L 4 KR 55/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 3 KR 4/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 55/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 46/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Beitragsbemessung im Jahr 1993

Der 1941 geborene Kläger, der hauptberuflich als selbständiger Rechtsanwalt tätig ist, ist bei der Beklagten seit 01.05.1973 versichert und seit 01.04.1989 Mitglied der freiwilligen Krankenversicherung. Auf Anfrage der Beklagten teilte er mit Schreiben vom 23.03.1993 mit, sein jährliches Gesamteinkommen als Rechtsanwalt betrage laut Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1990 20.555,00 DM, monatlich 1.712,00 DM. Er beantragte die Einstufung in die Beitragsklasse 761.

Mit Bescheid vom 31.03.1993 stufte die Beklagte den Kläger bis vorerst 30.06.1993 in die Gruppe N (Nichtversicherungspflichtige) Klasse 805 ohne Anspruch auf Krankengeld ein. Der Monatsbeitrag wurde mit 344,00 DM angegeben. Voraussetzung für die Einstufung sei, dass die regelmäßigen monatlichen Gesamtbezüge den Betrag von 2.875,00 DM nicht übersteigen.

Hiergegen legte der Kläger am 03.05.1993 Widerspruch ein, da die Beitragsbemessung nicht seinem tatsächlichen Einkommen entspreche. Die Beklagte erließ am 03.05.1993 einen weiteren Bescheid, mit dem sie die Beitragseinstufung nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage erläuterte. Unter Zugrundelegung des Mindestgrundlohns für Selbständige sei die Einstufung zum 01.01.1993 zutreffend; da die monatlichen Einkünfte 75% der monatlichen Bezugsgröße unterschreiten, sei der Betrag von 2.782,50 DM als Mindest-Beitragsbemessungswert heranzuziehen. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein; er hält die gesetzliche Regelung für verfassungswidrig.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 02.08.1993 den Widerspruch zurück. Die monatliche Bezugsgröße betrage 3.710,00 DM. Hiernach ergebe sich eine monatliche Beitragsbemessungsgrundlage von 2.782,50 DM. Die einkommensabhängige Einstufung sei somit nach der für das Jahr 1993 gültigen Beitragstabelle in der Beitragsklasse 805 vorzunehmen.

Der Kläger hat hiergegen am 06.09.1993 beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben (S 3 KR 373/93) und die Beitragseinstufung nach seinem tatsächlichen Einkommen beantragt; als selbständiger Rechtsanwalt ohne Mitarbeiter müsse er mit den versicherungspflichtig Beschäftigten gleichgestellt werden.

In der mündlichen Verhandlung am 30.08.1995 haben die Beteiligten sich mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklärt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22.05.2001 (1 BvL 4/96) die gesetzliche Regelung der Beitragsbemessung in der freiwilligen Krankenversicherung der hauptberuflich Selbständigen verfassungsrechtlich nicht beanstandet hat, hat die Beklagte die Aufnahme des Verfahrens am 27.12.2001 beantragt. (Das Verfahren ist unter dem Az.: S 3 KR 4/02 fortgeführt worden).

Der Kläger hat mit Schreiben vom 04.03.2002 die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als unzureichend beanstandet; die Beitragsbemessung bei Selbständigen sei verfassungswidrig. Die Sozialabgaben haben sich am tatsächlichen Einkommen auszurichten. Insbesondere werde durch die Festsetzung eines Mindestbe- messungswertes ein fiktives Einkommen unterstellt, das nicht mehr der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspreche.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 30.12.2003 unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 01.03.2004, die nicht begründet ist.

Er beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30.12.2003 und die Bescheide der Beklagten vom 31.03.1993 und 03.05.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.08.1993 dahin abzuändern, dass der Beitragsbemessung für die freiwillige Krankenversicherung nur seine tatsächlichen Einnahmen zu Grunde gelegt werden.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 2, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist unbegründet.

Streitig sind im vorliegenden Fall lediglich die im Klageantrag genannten Bescheide und nicht etwaige Folgebescheide der Beklagten oder Bescheide deren Pflegekasse. Ferner wurde die Pflegeversicherung, deren Beitragsbescheide der Kläger gleichfalls angreift, frühestens zum 01.06.1994 eingeführt.

Die in den angefochtenen Bescheiden durchgeführte Beitragsberechnung ist, soweit der Kläger ihre Richtigkeit bestreitet, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat sich zu Recht auf die gesetzliche Regelung des § 240 Sozialgesetzbuch V i.d.F. vom 20.12.1988 (BGBl I S. 2477), die vom 01.01.1992 bis 31.12.1996 gegolten hat, sowie auf §§ 19, 20 ihrer Satzung berufen.

Gemäß § 240 Abs. 1 SGB V wird für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung durch die Satzung geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Gemäß § 240 Abs. 2 SGB V muss die Satzung mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen sind. Die §§ 223 und 227, 228 Abs. 2, 229 Abs. 2, 238a und 243 Abs. 2 SGB V gelten entsprechend. Gemäß § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, gilt nach § 240 Abs.4 Satz 2 SGB V als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der 40. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Veränderung der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden. Die Satzung kann auch Beitragsklassen vorsehen (§ 240 Abs. 5 SGB V).

§ 19 der Satzung der Beklagten in den einschlägigen Fassungen sieht vor, dass die Beiträge der nicht versicherungspflichtigen Mitglieder nach Beitragsklassen erhoben werden. Der für die jeweilige Beitragsklasse zutreffende Beitrag wird nach einem in Indexzahlen festgelegten Vomhundertsatz des monatlichen Beitragsbemessungswerts der Beitragsklasse festgesetzt und auf volle DM nach oben gerundet. Die Indexzahl 100 entspricht dem allgemeinen Beitragssatz der Kasse.

Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 der vorgelegten Satzung werden selbstständig Erwerbstätige mit monatlichen Gesamtbezügen unter der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung auf Antrag ohne Anspruch auf Krankengeld in den Klassen 785 f. mit der Maßgabe geführt, dass mindestens monatliche Gesamtbezüge in Höhe von 2/3 der monatlichen Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) zu Grunde zu legen sind. Nach der maßgebenden gesetzlichen Regelung des § 240 Abs. 4 SGB V ist von der damals geltenden monatlichen Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) von 3.710,00 DM auszugehen. Da der Kläger als monatliche beitragspflichtige Einnahme den Betrag von 1.712,00 DM angegeben hat, also beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag unter dem 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), richtet sich die Beitragsbemessung mindestens nach dem 40. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Dies ergibt für den Monat einen Bemessungswert von 2.782,50 DM. Hierauf hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid zu Recht abgestellt.

Die verfassungsrechtlichen Einwendungen des Klägers gegen die genannten Rechtsgrundlagen, insbesondere wegen angeblicher Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Grundgesetz) zu seinem Nachteil, sind unbegründet. Der Kläger verkennt, dass bei ihm zunächst generell der Gewinn als Nettobetrag Anknüpfungspunkt für die einkommensbezogene Beitragsfestsetzung freiwilliger Mitglieder ist (§ 15 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV), während die Beitragsbemessung Versicherungspflichtiger sich nach dem Bruttobetrag des Arbeitsentgelts bzw. der weiteren beitragspflichtigen Einnahmen richtet (§§ 226 f. SGB V). Nach der gesetzlichen Regelung des § 15 SGB IV ist das für den Kläger maßgebende Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Er lässt ferner außer Acht, dass die Krankenkassen von einer Mindestbeitragsbemessungsgrundlage (als Bruttobetrag) bei den hauptberuflich selbständigen Angehörigen der freiwilligen Krankenversicherung ausgehen müssen, um zu verhindern, dass bei einem niedrigen Gewinn oder keinem Gewinn eine nahezu oder völlig kostenfreie Krankenversicherung gewährt wird, die von den übrigen Versicherten mitfinanziert wird. Denn die Gruppe der freiwillig Versicherten ist in ihrer Zusammensetzung wenig homogen. Sie beziehen Einkommen aus verschiedenen Quellen, wie z.B. Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, Rente, Versorgungsbezüge, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, Kapitalerträge, Unterhalt, Vermögensverzehr, Sozialhilfeleistungen und zum Teil auch aus mehreren dieser Quellen. Der Gesetzgeber hat bei der Gestaltung der Beitragsbemessung nicht nur diesen Umstand, sondern auch das Verhältnis der freiwillig Versicherten zu den Pflichtversicherten der Krankenkassen zu berücksichtigen. Die freiwillige Versicherung ist in ein System eingegliedert, dessen Kern die Pflichtversicherung aufgrund entgeltlicher Beschäftigung bildet. Der Gesetzgeber musste daher beachten, dass der leichte Zugang zur freiwilligen Versicherung und die Erhebung von unangemessen niedrigen Beiträgen nicht im Übrigen zu einem Versicherungsschutz auf Kosten der Pflichtversicherten führt.

Die Fiktion von beitragspflichtigen Einnahmen in § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V durchbricht den Grundsatz, dass Beiträge nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, also nach den tatsächlich vorhandenen Einnahmen, bemessen werden, damit auch einkommenslose oder gering verdienende Versicherte in einem gewissen Umfang ihren Krankenversicherungsschutz mitfinanzieren. Das heißt, die gesetzliche Regelung des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V fingiert bei freiwillig versicherten Selbständigen höhere Einkünfte. Der Gesetzgeber hat durch die Formulierung "beitragspflichtige Einnahmen" bei dieser Sonderregelung für Selbständige klargestellt, dass bei der Beitragsbemessung nicht lediglich der nach den Vorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit (§ 15 SGB IV) herangezogen wird, sondern aufgrund der Fiktion wie bei Arbeitnehmern die Bruttoeinnahmen zu Grunde gelegt werden. Die von der Beklagten angewendete Regelung des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V führt damit zu einer Untergrenze monatlich beitragspflichtiger Einnahmen von 75% der monatlichen Bezugsgröße und entsprechend hohen Mindestbeiträgen.

Diese gesetzliche Regelung ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.05.2001 (SozR 3-2500 § 240 Nr. 39 = NJW 2001, 2786) verfassungsgemäß. Die vom Kläger hiergegen geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken sind nicht angebracht. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Mindestbemessungsgrenze für Beiträge hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger, die freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind (§ 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V) verfassungsgemäß ist. Auch wenn danach hauptberuflich Selbständige bei Einnahmen unterhalb der in dieser Vorschrift vorgesehenen Mindestbemessungsgrenze mit einem zum Teil erheblich höheren Mindestbeitrag herangezogen werden als die sonstigen freiwilligen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, ist diese unterschiedliche Behandlung sachlich gerechtfertigt und stellt somit keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz). Die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Einnahmen Selbständiger werden im allgemeinen auf einer wesentlich anderen, für diese Versicherten grundsätzlich günstigeren Bemessungsgrundlage, dem sogenannten Nettoprinzip, berechnet als die Beiträge der sonstigen freiwilligen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, für die generell das sogenannte Bruttoprinzip gilt. An diesen Unterschied durfte der Gesetzgeber anknüpfen. Es dient der Beitragsgerechtigkeit, wenn für hauptberuflich Selbständige der Vorteil aus der Beitragsbemessung typisierend durch die Festsetzung einer besonderen Mindestbemessungsgrenze ausgeglichen wird, wie das BSG bereits mit Urteil vom 26.09.1996 (BSGE 79, 133) entschieden hat. Die Regelung wird überdies von dem legitimen Ziel bestimmt, zu verhindern, dass das mit der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit verbundene Unternehmerrisiko über die Beitragsbemessung partiell auf die Solidargemeinschaft überwälzt werden kann. Hinzukommt, dass die Mindesteinnahmengrenze aus dem Gesichtspunkt der Beitragsgerechtigkeit und der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt ist. Denn die Einkommensfeststellung bei Selbständigen gestaltet sich erheblich schwieriger als bei abhängig Beschäftigten. Auch die unterschiedliche Mindestbemessungsgrenze für haupt- und nebenberuflich Selbständige verletzt nicht den Gleichheitssatz. Nebenberuflich Selbständige verfügen in der Regel über andere Einnahmen, so dass die Beitragsgrenze hier im Ergebnis regelmäßig nicht zum Tragen kommt. Ebenso ist die unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung bei Selbständigen und Pflichtversicherten gerechtfertigt. Bei geringen Einnahmen nähern sich die Beiträge der Selbständigen an die durchschnittliche Beitragsbelastung der abhängigen Beschäftigten an. Die Mindesteinnahmengrenze des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V ist auch der Höhe nach gerechtfertigt. Die Anknüpfung an die sog. Bezugsgröße ist sachgerecht gewählt. Der Gesetzgeber war von verfassungswegen nicht gehalten, die Beitragsbelastung der Selbständigen mit geringem Arbeitseinkommen, wie etwa von Kleingewerbetreibenden, Existenzgründern oder Berufsanfängern, durch eine Härteklausel zu mildern. Er hat auch bei dieser Gruppe grundsätzlich die durch das Gesamteinkommen geprägte Leistungsfähigkeit des Einzelnen als maßgebliches Kriterium für die Beitragsbemessung gewählt und nur um die Mindesteinnahmenregelung ergänzt. Damit hat das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis die frühere Rechtsprechung des BSG bestätigt (BSG vom 26.09.1996 a.a.O., BSG vom 10.03.1994 USK 9428).

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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