L 14 R 11/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 14 RJ 1349/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 11/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 228/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. November 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1964 geborene Kläger ist gelernter Kfz-Elektriker. Er ist selbständig tätig und betreibt den Verkauf von Autozubehör, früher auch deren Einbau und Reparatur (Spezialisierung auf den Einbau von Standheizungen).

Am 22.02.2002 beantragte er bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung wegen chronischer Wirbelsäulenbeschwerden und Bandscheibenprolapses.

Die Beklagte ließ ihn durch den Orthopäden Dr. K. untersuchen und begutachten. Dem Sachverständigen lagen vorangegangene Untersuchungsbefunde aus 2001 und 2002 einschließlich eines ausführlichen Untersuchungsberichts der Orthopädin Dr. C. für die V. Versicherung vom 15.01.2002 vor. Auf Grund der Untersuchung vom 18.03.2002 diagnostizierte er beim Kläger eine chronisch rezidivierende Lumboischialgie bei degenerativen Veränderungen L4/5, L5/S1 mit geringgradiger funktioneller Instabilität ohne sicheren Nachweis einer radikulären Symptomatik.

Der Gutachter legte dar, dass eine operative Intervention bisher auf Grund der fehlenden neurologischen Symptomatik abgelehnt worden sei. Der Kläger müsse Heben und Tragen von schweren Lasten, Zwangshaltungen der Wirbelsäule, häufiges Bücken und rein sitzende Tätigkeiten vermeiden. Im übrigen sei er in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig tätig zu sein, nicht aber in seinem ausgeübten Beruf als Kfz-Elektriker, welcher mit häufigen Zwangshaltungen der Wirbelsäule und Heben und Tragen von Lasten verbunden sei.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 17.04. 2002 ab mit der Begründung, der Kläger könne im bisherigen Lehrberuf nur mehr weniger als 6 Stunden, in einem zumutbaren Verweisungsberuf, z.B. als Kontrolleur in der Elektroindustrie oder als Werkzeugausgeber im Kfz- und Autozubehörbereich aber noch 6 Stunden und mehr je Arbeitstag tätig sein. Er sei damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2002 zurückgewiesen. Der Kläger könne noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden täglich und mehr ohne dauerndes Stehen und Gehen, ohne viel Bücken, ohne Zwangshaltung und ohne Überkopfarbeit aus wechselnder Ausgangslage tätig sein. Damit seien die Voraussetzungen von § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nicht gegeben, ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 SGB VI scheide im Hinblick auf das Geburtsdatum des Klägers aus.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) berief sich der Kläger auf ärztliche Einschätzungen des Orthopäden Dr. P. vom 31.07.2002 für die V. KrankenversicherungsAG ("Einschränkung im Beruf als Kfz-Elektriker 50%"), von Prof. Dr.T./Dr. H. auf neurochirurgischem Gebiet vom 02.01. 2002 für die Lebensversicherung des Klägers ("Einschränkung als Kfz-Elektriker 60 %") und legte weitere Ärztliche Unterlagen aus 1999 bis 2001 (Kernspintomografien der LWS und der HWS) vor, ferner ein fachchirurgisches Gutachten des Dr. G. vom 26.04.2002 für die Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik ("keine Berufskrankheit") sowie ein fachorthopädisches Gutachten von Privatdozent Dr. M./Oberarzt Dr. H. vom 09.07.2001 für die W. Lebensversicherung.

Das SG holte einen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. L. vom 30.09.2002 ein und beauftragte Dr. L. mit der Erstellung eines fachchirurgisch-orthopädischen Gutachtens vom 11.06.2003.

Dr. L. diagnostizierte beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen: 1. chronisches HWS-, Schulter-Arm-Syndrom rechts leichter, LWS-Syndrom mittelschwerer Prägung mit sich daraus ergebendem Funktionsdefizit ohne Zeichen eines peripher-neurogenen Defektes 2. Chondropathia patellae beidseits mit Rechtsbetonung und leichtgradig verminderter Geh- und Stehfähigkeit 3. Sulcus-ulnaris-Syndrom links.

Nach den Ausführungen des Gutachters waren Tätigkeiten eines Kfz-Mechanikers in originärer Form weniger als 4 Stunden täglich möglich, leichte und mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Arbeitsposition (gelegentlicher Wechsel mit Regelmäßigkeit) 8 Stunden täglich zumutbar, wobei allerdings Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Zwangshaltungen der Wirbelsäule und häufiges Bücken, auch häufigstes Hocken und Knien, Besteigen von Leitern und Gerüsten sowie Treppensteigen ausscheiden sollten.

Die Beklagte stimmte dem Gutachten zu (sozialmedizinische Stellungnahme Dr. K. vom 08.07.2003).

In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, er betreibe seine Einmann-Firma auch weiterhin, um leben zu können; er führe aber keine handwerklichen Arbeiten mehr aus, sondern verkaufe nur noch elektrische Autozubehörteile.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 14.11.2003 ab. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne der Kläger zwar keine Arbeiten mehr verrichten, die mit Heben und Tragen von schwereren Lasten, häufigem Bücken und Knien und häufigem Besteigen von Leitern und Gerüsten verbunden seien, ebenso seien häufiges Bücken und Arbeiten mit Zwangshaltungen nicht mehr geeignet. Möglich seien aber weiterhin leichte und kurzfristig auch mittelschwere vollschichtige Tätigkeiten. Damit seien weder die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller noch die für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erfüllt. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI komme nicht in Betracht, weil der Kläger nach dem 01.01.1961 geboren sei.

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen dieses Urteil. Er macht eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes sowie einen Anspruch zumindest auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung geltend und stellt den Antrag, auf orthopädischem wie auf neurochirurgischem Fachgebiet Ärzte seines Vertrauens zu hören.

Der nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte Orthopäde Dr. K. erhob nach persönlicher Untersuchung des Klägers, nach Auseinandersetzung mit der Vorgeschichte, mit den bisherigen Röntgenbefunden und eigenen Aufnahmen im Gutachten vom 09.02.2005 die Diagnosen:

1. chronisches LWS-Syndrom mit Muskelhartspann und Blockaden ohne sensomotorische Defizite bei Diskus-Prolaps L 4/5 sowie L 5/S 1 links 2. Chondropathia patellae rechts mehr als links.

Der Gutachter vertrat die Auffassung, der Kläger sei in der Lage, leichte Arbeiten vollschichtig durchzuführen. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen, Kopfüber-Arbeiten, Heben und Tragen von Lasten über 7 kg, Arbeiten auf unebenem Gelände, Treppen, Leitern und Gerüsten. Weiter hieß es, regelmäßige Pausen sollten eingehalten werden, die Arbeiten sollten in wechselnden Positionen durchgeführt werden, Einfluss von Kälte und Nässe sollte gemieden werden. Einschränkungen bei der Zurücklegung von Wegen beständen nicht, die öffentlichen Verkehrsmittel könnten benutzt werden, der Kläger sei auch in der Lage, ein Kfz zu fahren. Der Gutachter hielt im übrigen Tätigkeiten als Kfz-Elektriker zwischen drei und vier Stunden am Tag für zumutbar. Er schloss sich ferner der zuvor von Dr. L. geäußerten Meinung an, der Versuch einer Rehabilitation in einer speziellen Wirbelsäulenklinik solle gemacht werden.

Die Beklagte verwies in einer Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes (Dr. K. vom 09.03.2005) darauf, dass sowohl die Diagnostik als auch die Beurteilung des Leistungsvermögens bei Dr. K. mit den bisherigen Beurteilungen der Vorgutachter übereinstimme. Nach Beendigung des Berufungsverfahrens könne eine Rehamaßnahme in einer für orthopädische Leiden spezialisierten Reha-Einrichtung befürwortet werden.

Der Kläger legte ein im Parallelverfahren L 15 SB 52/04 eingeholtes fachchirurgisches Gutachten des Prof. Dr. G. /Dr. B. vom 04.04.2005 und Ergänzung vom 25.05.2005 vor, wonach beim Kläger lumbalgieforme Schmerzen mit anhaltender schmerzbedingter Bewegungseinschränkung der LWS durch ausgeprägte osteochondrotische Veränderungen der LWS, insbesondere der Segmente L4 / L5 und L5 / S1 diagnostiziert wurden und ein Grad der Behinderung für die einzelnen Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule von 30 (GesamtGdB ebenfalls 30) angenommen wurde.

Auf Antrag des Klägers erstellten die Sachverständigen Prof. Dr. T./Dr. H. ebenfalls nach § 109 SGG das neurochirurgische Fachgutachten vom 28.09.2006. In dem sehr kurzen Gutachten wurden nach Bezugnahme auf die bisherigen Röntgenunterlagen und Gutachten auf orthopädischem und chirurgischem Fachgebiet, nach Erhebung einer aktuellen Beschwerdesymptomatik und einer kurzen körperlichen Untersuchung lumbalgieforme Schmerzen, die insbesondere bei Inklination und Reklination auch einen ischialgieformen Schmerzcharakter beidseits mit dorsaler Projektion kämen, festgestellt.

In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung hieß es, die vom Kläger glaubhaft vorgetragene erhebliche Zunahme der Beschwerden beim Vornüberbeugen mit einem hierbei unkontrolliert auftretenden reflektorischen Kraftverlust hätten zur Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit geführt, da der Kläger im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit auf ständiges Vornüberbeugen angewiesen sei und die Arbeit ohne diese Bewegungsmöglichkeit nicht durchgeführt werden könnten. Zumutbar seien noch leichte Arbeiten abwechselnd im Sitzen, Stehen oder Gehen weniger als 6 Stunden, jedoch mindestens vier Stunden, wenn hierbei die Möglichkeit der Unterbrechung gegeben sei. Die Tätigkeiten seien möglichst in geschlossenen Räumen ohne Einfluss von Kälte, Nässe oder Zugluft und nicht an gefährdenden Maschinen, die eine Inklination im Rumpf zur Bedienung voraussetzten, durchzuführen. Ebenfalls sollten Arbeiten auf Leitern und Gerüsten wegen der Gefahr des plötzlichen Kraftverlustes, Akkord- und Schichtarbeit unterbleiben. Nicht mehr zumutbar sei damit die Arbeit als Kfz-Elektriker auf Grund der notwendigen Bewegungsabläufe und der damit verbundenen Beanspruchung der Wirbelsäule; vorstellbar sei eine supervidierende, beratende Funktion ohne eigentliche körperliche Belastung. Da der Kläger nicht längere Zeit am Stück stehen oder sitzen könne, sei eine Einschränkung der Mobilität sowohl mit öffentlichem Verkehrsmitteln als auch mit eigenem PKW vorhanden. So sollten Fahrzeiten eine Dreiviertelstunde nicht überschreiten.

Die Beklagten nahm durch ihren Ärztlichen Dienst (Dr. K. , Dr. G.) dahin Stellung, dass eine quantitative Leistungseinschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht begründbar sei. Da die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit nicht eingeschränkt sei, werde der Kläger auch noch für fähig erachtet, andere Erwerbstätigkeiten zu erlernen. Der Nervenarzt und Sozialmediziner Dr. G. ergänzte die Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. K. durch Hinweis auf das weiterhin fehlende sichere radikuläre neurologische Defizit. Das Gutachten erbringe keine neue Erkenntnis, insbesondere auch keine andere Schilderung der Beschwerden. Die angegebene Zunahme der Beschwerden beruhe lediglich auf den Angaben des Versicherten und werde nicht durch sonstige Befunde belegt. Von einer zeitlichen Einschränkung für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sei nach allem nicht auszugehen.

Auf Veranlassung des Senats erstellte schließlich der Arzt für Neurologie Dr. M. das neurologische Gutachten vom 15.01.2007.

Der Kläger gab bei der Begutachtung, wie schon bei den Vorgutachtern, seit 1999 bestehende Rückenschmerzen, auch mit Ausstrahlung in das linke und gelegentlich in das rechte Bein, und eine Zunahme der Beschwerden seit 2001 an. Er berichtete zusätzlich von einem neu hinzugekommenen Plattenepithel-Karzinom an der Eichel, behandelt durch Teil-Excision im September 2006. Nach Erhebung eines körperlichen neurologischen Untersuchungsbefundes sowie eines psychiatrischen Status und nach Durchführung elektrophysiologischer Zusatzuntersuchungen (Elektromyografie, Neurografie des rechten und des linken N. tibialis sowie des rechten und des linken N. ulnaris, Somatosensibel evozierte Potentiale) stellte der Gutachter die im Fachgebiet Neurologie vorliegenden Gesundheitsstörungen wie folgt fest:

1. chronisches LWS - Syndrom ohne Zeichen eines peripheren neurologischen Defekts, 2. Sulcus-ulnaris-Syndrom links 3. reaktive Depression.

Der Sachverständige verwies darauf, dass hinsichtlich des Fehlens neurologischer Ausfallserscheinungen im Rahmen der nachgewiesenen degenerativen Bandscheibenveränderungen der LWS bei allen Vorgutachtern Einigkeit bestehe, desgleichen bezüglich des sozialmedizinischen Leistungsspektrums, bezüglich der nicht mehr vollen Ausübbarkeit des Berufs des Kfz-Elektrikers sowie bezüglich leichter und kurzfristig auch mittelschwerer Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Erst die neurochirurgische Beurteilung durch Dr. H. weiche erstmalig von der Vollschichtigkeit für leichte, nicht Wirbelsäulen-belastende Tätigkeiten ab, ohne dass dafür aber eine ausdrückliche Begründung gegeben werde; insbesondere werde auch kein konkreter Hinweis für eine Verschlechterung des Krankheitsbildes insgesamt oder für bislang nicht aktenkundige Befunde gegeben. Bei der jetzigen Untersuchung habe sich ein chronisches lumbalgieformes Schmerzsyndrom auf dem Boden einer degenerativen LWS-Erkrankung ohne funktionelles, peripher-neurologisches Defizit gezeigt, im Rahmen der durchgeführten elektrophysiologischen Diagnostik hätten sich im Bereich lumbaler Myotome keine Auffälligkeiten gezeigt, so dass ein Mitbeteiligung der Nervenwurzeln ausgeschlossen werden könne. Im Bereich des linken Ellenbogengelenks hätten die neurografischen Messungen die geklagten Schmerzen bestätigt und ein bereits vordiagnostiziertes Sulcus-ulnaris-Syndrom ergeben. Die reaktiv-depressive Stimmungslage beruhe auf einer durchgemachten Krebserkrankung (Plattenepithel-Karzinom der Eichel). Der Gutachter vertrat die Auffassung, unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkrankungen könnten dem Kläger noch leichte Arbeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen bei gewährleistetem Wechsel der Arbeitssposition vollschichtig (8 Stunden täglich) zugemutet werden. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, Heben und Tragen von Lasten über sieben kg, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und an gefährdenden Maschinen, Akkord- oder Schichtarbeiten sowie Arbeiten unter Einfluss von Kälte, Zugluft, Nässe und Staub. Bezüglich des Sulcus-ulnaris-Syndroms seien Tätigkeiten mit besonderer mechanischer Belastung für den linken Arm (stereotype Bewegungsabläufe bei Fertigungsprozessen, am Fließband etc.) zu vermeiden. Die normale Beweglichkeit und Kraftentfaltung sei jedoch nicht beeinträchtigt. Der Kläger könne sich auch auf andere als die letzten Tätigkeiten umstellen. Allein die derzeitige resignative Stimmungslage im Rahmen der Krebserkrankung wirke sich hemmend auf die Suche nach beruflichen Alternativen aus, könne aber durch psychotherapeutische Behandlung gebessert werden. Einschränkungen bei der Zurücklegung von Wegen beständen nur hinsichtlich längerer Wegstrecken (Dauer über eine Stunde). Es könne sowohl ein öffentliches Verkehrsmittel als auch ein eigenes Kfz benutzt werden.

Der Gutachter empfahl auch aus neurologischer Fachsicht die bereits von den Vorgutachten angesprochene Intensivierung der Therapie in einer Spezialklinik, sinnvollerweise mit psychosomatischer Ausrichtung, da möglicherweise ein Teil der Beschwerden somatoform seien.

Abschließend setzte sich der Gutachter noch einmal mit der von Dr. H. angenommenen zeitlichen Leistungseinschränkung für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeine Arbeitsmarkt auseinander, die er bei unverändert regelrechtem neurologischem Status und normaler elektrophysiologischer Messungen als nicht nachvollziehbar bezeichnete. Möglicherweise sei die starke psychische Belastungssituation durch die im Zeitpunkt der damaligen Untersuchung des Klägers noch akute Krebserkrankung Anlass für die abweichende Beurteilung gewesen. Inzwischen räume der Kläger durchaus wieder schmerzfreie Tage ein, was zusammen mit der Belastungsabhängigkeit der Beschwerden nach allgemeiner gutachtlicher Praxis sowie international gültigen Klassifizierungskriterien (z.B. Gerbershagen) dem Kriterium eines höhergradigen Chronifizierungsgrades des Schmerzsyndroms widerspreche. Nur außergewöhnlich schwere chronifizierte Schmerzsyndrome auf dem Boden nachgewiesener Wurzelläsionen oder schwere therapieresistente zentrale Schmerzen rechtfertigten in der Regel weitergehende Einschränkungen. Diese Kriterien würden beim Kläger, der sich bisher weder beim Schmerzspezialisten oder bei einer Schmerzambulanz vorgestellt habe noch pharmakologische Schmerztherapie anwende, nicht erfüllt. Eine mögliche funktionelle Überlagerung im Rahmen der Krebserkrankung sei im Gesamtkonzept zu berücksichtigen und indiziere eine antidepressive Therapie, mit der die depressiven Störungen gut behandelbar seien. Sie bedingten im Fall des Klägers keine weitergehenden Leistungseinschränkungen.

Der Kläger lehnte durch seinen Bevollmächtigten den Gutachter Dr. M. zunächst wegen Befangenheit ab mit der Begründung, dieser habe zu Unrecht beim Kläger Aggravations- und Simulationstendenzen festgestellt, was aus der Luft gegriffen sei. Er habe auch die Gutachterin Prof. Dr.T. geradezu beschimpft, obwohl deren Gutachten sachlich und überzeugend sei. Dr. M. habe zudem keine Kompetenzen auf psychiatrischem Fachgebiet. Insoweit werde ein Beweisantrag angekündigt.

Der Senat hat den Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 15.02.2007 darauf hingewiesen, dass der Ablehnungsantrag nicht schlüssig sei. Es wurden im Hinblick auf mögliche Verschlechterungen des Gesundheitszustandes weitere Ermittlungen angekündigt.

Diese erfolgten durch Einholung eines Befundberichtes und ärztlicher Unterlagen des behandelnden Arztes Dr. L. (Bericht vom 07.03.2007), in welchem von Lumboischialgie, Bandscheibenvorfall L4/5 und Plattenepithel-Karzinom der Glans penis bei konservativer Behandlung und Krankengymnastik berichtet wurde; der Zustand des Klägers habe sich hinsichtlich des Bandscheibenvorfalls im Laufe der Jahre nicht gebessert. Beigefügt waren ärztliche Unterlagen aus der Zeit von 1999 bis 01.06.2006.

Die Unterlagen wurden dem Kläger mit Schreiben vom 14.03.2007 und dem Hinweis übersandt, dass keine weiteren medizinischen Ermittlungen mehr vorgesehen seien und empfohlen werde, die Rücknahme der Berufung und Beantragung der gutachterlich empfohlenen Reha-Maßnahmen zu prüfen.

Der Kläger legte nunmehr einen Bescheid des Versorgungsamts L. vom 20.07.2006 über einen ab 01.05.2006 bestehenden Grad der Behinderung von 70 wegen "Penis-Leiden in Heilungsbewährung, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veänderungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen" vor.

Er beantragte mit einem am 30.03.2007 eingegangenen Schriftsatz unter Hinweis auf eine zwischenzeitlich gravierend verschlimmerte Krebserkrankung, einer massiven reaktiven Depression und einer somatoformen Schmerzstörung die Einholung weiterer medizinischer Gutachten.

Der Senat hat dem Kläger mit Schreiben vom 05.04.2007 mitgeteilt, dass eine Anhörung des Dr. M. in der mündlichen Verhandlung nicht beabsichtigt sei.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 14.11.2003 sowie des Bescheides der Beklagten vom 17.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2002 zu verpflichten, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung (hilfsweise wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Hilfsweise rechte er weitere medizinische Ermittlungen an.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Beklagtenakten und die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamts Landshut Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich aber nicht als begründet.

Zutreffend hat das Erstgericht einen Rentenanspruch des Klägers verneint. Auch nach der weiteren Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz sind die Voraussetzungen der nach dem Zeitpunkt der Antragstellung im Jahre 2002 allein in Betracht kommenden Renten wegen voller (oder hilfsweise wegen teilweiser) Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung nicht gegeben.

Teilweise erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs.1 SGB VI der Versicherte, der wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden tgl. erwerbstätig zu sein, voll erwerbsgemindert (§ 43 Abs.2 SGB VI) der Versicherte, der nicht mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Erwerbsminderung in diesem Sinne besteht beim Kläger nicht, denn er ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme noch in der Lage, mindestens 6 Stunden täglich leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen (ohne ständiges Gehen und Stehen "bei Gewährleistung des Wechsels der Arbeitsposition", ohne Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über 7 kg, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und an gefährdenden Maschinen, ohne Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft, ohne Überkopfarbeiten und dauerndes Bücken) zu verrichten. Dies steht auf Grund der in beiden Instanzen eingeholten orthopädischen Gutachten sowie des neurologischen Gutachtens des Dr. M. fest. Die Gutachten sind nachvollziehbar und überzeugend.

Nicht zu folgen ist dagegen dem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten des Dr. H. und der Prof. Dr. T. , das ohne nähere Begründung und ohne entsprechende Befunde möglicherweise, wie von Dr. M. vermutet, allein auf Grund der starken psychischen Belastungssituation des bei der Untersuchung noch unter dem Eindruck seiner Krebserkrankung stehenden Klägers eine zeitliche Leistungseinschränkung annimmt.

Das Vorbringen im letzten, nach der Ladung eingegangenen Schriftsatz über eine gravierende Verschlechterung von Seiten der Krebserkrankung ist nach Aktenlage nicht zutreffend und gibt zu weiteren Ermittlungen keinen Anlass. Eine Verschlechterung wird nicht durch Atteste belegt und wird auch im letzten Befundbericht des Dr. L. vom 07.03.2007 nicht erwähnt. Die beantragte Rückfrage bei Dr. M. erschien ebenfalls nicht geboten. Die Beantwortung der formulierten Fragen ergab sich bereits aus dem Gutachten des Dr. M. selbst.

Bei dieser Sachlage hat die Berufung derzeit keine Aussucht auf Erfolg. Sie ist mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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