L 24 KR 248/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 4 KR 272/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KR 248/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 02. März 2007 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme für die bei ihm erforderliche Entfernung harter Zahnbeläge über den Umfang der vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen "Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Vertragszahnarztrichtlinien)" festgelegten einmal jährlichen Rhythmus hinaus.

Der 1995 geborene Kläger leidet an einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung mit autistischen Zügen. Darüber hinaus besteht eine symptomatische, medikamentös eingestellte Epilepsie. Bei der Zahnpflege ist eine Handführung nur unter Protest des Klägers möglich und dieser könne keine feste Nahrung zu sich nehmen. Daraus resultiert eine vermehrte Zahnsteinbildung mit rezidivierend auftretenden Gingivitiden, die bei Nichtbehandlung zu einer frühzeitigen Paradontitis sowie zur Zerstörung der betroffenen Zähne führen.

Die Mutter des Klägers beantragte als dessen gesetzliche Vertreterin mit Schreiben vom 25. Februar 2004 eine Ausnahmegenehmigung für die Zahnsteinbeseitigung dahingehend, dass beim Kläger diese Maßnahme alle drei Monate durchgeführt wird. Die nunmehr behandelnde Zahnärztin Dr. B unterstützte dies in einer Stellungnahme vom 03. März 2004, in der dargelegt wurde, dass nur die begehrte mindestens dreimonatige Zahnsteinentfernung dauerhaft und schmerzfrei die Mundgesundheit des Klägers rette.

Mit Bescheid vom 20. April 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab und begründete dies damit, in dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab BEMA sei geregelt, dass die Entfernung harter Zahnbeläge nur noch einmal pro Kalenderjahr abrechnungsfähig sei, ohne dass dort eine Ausnahmeregelung für bestimmte medizinisch indizierte Fälle geregelt sei.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 27. April 2004, den seine gesetzliche Vertreterin unter anderem damit begründete, die begehrte Maßnahme sei im Ergebnis kostensenkend, da so weit aufwendigere Behandlungen in der Zukunft erspart würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach dem BEMA sei das Entfernen harter Zahnbeläge nur einmal pro Kalenderjahr abrechnungsfähig. Allerdings könne die lokale Floridierung der Zähne als Individualprophylaxe zweimal im Kalenderjahr erfolgen. Hiergegen hat sich die am 17. September 2004 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhobene Klage gerichtet, die damit begründet wurde, die Ablehnung der Kostenübernahme widerspräche den grundlegenden Regelungen des Sozialgesetzbuches Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) (SGB V), wonach die Versicherten Anspruch auf die Verhütung der Verschlimmerung von Zahnkrankheiten hätten.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 20. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2004 die Beklagte zu verurteilen, 457,62 EUR für die bisher selbst beschaffte Zahnsteinentfernung beim Kläger zu erstatten und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger insgesamt viermal im Jahr eine Zahnsteinentfernung als Prophylaxe-Maßnahme zu gewähren.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, es sei unbestritten, dass beim Kläger eine Zahnsteinentfernung alle drei Monate erforderlich sei. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Krankenkasse dafür leistungspflichtig sei, da deren Leistungspflicht durch die Vertragszahnarztrichtlinien begrenzt würde. Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses seien seit dem 01. Januar 2004 für die Krankenkassen verbindlich, so dass es bei allem Verständnis für das klägerische Anliegen nicht möglich sei, eine andere Entscheidung zu treffen.

Das Sozialgericht hat ein Sachverständigengutachten der Zahnärztin Dr. R B vom 17. September 2006 eingeholt. Darin hat auch diese die Auffassung vertreten, zur Verhütung einer generalisierenden Zahnfleischerkrankung sei beim Kläger eine mehrfache Entfernung harter Zahnbeläge pro Kalenderjahr erforderlich. Alternative Möglichkeiten wie plaquemindernde Mundspülungen oder Chlorhexidin-Gel führten nicht zu einem hinreichenden Erfolg.

Mit Urteil vom 02. März 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend dargelegt, weder der BEMA noch die Vertragszahnarztrichtlinien ließen Ausnahmen zu, wenn aus medizinischen Gründen eine häufigere Zahnsteinentfernung erforderlich sei. Das Gericht habe eine andere Rechtsgrundlage, um die bei ihm erforderliche häufigere Zahnsteinentfernung zu Lasten der GKV zu gewähren, nicht gesehen. Die Gerichte könnten aber den BEMA nicht ändern oder ergänzen.

Gegen dieses der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 13. März 2007 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 22. März 2007, zu deren Begründung sie sinngemäß vorträgt, BEMA und Vertragszahnarztrichtlinien widersprächen dem Sozialstaatsprinzip und dem Gleichbehandlungsgrundsatz.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 02. März 2007 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2004 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 457,62 EUR für die bisher selbst beschaffte Zahnsteinentfernung zu erstatten und die Berufungsbeklagte zu verurteilen, dem Kläger viermal im Jahr eine Zahnsteinentfernung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung über die Berufung erklärt.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Leistungsvorgang der Beklagten, die streitige Maßnahme betreffend, sowie auf die Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, somit teilweise zulässig. Die Zulassung war nicht notwendig, soweit der Kläger um eine Dauerleistung streitet.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet; der Kläger hat weder Anspruch auf Erstattung der in der Vergangenheit für die Zahnsteinentfernung bei ihm entstandenen Kosten noch auf Gewährung der begehrten Leistung für die Zukunft. Die Klage ist in Bezug auf die Kostenerstattung unzulässig. Es fehlt insoweit am vorangegangenen Verwaltungsverfahren bezüglich des geltend gemachten Anspruchs auf Kostenerstattung.

Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen einem Versicherten und seiner Krankenkasse über einen Leistungsanspruch sind grundsätzlich nur in zwei Konstellationen denkbar. Entweder klagt der Versicherte auf Gewährung einer noch ausstehenden Behandlung als Sachleistung oder er beschafft die Behandlung privat auf eigene Rechnung und verlangt von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten (Bundessozialgericht BSG , Urteil vom 09. Oktober 2001, B 1 KR 6/01 R = SozR 3 2500 § 13 Nr. 25).

Mit dem am 25. Februar 2004 gestellten Antrag begehrte der Kläger, ihm die vierteljährliche Zahnsteinentfernung als kostenfreie Sachleistung zur Verfügung zu stellen. In dem angefochtenen Bescheid vom 20. April 2004 wurde ausschließlich die Gewährung einer Sachleistung abgelehnt; über einen Erstattungsanspruch wurde keine Entscheidung getroffen.

Dies trifft auch auf den Widerspruchsbescheid vom 20. August 2004 zu, in dem wiederum ausschließlich über den Antrag auf Kostenübernahme für die Entfernung harter Zahnbeläge in der Zukunft entschieden wurde, ohne dass irgendeine Aussage zur Kostenerstattung enthalten ist. Offenbar war der Beklagten nicht einmal bekannt, dass die begehrte Behandlung als Privatbehandlung aufgenommen worden war. Hier fehlt das für den Erstattungsanspruch gemäß § 78 des Sozialgerichtsgesetzes SGG zwingend vorgeschriebene Vorverfahren als Klagevoraussetzung, so dass die Klage insoweit unzulässig ist. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, so dass der Kläger keinen Anspruch auf die gewährte quartalsmäßige Entfernung harter Zahnbeläge als Sachleistung durch die Beklagte hat.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden.

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen und nach Satz 3 dieser Vorschrift schließen die Krankenkassen über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen Verträge mit den Leistungserbringern.

Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben die Versicherten Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. In diesem Rahmen erhalten sie zahnärztliche Behandlung nach § 28 Abs. 2 SGB V und Jugendliche auch Leistungen zur Verhütung von Zahnerkrankungen nach § 22 SGB V, wobei der Gemeinsame Bundesausschuss gemäß § 22 Abs. 5 in Richtlinien nach § 92 SGB V näher Art, Umfang und Nachweis dieser Leistungen regelt.

Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten. Nach Satz 2 Ziffer 2 soll er insbesondere Richtlinien über die zahnärztliche Behandlung beschließen.

Aus dieser gesetzlichen Systematik ergibt sich, dass die Sachleistungen gemäß §§ 2, 22, 27 und 28 SGB V jeweils unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit stehen, dessen Umfang vom Gemeinsamen Bundesausschuss durch die Richtlinien nach § 92 SGB V bestimmt wird.

Diese Richtlinien sind nicht nur für die Vertragsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und Leistungserbringern verbindlich, sondern haben eine normative Wirkung. Dies ergibt sich aus § 92 Abs. 8 SGB V, wonach die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses Bestandteil der Bundesmantelverträge sind. Diese wiederum sind Teil der Gesamtverträge. Auch muss gemäß § 81 Abs. 3 Nr. 1 SGB V die Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung KÄV Bestimmungen enthalten, nach denen die Richtlinien nach § 92 für den Vertragszahnarzt verbindlich sind. Durch die Einbeziehung der Richtlinien in den Bundesmantelvertrag und die Gesamtverträge kommt den Richtlinien die gleiche rechtliche Wirkung wie den übrigen normativen Teilen der vertragsärztlichen Kollektivverträge zu, deren Rechtsnormqualität unbestritten ist. Daher begründen sie außenwirksames Recht (BSG, Urteil vom 20. März 1996, SozR 3 2500 § 92 Nr. 5).

Somit gehört die begehrte Leistung nicht zum Umfang der GKV, sondern in den Bereich der Eigenverantwortung der Versicherten gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

Auch Verfassungsrecht führt zu keinem anderen Ergebnis; das Grundgesetz erlaubt es, die Leistungen der GKV auf einen abgeschlossenen Katalog zu begrenzen (Bundesverfassungsgericht BVerfG , Beschluss vom 06. Dezember 2005 1 BvR 347/98 = NJW 2006, 891). Danach hat die GKV ihren Verscherten nur das zu leisten, was in diesen Leistungskatalog fällt. Versicherte können nicht alles von der GKV beanspruchen, was objektiv der Behandlung einer Krankheit dient. Zweifel daran, dass die begehrte Leistung objektiv für den Kläger sinnvoll ist, bestehen nicht, dies aber macht, wie dargelegt, die Leistung nicht zu einer solchen, die die GKV zu gewähren hat. Denn die Gesetzlichen Krankenkassen sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (BVerfG, Beschluss vom 06. Dezember 2005, NZS 2006, 84, 87; Beschluss vom 05. März 1997 1 BvR 1071/95 = NJW 1997, 3085).

Zwar hat das BVerfG im Beschluss vom 06. Dezember 2005 dargelegt, dass in bestimmten Ausnahmefällen eine verfassungskonforme erweiternde Auslegung des Leistungskatalogs der GKV zu erfolgen hat, hat dies jedoch eingeschränkt auf Krankheiten, die lebensbedrohlich oder gar regelmäßig tödlich verlaufen beziehungsweise von ihrer Schwere und dem Ausmaß der aus ihr folgenden Beeinträchtigungen her solchen Krankheiten gleichgestellt werden. Dies ist hier nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme nicht der Fall.

Abschließend sei der Kläger informatorisch darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn die Klage in Bezug auf die Kostenerstattung zulässig wäre, sie auch insoweit unbegründet wäre.

Denn nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse Kosten für eine selbst beschaffte Leistung dann zu erstatten, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Dass die Krankenkasse die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt hat, sondern zu Recht, ergibt sich aus dem oben Dargelegten. Es lag auch keine unaufschiebbare Leistung gemäß § 13 Abs. 3 1. Alternative SGB V vor, da hierzu Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V und andere dringliche Bedarfslagen, wie zum Beispiel Systemversagen, gehören. Bei einer prophylaktischen Maßnahme scheidet dies von der Natur der Maßnahme her aus.

Die Berufung des Klägers konnte somit insgesamt keinen Erfolg haben; die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Für die Zulassung der Revision liegt keiner der in § 160 Abs. 2 SGG bezeichneten Gründe vor.
Rechtskraft
Aus
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