L 7 AS 2731/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 1369/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 2731/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 24. Mai 2007 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Gegenstand dieses Verfahrens ist nicht nur ein Antrag der Antragstellerin zu 1, sondern auch der Antragsteller zu 2 bis 5. Dem am 15. Mai 2007 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war von Anfang an zu entnehmen, dass es der Antragstellerin zu 1 um Leistungen für sich selber und für ihre vier Kinder geht. Ihr Rechtsschutzbegehren ist daher im Sinne der so genannten Meistbegünstigungsklausel unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens (vgl. § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) dahin auszulegen, dass sie Leistungen für sich und ihre Kinder begehrt. Sie ist nicht berechtigt, im Sinne einer Prozessstandschaft die Ansprüche ihrer Kinder, bei denen es sich um eigenständige Individualansprüche handelt (vgl , Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R -, FEVS 58, 248) im eigenen Namen geltend zu machen (so auch BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R -, FEVS 58, 259).

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden, denen das Sozialgericht Konstanz (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), sind zulässig. Sie sind jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1997, 479, 480; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Erforderlich ist mithin - neben dem mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Erfolg in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) - die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund; vgl. hierzu schon Senatsbeschluss vom 23. März 2005 - L 7 SO 675/05 ER-B - (juris)).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes scheitern Ansprüche auf Leistungen daran, dass der Antragstellerin zu 1 ein Vermögen zur Verfügung steht, das die maßgeblichen Freibeträge überschreitet, auch nicht aus anderen Gründen unberücksichtigt bleiben muss und welches sowohl der Antragstellerin zu 1 als auch den Antragstellern zu 2 bis 5 zuzurechnen ist.

Nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ist hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II und damit dem Grunde nach leistungsberechtigt, wer seinen Lebensunterhalt und den der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. In Ergänzung hierzu bestimmt § 9 Abs. 2 SGB II in Satz 2, dass bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen sind. In Anwendung dieser Grundsätze besteht für die Antragsteller derzeit ein freies, d.h. verwertbares Vermögen in Höhe von 14.863,43 EUR, welches in Höhe von 4.363,43 EUR vorrangig für den Lebensunterhalt einzusetzen ist, bevor ein Leistungsanspruch entstehen kann.

Nach § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen unter Absetzung der in Abs. 2 und 3 genannten Positionen. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ist zunächst vom Vermögen ein Grundfreibetrag in Höhe von 150,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen abzusetzen. Im Falle der Antragsteller gibt es nach dem Inhalt der vorgelegten Akten und dem Vorbringen der Beteiligten lediglich Vermögen der Antragstellerin zu 1. Das gilt für die mitgeteilten Lebensversicherungsverträge genauso wie für die Depotanteile. Zwar sehen alle diesbezüglichen Verträge eine Begünstigung eines oder mehrer Kinder der Antragstellerin zu 1 vor. Sie sind aber gleichwohl Vermögen der Antragstellerin zu 1, welches sie jederzeit realisieren kann. Die Antragsteller zu 2 bis 5 haben ausweislich der genannten Erkenntnisse kein eigenes Vermögen. Damit steht der Antragstellerin zu 1 aus drei Lebensversicherungen ein Rückkaufswert von 2.634,00 EUR, 2.339,00 EUR und 6.794,00 EUR (zusammen 11.767,00 EUR) zu. Zu diesem Betrag kommen Überschussguthaben von 400,96 EUR, 195,15 EUR und 238,44 EUR (zusammen 834,55 EUR) hinzu. Addiert man zu diesen Beträgen das vorhandene Fondsanteile im Wert von 2.261,88 EUR, ergibt sich eine Summe von 14.863,43 EUR als aktuelles Vermögen.

Von diesem Vermögen ist gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ein Grundfreibetrag in Höhe von 150,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen abzuziehen. Das ergibt im Falle der Antragstellerin zu 1, die im 1961 geboren ist und deshalb zum Zeitpunkt des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das 45. Lebensjahr vollendet hatte, eine Summe von 6.750,00 EUR. Ein Grundfreibetrag gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II für die Antragsteller zu 2 bis 5 kann nicht berücksichtigt werden, da diese - wie oben dargelegt - kein eigenes Vermögen haben. Eine Übertragung ihrer Grundfreibeträge auf das Vermögen der mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellerin zu 1 ist nach Auffassung des Senats nicht möglich. Die Freibeträge des § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 1a SGB II dienen der Sicherung vorhandenen Vermögens und sind keine abstrakten Rechnungsposten. Das bedeutet, dass sie nur dann zum Tragen kommen, wenn dem jeweiligen Berechtigten ein Vermögen tatsächlich zur Verfügung steht, welches durch die Anwendung der Regelung geschont werden soll. Da es sich bei den Ansprüchen aus dem SGB II um Individualansprüche handelt, müssen auch die bedarfsmindernden Vermögensanrechnungen individuell ermittelt werden. Der Senat schließt sich nicht der Auffassung des SG Aurich an, die dieses in zwei Entscheidungen (Urteil vom 15. Februar 2006 - S 15 AS 107/05 -, info also 2007, 37 und Beschluss vom 18. August 2006 - S 15 AS 333/06 ER - (juris)) zum Ausdruck gebracht hat. Der Senat hat demgegenüber bereits in einem Beschluss vom 28. März 2007 - L 7 AS 1214/07 ER-B - (juris) die Auffassung vertreten, dass mit Blick auf Wortlaut, systematischen Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Norm manches für die Auffassung spreche, dass der Kindergrundfreibetrag allein der Schonung des Vermögens von minderjährigen Kindern diene und daher nicht vom Vermögen der Eltern abgesetzt werden könne (so auch SG Reutlingen, Beschluss vom 19. Februar 2007 - S 2 AS 565/07 ER - (juris) und Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 12 Rdnrn. 16b, 25, 139e, 151e und Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Auflage, § 12 Rdnr. 42).

Zu dem damit maßgeblichen Grundfreibetrag von 6.750,00 EUR kommt im Falle der Antragsteller noch ein Freibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in Höhe von 750,00 EUR für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen. Dieser Freibetrag beläuft sich auf 3.750,00 EUR (5 x 750,00 EUR). Weitere Feibeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II sind im Falle der Antragsteller nicht ersichtlich.

Es ist auch nicht nach § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II eine andere Entscheidung geboten, weil die Verwertung der Vermögensgegenstände offensichtlich unwirtschaftlich wäre oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Von offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit kann schon deshalb nicht gesprochen werden, weil sämtliche Vermögenswerte über den dafür aufgewendeten Beiträgen bzw. Einzahlungen liegen, so dass wirtschaftlich gesehen keinerlei Verlust zu erwarten ist. Eine besondere Härte im Sinne dieser Vorschrift kann nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden. Gemeint sind hier atypische Fälle, bei denen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles die soziale Stellung eines Hilfebedürftigen nachhaltig beeinträchtigt würde. Der Senat verkennt nicht, dass nach dem Willen der Antragstellerin zu 1 und den dafür getroffenen Vorkehrungen die vorhandenen Vermögenswerte vorrangig und hauptsächlich einer Absicherung ihrer Kinder, der Antragsteller zu 2 bis 5, dienen und ihnen insbesondere die Durchführung einer weiterführenden Ausbildung erleichtern sollen. Mit Blick hierauf könnte aber nur dann eine besondere Härte angenommen werden, wenn durch eine Verwertung unmittelbar bevorstehende, konkrete Ausbildungsabsichten beeinträchtigt würden. Davon kann jedoch angesichts der Umstände derzeit keine Rede sein. Das älteste Kind, der Sohn F. (Antragsteller zu 2), ist 15 Jahre alt und besucht das Gymnasium. Ein konkreter Ausbildungsbedarf, der durch Verwertung von Vermögen gefährdet wäre, ist in seinem Fall im Augenblick nicht ersichtlich. Die anderen Kindern (die Antragsteller zu 3 bis 5) sind jünger und besuchen derzeit alle noch die Schule. Die teilweise Verwertung beeinträchtigt keine konkreten Ausbildungspläne oder -absichten.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass angesichts des zu errechnenden Gesamtfreibetrags von 6.750,00 EUR und der Nichtberücksichtigung weiterer 3.750,00 EUR der Antragstellerin zu 1 insgesamt ein Vermögen von 10.500,00 EUR verbleibt. Sie ist also nicht gezwungen, sämtliche Vermögenswerte aufzubrauchen. Es läge vielmehr nahe, die Depotanteile zu verkaufen und eine der Lebensversicherungen (und zwar die mit dem geringsten Wert) zurückzukaufen. Es verblieben ihr anschließend zwei Lebensversicherungen mit einem Rückkaufswert von ca. 10.000,00 EUR (zuzüglich der Überschussbeteiligungen), die sie auf ihre Kinder verteilen und so eine gewisse weitere Sicherung für sie bewirken könnte. Angesichts dieser Gestaltungsmöglichkeiten ist eine besondere Härte im Falle der teilweisen Verwertung der Vermögensgegenstände nicht gegeben. Angesichts des aus den Akten ersichtlichen Bedarfs der Antragsteller könnte mit der Verwertung des überschießenden Betrages von 4.363,43 EUR ein Zeitraum von ca. 2 Monaten überbrückt werden. Ist das Vermögen dann auf einen Betrag von 10.500,00 EUR gesunken, steht einem Leistungsanspruch der Antragsteller kein verwertbares Vermögen mehr entgegen.

Hinsichtlich der offenbar unregelmäßig eingehenden Unterhaltszahlungen des Ehemanns der Antragstellerin zu 1 ist auf § 33 Abs. 1 SGB II hinzuweisen, wonach diese einer Leistung an die Antragsteller deshalb nicht entgegenstehen, weil die Ansprüche insoweit auf die Antragsgegnerin übergangen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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