L 12 AS 3165/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 2730/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3165/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Freiburg vom 01.06.2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (Ast.) begehrte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin (Ag.), ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu erbringen.

Die 1977 in Kasachstan geborene Ast. ist deutsche Staatsangehörige. Im August 2006 heiratete sie einen Ukrainer und reiste aus Deutschland aus. Am 14.4.2007 kehrte sie hochschwanger nach Deutschland zurück und beantragte am 17.4.2007 bei der Ag. Leistungen nach dem SGB II. Die Ast. erklärte gegenüber der Ag., sie werde nach der Geburt entscheiden, ob sie wieder in die Ukraine zurückkehre oder ob ihr Mann - von dem sie nicht getrennt sei - nach Deutschland komme. Mit Bescheid vom 7.5.2007 lehnte die Ag. den Antrag ab, da die Ast. keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet habe und beabsichtige, nach der Geburt wieder in die Ukraine zurückzukehren. Mit Faxschreiben vom Freitag, dem 11.5.2007, bei der Ag. eingegangen am selben Tag um 16 Uhr, legte die Ast., vertreten durch ihren Bevollmächtigten, Widerspruch gegen den Bescheid ein und führte aus, sie werde in Freiburg bleiben. Für die Abhilfeentscheidung werde der 14.5.2007 notiert.

Am 15.5.2007 beantragte die Ast. beim Sozialgericht Freiburg (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem Ziel, die Ag. zu verpflichten, ihr ab sofort Arbeitslosengeld II zu bewilligen.

Die Ag. beantragte, den Antrag zurückzuweisen. Der Antrag sei nicht begründet. Die Ast. habe erst mit dem Widerspruch geltend gemacht, dauernd in Deutschland bleiben zu wollen. Die Ag. sei nicht verpflichtet, über den Widerspruch und die geänderte Tatsachenerklärung innerhalb eines halben Tages zu entscheiden. Sie habe für die Zeit ab dem Widerspruch einen Anspruch anerkannt und am 24.5.2007 einen Bewilligungsbescheid für die Zeit ab 11.5.2007 erlassen. Es liege aber kein Anordnungsgrund vor. Insbesondere fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag.

Die Ast. erklärte hierauf, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, die Annahme des Anerkenntnisses, das die Ag. ausgesprochen habe, und beantragte, die außergerichtlichen Kosten der Ag. aufzuerlegen. Mit Beschluss vom 01.06.2007 lehnte das SG den Antrag ab, da er zum Zeitpunkt der Entscheidung unzulässig gewesen sei. Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestehe nicht mehr, nachdem die Ag. mit Bescheid vom 24.5.2007 Leistungen ab dem 11.5.2007 bewilligt habe. Bedenken gegen die Höhe der bewilligten Leistungen bestünden offensichtlich nicht.

Über den Antrag sei noch von der Kammer zu entscheiden, da durch die Erklärung der Ast. keine Erledigung des Rechtsstreites eingetreten sei. Insbesondere sei keine Erledigung durch ein von der Ast. angenommenes Anerkenntnis der Ag. eingetreten (§ 101 Abs. 2 SGG in entsprechender Anwendung). Denn ein Anerkenntnis könne der Erklärung der Ag. nicht entnommen werden. Ob ein Anerkenntnis vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Ein Anerkenntnis sei das im Wege einseitiger Erklärung gegebene uneingeschränkte Zugeständnis, dass der geltend gemachte prozessuale Anspruch bestehe. Nach der Erklärung der Ag. habe diese den Antrag wegen eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig und wegen fehlenden Anordnungsgrundes für unbegründet gehalten. Dabei sei unerheblich, ob der Antrag tatsächlich zulässig und begründet gewesen wäre, ob also die Auffassung der Ag. rechtlich zutreffend sei. Die Erklärung, der Anspruch werde ab dem 11.5.2007 anerkannt, mache die Erklärung der Ag. nicht zu einem Anerkenntnis im Sinne des § 101 SGG. Denn damit sei ersichtlich nur der materiellrechtliche Anspruch bzw. der Anordnungsanspruch gemeint. Ein Anerkenntnis im Rahmen eines Verfahrens nach § 86b Abs. 2 SGG müsste hingegen zumindest auch die Erklärung umfassen, dass ein Anordnungsgrund bestanden habe. Die Ag. habe aber eindeutig erklärt, dass ihres Auffassung nach ein Anordnungsgrund nicht bestanden habe und es zudem an einem Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag fehle. Die Erklärung der Ast., sie nehme das Anerkenntnis an, führe damit nicht zu einer Erledigung nach § 101 Abs. 2 SGG in entsprechender Anwendung. Die ausdrückliche Erklärung der Ast., das Anerkenntnis anzunehmen, könne auch nicht - was sachdienlich wäre - dahingehend ausgelegt werden, dass der Antrag (jedenfalls) für erledigt erklärt bzw. zurückgenommen werden solle (§ 102 SGG in entsprechender Anwendung). Die eindeutige Erklärung der anwaltlich vertretenen Ast. müsse so verstanden werden, dass ein Anerkenntnis angenommen werden, eine Erledigung bzw. Rücknahme des Antrages aber nicht erklärt werden sollte. Dies entspreche auch dem Ziel dieser Erklärung. Denn das prozessuale Verhalten des Bevollmächtigten der Ast. habe offensichtlich den Hintergrund, dass eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG eine Beendigung des Verfahrens durch angenommenes Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung voraussetze. Eine Erledigterklärung bzw. Rücknahme des Antrages könnte allerdings nach Auffassung der Kammer auch hilfsweise - nämlich für den Fall, dass entgegen der Auffassung der Ast. kein anzunehmende Anerkenntnis erklärt worden wäre - erklärt werden. Bei der Frage, ob eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG entstanden sei, wäre dann im Rahmen der Kostenfestsetzung nach § 197 Abs. 1 SGG bzw. gegebenenfalls im Rahmen der Kostenerinnerung nach § 197 Abs. 2 SGG darüber zu entscheiden, ob ein Anerkenntnis vorlegen habe. Die Entscheidung, ob ein Anerkenntnis vorlegen habe, habe nach Auffassung der Kammer nur insoweit Bedeutung. Ein Beschluss des Inhaltes, dass sich der Rechtsstreit durch angenommenes Anerkenntnis erledigt habe, könne zwar entsprechend § 102 Satz 3 SGG auf Antrag ergehen. Dieser Beschluss diene aber lediglich dazu, einen Vollstreckungstitel nach § 199 Abs. 1 SGG zu schaffen. Habe die Ag. - wie hier - das "Anerkenntnis" bereits durch Erlass eines Bescheides ausgeführt, bleibt aber ohnehin kein Raum für eine Vollstreckung, zumal sich dann die Frage stelle, welchen vollstreckungsfähigen Inhalt das "Anerkenntnis" haben sollte. Die Frage, ob ein Anerkenntnis vorgelegen habe, sei auch für eine zu treffende Kostengrundentscheidung nach § 193 SGG nicht präjudiziell. Dies deshalb, weil die zu einer zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache führende Rücknahme des Antrages entsprechend § 102 SGG eine Kostengrundentscheidung zugunsten des Antragstellers nicht ausschließe. Die Kostengrundentscheidung erfolge dann unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes - insbesondere der Erfolgsaussichten des Antrages - nach billigem Ermessen. Eine Antragsrücknahme führe hingegen nur in gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO zur Tragung der Kosten. Dem Bevollmächtigten der Ast. sei diese Problematik aus verschiedenen Verfahren vor dem Sozialgericht F. bekannt. Es bestünden auch keine Bedenken, den Rechtsstreit nunmehr zu entscheiden, da mit gerichtlicher Verfügung vom 25.5.2007 darauf hingewiesen worden sei, dass ein Anerkenntnis nicht vorliege, und angefragt worden sei, ob der Antrag für erledigt erklärt werde.

Die Kostenentscheidung ergebe sich aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits. Das SGG binde die Kostenentscheidung zwar nicht an das Ergebnis des Rechtsstreits. Es sei jedoch in der Regel billig, dass derjenige die Kosten trage, der unterliege. Die zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls - hier insbesondere der Veranlassungsgedanke - rechtfertigten hier keine andere Entscheidung. Denn die Ag. habe zeitnah nach Kenntnis des geänderten Sachvortrages der Ast. reagiert. Eine Entscheidung binnen der von der Ast. gesetzten Frist sei hingegen nicht zu erwarten gewesen. Damit verbleibe es bei einer Kostenentscheidung entsprechend dem Ergebnis des Rechtsstreits. Eine Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes - insbesondere der Erfolgsaussichten des Antrages - nach billigem Ermessen komme hingegen nicht in Betracht, da gerade keine anderweitige Erledigung des Rechtsstreits eingetreten sei. Gegen diesen Beschluss legte die Ast. Beschwerde eine, welche das SG nach Entscheidung über die Nichtabhilfe dem LSG Baden-Württemberg zur Entscheidung vorlegte. Sie führte aus, der Beschluss des SG sei unstatthaft und daher aufzuheben. Er verletze ihre Dispositionsmaxime, nämlich das Recht über den Verfahrensgegenstand zu verfügen. Es käme allein ihr zu, darüber zu befinden, ob durch eine Prozesserklärung des Ag. dem geltend gemachten Anspruch voll entsprochen worden sei.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Bei dem Rechtsstreit geht es darum, ob das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in der ersten Instanz durch die Annahme eines Anerkenntnisses erledigt wurde oder ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch die Entscheidung der Ag. über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen eines fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig geworden ist.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist - wie das SG zu Recht entschieden hat - durch die Entscheidung der Ag. vom 24.05.2007 unzulässig geworden, weil dadurch kein Rechtsschutzinteresse für den Erlass einer einstweiligen Anordnung mehr gegeben war. Die Frage, ob ein Anordnungsgrund tatsächlich vorliegt ist ein Problem der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des geltend gemachten Anspruchs auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Keller in Meyer-Ladewig § 86b Anm. 26c m.w.N.). Eine Erledigung des Rechtsstreits durch die Annahme eines Anerkenntnisses ist daher nicht eingetreten, da die Ag. ausdrücklich das Vorliegen eines Anordnungsgrunds verneint hat. Sie wollte mit ihrer Entscheidung vom 24.05.2007 das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht anerkennen. Die Voraussetzung für die Annahme eines Anerkenntnisses ist das uneingeschränkte Zugeständnis, dass der mit der Klage bzw. dem Antrag geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Ag. nach Bekanntwerden des entscheidungserheblichen Sachverhalts - dauernder Aufenthalt - unverzüglich den Bescheid über die Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt erlassen hat. Ein Anlass für die Beantragung einer einstweiligen Anordnung bestand zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht. Es entspricht somit nicht der Billigkeit der Ag. die Kosten aufzuerlegen.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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