L 2 KN 57/07 U

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 296/06 U
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KN 57/07 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19.01.2007 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs 2 Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) wegen der Berufskrankheit Nr. 2102 der Anlage zur BKV (BK Nr. 2102).

Der am 00.00.1950 geborene Kläger wurde zum 01.04.1965 im deutschen Steinkohlenbergbau angelegt. Er war unter Tage als Hauer tätig. Am 12.03.1998 wurde im rechten Kniegelenk ein Radiärriss des rechten Außenmeniskus diagnostiziert. Am 19.03.1998 erfolgte eine arthroskopisch kontrollierte Teilentfernung des rechten Außenmeniskus. Die diesbezügliche Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zum 09.04.1998. Vom 03. bis 17.06.1998 erkrankte er erneut arbeitsunfähig aufgrund von Gonarthrose bei Zustand nach Meniskusoperation. Der Arbeitsmedizinische Dienst des Arbeitgebers gelangte bei einer Untersuchung am 08.07.1998 zu dem Ergebnis: Unter bestimmten Voraussetzungen bestünden keine gesundheitlichen Bedenken für Arbeiten unter und über Tage. Einsatz- bzw Beschäftigungsbeschränkungen bestünden wegen verminderter Sehtüchtigkeit und bei überwiegendem Knien. Seine letzte Schicht als Hauer in der Gewinnung mit Unterhaltungsarbeiten in der Strecke verfuhr der Kläger am 28.07.1998. Ab September 1998 befand er sich in struktureller Kurzarbeit. Im Rahmen von Anpassungsmaßnahmen kehrte er zum 31.08.2000 ab. Nach Angaben seines Arbeitgebers vom 11.03.2002 hätte er bei Weiterbeschäftigung über den 28.07.1998 hinaus die gleiche Tätigkeit unter Tage, bei gleicher Bezahlung mit Ausschluss überwiegend kniender Tätigkeit ausführen können. Die Beklagte erkannte eine BK Nr. 2102 an und zahlte Teilrente in Höhe von 10 vH der Vollrente als Rente auf unbestimmte Zeit vom 10.04.1998. Als Folgen der Berufskrankheit wurden anerkannt: Ein Teil der Beugeeinschränkung, der Kapselschwellung und der Ergussbildung am rechten Kniegelenk, ein Teil der Muskelminderung am rechten Bein und Beschwerden nach arthroskopischer Entfernung des rechten Außenmeniskus. Unabhängig davon bestehe ein Zustand nach Schienenbeinkopfbruch rechts (Bescheid vom 18.07.2001).

Im Rahmen eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) wegen Übergangsleistungen nach § 3 Abs 2 BKV wegen der BK Nr. 2102 (S 6 KN 285/03 U, zugrunde lag der Bescheid der Beklagten vom 07.10.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2003) hat der Kläger am 18.01.2005 erklärt:

"Es ist zutreffend, dass ich am 28.07.1998 meine berufliche Tätigkeit unter Tage aufgegeben habe. Ich bin zu diesem Zeitpunkt freiwillig in den Vorruhestand getreten, habe dort aber Abzüge im Lohn hinnehmen müssen ... Meine zuletzt verrichtete Tätigkeit war die eines Kohlenhauers in der Gewinnung. Diese Tätigkeit hätte ich dann auch weiter ausgeübt. Bei der Überlegung, in den Vorruhestand zu treten, standen meine Atembeschwerden im Vordergrund. Ein weiterer Grund war auch das Allgemeinbefinden. Man war froh, auch dort raus zu sein, d.h. aufhören zu können. Die Tätigkeit als Kohlenhauer war teilweise eine kniebelastende Tätigkeit, aber auch nicht immer."

Mit Urteil vom 03.05.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Anspruch auf Gewährung von Übergangsleistungen gemäß § 3 Abs 2 BKV wegen der BK Nr. 2102 bestehe nicht. Zum Einen hätte der Kläger bei Verrichtung seiner bisherigen Untertagetätigkeit weiter beschäftigt werden können. Zum Anderen hätten bei Eintritt in die strukturelle Kurzarbeit zum 01.09.1998 keine gesundheitlichen Bedenken für einen weiteren Einsatz im Untertagebetrieb bestanden. Auch habe der Kläger am 18.01.2005 ausdrücklich bestätigt, nicht wegen der Auswirkungen der Folgen der BK Nr. 2102 in den Vorruhestand getreten zu sein. Wäre er nicht in den Vorruhestand getreten, hätte er seine zuletzt verrichtete Tätigkeit als Kohlenhauer in der Gewinnung auch weiter ausgeübt. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt (LSG NRW L 2 KN 73/05 U). Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.12.2005 hat er erklärt, im April/Mai 1998 von seinem Arbeitgeber angeschrieben worden zu sein, dass dieser beabsichtige, Personal abzubauen, und er die Möglichkeit habe, ab August 1998 auszuscheiden. Zirka 10 Tage nach diesem Schreiben habe ein Gespräch mit dem Arbeitgeber stattgefunden, in dem er sich unmittelbar entschieden habe, dieses Angebot anzunehmen. Er habe zwar dann mit weniger Geld auskommen müssen, sich aber nicht mehr zu quälen gehabt. Dies sei so zu verstehen, dass er sich nicht mehr mit den Knien weiter quälen wollte. In den letzten Jahren habe er zwar überwiegend in der Strecke, jedoch auch, wenn Not am Mann war, im Streb gearbeitet. In der Strecke habe er auf unebenem Boden kilometerweit laufen müssen. Natürlich seien auch seine Atembeschwerden ein Grund gewesen, seine Tätigkeit aufzugeben. Der Kläger hat die Berufung zurückgenommen und die Beklagte hat sich zugleich verpflichtet, "erneut originär zu prüfen", ob für die Zeit ab dem 01.09.1998 Ansprüche auf Übergangsleistungen nach § 3 BKV bezüglich der Berufskrankheiten Nr.4101, Nr. 4111 und Nr.2102 bestehen.

Mit Bescheid vom 10.04.2006 hat die Beklagte die Zahlung von Übergangsleistungen wegen der BK Nr. 2102 abgelehnt. Es fehle am Kausalzusammenhang zwischen der entschädigten BK Nr. 2102 und der Einstellung der beruflichen Tätigkeit des Klägers. Er sei im Rahmen von Anpassungsmaßnahmen ausgeschieden. Die Anpassungsmaßnahme sei nicht aus gesundheitlichen Gründen erfolgt. Bei Weiterbeschäftigung hätten keine gesundheitlichen Bedenken bestanden. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2006 mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe nicht wegen der konkreten Gefahr der Verschlimmerung der Folgen der BK Nr. 2102 seine berufliche Tätigkeit unter Tage eingestellt. Er hätte ab 01.09.1998 die gleiche Tätigkeit unter Tage bei gleicher Bezahlung und Berücksichtigung der medizinischen Einschränkungen fortführen können.

Zur Begründung seiner dagegen zum SG erhobenen Klage hat er sein Vorbringen wiederholt und darauf hingewiesen, dass ein plausibler Zusammenhang gegeben sei. Er habe als Betroffener einer weiteren gesundheitlichen Belastung aus dem Weg gehen wollen.

Die Beklagte hat die angefochtenen Entscheidungen verteidigt und nach Hinweis des Gerichts auf die am 08.12.2005 vergleichsweise getroffene Regelung, den Anspruch des Klägers auf Übergangsleistungen erneut "originär zu prüfen", die Bescheide vom 07.10.2002 und 16.10.2003 zurückgenommen.

Mit Urteil vom 19.01.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und ist der Begründung der Bescheide vom 10.04. und 09.08.2006 gefolgt.

Zur Begründung der dagegen eingelegten Berufung wiederholt der Kläger sein Vorbringen und behauptet, die Knieerkrankung sei wesentlich mitursächlich für die Berufsaufgabe gewesen. Es sei ein orthopädisches Sachverständigengutachten zur Frage der Gefahr der Entstehung einer BK Nr. 2102 einzuholen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung/Aufhebung des am 19.01.2007 verkündeten Urteils des So zialgerichts in Gelsenkirchen, Az.: S 7 KN 296/06 U, wird nach den Anträgen aus I. Instanz erkannt, d.h. auf Übergangsleistungen aus Anlass der beim Kläger anerkannten Berufskrankheit Meniskusschäden für fünf Jahre ab Aufgabe der gefährdeten Tätigkeit.

Hilfsweise: Die Revision wird zugelassen.

Hilfsweise wird an den gestellten und etwa künftig noch gestellten Beweisanträgen ausdrücklich als solchen festgehalten, sowohl für den Fall der mündlichen Verhandlung, für den Fall nach § 124 Absatz 2 SGG, für den Fall des § 153 Absatz 4 SGG sowie für sonstige Fallgestaltungen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Eine konkrete Gefahr der Verschlimmerung der Folgen der BK Nr. 2102 habe nicht bestanden. Der Kläger sei nicht wegen der Gefahr der Verschlimmerung der Folgen der BK Nr. 2102 zum 01.09.1998 in die strukturelle Kurzarbeit gegangen.

Für die Einzelheiten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Akten S 18 KN 57/04 U und S 6 KN 285/03 U - SG Gelsenkirchen, und der Verwaltungsakten der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit der Kläger Übergangsleistungen nach § 3 Abs 2 BKV wegen der BK Nr. 2102 begehrt. Ein solcher Anspruch ist ausschließlich originär und nicht mehr nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu prüfen, weil der Bescheid vom 07.10.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2003 zurückgenommen wurde.

Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, haben zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen (3 Abs. 2 Satz 1 BKV). Das setzt einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang einerseits zwischen der drohenden BK und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und andererseits zwischen dieser Einstellung und der Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile voraus (u.a. BSG Urteil vom 20.02.2001, B 2 U 10/00 R, SozR 3-5670 § 3 Nr, 5). Der Kläger hat nach Auffassung des Senats seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht wegen einer drohenden Verschlimmerung der BK Nr. 2102 aufgegeben. Insoweit folgt der Senat der Begründung des Bescheides vom 10.04.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2006 und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl §§ 136 Abs 3 und 153 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG); BSG Beschluss vom 20.01.2000, B 7 AL 116/99 B, SozR 3-1500 § 153 Nr.10; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 153 Rdn. 5). Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass zur Überzeugung des Senats ausschließlich dass im April/Mai 1998 gemachte Angebot, in strukturelle Kurzarbeit gehen zu können, für die Aufgabe der Tätigkeit ursächlich gewesen ist. Dafür spricht insbesondere die Erklärung des Klägers im Termin vom 18.01.2005 (S 6 KN 285/03 U SG Gelsenkirchen). Demgegenüber lassen sich Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Ende Juli 1998 seine knappschaftlichen Tätigkeit aus gesundheitlichen und im Zusammenhang mit seiner Meniskuserkrankung stehenden Gründen aufgegeben hat, nicht objektivieren. Selbst die zeitnah - am 08.07.1998 - erfolgte arbeitsmedizinische Untersuchung, hat nicht zu einer entsprechenden Arbeitsplatzwechselempfehlung geführt, sondern vielmehr den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung des Klägers in der gleichen Tätigkeit unter Tage, bei gleicher Bezahlung und Berücksichtigung der Einsatz-/Beschäftigungseinschränkungen veranlasst.

Allein der Hinweis auf sein "Allgemeinbefinden" reicht nicht aus (vgl. BSG Urteil vom 04.10.1996, 2 BU 186/96, HVBG-INFO 1997, 952-953).

Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, den Sachverhalt medizinisch - durch ein Sachverständigengutachten auf orthopädischem Fachgebiet - weiter aufzuklären. Streitgegenstand ist nicht die Frage, ob bei dem Kläger (objektiv) die Gefahr der Entstehung der - von der Beklagten bereits anerkannten - BK Nr. 2102 bestanden hat. Vielmehr ist ausschließlich die Frage zu beantworten, ob der konkrete (subjektive) Entschluss des Klägers, seine knappschaftliche Tätigkeit aufzugeben, von der Vorstellung getragen war, andernfalls Gefahr zu laufen, dass sich seine BK Nr. 2102 weiter verschlimmert. Die Feststellung dieser Willensentschließung ist einer medizinischen Begutachtung nicht zugänglich. Sie ergibt sich aus dem tatsächlichen Geschehen und (insbesondere) aus dem eigenen Vortrag des Klägers.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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