L 12 B 482/06 AL ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 57 AL 3020/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 B 482/06 AL ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 2006 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2006 wird angeordnet. Die Beschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1958 geborene Antragsteller, der bis zum 17. August 2006 Krankengeld bezogen hatte und dann ausgesteuert wurde, meldete sich am 17. Juli 2006 zum 18. August 2006 bei dem Antragsgegner arbeitslos. Er gab an, seit dem 15. März 2005 arbeitsunfähig krank zu sein. Beim Rentenversicherungsträger habe er eine Erwerbsminderungsrente beantragt, sein Arbeitsverhältnis beim Bezirksamt F bestehe ohne Ansprüche auf Vergütung weiter. Der Antragsgegner bewilligte mit Bescheid vom 27. Juli 2006 Arbeitslosengeld ab dem 18. August 2006 auf der Grundlage eines täglichen Leistungsentgelts von 62,91 Euro in Höhe von 42,15 Euro täglich.

Durch Bescheid vom 18. August 2006 hob der Antragsgegner unter Berufung auf § 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches, Zehntes Buch (SGB X) iVm § 330 Abs. 3 des Sozialgesetzbuches, Drittes Buch (SGB III) die Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Wirkung ab dem 24. August 2006 ganz auf. Es sei ihm mittlerweile bekannt geworden, dass der Rentenversicherungsträger bereits im Dezember 2005 den Rentenantrag abgelehnt habe, womit die Gewährung von Arbeitslosengeld nach § 125 SGB III ausgeschlossen sei. Der Antragsteller legte Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung nach § 86a Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Antragsgegner wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31. August 2006 zurück. Der Antragsteller stehe wegen seiner Arbeitsunfähigkeit nicht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Anspruch auf Leistungen nach § 125 SGB III bestehe nicht, weil der Rentenversicherungsträger bereits entschieden habe. Nach § 45 SGB X sei die Bewilligung zurückzunehmen, im Rahmen der Ermessensentscheidung komme dem Gebot, den gesetzlichen Zustand wieder herzustellen, der Vorrang zu.

Mit dem am 5. September 2005 beim Sozialgericht eingegangenen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung begehrt der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz. Gegen den Widerspruchsbescheid sei Klage erhoben worden. Er – der Antragsteller – habe Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 125 SGB III, da der Rentenversicherungsträger noch keine positive Entscheidung über das Vorliegen einer Erwerbsminderung getroffen habe. Mit Schriftsatz vom 21. September 2006 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers gegenüber dem Sozialgericht vorgetragen, dass der Antragsteller, der in dem Antragsformular angekreuzt habe, nicht bereit zu sein, sich bei erforderlicher ärztlicher Begutachtung im Rahmen des festgestellten Leistungsvermögens der Vermittlung zur Verfügung zu stellen, keine weitere Tätigkeit aufnehmen könne, weil das zur Kündigung des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses führen würde. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen (Beschluss v. 28. September 2006). Der Antragsteller habe im Wege einstweiligen Rechtsschutzes keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da er sich der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestellt habe. Mit Recht habe die Antragsgegnerin die Bewilligung von Arbeitslosengeld nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X iVm § 330 Abs. 3 SGB III aufgehoben. Es könne dahinstehen, ob der Antragsteller sich wegen der aus gesundheitlichen Gründen zweifelhaften objektiven Verfügbarkeit auf § 125 SGB III stützen könne. Er habe nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, wegen des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses beim Bezirksamt F keine andere Tätigkeit aufnehmen zu können. Danach erscheine eine anderweitige Arbeitsaufnahme ausgeschlossen.

Gegen den ihm am 4. Oktober 2006 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 20. Oktober 2006 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Durch Bescheid vom 26. Februar 2007 hat die Antragsgegnerin wieder Arbeitslosengeld ab dem 19. Januar 2007 gewährt, für die Zeit vom 19. Januar 2007 bis 30. April 2007 allerdings mit dem vorläufigen Erstattungsanspruchs eines Leistungsträgers verrechnet. Der Antragsteller begehrt nunmehr noch einstweiligen Rechtsschutz für die Zeit vom 24. August 2006 bis zum 18. Januar 2007. In Hinblick auf gesundheitsbedingte Einschränkungen der Leistungsfähigkeit greife § 125 SGB III. Das anderweitig noch bestehende Arbeitsverhältnis beeinträchtige nicht die Verfügbarkeit, da tatsächlich keine Beschäftigung erfolge. Die Antragsgegnerin versuche, neue Begründungen für den Einstellungsbescheid zu finden, nachdem sie eingesehen habe, dass ihre ursprüngliche Rechtsauffassung falsch gewesen sei. Die bei unveränderter Sachlage erfolgte erneute Bewilligung zeige, dass die Rücknahmeentscheidung fehlerhaft gewesen sei.

Der Antragsteller beantragt (nach dem Sinn seines Vorbringens),

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 2006 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 18. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2006 anzuordnen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit vom 24. August 2006 bis zum 18. Januar 2007 Arbeitslosengeld entsprechend dem Bewilligungsbescheid vom 27. Juli 2006 zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin verweist auf die Gründe des Beschlusses des Sozialgerichts. Zwar halte sie nicht mehr daran fest, dass die ablehnende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers die Aufhebung der Bewilligung rechtfertige. Dem Antragsteller habe aber die subjektive Verfügbarkeit gefehlt, da er bei der Beantragung des Arbeitslosengeldes angegeben habe, nicht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen, und auch vor dem Sozialgericht eine andere Beschäftigung wegen der vertraglichen Bindung an den bisherigen Arbeitgeber ausgeschlossen habe. Soweit er sich nunmehr der Vermittlung zur Verfügung gestellt habe, löse das keine Rückwirkung aus. Der Antragsteller sei anlässlich eines Gesprächs mit seinem Arbeitvermittler am 24. August 2006 ausführlich über die Bedeutung der objektiven und der subjektiven Verfügbarkeit aufgeklärt worden. Auch fehle ein Anordnungsgrund, da die Zeit vom 18. August 2006 bis zum 18. Januar 2007 mittlerweile der Vergangenheit angehöre, so dass kein Eilbedürfnis mehr erkennbar sei.

II.

Die Beschwerde hat teilweise Erfolg. Zu Unrecht hat es das Sozialgericht abgelehnt, die Aussetzung der Vollziehung anzuordnen.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Möglichkeit entfällt nicht deswegen, weil sich die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bereits erledigt hat, da nach § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG in diesen Fällen die Aufhebung der Vollziehung angeordnet werden kann. Ein Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung besteht regelmäßig dann, wenn der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig erscheint, da kein öffentliches Interesse an der Vollziehung erkennbar rechtswidriger Bescheide besteht.

Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 18. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2006 ist anzuordnen, weil Widerspruch und Klage nach § 86 a Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht schon kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben und der Bescheid erkennbar rechtswidrig ist. Die Antragsgegnerin hat die Bewilligung von Arbeitslosengeld ursprünglich deswegen zurückgenommen, weil der Rentenversicherungsträger das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit verneint hatte. Die ablehnende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers ist für die Anwendbarkeit des § 125 SGB III indessen unerheblich. Maßgeblich ist allein die positive Feststellung von Erwerbsunfähigkeit (vgl. BSG, Urt. v. 9. September 1999 – B 11 AL 13/99 R - ), die hier indessen gerade fehlt.

Auch die vom Sozialgericht und der Antragsgegnerin nunmehr im Beschwerdeverfahren herangezogenen Umstände tragen nicht die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld nach § 45 SGB X oder deren Aufhebung gemäß § 48 SGB X. Das Fehlen der (subjektiven) Verfügbarkeit ist nicht nachgewiesen oder auch nur wahrscheinlich. Der Antragsgegner hat schon versäumt, die ihm im Rahmen der Überprüfung der subjektiven Verfügbarkeit obliegende Verpflichtung zur Ermittlung des bestehenden Restleistungsvermögens (BSG, Urt. v. 9. September 1999 – B 11 AL 13/99 R -) zu erfüllen. Ein ärztliches Gutachten ist nach Aktenlage zwar zunächst veranlasst, bisher aber nicht erstattet worden.

Weder die Angaben des Antragstellers in dem Antragsvordruck noch der bloße Vortrag seines Bevollmächtigten im Verfahren vor dem Sozialgericht rechtfertigen die Annahme, dass der Antragsteller es abgelehnt haben könnte, sich im Rahmen des ihm verbliebenen Leistungsvermögens der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stellen. Die Angaben im Vordruck beinhalten keine eindeutige Willensbekundung, was die Antragsgegnerin mittlerweile selbst einräumt. Denn der Antragsteller hat (jedenfalls auch) angegeben, noch uneingeschränkt arbeiten zu können und zu wollen. Die Antragsgegnerin hat es darüber hinaus versäumt, insoweit eine eindeutige Erklärung des Antragstellers nach vorheriger Belehrung über die Rechtsfolgen mittels des ihr dafür zur Verfügung stehenden besonderen Formblattes (Verm 45) einzuholen. Die – angeblich – später (nämlich am 24. August 2006) mündlich erfolgte Belehrung durch den zuständigen Arbeitsvermittler ändert daran nichts. Zunächst bestehen - angesichts der Fehlerhaftigkeit der in dem Bescheid vom 18. August 2006 und dem Widerspruchsbescheid vom 31. August 2006 enthaltenen Begründung - erhebliche Zweifel an der Richtigkeit einer erteilten Belehrung. Eine später erfolgende Belehrung kann früheren Angaben auch keine bestimmte Bedeutung (mehr) beimessen, zumal der Antragsteller mittlerweile ausdrücklich erklärt hat, sich im Rahmen des ihm verbliebenen Restleistungsvermögens der Vermittlung zur Verfügung zu stellen.

Schließlich rechtfertigt auch der Vortrag des Bevollmächtigten in dem Schriftsatz vom 21. September 2006 nicht die Annahme, dass der Antragsteller wegen seines (ohne gegenseitige Ansprüche) weiter fortbestehenden Arbeitsverhältnisses nicht bereit gewesen sein könnte, eine andere Beschäftigung anzunehmen. Der Schriftsatz enthält Überlegungen des Bevollmächtigten zur Rechtslage (nämlich zur Frage, ob der Antragsteller objektiv zumutbar auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden darf), keine eigene Erklärung des Antragstellers. Falls der Schriftsatz Anlass zu Zweifeln an der subjektiven Verfügbarkeit gegeben hätte, hätte die Antragsgegnerin das Bestehen von Vermittlungsbereitschaft weiter aufklären müssen. Auf eine Erklärung nach Hinweis auf die eintretenden Rechtsfolgen hat sie indessen verzichtet. Danach erscheint die getroffene Entscheidung als rechtswidrig.

Nach alledem war der Beschwerde stattzugeben und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Dem Antragsteller ist Arbeitslosengeld danach jedenfalls vorläufig auch für die Zeit vom 24. August 2006 bis zum 18. Januar 2007 zu gewähren.

Zur Zahlung von Arbeitslosengeld entsprechend der in dem Bescheid vom 27. Juli 2006 bewilligten Höhe konnte die Antragsgegnerin dagegen nicht verpflichtet werden, weil der Antragsteller nach Aktenlage offenbar Leistungen nach dem SGB II bezogen hat, die anzurechnen sind.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG, sie berücksichtigt das Ergebnis in der Sache.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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