fall. Insbesondere das eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Höhe der Versagung eröffnet der Beklagten durchaus sachgerechte Differenzierungsmöglichkeiten, die zu anderen rechtmäßigen Entscheidungen führen können. So erscheint es der Kammer im Rahmen des eingeräumten Ermessens ohne weiteres möglich zwischen Fällen zu differenzieren, in denen konkrete Verdachtsmomente auf verschwiegene Einnahmen beruhen und solchen Fällen in denen dies nicht der Fall ist, aber die zustehende Leistungshöhe ohne Vorlage der Kontoauszüge nicht abschließend zu beurteilen ist. Während ein konkreter Verdacht auf verschwiegene größere Einnahmen die Beklagte zu einer kompletten Versagung veranlassen mag, wäre es andererseits nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte bei Fällen, in denen keine Verdachtsmomente auf höhere Einnahmen bestehen, zunächst nur eine teilweise Versagung vornimmt. Gerade auch bei Leistungsempfängern, die die Vorlage von Kontoauszügen "aus Prinzip" verweigern, dürften sich hier sachdienliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, ohne dass sogleich eine Existenzgefährdung der Betroffenen eintritt. Zur Klarstellung ist nochmals anzumerken, dass es der Kammer nicht zusteht ihr Ermessen anstelle desjenigen der Verwaltung zu setzen. Ob eine derartige Differenzierung zu erfolgen hat, hat daher die Beklagte im Einzelfall im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens zu entscheiden. Vorliegend ist hingegen ausschließlich entscheidend, dass andere rechtmäßige Entscheidungen ohne weiteres möglich sind und daher keine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist.
Die Entscheidung der Beklagten ist daher aufzuheben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch SGB II. Grund für die Versagung ist die Weigerung der Klägerin der Beklagten Kontoauszüge vorzulegen.
Die Klägerin beantragte erstmals am 17.11.2004 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für sich und ihre drei Kinder, die von der Beklagten antragsgemäß bewilligt wurden.
Im Rahmen dieses Erstantrages legte die Klägerin verschiedene Kontoauszüge vor (Bl. 18 bis 20, 23 bis 24 und 33 der Verwaltungsakte).
Anlässlich eines Fortzahlungsantrages forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 27.07.2005 zur Vorlage von Kontoauszügen aus den Monaten Juni und Juli 2005 bis zum 08.08.2005 auf. Es wurde angekündigt, dass die Leistungen eingestellt würden, wenn die Antragstellerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme. Das in der Verwaltungsakte enthaltene Schreiben enthält den handschriftlichen Vermerk: "wurden angeblich vorgelegt ... erledigt." (Bl. 64/1 der Verwaltungsakte)
Die Klägerin und ihre Kinder erhielten bis 31.10.2005 Leistungen. Ab dem 01.11.2005 wurden keine Leistungen durch die Beklagte mehr erbracht, da die Klägerin ausreichendes Einkommen erzielte (Bl. 152 der Verwaltungsakte).
Am 07.08.2006 beantragte die Klägerin erneut Leistungen, da sie ihre Arbeitsstelle verloren hatte (Bl. 72/1 Verwaltungsakte). Auf dem Zusatzblatt 3 zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens gab die Klägerin an, sie verfüge weder über Bargeld noch über ein Girokonto (Bl. 72/6 der Verwaltungsakte). Trotz dieser Angabe legte die Klägerin im Rahmen der Antragstellung auszugsweise Kontoauszüge über ein Konto " ..." bei der ... vom 28.07.2006 und 14.09.2006 vor. Am 28.07.2006 wies das Girokonto ein Guthaben in Höhe von 3,58 EUR und am 14.09.2006 in Höhe von 125,46 EUR auf (Bl. 98 der Verwaltungsakte). Eine lückenlose Vorlage von Kontoauszügen wurde von der Klägerin verweigert.
Mit Schreiben vom 29.08.2006 forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage der kompletten Kontoauszüge der letzten drei Monate mit einer Frist bis zum 15.09.2006 auf. Sollte die Klägerin bis zu diesem Termin nicht antworten, werde die Leistung ganz versagt (A 1 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 26.09.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin und der mit dieser in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kindern Leistungen nach dem SGB II vom 01.09.2006 bis 31.01.2007 (A 4 der Verwaltungsakte).
Am 20.12.2006 beantragte die Klägerin die Fortzahlung der gewährten Leistungen und gab hierbei an, dass es zu keinen Änderungen in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gekommen sei (Bl. 158 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 10.01.2007 forderte die Beklagte die Klägerin erneut zur Vorlage der kompletten Kontoauszüge der letzten drei Monate auf und setzte eine neue Frist zum 29.01.2007. Sollte die Klägerin bis zu diesem Termin die geforderten Unterlagen nicht einreichen, werde die Leistung ganz versagt (A 6 der Verwaltungsakte). Adressiert war dieses Schreiben ausschließlich an die Klägerin, nicht jedoch an deren Kinder.
Mit Schreiben vom 25.01.2007 wies die Beklagte die Klägerin auf ein zwischenzeitlich ergangenes Urteil der 2. Kammer des SG Reutlingens hin, wonach eine Verpflichtung bestehe, die Kontoauszüge der letzten drei Monate ungeschwärzt vorzulegen (Bl. 141 der Verwaltungsakte).
In einem Telefongespräch vom 31.01.2007 bot die Beklagte der Klägerin an, dass die Kontoauszüge nicht kopiert, sondern nur eingesehen würden. Die Klägerin lehnt dies ab. Ausweislich des gefertigten Aktenvermerkes lehnte die Klägerin ein gleichlautendes Ansinnen bereits am 22.01.2007 ab (Bl. 142 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 31.01.2007, der ausschließlich an die Klägerin und nicht an deren Kinder gerichtet ist, versagte die Beklagte der Klägerin ab dem 01.02.2007 Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin habe die fehlenden Unterlagen / Nachweise trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vorgelegt. Die Klägerin sei ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und habe die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert (A 7 der Verwaltungsakte).
Am 07.02.2007 beantragte die Klägerin sinngemäß den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung führte sie aus, bei dem Urteil der 2. Kammer des Sozialgerichts Reutlingen handle es um ein "Fehlurteil". Das Sozialgericht Reutlingen irre, wenn es meine, in den § 60 ff SGB I eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für das Verlangen auf Vorlage von Kontoauszügen für die letzten drei Monate zu finden. Das Sozialgericht Reutlingen sei in seinem Urteil bemüht gewesen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das immerhin Verfassungsrang habe, mit allgemeinen Erwägungen zum allgemeinen Interesse "totzuschlagen". Zu Folgen sei der überzeugenden anderslautenden Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichtes, wonach die verlangten Kontoauszüge weder leistungserheblich noch erforderlich im Sinne des § 60 Abs.1 Nr.1 SGB I seien. Das Ansinnen der Beklagten verstoße gegen das Sozialgeheimnis der Kläger. Zur Verhinderung von Leistungsmissbrauch habe der Gesetzgeber u.a. den automatisierten Datenabgleich gemäß § 52 SGB II und besondere Anzeige und Mitwirkungspflichten gem. den §§ 56 ff SGB II eingeführt. Aus diesen Normen würden sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Ermächtigungsgrundlage zur Vorlage von Kontoauszügen ergeben. Jede andere Auffassung würde zu einer Kriminalisierung großer Bevölkerungsteile führen, die unverschuldet in Arbeitslosigkeit geraten seien.
Ebenfalls mit Schreiben vom 06.02.2007 (Eingang bei der Beklagten am 07.02.2007) erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 31.01.2007 Widerspruch. Zur Begründung nahm sie auf ihre Ausführungen im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz Bezug.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2007, der wiederum ausschließlich an die Klägerin und nicht an deren Kinder gerichtet ist, zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II setzte voraus, dass die Klägerin und deren Kinder hilfebedürftig seien, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht aus Einkommen oder Vermögen oder durch Hilfeleistungen von anderen sichern könne. Die beanspruchte Leistung sei daher zu recht abgelehnt worden, da eine abschließende Prüfung der Bedürftigkeit nicht vorgenommen werden konnte. Die Klägerin sei gem. § 60 SGB I verpflichtet, die erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Diese Mitwirkungspflicht habe die Klägerin nicht erfüllt, so dass die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung zu versagen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erfüllung dieser Mitwirkungspflicht unzumutbar sei oder die Beklagte sich die erforderlichen Kenntnisse durch geringeren Aufwand beschaffen könnte. Bei den Kontoauszügen handle es sich um Unterlagen und Nachweise, die zur Feststellung und Prüfung der Bedürftigkeit erforderlich, geeignet und angemessen seien. Auch habe die Beklagte aufgrund ihrer Prüfungspflicht die geforderten Unterlagen zu verlangen. Für die Feststellung, ob Einkommen und Vermögen vorhanden sei, genüge der aktuelle Kontoauszug nicht, da die Ermittlung von Kontenbewegungen der letzten Monate zur vollständigen Ermittlung von Einkommen und Vermögen erforderlich seien. Ein Verdacht auf beabsichtigten Leistungsmissbrauch sei nicht erforderlich. Wenn die Klägerin Leistungen nach dem SGB II erhalten möchte, müsse sie die angeforderten Nachweise vorlegen, da das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch die §§ 60 SGB I im Interesse daran, aus Steuermitteln finanzierte ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden, eingeschränkt werde.
Mit Beschluss vom 16.02.2007 verpflichtete das Gericht die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur einstweiligen Leistung, ohne dass es hierfür der Vorlage von Kontoauszügen bedarf. Das Gericht führte in diesem Beschluss aus, dass die Frage, ob eine Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen besteht, in der bisher hierzu ergangenen Rechtsprechung heftig umstritten ist. Vor dem Hintergrund dieser offenen und umstrittenen Rechtslage, sei dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz im Rahmen einer Interessenabwägung stattzugeben, da eine Klärung der Problematik in einem Hauptsachverfahren zu erfolgen habe. Wegen des genauen Inhalts des Beschlusses wird auf Bl. 11- 25 der Akte Az.: S 12 AS 477/07 ER Bezug genommen.
Ebenfalls am 16.02.2007 erhob die Klägerin hiergegen die Klage in der Hauptsache (Az.: S 12 AS 654/07). Zur Begründung nahm die Klägerin auf die Ausführungen im Verfahren auf einstweiligen Rechtschutz Bezug.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung fest und verweist auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden.
Wegen des weitern Vorbringens der Beteiligten und weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist erfolgreich, da sie zulässig und begründet ist.
I.
Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Die Klägerin hat insbesondere zu recht in der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2007 einen reinen Anfechtungsantrag gestellt. Ein Bescheid mit dem die Verwaltung gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bis zur Nachholung der Mitwirkung eine Leistung versagt hat, weil ein Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, ist in der Hauptsache grundsätzlich allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen (vgl. zu BSG, Urteil vom 25.10.1988, Az.: 7 RAr 70/87, veröffentlicht u.a. in JURIS). Grund hierfür ist, dass die Beklagte mit der Versagung von Arbeitslosengeld II mangels Mitwirkung eine Entscheidung getroffen hat, die sich ihrem Wesen nach von der Ablehnung des Leistungsanspruchs wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung unterscheidet. Anders als die Ablehnung einer Leistung wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung ist die Versagung nach § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I nämlich ausdrücklich "bis zur Nachholung der Mitwirkung" begrenzt und, weil der Leistungsträger versagte Leistungen nach Mitwirkung nachträglich erbringen kann (§ 67 SGB I), auch für die Zeit bis zur Nachholung vorläufiger Natur. Dies hat zur Folge, dass die Anfechtung einer Versagung grundsätzlich nicht mit einer Leistungsklage verbunden werden kann, die Versagung vielmehr allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. Anders als im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz, in dem richtigerweise alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ins Rubrum aufzunehmen gewesen wären, wird die vorliegende Klage zutreffend nach entsprechender Klarstellung in der mündlichen Verhandlung ausschließlich von der Klägerin verfolgt. Da es sich um eine reine Anfechtungsklage handelt, ist ausschließlich die Klägerin als alleiniger Adressat des Versagungsbescheides von diesem betroffen. Im Hinblick auf die Kinder der Klägerin, denen ein eigenständiger Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zusteht, hat die Beklagte vielmehr bislang noch gar keine Versagungsentscheidung getroffen.
II.
Die Klage ist auch in der Sache begründet. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten erweist sich insoweit als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in deren Recht auf pflichtgemäße Ermessenausübung, als die Beklagte bei ihrer Entscheidung das ihr zustehende Ermessen nicht erkannt hat.
Als Rechtsgrundlage für die angegriffene Versagungsentscheidung kommen ausschließlich die. §§ 60 Abs. 1 Nr. 3, 66 Abs.1 und 3 SGB II in Betracht.
Die Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 10.01.2007 (Bl. A 6 der Verwaltungsakte) unstreitig unter Fristsetzung und Rechtsfolgenbelehrung zur Vorlage von Kontoauszügen für die letzten drei Monate aufgefordert. Zwar stellt die Nichtvorlage von Kontoauszügen nach Auffassung der Kammer eine fehlende Mitwirkung dar, die zu einer Versagung der Leistungen führen kann (hierzu unter 1.). Allerdings hat die Beklagte verkannt, dass ihr im Rahmen der zu treffenden Entscheidung gem. §§ 60, 66 Abs.1 und 3 SGB I sowohl hinsichtlich des "Ob" der Versagung, als auch hinsichtlich des Umfangs der Versagung, Ermessen eingeräumt ist (hierzu unter 2).
1.)
Zunächst ist zur Klarstellung und ggf. Vermeidung künftiger Prozesse anzumerken, dass es sich bei den von der Beklagten angeforderten Kontoauszügen nach Ansicht der Kammer um Beweismittel im Sinne des § 60 Abs.1 Nr. 3 SGB I handelt, deren Nichtvorlage zu einer Versagungsentscheidung gem. §§ 66 Abs.1 und 3 SGB I führen kann.
Die Klägerin hat anlässlich ihres Fortzahlungsantrages vom 07.08.2006 auszugsweise Kontoauszüge über ein Konto " ..." bei der ... vorgelegt, welches am 14.09.2006 ein Guthaben in Höhe von 125,46 EUR aufwies (Bl. 98 der Verwaltungsakte). Im Rahmen des Fortzahlungsantrages vom 16.12.2006 gab sie an, dass sich keine Änderung in den Vermögensverhältnisse ergeben habe. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in der Zwischenzeit Einnahmen erzielt hat, die ihre Bedürftigkeit ausschließen, existieren nicht.
Inwieweit eine Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen auch dann besteht, wenn kein konkreter Missbrauchsverdacht besteht, ist in der bisher hierzu ergangenen Rechtsprechung umstritten (eine entsprechende Verpflichtung verneinend: Hessisches LSG, Beschluss vom 22.08.2005, Az.: L 7 AS 32/05 ER; SG Detmold, Beschluss vom 07.09.2006, Az.: S 21 AS 133/06 ER; SG Bayreuth, Beschluss vom 27.02.2006, Az.: S 8 AS 34/06 ER; wohl ebenfalls einen konkreten Missbrauchsverdacht erfordernd: LSG, Nordrhein - Westfalen, Beschluss vom 12.07.2006, Az.: l 9 B 48/06 AS ER. Eine Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen auch ohne Anhaltspunkte für einen Missbrauch bejahen hingegen: SG Reutlingen, Urteil vom 09.01.2007, Az.: S 2 AS 1073/06; SG München, Beschluss vom 09.09.2005, Az.: S 50 AS 472/05 ER; SG Dresden, Beschluss vom 01.03.2006, Az.: S 34 AS 274/06 ER; SG Nürnberg, Beschluss vom 15.02.2006, Az.: S 20 AS 75/06 ER; SG Konstanz, Beschluss vom 27.03.2007, Az.: S 9 AS 539/07 ER; LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 02.01.2007, Az.: L 18 B 1237/06 AS). Eine eindeutige Klärung der aufgeworfenen Problematik war offenbar auch zur Zeit des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) nicht erfolgt. So wurde vom VG Sigmaringen die Berechtigung eines Sozialamtes bejaht, zum Zwecke der der umfassenden Überprüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnissen von Antragstellern die Vorlage von lückenlosen Kontoauszügen der letzten Monate als Voraussetzung für eine Hilfegewährung zu verlangen, ohne dass im konkreten Fall Anhaltspunkte bestanden, aus denen sich ein Leistungsmissbrauch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ergab (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2000, Az.: 2 K 1886/99). Vom VG Hannover wurde hingegen ausdrücklich offen gelassen, ob die Vorlage von Kontoauszügen nur dann als "erforderlich" erachtet werden kann, wenn Zweifel an der Vollständigkeit oder Richtigkeit der entscheidungserheblichen Angaben bestehen (VG Hannover, Urteil 28.01.2004, Az.: 9 A 645/02).
Nach Ansicht der Kammer besteht eine Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen, mit der möglichen Folge der Versagung bei Verweigerung der Mitwirkung, auch dann, wenn wie vorliegend kein konkreter Verdacht auf einen Missbrauch besteht.
a.)
Nach § 60 Abs.1 Nr. 3 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Hierzu sind auch Kontoauszüge zu rechnen. Soweit vom Hessische Landessozialgericht in einem Beschluss vom 22.08.2005 die gegenteilige Auffassung vertreten wurde, Kontoauszüge der zurückliegenden Monate seien keine leistungserheblichen oder erforderlichen Belege iS des § 60 Abs. 1 S. 1 Nr.1 SGB I, da zurückliegende Kontobewegungen nichts an der aktuellen Bedarflage ändern könnten (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 22.08.2005, Az.: L 7 AS 32/05 ER, m.w.N., veröffentlicht jeweils in JURIS und www.sozialgerichtsbarkeit.de), vermochte dies die Kammer nicht zu überzeugen. Es ist ohne weiteres denkbar und dem Gericht aus anderen Fällen auch bekannt, dass sich aus Kontenbewegung in der Vergangenheit Zweifel an der aktuellen Bedürftigkeit ergeben. Allein der aktuelle Kontostand vermag keine Anhaltspunkte dafür zu bieten, ob vor der Erstellung dieses Kontoauszuges Einzahlungen und anschließende Abhebungen erfolgt sind. Für die Feststellung, ob Einkommen und Vermögen vorhanden ist, genügt die Vorlage eines aktuellen Kontoauszuges daher nicht, da die Kenntnis der Kontenbewegungen der letzten Monate zur vollständigen Ermittlung von Einkommen und Vermögen erforderlich ist. Eine Vorlage nur der aktuellen Kontoauszüge liefert hinsichtlich des Einkommens nur punktuelle und hinsichtlich in der Vergangenheit erworbenen Vermögens keinerlei Informationen.
b.)
Der Verpflichtung zur Vorlage der Kontoauszüge steht auch § 65 SGB I, der die Grenzen der Mitwirkungspflicht regelt, nicht entgegen. Nach § 65 Abs.1 SGB I bestehen die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit 1.) ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder 2.) ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder 3.) der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann.
aa.)
In Anbetracht der in Streit stehenden Höhe der SGB II Leistungen von monatlich mehreren Hundert Euro bestehen bei der Kammer keinerlei durchgreifenden Bedenken an der Angemessenheit. Die Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen erscheint der Kammer ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel, um die Frage des Bestehens eines Leistungsanspruchs im Rahmen des SGB II zu klären.
bb.)
Ein wichtiger Grund, der die Vorlage der Kontoauszüge für die Klägerin unzumutbar machen würde, ist für die Kammer nicht ersichtlich. Insbesondere vermag die Kammer einen solchen nicht aus dem Schutz der Sozialdaten gem. §§ 35 SGB I , 67 ff. SGB X zu erkennen. Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei den Kontoauszügen um leistungserhebliche Beweismittel, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Sozialverwaltung erforderlich sind, so dass es sich um eine zulässige Datenerhebung im Sinne des § 67a SGB X handelt. Weiterhin vermag die Kammer die Einschätzung der Klägerin, die Verpflichtung zur Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge auch ohne Vorliegen eines konkreten Verdachtes, führe zu einer pauschalen Kriminalisierung großer Bevölkerungsteile, nicht zu teilen. Die Klägerin begehrt die Bewilligung steuerfinanzierte Fürsorgeleistungen auf die gem. § 9 SGB II nur Hilfebedürftige einen Anspruch haben. Hilfebedürftig ist nur, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen bestreiten kann. Es obliegt demjenigen, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt, nachzuweisen, dass er über kein die Bedürftigkeit ausschließendes Einkommen oder Vermögen verfügt. Wenn die Beklagte daher Unterlagen, wie beispielsweise Kontoauszüge, anfordert mit denen die Einkommens- und Vermögenssituation nachgewiesen werden kann, so stellt dies nichts anderes dar, als die der Beklagten obliegende Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen eines eventuell bestehenden Anspruchs. Mit einer Kriminalisierung hat dies nichts zu tun. Dies gilt um so mehr, da objektiv unzutreffende Angaben im Antragsformular keineswegs zwingend auf vorsätzlichen Falschangaben der Betroffenen beruhen müssen, sondern vielmehr in Anbetracht des durchaus komplexen Antragsvordrucks auch auf Missverständnissen beruhen können. Auch in dieser Hinsicht muss der Beklagten jedoch eine Prüfungsmöglichkeit eröffnet sein.
Gerade der vorliegende Fall belegt eindrucksvoll, dass Angaben in Antragsformularen als alleiniges Entscheidungskriterium äußerst kritisch sind. Dass ein grundsätzliches Bedürfnis zur Überprüfung der Angaben in den Leistungs- und Fortzahlungsanträgen besteht, hat die Klägerin nämlich selbst dadurch belegt, dass sie im Rahmen ihres Leistungsantrages vom August 2006 auf dem Zusatzblatt 3 zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens angab, sie verfüge weder über Bargeld noch über ein Girokonto (Bl. 72/6 der Verwaltungsakte). Die Kammer geht davon aus, dass es sich insoweit um einen "Flüchtigkeitsfehler" handeln dürfte, da die Klägerin offenkundig über ein Girokonto verfügt, wie sie selbst auf dem Zusatzblatt 1 ihres Antrages angegeben hat (Bl 72/3 der Verwaltungsakte). Vermutlich sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass dieses Konto über kein relevantes Guthaben verfügt. Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass die Klägerin im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz zunächst auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hatte und in dem von ihr unterzeichneten Antragsformular u.a. angab, dass keine Rechtsschutzversicherung bestehe. Nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Gericht, wurde jedoch der PKH - Antrag zurückgenommen und mitgeteilt, dass eine Rechtsschutzversicherung die Kosten übernehme. Eine Erklärung weshalb im PKH - Antrag das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung ausdrücklich verneint wurde, erfolgte nicht. Auch hier geht die Kammer zu Gunsten der Klägerin von einem "Flüchtigkeitsfehler" aus. Gerade die Möglichkeit derartiger "Flüchtigkeitsfehler" in Anträgen dokumentiert jedoch, dass das Verlangen nach Kontoauszügen nichts mit der von der Klägerin befürchteten "Kriminalisierung" zu tun hat. Vielmehr sind ohne weiteres etliche Fälle denkbar, in denen Antragsteller sich über die Meldepflicht bestimmter Einnahmen (z.B. Nebenkostennachzahlung, Steuerrückerstattung, Geldgeschenke von Verwandten) ohne bösen Willen nicht im Klaren sind, so dass es bei einer steuerfinanzierten Fürsorgeleistung in der Tat bedenklich erscheint, allein die bloßen Angaben der Antragsteller genügen zu lassen (ebenso SG Dresden, a.a.O).
cc.)
Bereits aus dem soeben gesagten ergibt sich, dass sich der Leistungsträger nicht durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Eine effektive Aufklärung der zuvor genannten Einnahmen (wie etwa Nebenkostennachzahlung, Steuerrückerstattung, Geldgeschenke von Verwandten) ist nach Ansicht der Kammer insbesondere auch nicht durch den automatisierten Datenabgleich gem. § 52 SGB II und die besonderen Mitwirkungspflichten der §§ 56 ff SGB II möglich, so dass der Verweis auf diese Regelung in der Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts die Kammer nicht zu überzeugen vermochte.
dd.)
Etwas anderes ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht. Zwar dürfte der Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung in der Tat eröffnet sein und durch die Verpflichtung zur Vorlage der Kontoauszüge erfolgt ein entsprechender Eingriff. Allerdings gilt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht schrankenlos. Eingriffe in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechte sind vielmehr im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, das heißt hier aufgrund der Gesamtheit aller formell und materiell verfassungsmäßigen Normen zulässig. Die § 60 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 SGB I und § 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X sind formell und materiell verfassungsmäßige Normen, die taugliche Schranken des informationellen Selbstbestimmungsrechts darstellen (vgl. hierzu ausführlich: SG Reutlingen, Urteil vom 09.01.2007, Az.: S 2 AS 1073/06; m.w.N.).
2.)
Obwohl die Kammer daher von einer grundlegenden Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen ausgeht, war der Klage hier deshalb stattzugeben, da die Beklagte das ihr zustehende Ermessen nicht erkannt hat.
Bei einer Entscheidung gem. §§ 66 Abs.1 und 3 SGB I handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Nach § 66 Abs 1 kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Der Leistungsträger muss also nicht entziehen oder versagen, die Entscheidung steht vielmehr in seinem Ermessen. Dementsprechend hat die Beklagte bei einer Bescheiderteilung nach § 66 Abs. 1 SGB I den Anspruch der Klägerin auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und den gesetzlichen Grenzen des Ermessens (§ 39 Abs. 1 SGB I) zu beachten. Die Ermessenserwägungen sind dem Betroffenen im Bescheid im Einzelnen darzulegen. Die Begründung muss ersehen lassen, welche Gesichtspunkte die Beklagte bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt und wie sie diese gewichtet hat (v. Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, § 35, Rn. 6). Ohne Mitteilung dieser Gesichtspunkte ist nicht zu erkennen, ob sie vom Ermessen in pflichtgemäßer, dem Zweck der Ermächtigung entsprechender Weise Gebrauch gemacht hat. Nicht ausreichend begründet ist eine Ermessensentscheidung z.B. beim Gebrauch von nicht nachvollziehbaren Leerformeln, etwa, wenn nur mitgeteilt wird, es lägen keine Besonderheiten vor, ohne dass die bei der Gewinnung dieser Auffassung angelegten Beurteilungsmaßstäbe erkennbar sind (BSG SozR 3-2700 § 76 Nr 2 S 5 = HVBG-Info 2000, 1811; BSG SozR 1300 § 35 Nr 3). Die gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen beschränkt sich darauf, ob die Beklagte ihr Ermessen pflichtgemäß und fehlerfrei ausgeübt hat. Das Gericht darf insbesondere nicht sein Ermessen anstelle desjenigen der Verwaltung setzen. Zu berücksichtigen sind daher nur die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen und nicht eigene Erwägungen des Gerichts. Nach § 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch
Vorliegend hat die Beklagte weder im Ausgangsbescheid noch im Widerspruchsbescheid Ermessenserwägungen zur Frage des "Ob" und insbesondere auch zur Frage der Höhe der Versagung mitgeteilt. Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 66 Abs.1 SGB I entnehmen lässt, umfasst das der Beklagten eingeräumte Ermessen nicht nur die Frage, ob der Leistungsträger überhaupt von der Versagung oder Entziehung Gebrauch macht, sondern es erstreckt sich auch darauf, ob die Sozialleistung ganz oder teilweise versagt oder entzogen wird und ob die Versagung oder Entziehung mit Nachholung der Mitwirkung oder früher enden soll. Da sich die Beklagte des ihr eingeräumten Ermessensspielraums ausweislich der Ausführungen in Bescheid und Widerspruchsbescheid nicht bewusst war, hat die Beklagte das ihr zustehend Ermessen unterschritten, so dass das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde.
Die Entscheidung der Beklagten wäre nach alledem nur dann rechtmäßig, wenn eine sog, Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, d.h. einzig und allein die von der Beklagten verfügte vollständige Versagung rechtmäßig wäre. Dies ist jedoch nach Ansicht der Kammer nicht der Fall. Insbesondere das eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Höhe der Versagung eröffnet der Beklagten durchaus sachgerechte Differenzierungsmöglichkeiten, die zu anderen rechtmäßigen Entscheidungen führen können. So erscheint es der Kammer im Rahmen des eingeräumten Ermessens ohne weiteres möglich zwischen Fällen zu differenzieren, in denen konkrete Verdachtsmomente auf verschwiegene Einnahmen beruhen und solchen Fällen in denen dies nicht der Fall ist, aber die zustehende Leistungshöhe ohne Vorlage der Kontoauszüge nicht abschließend zu beurteilen ist. Während ein konkreter Verdacht auf verschwiegene größere Einnahmen die Beklagte zu einer kompletten Versagung veranlassen mag, wäre es andererseits nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte bei Fällen, in denen keine Verdachtsmomente auf höhere Einnahmen bestehen, zunächst nur eine teilweise Versagung vornimmt. Gerade auch bei Leistungsempfängern, die die Vorlage von Kontoauszügen "aus Prinzip" verweigern, dürften sich hier sachdienliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, ohne dass sogleich eine Existenzgefährdung der Betroffenen eintritt. Zur Klarstellung ist nochmals anzumerken, dass es der Kammer nicht zusteht ihr Ermessen anstelle desjenigen der Verwaltung zu setzen. Ob eine derartige Differenzierung zu erfolgen hat, hat daher die Beklagte im Einzelfall im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens zu entscheiden. Vorliegend ist hingegen ausschließlich entscheidend, dass andere rechtmäßige Entscheidungen ohne weiteres möglich sind und daher keine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist.
Die Entscheidung der Beklagten ist daher aufzuheben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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