L 18 U 131/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 80/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 131/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 189/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.02.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines auf den Kläger verübten tätlichen Angriffs als Arbeitsunfall.

Der 1952 geborene Kläger ist als Mitarbeiter im Außendienst bei der S. Maschinenbau GmbH beschäftigt. Er befand sich am 29.06.2004 mit seinem Privat-Pkw auf der Rückfahrt von einer Messe in T./Polen, an der er im Auftrag seines Arbeitgebers teilgenommen hatte. Nach Durchfahren der Ortschaft C./Polen legte der Klägerin einen Zwischenhalt ein und stellte den Pkw in einer an der Fahrbahn gelegenen Parkbucht ab. Beim Einkauf von Pfifferlingen an einem in der Nähe gelegenen Marktstand wurde der Kläger von Unbekannten überfallen und beraubt, hierbei erlitt er insbesondere Verletzungen im Kopfbereich (Fraktur des Unterkiefers und des Jochbeins).

Bei der polizeilichen Vernehmung am 08.07.2004 gab der Kläger an, dass er beim Durchfahren einer Stadt am Ende der Stadt mehrere Marktstände gesehen habe, an denen u.a. Pfifferlinge verkauft worden seien. Er habe nach dem dritten Stand angehalten und sei ein Stück zurückgefahren. Dort habe er seinen Pkw in einer Parkbucht geparkt. Er sei zu dem Marktstand gegangen und habe dort von der Verkäuferin fünf Schälchen Pfifferlinge in einen Henkelkorb füllen lassen. Während dieser Handlung sei er überfallen worden.

Der Kläger wandte sich an die Beklagte, nachdem diese den behandelnden Ärzten mitgeteilt hatte, dass mangels Vorliegens eines Arbeitsunfalls die Behandlung nicht zu ihren Lasten durchzuführen sei. Er führte aus, dass er sich zum Unfallzeitpunkt auf dem direkten Weg zu seinem Wohnort befunden habe. Der Umstand, dass er angehalten habe, um auszutreten und um bei dieser Gelegenheit am Parkplatz Pfifferlinge einzukaufen, stelle nur eine kurze Unterbrechung dar, die den Versicherungsschutz nicht entfallen lasse (Schreiben vom 02.10.2004).

Mit Bescheid vom 01.12.2004 lehnte die Beklagte die Entschädigung des Ereignisses ab. Ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Überfall habe nicht bestanden, da der Kläger den Weg aufgrund einer privaten Besorgung mehr als nur geringfügig unterbrochen habe.

Zur Begründung des Widerspruchs führte der Kläger aus, dass es sich um eine nur geringfügige Unterbrechung ohne zeitliche Verzögerung gehandelt habe. Der Einkauf hätte höchstens ein bis zwei Minuten gedauert. Außerdem seien bei der Länge der Reisestrecke kurze Erholungspausen notwendig gewesen.

Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 16.02.2005). Der Kläger sei spätestens in dem Moment, als er den Weg mit dem Wunsch, die Pfifferlinge einzukaufen, unterbrochen habe, einer eigenwirtschaftlichen Verrichtung nachgegangen. Selbst wenn er angehalten hätte, um auszutreten und bei dieser Gelegenheit Pfifferlinge einzukaufen, hätte zum Zeitpunkt des Überfalls kein Versicherungsschutz bestanden, da das Zurücklegen des Fußweges zwischen dem geparkten Pkw und dem Marktstand allein der eigenwirtschaftlichen Verrichtung des Einkaufens gedient hätte. Eine nur geringfügige Unterbrechung des versicherten Weges habe angesichts der Gesamtsituation nicht vorgelegen. Versicherungsschutz habe im Übrigen nicht bestanden, weil der Überfall weder aus der unmittelbaren Betriebszugehörigkeit des Klägers hervorgegangen sei, noch besondere Umstände der versicherten Tätigkeit bzw. des Weges den Überfall entscheidend begünstigt hätten.

Der Kläger hat Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben. Auf der längeren Heimreise sei er gezwungen gewesen, eine Pause einzulegen, um auszutreten. Die Besorgung der Pilze sei nicht als eigenwirtschaftliche Verrichtung anzusehen, da er diese gekauft habe, um sie einem Geschäftspartner mitzubringen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.02.2006 führte der Kläger noch aus, dass er am Ende der Parkbucht ein Stück zurückgefahren sei, um in die Bucht zu gelangen. Das "Zurückfahren" sei als Einparken in der Parkbucht zu verstehen. Zum einen sei er wegen der Pfifferlinge zurückgefahren, zum anderen um seine Notdurft zu verrichten. Von der Parkbucht aus sei der Stand etwa 10 bis 15 Meter von ihm entfernt gewesen. Er sei dann auf den Stand zugegangen und habe dort fünf Körbe Pfifferlinge gekauft. Als die Verkäuferin die fünf kleinen Körbe in ein großes Behältnis umgefüllt habe, sei er überfallen worden.

Mit Urteil vom 14.02.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten sei nicht zu beanstanden. Der Kläger habe sich bei dem privaten Einkauf der Pilze auf einem unversicherten Weg von und zu dem Verkaufsstand befunden.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Das Ereignis unterliege dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, da er zum Zeitpunkt des Überfalls nicht privatwirtschaftlich, sondern ausschließlich im fremdwirtschaftlichen Interesse, nämlich dem seines Arbeitgebers, gehandelt habe. Dies ergebe sich daraus, dass er die fünf Körbe Pfifferlinge für Geschäftspartner in Deutschland gekauft habe. Selbst bei Annahme einer privaten Besorgung der Pilze sei von einer räumlich und zeitlich nur geringfügigen Unterbrechung des versicherten Weges auzugehen. Er habe den Einkauf an dem sich unmittelbar am Straßenrand befindlichen Marktstand "im Vorbeigehen" erledigt. Vergleichbar habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass der Kauf einer Zeitung an einem Kiosk während eines versicherten Weges den Versicherungsschutz nicht entfallen lasse.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.02.2006 und den Bescheid vom 01.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 29.06.2004 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.02.2006 zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils. Für einen Unfall bei einer versicherten Tätigkeit sei der Vollbeweis nicht erbracht. Im Laufe des Verfahrens habe der Kläger abweichend von den Erstangaben die Angaben zum tatsächlichen Geschehen und zum Zweck des Einkaufs einer juristischen Bewertung angepasst.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden, da der Bescheid der Beklagten vom 01.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2005 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Bei dem Ereignis vom 29.06.2004 handelte es sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Beklagte hat es daher zutreffend abgelehnt, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Gemäß § 8 Abs 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit ("Wegeunfall"). Erforderlich ist allerdings ein innerer Zusammenhang zwischen dem konkreten unfallbringenden Verhalten und dem generell versicherten Tätigkeitsbereich des Versicherten. Auch bei Dienst- oder Geschäftsreisen ist zu unterscheiden zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem inneren Zusammenhang stehen und solchen Verrichtungen, bei denen der Betroffene sich außerhalb einer solchen inneren Beziehung zum Unternehmen befindet (BSG SozR Nr 17 zu § 542 RVO; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 17). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Maßgeblich kommt es auf die Handlungstendenz des Versicherten an, wie sie durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 550 Nrn 4 und 16).

Dies zugrunde gelegt fehlt es vorliegend am inneren Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Zeitpunkt des tätlichen Angriffs ausgeübten Verrichtung des Klägers. Zwar stand der Kläger auf dem Heimweg von der Messe grundsätzlich nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII unter Versicherungsschutz, wobei der Versicherungsschutz - das Vorbringen des Klägers als wahr unterstellt - auch auf dem Fußweg nach dem Verlassen des Fahrzeuges zur Verrichtung der Notdurft bestand (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 548 Nr 97 mwN). Allerdings ereignete sich der Überfall während einer eigenwirtschaftlich bedingten Unterbrechung dieses Weges, so dass zum Zeitpunkt des Überfalls kein Versicherungsschutz bestand.

Mit dem Einkauf der Pilze ist der Kläger einer eigenwirtschaftlichen und daher unversicherten Betätigung nachgegangen. Eine betriebsbezogene Handlung ergibt sich nicht aus den erst im Klageverfahren vorgebrachten Ausführungen des Klägers, er habe die Pfifferlinge für Geschäftskunden besorgen wollen. Unabhängig davon, dass der volle Beweis für das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit zu fordern ist (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr 84), kann in dem Einkauf der Pilze nicht schon deshalb eine betriebliche Tätigkeit gesehen werden, weil er nach Angaben des Klägers etwa der Anbahnung oder Pflege von Geschäftsbeziehungen gedient habe. Eine derartige Handlungstendenz ist dem tatsächlichen Geschehen nicht zu entnehmen, da der Einkauf von Pilzen - auch in der vom Kläger angegebenen Menge von fünf Schälchen bzw. von fünf kleinen Körbchen - nicht erkennbar dem betrieblichen Interesse dient. Darüber hinau steht nicht jede Gefälligkeitshandlung unter Versicherungsschutz, die ein Unternehmer oder ein abhängig Beschäftigter gegenüber einem Kunden erbringt. Zur Abgrenzung von betrieblichen Handlungen zu privaten Handlungen ist es vielmehr erforderlich, dass die Gefälligkeitsleistung in unmittelbarer Verbindung zu einem bestimmten Geschäftsabschluss steht. So reicht es nach der Rechtsprechung des BSG in der Regel nicht aus, um einen Unternehmer als versichert zu behandeln, wenn eine Tätigkeit lediglich als Werbung, Kundendienst oder zur Pflege des Ansehens des Unternehmens vorgenommen wird, wie auch reine Freundschafts- und Gefälligkeitshandlungen nicht zur Versicherung des Unternehmers führen, selbst wenn sie in einer dem Betrieb dienenden Tätigkeit bestehen (BSG SozR 2200 § 548 Nrn 57, 47; BSGE 1, 258, 261). Dies muss auch hinsichtlich der Gefälligkeitshandlungen eines abhängig Beschäftigten gelten, der die Gefälligkeit im vermeintlichen Interesse seines Arbeitgebers erbringt. Dies zugrunde gelegt mangelt es an einem konkreten Bezug zwischen der Besorgung der Pilze und einem kurz vorher getätigten oder bevorstehenden Geschäftsabschluss, so dass der Einkauf der Pilze dem persönlichen und nicht mehr dem betrieblichen Lebensbereich zuzuordnen ist.

Die Unterbrechung des versicherten Weges kann auch nicht als nur geringfügig angesehen werden. Von einer geringfügigen Unterbrechung kann nur dann gesprochen werden, wenn der in Rede stehende Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des versicherten Weges in seiner Geamtheit anzusehen ist oder, anders ausgedrückt, wenn die private Betätigung hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer und der Art ihrer Erledigung keine erhebliche Zäsur in der Fortbewegung in Richtung nach oder von dem Ort der Tätigkeit darstellt, wobei als Beurteilungsmaßstab die allgemeine Verkehrsauffassung zugrunde zu legen ist (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 3 mwN). Dies setzt voraus, dass die private Handlung ohne wesentliche Entfernung von der Stelle des versicherten Weges eingeschoben oder nebenbei verrichtet, also gleichsam "im Vorbeigehen" erledigt wird. So ist der Versicherte beim Betrachten eines Schaufensters oder beim Einwurf eines Briefes in einen Briefkasten während eines zu Fuß zurückgelegten Weges noch auf seinem Weg und hält nur in der Fortbewegung aus privatem Grund für eine kurze Zeit inne, ohne den Weg zu verlassen (vgl. BSG SozR Nr 28 zu § 533 RVO aF: Zigarettenziehen aus einem Automaten auf einem versicherten Weg; BSG USK 7405: Hilfe beim Hineinheben eines Kinderwagens in den Autobus; BSG SozR 2200 § 539 Nr 21: Hilfeleistung beim Öffnen einer Straßenbahntür). Dies zugrunde gelegt kann der Einkauf des Klägers an dem Marktstand nicht mehr als lediglich geringfügige Unterbrechung angesehen werden. Nach dem Austreten hat der Kläger den Marktstand nicht nur nebenher und im Vorbeigehen aufgesucht. Er hat vielmehr den Rückweg zu seinem Pkw nicht fortgesetzt und ist 10 bis 15 Meter in eine andere Richtung gegangen, um an anderer Stelle den privaten Einkauf zu tätigen. In diesem Richtungswechsel liegt eine deutliche Zäsur zwischen der Absicht, auf dem versicherten Weg zu verbleiben und derjenigen, eigenwirtschaftlichen Interessen nachzugehen. Selbst wenn der Einkauf nur wenige Minuten gedauert haben sollte, kann der Einkauf aufgrund des nicht nur unerheblichen Verlassens des versicherten Weges nicht mehr als geringfügige Unterbrechung aufgefasst werden. Etwas anderes ergibt sich nicht aus der vom Kläger angeführten Rechtsprechung. Das BSG hat ausgeführt, dass das mit Kaufabsichten verbundene Aufsuchen eines am Straßenrand gelegenen Kiosks grundsätzlich keine nur geringfügige eigenwirtschaftliche Tätigkeit darstellt (BSG HVBG-INFO 1999, 2624 = USK 99132; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 14: der Kauf von Brötchen und der Zeitung mit dem dreiminütigen Aufsuchen des Kiosks auf der gegenüberliegenden Straßenseite stellt grundsätzlich keine nur geringfügige eigenwirtschaftliche Tätigkeit dar). Das BSG ist in dem zuletzt zitierten Urteil davon ausgegangen, dass erst mit dem Verlassen des Kiosks und dem Wiederbetreten des öffentlichen Verkehrsraums vor dem Kiosk der kurzzeitig unterbrochene Versicherungsschutz wieder aufgelebt sei.

Letztlich bestand auch kein Unfallversicherungsschutz unter dem Gesichtspunkt der Ermöglichung bzw. Begünstigung der Tat durch die besonderen Verhältnisse bei der Zurücklegung des Weges. Der Unfallversicherungsschutz kann gegeben sein, wenn besondere Verhältnisse bei der versicherten Tätigkeit oder des Weges (z.B. Dunkelheit, einsam gelegener Tatort) die Verübung der Gewalttat erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt haben (vgl. BSG SozR 3-2200 § 548 Nrn 28, 41; BSG SozR Nr 37 zu § 543 RVO). Derartige besondere Umstände sind nicht ersichtlich und wurden vom Kläger auch nicht vorgetragen.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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