L 4 KR 229/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 350/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 229/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 31. August 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die freiwillige Versicherung über den 15.02.2002 hinaus.

Der 1953 geborene Kläger erhielt aufgrund des Rentenbescheids der (damaligen) LVA Oberfranken und Mittelfranken vom 17.08.2001 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.06.2001 bis 31.05.2002. Wegen fehlender Erfüllung der Vorversicherungszeiten für die Krankenversicherung der Rentner wurde der Kläger ab 27.08.2001 bei der Beklagten freiwillig gegen Krankheit und außerdem bei deren Pflegekasse versichert. Die Beklagte gestattete dem Kläger, der über ein Bankkonto nicht verfügte, die Barzahlung der Beiträge.

Sie erinnerte ihn mit Schreiben vom 19.12.2001 an die Zahlung des Beitrags für die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung für den Monat November 2001 (Gesamtbetrag 121,00 DM), bat um Zahlung binnen einer Woche und wies ihn auf das Ende der Mitgliedschaft hin, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge nicht entrichtet werden. Mit dem Schreiben vom 18.01.2002 mahnte sie ihn an die Zahlung des Geamtbeitrags für den Monat Dezember 2001 und forderte unter Berücksichtigung der Beitragsschuld für November 2001 den Gesamtbeitrag in Höhe von 226,98 Euro; auch dieses Schreiben setzte ihm eine Zahlungsfrist von einer Woche und enthielt den Hinweis, dass die Mitgliedschaft endet, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge nicht entrichtet werden.

Die Beklagte erinnerte mit Bescheid vom 01.02.2002 den Kläger an die Beitragszahlung für die Zeit vom 01.11.2001 bis 31.01.2002 und forderte unter Berücksichtigung von Säumniszuschlägen und Zustellungskosten 351,44 Euro; sie bat um Zahlung dieses Betrages bis zum 15.02.2002, ansonsten werde die freiwillige Krankenversicherung sowie die Pflegeversicherung mit diesem Tag beendet; dies gelte auch bei Teilzahlungen. Eine Zahlung nach diesem Termin lasse die Versicherung nicht wieder aufleben. Der Bescheid wurde dem Kläger am 02.02.2002 durch Niederlegung zugestellt.

Das Amtsgericht A. (Zweigstelle D.) - Vormundschaftsgericht ordnete mit Beschluss vom 28.05.2002 für den Kläger Betreuung mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung des Heim-, Pflegevertrags, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern und Entgegennahme und Öffnen der Post an; als Betreuer wurde Christian Giese bestellt. Diesem Beschluss lag das Gutachten des Arztes für Psychiatrie Dr. M. vom 21.05.2002 (nach Untersuchung) zu Grunde, wonach der Kläger an einem Abhängigkeitssyndrom mit aktiver Alkoholabhängigkeit leidet. Nach Angaben des Klägers treffe er sich regelmäßig mit seiner Schwester und erhalte dort Geld, mit dem er sich die Getränke besorge. Auskünfte über ärztliche Behandlungen konnte er nicht geben. Der Kläger könne aufgrund seiner Krankheit seinen Willen nicht mehr frei bestimmen, er sei nicht mehr als geschäftsfähig anzusehen. Aus medizinischer Sicht lägen die Voraussetzungen für freiheitsentziehende Maßnahmen vor.

Der gesetzliche Vertreter beantragte bei der Beklagten am 02.06.2002 die Feststellung der weiteren Mitgliedschaft. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 10.06.2002 wegen Zahlungsverzugs das Ende der Mitgliedschaft zum 15.02.2002 fest.

Der gesetzliche Vertreter beantragte am 17.06.2002 "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand", der Kläger sei nicht in der Lage gewesen, die Tragweite seines Handelns bezüglich der Versäumung der Zahlung von Beiträgen zu beurteilen.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 08.07.2002 ein weiteres Mal die Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft wegen Zahlungsverzugs mit dem 15.02.2002 fest. Hiergegen legte der Betreuer des Klägers am 16.07.2002 Widerspruch ein. Die Beklagte bat ihn um Übersendung ärztlicher Unterlagen betreffend den Zeitraum vom 19.12.2001 bis 01.02.2002. Entsprechende Unterlagen gingen bei ihr nicht ein.

Sie wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.10.2002 den Widerspruch des Klägers zurück. Die Bestellung eines Betreuers habe keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten. Der Nachweis für die Geschäftsunfähigkeit erfolge in der Regel durch ein fachärztliches Gutachten, das auf den Zeitpunkt der Rechtshandlung bezogen sein muss. Im psychiatrischen Gutachten vom 14.05.2002 habe der Kläger angegeben, dass er seit längerer Zeit nicht mehr in ärztliche Behandlung gewesen ist. Es sei nicht erwiesen, dass er im Dezember 2001 nicht mehr in der Lage gewesen ist, die Folgen seines Handelns zu beurteilen. Er sei bei der Untersuchung durch den Gutachter bewußtseinsklar und zur eigenen Person örtlich und zeitlich orientiert gewesen; es sei ihm klar gewesen, dass er Beiträge nicht zahle.

Der Klägervertreter hat mit der Klage vom 24.10.2002 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) geltend gemacht, das fachpsychiatrische Gutachten belege, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, seine Angelegenheiten in den bezeichneten Aufgabenkreisen ganz oder teilweise zu besorgen.

Das SG hat ärztliche Unterlagen und Befundberichte des Kreiskrankenhauses D. , des Bezirkskrankenhauses A. , des Neurologen und Psychiaters Dr. B. , des Allgemeinarztes Dr. B. und des Internisten Dr. G. beigezogen. Dr. B. hat auch angegeben, dass der Kläger im Zeitraum ab 2002 an einer die freie Willensbestimmung ausschließenden krankhaften Störung der Geistestätigkeit gelitten hat, die Frage nach lichten Momenten bejaht.

Die Beklagte hat hierzu ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) eingeholt, das am 24.05.2004 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass für den streitigen Zeitraum vom 19.12.2001 bis Februar 2002 keine entsprechenden psychopathologischen Befunde über einen Ausschluss der Beurteilung der Folgen bzw. Tragweite seines Handelns und deren Konsequenzen vorlagen.

Das SG hat mit Urteil vom 31.08.2004 die Bescheide der Beklagten vom 10.06.2002 und 08.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2002 aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger über den 15.02.2002 hinaus freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten ist. Es fehle an einer wirksamen Beendigung der Mitgliedschaft. Der Hinweis der Beklagten im Bescheid vom 01.02.2002 auf die Beitragszahlung für den Monat Januar 2002 sei rechtswidrig, da der Beitrag zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig gewesen ist. Dem Umstand, dass jedenfalls die Beiträge für November und Dezember 2001 ausstanden, komme keine Bedeutung für die Wirksamkeit des Hinweises zu. In entsprechender Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften dürften mit der Nachfrist unter Beachtung der Hinweispflicht nur fällige Beiträge eingefordert werden. Ob der Kläger sich im Zeitpunkt des Zugangs des Bescheides vom 01.02.2002 in einem seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, könne offen gelassen werden.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 20.10.2004. Die Mitgliedschaft habe am 15.02.2002 geendet, da der Kläger zweimal am Zahltag trotz Hinweises auf die Folgen die Beiträge nicht entrichtet hat. Obwohl die Voraussetzungen für die Beendigung der Mitgliedschaft bereits vorgelegen haben, sei ihm mit Schreiben vom 01.02.2002 nochmals eine letzte Möglichkeit eingeräumt worden, die freiwillige Mitgliedschaft aufrecht zu erhalten. Da dies nicht geschehen ist, habe die Versicherung kraft Gesetzes am 15.02.2002 geendet. Nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts trete der Schutz Geschäftsunfähiger zurück, wenn Versicherte ihren Zahlungsverpflichtungen aus dem Versicherungsverhältnis nicht nachkommen wollen und sie die Konsequenzen aus dem unterlassenen Handeln erkennen bzw. billigend in Kauf nehmen. Dem Kläger sei nach seinen eigenen Angaben gegenüber dem Gutachter Dr. M. bekannt gewesen, dass er Schulden bei Versicherungsträgern und Krankenhäusern habe. Ferner verweist die Beklagte auf das sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 24.05.2004.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 31.08.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Klägervertreter beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat bezüglich der Einwendungen des Klägervertreters zu der Beitragshöhe mit Schriftsatz vom 22.11.2004 noch ausgeführt, dass sich im Januar 2002 die Beiträge erhöht haben.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 2, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung der Beklagten ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Es ist zwar nicht zu beanstanden, dass das SG über die Beendigung der Mitgliedschaft des Klägers bei der Beigeladenen nicht entschieden hat, weil der Betreuer des Klägers einen entsprechenden Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt hat. Da aber die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten wegen fehlender Beitragszahlung zum 15.02.2002 kraft Gesetzes geendet hat (§ 191 Nr. 3 Sozialgesetzbuch V), hat kraft Gesetzes auch die Mitgliedschaft bei der beigeladenen Pflegekasse geendet (§ 20 Abs. 3 Sozialgesetzbuch XI).

Gemäß § 191 Nr. 3 SGB V in der bis 31.03.2002 geltenden Fassung endet die freiwillige Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Denn der Kläger hat die Beiträge für zwei Monate, nämlich für den November und Dezember 2001 nicht gezahlt, obwohl er nach §§ 252, 250 Abs. 2 SGB V hierzu verpflichtet gewesen ist. Die Beklagte hat ihm in den Schreiben vom 19.12.2001 und 18.01.2002 unter Angabe der jeweiligen Beitragshöhe bzw. des Beitragsrückstandes den gesetzlich geforderten Hinweis erteilt, dass bei Nichtzahlung die freiwillige Mitgliedschaft endet. Sie hat ihm überdies in beiden Schreiben eine angemessene Frist von einer Woche zur Zahlung der Beiträge gesetzt. Bereits in diesen Schreiben hat sie dem rechtlichen Erfordernis Genüge getan. Rechtsfolge ist die Beendigung der Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages; dies ist nach der Satzung der Beklagten der 15.02.2002 gewesen.

Entgegen dem gesetzlichen Vertreter des Klägers war der Hinweis nicht erforderlich, dass mit der Beendigung der Mitgliedschaft bei der Beklagten eine freiwillige Versicherung bei einer anderen Kasse ausgeschlossen ist und dass unter den Voraussetzungen des (damals noch geltenden) BSHG die Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen durch den Sozialhilfeträger möglich ist. Diese erweiterte Hinweispflicht in § 191 S. 2 SGB V ist durch Gesetz vom 14.11.2003 (BGBl I S. 2091) mit Wirkung zum 01.01.2004 eingefügt worden und hat somit im streitigen Zeitpunkt nicht gegolten.

Unerheblich ist, dass die Beklagte in dem Schreiben vom 01.02.2002, abgesehen von der nochmaligen Erinnerung an die Beiträge für November und Dezember 2001, auch den Beitrag für Januar 2002 gefordert hat, obwohl dieser erst zum 15.02.2002 fällig geworden ist. Denn die Beklagte hat hierin darauf hingewiesen, dass der Gesamtbetrag für die Beiträge vom 01.11.2001 bis 31.01.2002 mit den Nebenkosten bis zum 15.02.2002 zu zahlen sind. Sie hat also dem Kläger einen nochmaligen Hinweis erteilt und ist ihm bezüglich der Beitragszahlung zur Abwendung der Beendigung der Mitgliedschaft "entgegengekommen". Dies führt jedoch nicht dazu, dass sich die Mitgliedschaft des Klägers über den 15.02.2002 hinaus fortsetzt.

Es kann hier offen bleiben, ob die Hinweise der Beklagten in den Schreiben vom 19.12.2001, 18.01.2002 und 01.02.2002 auf die Beendigung der Mitgliedschaft bei Nichtzahlung der Beiträge innerhalb der genannten Fristen bei geschäftsunfähigen Versicherten wirksam sind. Denn es ist nicht belegt, dass der Kläger im Zeitraum vom 19.12.2001 bis 15.02.2002 geschäftsunfähig gewesen ist. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem Gutachten des MDK vom 24.05.2004, das sich auf die vom SG beigezogenen Krankenhausberichte und Befundberichte und das psychiatrische Gutachten vom 21.05.2002 stützt. Die Gutachterin (Ärztin für Psychologie und Psychotherapie) hat hierin bei dem Kläger die Diagnosen chronischer Alkoholismus, beginnende organische Wesensänderung, Zustand nach Alkoholentzugsdelir, beginnende nutritiv-toxische Polyneuropathie und nutritiv-toxischer Leberschaden gestellt. Im genannten Zeitraum lagen jedoch keine entsprechenden psychopathologischen Befunde vor. Aufgrund der psychischen Befundberichte geht die Gutachterin davon aus, dass der Kläger in diesem Zeitraum die Folgen und die Tragweite seines Handelns und deren Konsequenzen in Bezug auf die Krankenkasse erkennen konnte. Hinweise dafür sind die eigenen Angaben des Klägers bei der Untersuchung für das Gutachten vom 21.05.2002, bei der er selbst diese Problematik mit der Krankkasse ansprach und die Einsichtsfähigkeit in die Problematik vermittelte. Auch das Bezirksklinikum A. bescheinigte dem Kläger die Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit einer stationären sozio-therapeutischen Maßnahme während des stationären Aufenthalts vom 31.05. bis 31.07.2002. Überdies ist zu berücksichtigen, dass auch der behandelnde Arzt Dr. B. lichte Momente aufgrund der Erkrankung nicht ausschloss.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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