L 11 R 1971/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 4264/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1971/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. März 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist eine Rente wegen voller Erwerbsminderung streitig.

Der 1955 geborene Kläger, der den Beruf eines Schlossers erlernt und in diesem versicherungspflichtig bis zum 29. Oktober 1993 beschäftigt war, ist seitdem arbeitsunfähig erkrankt bzw. arbeitslos und bezieht aufgrund seines Antrages vom 13. Februar 2003 von der Beklagten eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit seit 1. September 2003 (Ausführungsbescheid vom 20. Dezember 2005).

Am 10. November 2005 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei er angab, aufgrund chronischen Bandscheibenvorfalls sowie chronischer Wirbelsäulenbeschwerden, die sich stetig verschlechtert hätten, seit Jahren erwerbsgemindert zu sein.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine internistische Begutachtung des Klägers nach ambulanter Untersuchung. Dr. B. diagnostizierte: 1. belastungsabhängige Rückenschmerzen bei altem lumbalen Bandscheibenvorfall, 2. eine Kniegelenksarthrose beidseits mit nur minimaler Funktionsbeeinträchtigung, 3. eine sensible Polyneuropathie beider Füße sowie 4. eine Agoraphobie ohne Auswirkung auf die Teilhabe. Die Berufsunfähigkeit gründe sich maßgeblich auf die Verschleißbeschwerden im Bereich der Wirbelsäule und der Kniegelenke. Damals habe zusätzlich noch ein chronischer Alkoholabusus mit alkoholischer Leberschädigung bestanden, welcher seit Mai 2003 glaubhaft beendet worden wäre. Als bleibendes neurologisches Residuum seines früheren Alkoholabusus bestehe aber dauerhaft eine sensible Polyneuropathie der Füße mit störenden Missempfindungen, Schmerzen und Taubheitsgefühl. In seiner Stand- und Gehfähigkeit sei der Kläger dadurch allerdings nicht eingeschränkt, die alkoholische Nervenschädigung wirke sich nicht ungünstig auf das Erwerbsleben aus. Im Vergleich zur letzten Begutachtung sei weder eine signifikante Verschlechterung der Gesundheitsstörungen und der Leistungsfähigkeit zu verzeichnen noch eine Besserung. Der Kläger könne seiner Auffassung nach noch mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung unter Vermeidung von häufigem Bücken, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit sowie Zwangshaltungen sechs Stunden und mehr verrichten.

Gestützt hierauf wies die Beklagte mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 den Rentenantrag ab.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch legte der Kläger ein Attest von Dr. T. vor, in welchem dieser eine Abnützung im Bereich des Gelenk-Stütz-Apparates und eine Polyneuropathie bescheinigte. Es sei eine Verschlechterung des objektiven Befundes eingetreten, sodass der Kläger seiner Auffassung nach nicht mehr in der Lage sei, eine Arbeit von wirtschaftlichem Wert zu verrichten.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere orthopädische Untersuchung des Klägers. Dr. M. zu Verl stellte belastungsabhängige Rückenschmerzen bei altem lumbalen Bandscheibenvorfall L4/5, eine Kniegelenksarthrose beidseits mit mittlerer Funktions- und Belastungseinschränkung, eine sensible Polyneuropathie beider Füße sowie eine Agoraphobie mit mittelschwerer Auswirkung auf die Teilhabe fest. Der Kläger habe sich in gutem Allgemein- und leicht reduziertem Ernährungszustand befunden und über bewegungs- und belastungsabhängige Rücken- sowie Kniegelenksbeschwerden berichtet. Bei der klinischen Untersuchung hätten sich keine gravierenden Funktionseinschränkungen finden können. Die Sensibilitätsstörungen an beiden Füßen beeinträchtigten den Kläger hauptsächlich im Liegen mit einem stechenden brennenden Schmerz in den Fußsohlen, sodass er oftmals nur schwer einschlafen könne. Des weiteren habe er über panikartige Attacken bei größeren Menschenansammlungen berichtet. Beide Befunde seien bisher neurologischerseits nicht bestätigt worden. Allein die auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden Gesundheitseinschränkungen am Rücken und an den Kniegelenken führten zu einer Leistungseinschränkung des Versicherten, der seiner Auffassung nach noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise auch im Stehen oder Gehen unter Vermeidung von schwerem Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg, Wirbelsäulenzwangshaltungen wie Arbeiten in gebückter Körperhaltung, ohne häufiges Gehen und Besteigen von Leitern und Gerüsten sechs Stunden und mehr verrichten könne. Nachdem der Gutachter auch nach Vorlage eines Attests von Dr. J. (leichte Fußheberparese bei Nachweis einer Polyneuropathie) bei seiner Leistungseinschätzung verblieb, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2006 als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger könne zwar in seinem erlernten Beruf als Schlosser weniger als drei Stunden täglich erwerbstätig sein, erfülle auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente, könne aber noch mit den festgestellten Erkrankungen oder Behinderungen leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten und sei damit nicht erwerbsgemindert.

Mit seiner dagegen beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, sein behandelnder Arzt Dr. H. habe ihm geraten, Klage zu erheben, da er nicht mehr in der Lage sei zu arbeiten.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG die den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H. berichtete, dass er den Kläger seit Juni 2006 behandle. Er befinde sich in einem depressiven und reduzierten Allgemeinzustand und leide seit Jahren an ständigen Nacken- und Rückenschmerzen mit subjektiver Schmerzstauung in beiden Armen und Beinen. Durch intensivierte Schmerztherapie, Antirheumatika und Antiphlogistika habe keine wesentliche Besserung erzielt werden können. Des Weiteren leide er seit Jahrzehnten an starken phobischen Störungen, wegen dieser Problematik befände er sich in fachärztlicher Behandlung.

Der Neurologe und Psychiater Dr. J., der den Kläger einmalig am 11. August 2006 untersucht hatte, beschrieb eine leichte Fußheberparese sowie Sensibilitätsstörungen und Dysaesthesien an beiden Füßen bei elektroneurographischem Nachweis einer Polyneuropathie der Beine. Bekannt sei auch eine Lumboischialgie rechts bei einem im September 2005 festgestellten computertomographischen Nachweis eines rechts mediolateralen NPP’s L4/5. Der Kläger könne seiner Auffassung nach ohne Gefährdung seiner Gesundheit eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ca. sechs Stunden täglich verrichten. Dabei müsse er überwiegend bzw. ständig sitzende, stehende oder gehende Arbeitshaltung, gleichförmige Körperhaltung mit abrupten Dreh- und Streckbewegungen der Wirbelsäule, häufiges Bücken und Treppensteigen sowie Heben und Tragen von Lasten über 7 kg vermeiden. Hinsichtlich der Wegstrecke bestünden keine Einschränkungen.

Der Orthopäde Dr. D., der den Kläger notfallmäßig einmalig wegen eines Fahrradsturzes im Juni 2006 behandelt hatte, beschrieb Hämatome und Unterarmprellungen bei im Röntgen regelrechter Gelenkdarstellung des Handgelenkes und des Ellenbogens ohne Hinweis auf arthrotische Veränderungen oder knöcherne Verletzungen. Diese führten normalerweise zu keiner Leistungseinschränkung.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. März 2007, dem Kläger zugestellt am 13. März 2007, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, der Kläger könne noch leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten und sei deswegen nicht voll erwerbsgemindert. Das Gericht stütze sich auf die Sachverständigengutachten von Dr. B. und Dr. M. zu Verl, deren Richtigkeit durch das vorgelegte Attest von Dr. T. nicht widerlegt werden könnten. Eine Abnützung im Bereich des Gelenk-Stütz-Apparates und eine Polyneuropathie vermöge zwar eine quantitative Leistungsminderung im erlernten Beruf des Schlossers zu begründen, nicht jedoch eine Erwerbsminderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Dies hätte auch die Beweisaufnahme im gerichtlichen Verfahren bestätigt. Die von Dr. H. beschriebenen Beschwerden von Seiten des Gelenkapparates seien bereits in dem Gutachten von Dr. M. zu Verl berücksichtigt worden. Auch die phobischen Störungen bestünden bereits seit Jahrzehnten, hätten aber einer Berufstätigkeit des Klägers nicht im Wege gestanden. Dies ergebe sich auch aus dem mit vorgelegten Bericht von Dr. F., der als behandelnder Arzt für Neurologie keine Leistungseinschränkung in quantitativer Hinsicht gesehen habe. In seinem Befundbericht sei ausdrücklich ausgeführt "Bezüglich der sozialen Phobie und Agoraphobie scheint der Patient vormals schon psychotherapeutisch behandelt worden zu sein, entsprechende Befundbestätigung habe ich veranlasst. Dennoch sehe ich diesbezüglich isoliert keine AU-Indikation, lediglich eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit auf Bereich mit reduziertem psychomentalen Stressniveau und Vermeiden von sozial-phobischen bzw. agoraphobischen Situationen". Auch die ergänzend als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte Dr. J. und Dr. D. hätten diese Leistungseinschätzung bestätigt.

Mit seiner dagegen am 11. April 2007 beim SG eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, sein ihn über 21 Jahre behandelnder Hausarzt Dr. T. sei im Verfahren nicht gehört worden. Dieser sei der Ansicht, er könne nicht mehr arbeiten und dies entspreche auch den Tatsachen.

Der Kläger beantragt - sinngemäß -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. März 2007 sowie den Bescheid vom 20. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, dass ihn Dr. T. nach seinen eigenen Angaben zufolge nur bis Juni 2006 behandelt habe und Dr. H. nunmehr sein Hausarzt sei.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da die Berufung laufende Leistungen für mehr als ein Jahr umfasst.

Die damit insgesamt zulässige Berufung ist indessen nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der Senat folgt den von der Beklagten eingeholten Gutachten, die im Wege des Urkundsbeweises verwertbar sind, sowie den sachverständigen Zeugenaussagen mit der Argumentation des SG und der Beklagten, wonach der Kläger noch leichte Tätigkeiten unter qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten kann und deswegen nicht voll erwerbsgemindert ist.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung in der hier anzuwendenden ab 01.01.2001 gültigen Fassung sind im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend zitiert. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Zwar hat er die allgemeine Wartezeit und die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfüllt, wie sich aus dem vorgelegten Versicherungsverlauf vom 20. Dezember 2005 ergibt. Indessen fehlt es an einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im erforderlichen Umfang.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Kläger noch in der Lage, leichte körperliche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Vermeidung von schwerem Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 10 kg, Wirbelsäulenzwangshaltungen und ohne Arbeiten in gebückter Körperhaltung sowie ohne häufiges Gehen und Besteigen von Leitern und Gerüsten in einem Umfang von sechs Stunden täglich auszuüben. Das folgt aus den von der Beklagten eingeholten Gutachten von Dr. B. und Dr. M. zu Verl wie auch den sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. J. und Dr. D ...

Im Vordergrund der Leistungseinschränkungen steht danach der orthopädische Befund belastungsabhängiger Rückenschmerzen bei altem lumbalen Bandscheibenvorfall L4/5 sowie die beidseitige Kniegelenksarthrose mit mittlerer Funktions- und Belastungseinschränkung, die insbesondere der Ausübung des vom Kläger erlernten Berufes als Schlosser entgegensteht und die oben ausgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen begründet, die der Erkrankung aber auch in vollem Umfang Rechnung tragen. Dies hat das SG ausführlich begründet dargelegt.

Die darüber hinaus vorliegende Polyneuropathie, die insbesondere zu Einschlafstörungen des Klägers führt, muss zwar nach den Ausführungen des behandelnden Neurologen Dr. J. als gesicherte Diagnose betrachtet werden, steht aber nach dessen Einschätzung ebenfalls einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nicht im Wege.

Gleiches gilt für die bestehenden phobischen Störungen, die nach Einschätzung der behandelnden Ärzte, so insbesondere der Arztbericht von Dr. F., nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung führen, zumal der Kläger bei Jahrzehnten bestehenden Beschwerden zu einer Berufstätigkeit in der Lage war.

Einer weiteren Sachaufklärung bedurfte es nicht. Der den Kläger nunmehr behandelnde Dr. H. wurde als Hausarzt vom SG angehört. Dr. T. behandelt den Kläger seit Juni 2006 nicht mehr und kann daher keine Angaben zum aktuellen Gesundheitszustand machen. Seine bisherigen Befunde wurden im Übrigen bei der Begutachtung durch die Beklagte berücksichtigt. Im Übrigen hat der Kläger ursprünglich seine Klage damit begründet, dass der bereits angehörte Dr. H. ihm zur Klageerhebung geraten habe, nicht jedoch Dr. T., wie er dies nunmehr erstmals im Berufungsverfahren vorträgt.

Nach alledem ist der Kläger daher noch in der Lage, nach Einschätzung sämtlicher behandelnder Ärzte wie auch der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten, weswegen seine Berufung keinen Erfolg haben konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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