L 7 AL 5790/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AL 374/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 5790/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 13. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1964 geborene Kläger war ab dem 2. Mai 2003 bei einer Firma M.B. GmbH, Neu-Ulm als Maurer beschäftigt. Im Mai leistete er 160,5 Stunden Arbeit. Im Monat Juni wurde ihm keine Arbeit zugewiesen. Eine Lohnzahlung erhielt der Kläger in der gesamten Zeit nicht, weshalb er das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2003 kündigte. Im September 2003 erhob er Klage gegen den ehemaligen Arbeitgeber auf Zahlung von Arbeitsentgelt und Nebenleistungen, welcher durch Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Augsburg - Kammer Neu-Ulm - vom 7. Oktober 2003 stattgegeben wurde. Der vom damaligen Bevollmächtigten des Klägers beauftragte Gerichtsvollzieher teilte im Dezember 2003 mit, dass gegen die Firma in jüngster Zeit erfolglos vollstreckt worden sei. Es sei nicht zu erwarten, dass sich die Situation wesentlich verändert habe. Der Schuldner besitze keine pfändbare Habe. Er habe bereits am 11. Dezember 2003 die eidesstattliche Versicherung abgegeben.

Über einen anderen Bevollmächtigten wandte sich der Kläger erstmals mit Schreiben vom 4. August 2003 an das Amtsgericht Neu-Ulm und bat um Mitteilung, ob für die Firma M.B. GmbH das vorläufige Insolvenzverfahren oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden sei. Unter dem 19. August 2003 erhielt der Bevollmächtigte die Auskunft, dass weder Verfahrenseröffnung noch Abweisung mangels Masse vorliege. Eine weitere Anfrage richteten die Bevollmächtigten des Klägers unter dem 4. Februar 2004 an das Insolvenzgericht. diesmal mit der Anfrage, ob die Firma M.B. Insolvenz angemeldet habe. Unter dem 10. Februar 2004 erhielten sie wieder die Antwort, es liege weder Verfahrenseröffnung noch Abweisung mangels Masse vor.

Am 4. November 2003 hatte die AOK Ulm beim Insolvenzgericht Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde am 18. Februar 2004 ein Gutachten erstellt, aus dem sich an Vermögenswerten ein Betrag von 150,00 EUR ergab, dem Massekosten und Verbindlichkeiten in Höhe von mindestens 378.545,14 EUR gegenüberstanden. Mit Beschluss vom 5. April 2004 lehnte das Amtsgericht Neu-Ulm - Insolvenzgericht - den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab.

Mit Schreiben vom 10.10.2005 wandten sich die Bevollmächtigten des Klägers ein drittes Mal an das Insolvenzgericht und begehrten Auskunft, ob Antrag auf Insolvenz gestellt sei oder eine Abweisung mangels Masse stattgefunden habe. Daraufhin wurde ihnen der Beschluss vom 5. April 2004 übermittelt. Mit Schreiben vom 17.10.2005 beantragten sie daraufhin formlos für den Antragsteller die Gewährung von Insolvenzgeld. Den Formularantrag reichte der Kläger am 21. November 2005 ein. Mit Bescheid vom 24. November 2005 lehnte die Beklagte diesen Antrag unter Hinweis auf die Versäumung der zweimonatigen Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) ab. Die Versäumung der Ausschlussfrist sei vom Kläger zu vertreten. Den hiergegen erhobenen Widerspruch, der in der Folgezeit nicht begründet worden ist, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2006 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 27. Januar 2006 Klage erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, er habe unverzüglich nach Kenntnis des Beschlusses des Insolvenzgerichtes seinen Antrag gestellt. Diese Klage hat das SG im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 13. Oktober 2006 (zugestellt am 17. Oktober) abgewiesen. Das Insolvenzereignis sei am 5. April 2004 eingetreten (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III), sodass die Ausschlussfrist mit Ablauf des 5. Juni 2004 geendet habe. Eine nicht zu vertretende Fristversäumnis im Sinne des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III sei nicht festzustellen. Der Kläger müsse sich das Verhalten der IG Bau, seiner damaligen Bevollmächtigten, zurechnen lassen. Die späte Kenntniserlangung von dem Insolvenzereignis beruhe auf Fahrlässigkeit. Die den Kläger treffende Obliegenheit, für eine rasche Durchsetzung seiner Ansprüche Sorge zu tragen, habe er dadurch verletzt, dass er bzw. sein Vertreter es unterlassen hätten, zu einem früheren Zeitpunkt den Eintritt des Insolvenzereignisses in Erfahrung zu bringen. Der hier verstrichene Zeitraum zwischen Februar 2004 und Oktober 2005 sei jedenfalls eindeutig zu lang, weshalb der im November gestellte Antrag die Frist nicht habe wahren können.

Hiergegen richtet sich die am 17. November 2006 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte Berufung, zu deren Begründung der Kläger vorträgt, er habe keine Kenntnis von dem Insolvenzereignis gehabt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Insolvenzgericht am 04. Februar 2004 dem Kläger nicht den Beschluss vom 04. Mai 2004 mitgeteilt habe. Er habe damit rechnen müssen, dass auf absehbare Zeit weitere Anfragen zu keinen Erkenntnissen führen würden. Es sei nicht ersichtlich, warum hier Fahrlässigkeit unterstellt werde, da die Auskunft des Vollstreckungsgerichtes unzutreffend gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 13. Oktober 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2006 zu verurteilen, dem Kläger unter Zugrundelegung des Insolvenzereignisses vom 5. April 2004 Insolvenzgeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts Ulm - S 10 AL 374/06 - Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung durch den Vorsitzenden ohne die Hinzuziehung weiterer Berufsrichter und ehrenamtlicher Richter entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 155 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 500,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage auf Bewilligung von Insolvenzgeld für die Monate Mai und Juni 2003 zu Recht abgelehnt.

Nach § 183 Abs. 1 SGB III hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn er im Inland beschäftigt war und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers oder Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Diese Leistung ist wie alle Leistungen der Arbeitsförderung grundsätzlich von einem entsprechenden Antrag abhängig. Der Antrag auf Insolvenzgeld ist nach § 324 Abs. 3 SGB III innerhalb von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu stellen. § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III räumt eine weitere Frist von zwei Monaten für den Fall ein, dass der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat. Abs. 3 a.a.O. bestimmt, dass der Arbeitnehmer die Versäumung der Frist zu vertreten hat, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat.

Diese Antragsfrist ist im hier zu entscheidenden Fall aus Gründen versäumt worden, die der Kläger zu vertreten hat. Ein Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht. Diese spezialgesetzliche Ausprägung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt klar, dass die bloße Unkenntnis vom Eintritt des Insolvenzereignisses die Nachfrist noch nicht eröffnet (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2006 - L 6 AL 43/05 (juris) unter Hinweis auf BSG Urteil vom 26. August 1983 10 RAr 1/82 -, BSGE 55, 284 = SozR 4100 § 141e Nr. 5). Maßgeblich ist demnach, ob der Kläger die Antragsfrist unter Außerachtlassung derjenigen Sorgfalt, die von einem gewissenhaft Handelnden erwartet werden kann, versäumt hat. Das Verschulden eines Vertreters ist in diesem Zusammenhang dem beauftragenden Arbeitnehmer zuzurechnen (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 10 RAr 14/91 -, SozR 3-4100 § 141e Nr. 2 und LSG Niedersachsen, Urteil vom 5. April 2004 - L 8 AL 240/03 - (juris) sowie Hessisches LSG, Urteil vom 24. April 2006 - L 9 AL 118/04 -, info also 2006, 209 und LSG für das Saarland, Urteil vom 18. Juni 2004 - L 8 AL 41/03 - (Juris)).

Die Unkenntnis von dem Insolvenzereignis, welches spätestens mit dem die Insolvenzeröffnung ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 5. April 2004 eingetreten war, beruht auf fahrlässiger Unkenntnis des vom Kläger bevollmächtigten Gewerkschaftsvertreters, die der Kläger sich zurechnen lassen muss. Dem Kläger selbst war spätestens seit dem Juni 2003 bekannt, dass die Firma M.B. GmbH offensichtlich in erheblichen Schwierigkeiten war, da ihm in dieser Zeit keinerlei Arbeit zugewiesen werden konnte und weil er keine Lohnzahlungen erhielt. Seit dem November 2003 war ihm bekannt, dass bei der Firma keine pfändbare Habe vorhanden ist. Damit lag es auf der Hand, dass eine Insolvenz im Raum steht, was den Vertretern des Klägers offensichtlich auch bewusst war, wie die beiden Anfragen an das Insolvenzgericht zeigen. Dass diese dann aber nach der zweiten Anfrage anderthalb Jahre lang keinerlei Anstrengung unternommen haben, um etwas über die weitere Entwicklung im Falle der Firma M.B. GmbH zu erfahren, stellt eine erhebliche Nachlässigkeit den Interessen des Klägers gegenüber dar. Die dadurch bedingt Unkenntnis von dem Beschluss des Amtsgerichtes beruht auf dieser fahrlässigen Verhaltensweise. Ein Arbeitnehmer oder sein Vertreter ist in vergleichbaren Fällen gehalten, sich gegebenenfalls auch bei anderen Stellen (z.B. der Krankenkasse oder dem Arbeitsamt) weiter zu erkundigen (LSG Niedersachsen, Urteil vom 5. April 2004 - L 8 AL 240/03 - (Juris)). Die Berufungsbegründung ist zu diesem Punkt nicht verständlich. Zum Einen konnte im Februar ein Beschluss vom Mai nicht mitgeteilt werden und zum Zweiten ist nicht plausibel, warum weitere Nachfragen kein Ergebnis versprechen sollten.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung im Oktober 2005 war daher die Antragsfrist lange verstrichen und eine Nachfrist nicht mehr offen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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