L 4 R 2405/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2625/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 2405/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob bei der Klägerin der Zeitraum vom 01. Juli 1971 bis 05. Januar 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) festzustellen sind.

Die am 1937 geborene Klägerin bestand am 15. Juli 1971 die staatliche Prüfung als Ingenieurökonom in der Fachrichtung Maschinenbau an der Fachschule für Ökonomie Plauen. Sie war vom 01. September 1967 bis 30. April 1969 als Forschungs- und Entwicklungsplaner im VEB Fernmeldewerk Arnstadt, vom 01. Mai 1969 bis 31. Dezember 1973 als Bearbeiter für wissenschaftlich technische Kennziffern im Kombinat VEB Fernmeldewesen Arnstadt, vom 07. Januar 1974 bis 09. Dezember 1975 als Bereichsökonom auf einer Arbeitsstelle für Molekularelektronik in Dresden (später umbenannt in: Institut für Mikroelektronik Dresden), vom 10. Dezember 1975 bis 31. Dezember 1976 als Sachbearbeiter für Ersatzteilebedarf- und Beschaffung im VEB Gesellschaftsbau Dresden, vom 01. Januar 1977 bis 30. November 1978 als Arbeitsökonom im VEB Gesellschaftsbau Dresden, vom 17. September 1979 bis 11. Januar 1982 als Finanzplaner im VEB Möbelwerk Erfurt und vom 15. März 1985 bis 05. Januar 1990 als Ingenieur für Planwissenschaft und Technik im VEB Kombinat Maschinenbau Arnstadt beschäftigt. Ab Februar 1990 war die Klägerin arbeitslos und bezog ab 01. Juli 1990 Arbeitslosengeld.

Am 27. September 2001 beantragte sie die Überführung von in den neuen Bundesländern bis 30. Juni 1990 erworbenen Zusatzversorgungsanwartschaften bei der Beklagten als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme. Die Anwartschaften seien im Zusatzversorgungssystem der Technischen Intelligenz (AVItech) nach Nr. 1 erworben worden. Lediglich die Zeit vom 07. Januar 1974 bis 09. Dezember 1975 betreffe Anwartschaften im Zusatzversorgungssystem Nr. 4 ("wissenschaftliche Einrichtungen"). Das Studium habe sie 1966 begonnen. Es sei berufsbegleitend durchgeführt worden. Nach der Beendigung der letzten Beschäftigung sei sie arbeitslos gewesen.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2003 lehnte die Beklagte die Feststellung der Beschäftigungszeiten vom 01. Juli 1971 bis 05. Januar 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG ab. Eine Versorgungsanwartschaft sei nicht entstanden. Eine positive Versorgungszusage zu Zeiten der DDR habe nicht vorgelegen. Am 30. Juni 1990, dem Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme, sei keine Beschäftigung ausgeübt worden, die aus bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Das AAÜG sei deshalb nicht anwendbar. Den Widerspruch der Klägerin wies die Widerspruchstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2003 zurück. Die Klägerin sei weder in einem Versorgungssystems einbezogen gewesen noch habe sie einen Anspruch auf eine Versorgungszusage gehabt. Auch habe sie am 30. Juni 1990 im Beitrittsgebiet keine Beschäftigung mehr ausgeübt. Damit sei sie nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) oder einem gleichgestellten Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 beschäftigt gewesen.

Mit ihrer am 08. September 2003 vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei berechtigt gewesen, die Berufsbezeichnung Ingenieurökonom zu führen. Die entsprechende Prüfung habe sie 1971 bestanden. Sie habe entsprechende Tätigkeiten, die den Anforderungen von Ingenieuren, Diplom-Ingenieuren und an letzter Stelle erst von Ingenieur-Ökonomen entsprochen hätten, auch tatsächlich ausgeübt. Die Tätigkeiten seien in volkseigenen oder diesen gleichgestellten Produktionsbetrieben ausgeübt worden. Richtig sei, dass sie sowohl am 30. Juni 1990 als auch am 31. August 1991 arbeitslos gewesen sei. Dies sei eine Folgeerscheinung der Maueröffnung und dem damit zusammenhängenden Verfall der volkseigenen Wirtschaft und deren Industriebetrieben gewesen. Wäre dieses Ereignis nicht eingetreten, so wäre es in der ehemaligen DDR undenkbar gewesen, dass sie vor Eintritt ihres Rentenalters am 30. April 1997 aus dem Berufsleben ausgeschieden wäre. Durch den Tatbestand der schuldlos eingetretenen Arbeitslosigkeit sei ein Anwartschaftsverlust vor dem Leistungsfall eingetreten. Auf eine solche Fallkonstellation sei das AAÜG zwingend anzuwenden. Auch im Einigungsvertrag sei nichts darüber ausgesagt, dass ein Rentenanspruch nur dann bestehe, wenn am 30. Juni 1990 noch eine Zugehörigkeit zu einem volkseigenen oder gleichgestellten Betrieb bestanden habe. Der Gesetzgeber könne nicht gewollt haben, dass Arbeitslosigkeit zu einer derartigen Ausgrenzung führe.

Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - insbesondere das Urteil vom 09. April 2002; B 4 AR 31/01 R- , entgegengetreten.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 28. April 2005 abgewiesen. Die Klägerin unterfalle nicht den persönlichen Anwendungsbereich des § 1 AAÜG, da sie am 30. Juni 1990 weder in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen sei noch einen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt habe. Am 30. Juni 1990 habe kein Anspruch auf eine Versorgungszusage bestanden, da Klägerin nicht mehr als Ingenieur tätig gewesen sei.

Gegen das ihr am 25. Mai 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. Juni 2005 eingelegte Berufung. Die Klägerin bezieht sich im Wesentlichen auf ihren bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus, der Stichtag 30. Juni 1990 sei nicht maßgeblich. Dieser sei in keinem Gesetz festgelegt. Dass an diesem Tag die Versorgungssysteme in der DDR geschlossen worden seien, könne keinen hinreichenden Grund abgeben. Auch in der ihr von der Beklagten zugesandten Informationsschrift habe der 30. Juni 1990 nicht die Bedeutung einer Stichtagsregelung. Auch seien in anderen Fällen weit zurückliegende Zeiten von der Beklagten als Zugehörigkeitszeiten anerkannt worden. Die Rechtsprechung des BSG stehe ihrem Anspruch nicht entgegen. Auch auf dem Antragsformular vom Jahr 2001 sei nicht vermerkt, dass eine Betriebszugehörigkeit am 30. Juni 1990 Voraussetzung für eine Anerkennung der Zugehörigkeitszeiten sei. Ihr Antrag sei auch lange Zeit nicht bearbeitet worden. Möglicherweise habe das dazu geführt, dass ihr Anspruch nicht anerkannt worden sei. Ihre Bemühungen, die betriebs- und wiedervereinigungsbedingte Arbeitslosigkeit zu beenden, u.a. durch den Erwerb des Diploms der Sozialpädagogik im Jahre 1997, seien erfolglos geblieben. Außerdem sehe sie sich als Opfer des SED-Regimes. Durch ihre frühere Arbeitslosigkeit sei ihr monatliches DDR-Gehalt nicht mehr angehoben worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. April 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. August 2003 zu verurteilen, den Zeitraum vom 01. Juli 1971 bis 05. Januar 1990 als Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der Technischen Intelligenz (Anlage1 Nr. 1 zum AAÜG) festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Berichterstatter des Senats hat die Beteiligten mit Schreiben vom 12. Februar 2007, 24. April 2007 und 11. Mai 2007 auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hingewiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand ist nur die Frage, ob Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 01. Juli 1971 bis 05. Januar 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem zu berücksichtigen sind. Zwar hat die Klägerin ursprünglich die Feststellung von Zeiten ab 01. September 1967 beantragt. Diesen ursprünglichen Antrag hat sie allerdings in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 28. April 2005 auf den Zeitraum ab 01. Juli 1971 (Prüfung als Ingenieur-Ökonom am 15. Juli 1971 bestanden) beschränkt.

Die gemäß §§ 144, 151 Abs. 1 SGG statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. August 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch darauf, dass die im Zeitraum vom 01. Juli 1971 bis 05. Januar 1990 zurückgelegten Beschäftigungszeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der Technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) oder zur Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen oder medizinischen Einrichtungen (Anlage 1 Nr. 4 zum AAÜG) festgestellt werden.

Vom persönlichen Anwendungsbereich werden nach der Maßstabsnorm des § 1 Abs 1 AAÜG die Versorgungsberechtigungen (Ansprüche oder Anwartschaften) erfasst, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG). War ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei einem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Anwartschaftsverlust nach Satz 2 dieser Vorschrift als nicht eingetreten. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

1. Soweit die Klägerin in ihrem Antrag angab, die Zeit vom 07. Januar 1974 bis 09. Dezember 1975 sei im Zusatzversorgungssystem über die Alterversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (Anlage 1 Nr. 4 zum AAÜG) zu berücksichtigen, greift dieser Einwand nicht durch. Als Ingenieurökonom erfüllt die Klägerin nicht die in §§ 2 bis 5 der Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Juli 1951 (GBl. Nr. 85 S. 675) geforderten persönlichen Voraussetzungen. Eine der dort beschriebenen Tätigkeiten hat die Klägerin nach ihren eigenen Angaben nicht ausgeübt. Eine Berücksichtigung dieser Zeit als Zeit in einem Zusatzversorgungssystem nach Nr. 4 der Anlage 1 zum AAÜG scheidet deshalb von vornherein aus.

2. Eine Feststellung der von der Klägerin im Übrigen geltend gemachten Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech scheidet aus, weil das AAÜG auf die von der Klägerin zurückgelegten Beschäftigungszeiten nicht anwendbar ist. Denn sie war bei Inkrafttreten der AAÜG am 01. August 1991 nicht Inhaber einer bestehenden Versorgungsanwartschaft. Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihr eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden wäre, lag nicht vor. Auch eine positive Statusentscheidung der Beklagten hatte die Klägerin am 01. August 1991 noch nicht erlangt. Die Klägerin war auch nicht aufgrund eines Einzelvertrags oder einer späteren Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der AVItech einbezogen (zum Ganzen ausführlich BSG, Urteil vom 08. Juni 2004, B 4 RA 56/03 R, veröffentlich in juris; BSG, Urteil vom 09. April 2002, SozR 3-8570 § 1 Nr. 2; BSG, Urteil vom 10. April 2002, SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 10. Februar 2005, B 4 RA 48/04 R, und vom 13. Dezember 2005, B 4 RA 3/05 R), der sich erkennende Senat angeschlossen hat (Urteil vom 27. Oktober 2006, L 4 R 4830/05), hängt ein fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer bis zum 30. Juni 1990 noch nicht vorliegenden Versorgungszusage im Bereich der AVItech davon ab, dass am 30. Juni 1990 im Beitrittsgebiet eine der Berufsbezeichnung entsprechende ingenieurtechnische Tätigkeit ausgeübt wurde. Schon diese Voraussetzung hat die Klägerin am 30. Juni 1990 nicht erfüllt. Denn sie war ab Februar 1990 arbeitslos. Auf die Gründe, warum von ihr eine entsprechende ingenieurtechnische Tätigkeit im Beitrittsgebiet zum Stichtag nicht mehr ausgeübt wurde, sowie auf die Dauer, den Umfang ihrer Bemühungen, wieder eine Arbeit zu finden, und andere Gesichtspunkte kommt es nicht an. Daher kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass ihre langjährige Tätigkeit als Ingenieur im Januar 1990 unverschuldet beendet wurde. Die auf den 30. Juni 1990 bezogene generelle Stichtagsregelung ist verfassungsrechtlich im Hinblick auf die Art. 3, 14 des Grundgesetzes (GG) nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat vielmehr ebenfalls bestätigt, dass der Gesetzgeber bzw. die Rechtsprechung von Verfassungs wegen nicht gehalten ist, es genügen zu lassen, dass zu irgend einem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 eine ingenieurtechnische Tätigkeit im Beitrittsgebiet bei einem VEB-Betrieb vorgelegen hat (BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005; 1 BvR 1921/04 = NVwZ 2006, 449, Landessozialgericht Baden-Württemberg, aaO.). Die von der Klägerin eingeforderte Einzelfallprüfung war deshalb hier nicht vorzunehmen.

Entgegen ihrer Auffassung ist auch die Wahl des Stichtags zum 30. Juni 1990 nicht willkürlich. Bereits das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass auf den 30. Juni 1990 deshalb abgestellt wird, weil die Zusatzversorgungssysteme an diesem Tag geschlossen wurden. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann deshalb nur bei demjenigen bestanden haben, der bis zu diesem Zeitpunkt mit Aussicht auf den Erwerb einer Anwartschaft beschäftigt war. Auch auf den Einigungsvertrag kann sich die Klägerin nicht berufen. Auch insoweit hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass dieser nur die Übernahme vor dem 01. Juli 1990 bereits bestehender Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften vorgesehen hat (dazu auch BSG, Urteil vom 08. Juni 2004, B 4 RA 56/03 R). Schließlich kommt es für die Beurteilung eines geltend gemachten Anspruchs auf die Dauer der Bearbeitung eines Antrages nicht an.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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