L 6 U 1829/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 816/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1829/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem verstorbenen Ehemann der Klägerin wegen einer wesentlichen Verschlimmerung seiner Unfallfolgen ab Februar 2001 eine höhere Verletztenrente zustand.

Die Klägerin ist die Sonderrechtsnachfolgerin des 1961 geborenen und 13. August 2005 verstorbenen A. K. (A.K.). Dieser erlitt am 13. Dezember 1985 bei seiner Tätigkeit als Gebäudereiniger einen Arbeitsunfall, wobei er von einer Leiter stürzte und sich am rechten Knie verletzte. Bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit am 06. April 1986 gewährte die Beklagte deshalb zuletzt Verletztengeld.

Am 29. Mai 1991 erhob Dr. D., Chefarzt der Unfallchirurgischen Abteilung des M. Hospitals S., bei A.K. anlässlich einer für eine private Unfallversicherung durchgeführten gutachtlichen Untersuchung eine erhebliche muskulär nicht kompensierbare Restinstabilität im rechten Kniegelenk, die er auf den erlittenen Arbeitsunfall zurückführte. Er bat die Beklagte um Überprüfung der Angelegenheit. Die Beklagte zog das seinerzeit von Dr. D. unter dem 24. Juni 1991 erstattete unfallchirurgische Gutachten bei und veranlasste das weitere Gutachten des Chirurgen Dr. N. vom 30. November 1991, der an krankhaften Veränderungen am rechten Kniegelenk eine anteromediale Instabilität - wobei der Kreuzbandschaden ein größeres Ausmaß habe als der Innenbandschaden -, eine Muskelverschmächtigung am rechten Oberschenkel, eine Atrophie des Musculus vastus medialis sowie ein erklärbares Unsicherheitsgefühl beschrieb und die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 vom Hundert (v. H.) schätzte. Mit Bescheid vom 27. April 1992 gewährte die Beklagte A.K. daraufhin Verletztenrente ab 28. Mai 1990 nach einer MdE um 20 v.H. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Anteromediale Instabilität am Kniegelenk nach Kreuzband- und Innenbandruptur, Muskelverschmächtigung am Oberschenkel, Atrophie des Musculus vastus medialis, Unsicherheitsgefühl im Kniegelenk, reizlose Operationsnarben am Kniegelenk und Sensibilitätsabschwächung an der Vorderseite, Minderung der Fußsohlenbeschwielung.

Nachdem A.K. im Februar 2001 der Beklagten telefonisch mitgeteilt hatte, dass sich die Unfallfolgen verschlimmert hätten, veranlasste diese ein Zweites Rentengutachten, das Prof. Dr. H., Chefarzt der Unfallchirurgischen Klinik im Klinikum L., unter dem 26. April 2001 erstattete. Darin beschrieb er als Unfallfolgen am rechten Knie eine anteromediale Instabilität, eine rezidivierende Schwellneigung unter Belastung sowie eine beginnende medialbetonte Gonarthrose mit degenerativer Randzackenbildung. Im Vergleich zu dem Vorgutachten von Dr. N. vom 30. November 1991 seien als Veränderungen eine Besserung der muskulären Führung und des Muskelzustandes des rechten Ober- und Unterschenkels sowie eine instabilitätsbedingte medialbetonte Gonarthrose zu beschreiben. Die MdE schätzte er auf 20 v.H. Die Beklagte zog den Arztbrief des Radiologen Dr. B. über eine am 15. Juni 2001 durchgeführte MRT-Untersuchung bei und holte dazu noch die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. H. vom 03. August 2001 ein. Nach dessen Ausführungen handle es sich bei den geschilderten Befunden (Innenmeniskusschaden im Hinterhornbereich mit Mehrfachfragmentierung 3. bis 4. Grades, subtotale Knorpelglatze medial, Außenmeniskusschaden 2. Grades im Bereich des Hinterhorns, verdickter proximaler Innenbandansatz) um typische Befunde degenerativer Gelenkschäden des Kniegelenks, die im jüngeren Lebensalter durch eine bestehende Instabilität hervorgerufen sein könnten. An der bisherigen Einschätzung ändere sich durch den vorgelegten Befund nichts. Mit Bescheid vom 10. September 2001 lehnte die Beklagte eine Rentenerhöhung mit der Begründung ab, die dem Bescheid vom 27. April 1992 zugrunde liegenden Verhältnisse hätten sich nicht wesentlich geändert. Dagegen erhob A.K. Widerspruch, ohne diesen zu begründen. Mit Widerspruchsbescheid vom 01. Februar 2002 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 18. Februar 2002 erhob A.K. dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage und machte geltend, die Verletztenrente sei nach einer MdE von zumindest 40 v.H. zu gewähren. In den Verhältnissen seit Erlass des Bescheides vom 27. April 1992 sei insoweit eine wesentliche Änderung eingetreten, als er jetzt stärkere Schmerzen habe, die sich auch nachts äußerten. Das Knie könne er nicht mehr ganz durchstrecken; nach der Arbeit und der Krankengymnastik sei es geschwollen. Die Stabilität sei so weit herabgesetzt, dass er bei der Arbeit elastische Bandagen tragen müsse. Er legte u.a. den Befundbericht des Prof. Dr. B., Chefarzt der Sportklinik S., vom 14. Juni 2002 vor, und machte geltend, der beschriebene Befund decke sich nicht mit dem im Gutachten des Prof. Dr. H. vom 26. April 2001 dokumentierten Befund und belege die eingetretene Verschlimmerung. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten entgegen und verwies auf das Gutachten des Prof. Dr. H. vom 26. April 2001, der eine ausgesprochen gut ausgebildete Muskulatur beschrieben habe, wodurch die mediale Komponente der Instabilität muskulär ausgeglichen werden könne. Die bereits seinerzeit gemachte Angabe, das Bein nicht komplett strecken zu können, habe sich für den Gutachter mit dem Winkelmesser nicht nachvollziehen lassen. Die aus dem vorgelegten Befundbericht gezogene Schlussfolgerung sei nicht verständlich. Zu dem seitens des SG erhobenen Gutachten des Prof. Dr. B. legte sie das Gutachten nach Aktenlage des Facharztes für Orthopädie Dr. K. vom 15. Dezember 2004 vor, nach dessen Einschätzung die objektivierten Funktionseinschränkungen eine MdE von mehr als 20 v.H. nicht rechtfertigten. Das SG erhob das Gutachten des Prof. Dr. B. vom 30. März 2004, der eine anteromediale Kniegelenksinstabilität rechts, eine posttraumatische medialbetonte Gonarthrose rechts mit rezidivierender Schwellneigung und deutlicher Bewegungseinschränkung sowie eine erhebliche Gang- und Standunsicherheit im Bereich des rechten Beins mit objektivierbarer Muskelverminderung beschrieb. Funktionell wirkten sich diese Befunde in erster Linie in einer Gang- und Standunsicherheit des rechten Beines aus. Im Übrigen bestehe ein Wackelknie mit erheblichen degenerativen Veränderungen und einer immer wieder auftretenden, teils dauerhaft anhaltenden Schmerzsymptomatik. Als wesentliche Änderung führte er die deutliche Bewegungseinschränkung, insbesondere für die Streckung, die jetzt deutlichen radiologischen Veränderungen im Sinne eines Verschleißes, die immer wieder auftretende Schwellneigung nach Belastung sowie die erhebliche Gang- und Standunsicherheit auf. Die unfallbedingte MdE bewertete er mit 30 v.H. Mit Gerichtsbescheid vom 13. April 2005 wies das SG die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, die sich verschlechternden Unfallfolgen seien unverändert mit einer MdE von 20 v.H. einzuschätzen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den früheren Bevollmächtigten des A.K. am 20. April 2005 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheids verwiesen.

Am 06. Mai 2006 hat A.K. beim Landessozialgericht (LSG) dagegen Berufung eingelegt und geltend gemacht, das SG orientiere sich bei seiner Beurteilung zu sehr an den gemessenen Kniegelenk-Beweglichkeitswerten. Die diesbezüglichen Empfehlungen in der unfallversicherungsrechtlichen Literatur hätten lediglich beispielhaften und keinen abschließenden Charakter, sodass sich Anhaltspunkte für die erstrebte Bewertung mit einer MdE von 30 v.H. auch aus anderen Aspekten ergeben könnten. So sei bei ihm im Laufe der Jahre sukzessive eine Verschlechterung der Beweglichkeit gemessen worden, die erstmals auch 2001 durch die dokumentierten degenerativen Gelenksveränderungen belegt worden sei. Ursache der deutlich zugenommenen Bewegungseinschränkung und der in Ruhe und nachts auftretenden Gelenksschmerzen sei ein Entzündungsdauerzustand im Knie. Hierin liege auch die Ursache der von Prof. Dr. B. als weitere Unfallfolge angegebenen Schwellneigung. Auch der Schubladeneffekt, der weiter zugenommen habe, dürfte mit ursächlich sein für die festgestellte erhebliche Gang- und Standunsicherheit, die weiter zugenommen habe und zu einer weiteren Muskelverschmächtigung des rechten Oberschenkels infolge Minderbelastung beigetragen habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. April 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01. Februar 2002 zu verurteilen, die Verletztenrente von Februar 2001 bis 31. August 2005 unter Zugrundelegung einer MdE um 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochten Entscheidung für richtig.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtzüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des A.K., die von seiner Ehefrau als Sonderrechtsnachfolgerin weitergeführt wird und über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 10. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01. Februar 2002 ist rechtmäßig und hat A.K. nicht in seinen Rechten verletzt. Die bei ihm eingetretenen Unfallfolgen haben sich im Vergleich zu dem Zustand, wie er noch dem Bescheid vom 27. April 1992 zugrunde gelegen hat, nicht derart verschlechtert, dass die Bewertung mit der begehrten höheren MdE von 30 v.H. gerechtfertigt gewesen wäre.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs im Einzelnen dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass sich die Unfallfolgen im Bereich des rechten Kniegelenks bei A.K. im Sinne des § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) nicht wesentlich, d. h. um eine MdE von mehr als 5 v. H., verschlechtert und deshalb eine Höherbewertung der MdE gerechtfertigt haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung, denen er sich nach eingehender Prüfung vollumfänglich anschließt.

Mit dem SG ist zwar auch der Senat zu der Auffassung gelangt, dass sich die Unfallfolgen bei A.K. im Vergleich zu dem Zustand, wie er noch dem Bescheid vom 27. April 1992 zugrunde gelegen hat, verschlechtert hatten. Diese zu objektivierende Verschlimmerung hatte jedoch - wie das SG ausführlich dargelegt hat - noch kein Ausmaß erreicht, das die Bewertung mit einer höheren MdE, also mit einer solchen von 30 v.H. gerechtfertigt hätte. Denn ein Zustand, wie er für eine derartige Bewertung erforderlich wäre (Einschränkung in der Bewegungsfähigkeit bei Messung nach der Neutral-0-Methode auf 0-30-90; muskulär nicht kompensierbare Gangunsicherheit mit dem Erfordernis des Tragens einer Knieführungsschiene) war bei A.K. noch nicht erreicht. Die eingetretene Verschlimmerung war damit nicht als rechtlich "wesentlich" im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X anzusehen. Gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) ist dies nämlich nur dann der Fall, wenn die Änderung mehr als 5 v.H. beträgt.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, das SG habe sich bei seiner Beurteilung zu sehr an den gemessenen Kniegelenk-Beweglichkeitswerten orientiert und andere Aspekte unberücksichtigt gelassen, ist darauf hinzuweisen, dass sich die Bewertung des Ausmaßes der MdE nach der feststellbaren funktionellen Gebrauchsbehinderung der verletzten Extremität richtet. Der Gebrauchswert der unteren Extremitäten wird jedoch maßgeblich durch seine Bewegungsfähigkeit bestimmt, nämlich die Fähigkeit das Bein zu strecken und zu beugen. Sind diese Funktionen in einem bestimmten Ausmaß eingeschränkt, so hat dies unmittelbar Auswirkungen auf die Gehfähigkeit und damit auf den Gebrauchswert der Extremität im Erwerbsleben. Neben diesem damit maßgeblich zu berücksichtigenden Gesichtspunkt ist in die Bewertung weiter die Belastbarkeit der Extremität mit einzubeziehen. Diese hat das SG - wie die Entscheidungsgründe aufzeigen - bei seiner Bewertung ebenfalls berücksichtigt. Diesbezüglich hat es nämlich die bestehende Gangunsicherheit hervorgehoben, die Folge der Lockerung des Kniebandapparates ist, welche zu einer Instabilität führt, weil sie bei A.K. nur unvollständig muskulär kompensierbar war. Berücksichtigt wurde ferner eine geringfügige Muskelverschmächtigung und eine Schwellneigung des Kniegelenks mit kleinem Erguss. All diese Befunde rechtfertigen jedoch nicht die angestrebte Bewertung mit einer MdE von 30 v.H., die - wie bereits dargelegt - eine noch stärkere Funktionseinschränkung voraussetzt, wie sie beispielsweise vorliegt, wenn eine Instabilität im Kniegelenk die Versorgung mit einem Schienenhülsenapparat notwendig macht oder eine Einschränkung der Beweglichkeit vorliegt, die lediglich noch eine so eingeschränkte Beugung zulässt, dass ein normaler Gang nicht mehr möglich ist. In diesem Ausmaß war die Gebrauchsfähigkeit des rechen Beines bei A.K. unfallbedingt jedoch gerade nicht eingeschränkt. Dies hat das SG nicht zuletzt auch unter Heranziehung der von Prof. Dr. B. in seinem Gutachten vom 30. März 2004 erhobenen Befunde zutreffend ausgeführt. Schließlich hatte auch Prof. Dr. B. anlässlich seiner Untersuchung festgestellt, dass bei A.K. der Stand auf beiden Beinen sicher und balancefähig war und der freie Gang auf ebener Erde ohne Schuhwerk bei langsamem Gang und kleiner Schrittgröße sicher und hinkfrei war.

Nach alledem ist die angefochten Entscheidung nicht zu beanstanden, sodass auch die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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