L 16 R 426/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RA 7175/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 426/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. April 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 01. September 1960 bis 15. Juli 1980 sowie vom 15. September 1981 bis 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der Technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.

Der 1936 geborenen Klägerin wurde mit Urkunde der K-M-U L vom 11. Juli 1958 ein Diplom nach Abschluss des Studiums als "Dolmetscher und Übersetzer für die Sprachen Russisch und Englisch" erteilt. Sie war vom 01. September 1960 bis 30. April 1976 bei dem Institut "Prüffeld für elektrische Hochleistungstechnik" als Diplom-Dolmetscher (bis 1963), Mitarbeiterin für Organisation und Kontrolle (1964 bis 1975) sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin (1976) und vom 01. Mai 1976 bis 15. Juli 1980 bei dem Institut für Rationalisierung der Elektrotech-nik/Elektronik als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt. Vom 16. Juli 1980 bis 31. Dezember 1980 war sie als Dolmetscher/Übersetzer selbständig tätig. Anschließend war sie vom 15. September 1981 bis 31. Dezember 1989 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem Institut für Rationalisierung der Elektrotechnik/Elektronik und aufgrund eines Überleitungsvertrages vom 09. Januar/01. Februar 1990 ab 01. Februar 1990 bei dem Kombinat VEB E-A-W B-T (VEB ) als Ingenieur für Standardisierung (Arbeitsaufgabe: internationale Standardisierung IEC/ISO/RGW, Dolmetscher und Übersetzer) beschäftigt. Dieser Betrieb wurde mit Umwand-lungserklärung vom 11. Juni 1990 gemäß der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften (Umwandlungsverordnung - UmwVO) vom 01. März 1990 (GBl. I S. 107) in die E-A-W B GmbH ( B GmbH) umgewan-delt. Die Eintragung der GmbH in das Handelsregister erfolgte am 27. Juni 1990 (Registeraus-zug Amtsgericht C HRB ). Die Klägerin war über den 30. Juni 1990 hinaus bis zum 31. Juli 1991 bei der B GmbH und anschließend bis zum 31. Dezember 1991 bei der K GmbH be-schäftigt. Sie war ausweislich des Sozialversicherungsausweises ab 1. August 1969 freiwillig zusätzlich altersversorgt und trat am 01. März 1971 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) bei. Eine Versorgungszusage hatte sie nicht erhalten. Seit 01. November 1996 bezieht die Klägerin eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Den im April 2000 gestellten Antrag der Klägerin auf Feststellung ihrer Beschäftigungszeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2002 mit der Begründung ab, dass eine Versorgungsanwartschaft iS von § 1 Abs. 1 AAÜG nicht entstanden sei.

Die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung ihrer Zeiten der Berufstätigkeit vom 01. September 1960 bis 15. Juli 1980 sowie vom 15. September 1981 bis 30. Juni 1990 als An-gehörige der technischen bzw. wissenschaftlichen Intelligenz gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Gerichtsbescheid vom 29. April 2005 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung der Zugehörigkeit zur AVTI und der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte nach der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage der §§ 5, 8 Abs. 2 und 3 AAÜG. Von den drei Al-ternativen der verfassungsrechtlich gebotenen erweiternden Auslegung des AAÜG sei nur die letzte (fiktiver Einbeziehungsanspruch) näher zu prüfen. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz lägen nicht vor. Der Klägerin sei ein Diplom als Übersetzerin und Dolmetscherin erteilt worden. Damit verfüge sie nicht über die persönliche Voraussetzung. Es sei insoweit auf die Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung des Ingenieurs nach der Verordnung vom 12. April 1962 (GBl. DDR II S. 278) abzustellen. Der Klägerin fehle die Befugnis, die Berufsbezeichnung eines Ingenieurs oder Technikers zu führen. Sie sei auch offenkundig nicht als Konstrukteur tätig gewesen. Die Bezeichnung der konkreten Tätigkeit im VEB als "Ingenieur für Standardisierung" ändere hieran nichts. Es handele sich nur um eine betriebsinterne Funktionsbezeichnung. Auf das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung und die Ausübung einer ingenieurtechnischen Tätigkeit (sachliche Voraussetzung) komme es daher nicht an. Auch lägen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der Intelligenz an wissen-schaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR nicht vor. Die von der Klägerin vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken und die gerügte Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) könne das Gericht nicht erkennen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin - jedenfalls - nur noch ihr Begehren auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVTI weiter. Wegen der Begründung wird auf die Schriftsätze vom 07. September 2005 und 14. Mai 2007 verwiesen.

Die Klägerin beantragt (vgl. Schriftsatz vom 07. September 2005), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. April 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Mai 2002 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 01. November 2002 zu verurteilen, die Beschäftigungszeit vom 01. September 1960 bis 15. Juli 1980 sowie vom 15. September 1981 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zu dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (Nummer 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz) sowie die tatsächlichen Arbeitsentgelte in diesem Zeitraum festzustellen.

Die Klägerin stellt hilfsweise eine Reihe von Einzel- und Beweisanträgen; insoweit wird auf den Schriftsatz vom 07. September 2005 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen und die Entscheidungsgründe im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Registerauszug des Amtsgericht C HRB in das Verfahren eingeführt.

Die Akte der Beklagte sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen mit den Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 Sozial-gerichtsgesetz - SGG) durchsetzbaren Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 iVm Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG für den Zeit-räumen vom 01. September 1960 bis 15. Juli 1980 sowie vom 15. September 1981 bis 30. Juni 1990.

Die Klägerin erfüllt die beiden ausdrücklich in § 1 Abs. 1 AAÜG genannte Tatbestände nicht. Sie war bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 1. August 1991 weder Inhaberin einer Versor-gungsberechtigung (Satz 1 aaO), noch war sie in der DDR vor dem 1. Juli 1990 (= Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme) in ein Versorgungssystem einbezogen und vor diesem Zeitpunkt rechtmäßig ausgeschieden (Satz 2 aaO). Sie war auch nicht aufgrund einer Verwaltungsentscheidung oder aber einer Rehabilitierungsentscheidung in das System einbe-zogen worden. Ihr war keine Versorgungszusage durch Aushändigung eines "Dokumentes über die zusätzliche Altersversorgung" erteilt worden.

Die Klägerin war am 1. August 1991 auch nicht Inhaberin einer fingierten Versorgungsanwart-schaft (vgl. st. Rspr. des BSG, Urteile vom 7. September 2006, B 4 RA 41/05 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 11, und vom 16. März 2006, B 4 RA 29/05 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 9). Der fiktive bundesrechtliche Anspruch hängt im Bereich der AVTI gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVTI) vom 17. August 1950 (GBl S 844) und § 1 Abs. 1 der 2. DB von drei Voraussetzungen ab, die kumulativ am 30. Juni 1990 erfüllt gewesen sein müssen (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2006, B 4 RA 41/05 R, aaO, mwN): 1. von der Berechti-gung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), 2. der Aus-übung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung) und 3. der Ausübung dieser Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Die Klägerin erfüllt schon die - erste - persönliche Voraussetzung nicht. In Betracht kommt allein eine Berechtigung der Klägerin, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. So war die Klägerin nach dem Überleitungsvertrag vom 09. Januar/01. Februar 1990 ab 01. Februar 1990 bei dem Kombinat VEB als Ingenieur für Standardisierung (Arbeitsaufgabe: internationa-le Standardisierung IEC/ISO/RGW, Dolmetscher und Übersetzer) beschäftigt. Dies wird durch die von der Klägerin vorgelegten drei schriftlichen Erklärungen vom 23. Juni 2002 der Dres. S, S und R bestätigt. Danach war sie im Bereich der Ausarbeitung von Standards für die Harmo-nisierung von Normung und Typung tätig. Ihre Arbeit entsprach einer Ingenieurtätigkeit. Nach der bereits vom SG zitierten Verordnung vom 12. April 1962 (GBl. DDR II S. 278) ist aber zusätzlich erforderlich, dass die Berechtigung besteht, den Titel eine "Ingenieurs" zu führen. Es kommt darauf an, ob bis 30. Juni 1990 durch staatlichen Zuerkennungsakt der Titel eines "Ingenieurs" tatsächlich verliehen worden war (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05. Oktober 2006, L 16 R 439/06, mwN, veröffentlicht in juris). Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht. Ihr wurde vielmehr nach Abschluss des Studiums mit Urkunde der K-M-U L vom 11. Juli 1958 ein Diplom als "Dolmetscher und Übersetzer für die Sprachen Russisch und Englisch" erteilt.

Auch ist die - dritte - betriebliche Voraussetzung nicht gegeben. Ob die betriebliche Voraussetzung erfüllt ist, bestimmt sich danach, wer am maßgeblichen Stichtag Arbeitgeber im rechtli-chen Sinne war. Abzustellen ist hierbei auf die tatsächlichen Gegebenheiten am 30. Juni 1990 (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2006, B 4 RA 41/05 R, aaO). Danach war Arbeitgeberin der Klägerin im rechtlichen Sinn die E B GmbH (zur Rechtsnatur der B GmbH am 30. Juni 1990 vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. November 2006 - L 4 R 1951/05 -, veröffentlicht in www.sozial¬gerichts¬barkeit.de). Die Eintragung dieser Gesellschaft in das Register erfolgte bereits - vor dem Stichtag - am 27. Juni 1990 (HRB des Amtsgerichts C); damit wurde nach § 7 UmwVO die Umwandlung der GmbH wirksam. Zu diesem Zeitpunkt erlosch der Vorgängerbetrieb der GmbH, der VEB. Für das Wirksamwerden der Umwandlung kommt es nach § 7 UmwVO allein auf die Eintragung der GmbH in das Register an. Ob der VEB ein Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens war, ist nicht zu entscheiden. Denn ein in der Rechtsform der GmbH geführtes Unternehmen unterliegt gemäß der ständigen Rechtsprechung des BSG, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, nicht dem Anwen-dungsbereich des zu Bundesrecht gewordenen § 1 Abs. 1 der 2. DB und damit nicht der AVTI (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2006, B 4 RA 41/05 R, aaO).

Die B GmbH war auch nicht nach ihrem Unternehmens- und Betriebszweck ein gleichgestell-ter Betrieb. Eine der in § 1 Abs. 2 2. DB genannten Betriebsarten kommt insoweit nicht in Be-tracht. Nach den Eintragungen im Handelsregister (HRB des Amtsgerichts C) war Gegenstand des Unternehmens der B GmbH die Entwicklung, Herstellung, der Vertrieb sowie Ex- und Import von Erzeugnissen der Automatisierungstechnik sowie von Erzeugnissen und Leistungen zu deren Herstellung.

Den Beweisanträgen der Klägerin war nicht zu folgen. Auf die im Beweisantrag vom 7. Sep-tember 2005 benannten Tatsachen (u.a. Inhalt der Beschäftigungsverhältnisse der Klägerin, Wert der erworbenen Altersicherungsansprüche, Zahlbeträge) kommt es jedenfalls im Ergebnis nicht an.

Dem Antrag auf Beiladung des Rentenversicherungsträgers war ebenfalls nicht zu entsprechen. Die Voraussetzungen einer notwendigen oder einfachen Beiladung des Rentenversicherungs-trägers nach § 75 Absätze 1 und 2 SGG sind nicht erfüllt. Denn es fällt nicht in die Zuständig-keit des Versorgungsträgers, dem Rentenversicherungsträgers die für die Entscheidung über die Rentenfestsetzung maßgeblichen Beitragsbemessungsgrenzen oder die Höhe des als versi-chert geltenden Arbeitsverdienstes vorzuschreiben. Diese Entscheidung trifft der Rentenversi-cherungsträgers in alleiniger Kompetenz (BSG, Urteil vom 20. Dezember 2001, B 4 RA 6/01 R = SozR 3-8570 § 8 Nr. 7).

Gründe für eine Aussetzung des Verfahrens (§ 114 SGG), ein Ruhen des Verfahrens (§ 202 SGG iVm § 251 Satz 1 Zivilprozessordnung) oder für eine Vorlage an das Bundesverfassungs-gericht (Artikel 100 Grundgesetz) bestehen nicht. Weder die bundesrechtlichen Normen noch die Rechtsprechung des BSG verstoßen gegen höherrangiges Recht. Eine Verletzung von Men-schenrechten ist nicht ersichtlich. Das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt in dem Nichtan-nahmebeschluss vom 26. Oktober 2005, 1 BvR 1921/04, 1 BvR 203/05, 1 BvR 445/05, 1 BvR 1144/05 = SozR 4-8560 § 22 Nr. 1) die verfassungsrechtliche Wertung des BSG bestätigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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