S 4 R 439/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 R 439/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 12.07.2005 werden aufge- hoben.
II. Es wird festgestellt, dass bei der Klägerin Versicherungspflicht nach § 3 S. 1 Nr. 1 a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) besteht und die Beigeladene der Beklagten entsprechende Beitragsleistungen zur Rentenversicherung zu erbringen hat.
III. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin aufgrund von Pflegetätigkeiten in der Rentenversicherung pflichtversichert ist.

Die am 1968 geborene Klägerin ist die Mutter der am 1996 geborenen K. S. Bei dem Kind wurde vom damaligen Amt für Versorgung und Familienförderung in W. mit Bescheid vom 26.02.2001 eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 80 wegen einer globalen Entwicklungsstörung und eines gastroösophagialen Reflux nach Ösophagusatresie festgestellt; zugleich wurden die Merkzeichen "B", "G" und "H" zuerkannt. Mit Bescheid vom 04.06.2004 wurde der GdB ab 05.03.2004 auf 100 angehoben und hierbei folgende Gesundheitsstörungen beschrieben: 1. Geistige Behinderung, psychomotorische Unruhe (Einzel-GdB 100) 2. Refluxkrankheit nach Operation der angeborenen Ösophagusa- tresie (Einzel-GdB 10). Die Merkzeichen wurden beibehalten.

Auf Veranlassung der Beigeladenen wurde vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung durch Frau H. B. am 17.01.2002 ein Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit nach dem 11. Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) erstellt. Das Gutachten erbrachte das Vorliegen von Pflegestufe I seit November 2001 und einen der Klägerin zuzuordnenden Pflegeaufwand von 14 bis unter 21 Stunden. Bezüglich des seinerzeit 5 1/2 Jahre alten Kindes wurden folgende Pflegeaufwandszeiten pro Tag ermittelt: Körperpflege 91 Minuten, Ernährung 51 Minuten, Mobilität 99 Minuten und Hauswirtschaft 30 Minuten. Von der Summe von 271 Minuten seien Zeitaufwände für die Pflege eines gesunden gleichaltrigen Kindes im Umfang von täglich 120 Minuten in Abzug zu bringen, sodass täglich 151 Minuten zusätzlicher Pflegeaufwand gegeben sei. Nach Abzug des Hauswirtschaftsanteils und Umrechnung auf die Woche ergibt dies 14 Stunden und 7 Minuten. Bei der Klägerin wurden daraufhin Pflichtversicherungszeiten in der Rentenversicherung anerkannt und hierfür von der Beigeladenen Beitragszahlungen an die Beklagte erbracht.

Am 24.10.2002 erfolgte eine neuerliche Untersuchung auf Veranlassung der Beigeladenen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. In dem Gutachten durch Frau M. K. vom 06.12.2002 sind folgende Zeiten des Pflegeaufwands für das nunmehr 6jährige Kind festgehalten: Körperpflege 71 Minuten, Ernährung 41 Minuten, Mobilität 63 Minuten und Hauswirtschaft 30 Minuten. Von der Summe von 205 Minuten wird für die Pflege eines gesunden Kindes ein Zeitaufwand vom 105 Minuten in Abzug gebracht, sodass ein täglicher Mehraufwand der Pflege von 100 Minuten verbleibt. Nach Abzug des Hauswirtschaftsanteils ergibt dies auf die Woche umgerechnet 8 Stunden und 10 Minuten. Die Pflegestufe I blieb zuerkannt.

Die Beigeladene hat den Ehemann der Klägerin mit Schreiben vom 18.12.2002 hinsichtlich der Nachuntersuchung der Tochter und der Leistungen bei Pflegebedürftigkeit informiert: Die Nachuntersuchung habe ergeben, dass der Umfang der notwendigen Pflege unverändert sei und die Pflegeleistung in der bisherigen Pflegestufe weitergewährt würden.

Eine neuerliche Nachuntersuchung auf Veranlassung der Beigeladenen wurde vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung am 21.09.2004 vorgenommen. In dem wiederum von Frau H. B. erstellten Gutachten, das auf den 26.10.2004 datiert ist, sind folgende Pflegezeiten festgestellt worden: Körperpflege 39 Minuten, Ernährung 32 Minuten, Mobilität 60 Minuten und Hauswirtschaft 30 Minuten. Von der Gesamtpflegezeit von 161 Minuten wurden an Pflegeaufwand für ein gleichaltriges gesundes Kind 70 Minuten in Abzug gebracht, sodass eine Pflegezeit von täglich 91 Minuten verblieb. Dies entspricht - nach Abzug des Hauswirtschaftsanteils - einer wöchentlichen Pflegeleistung von 7 Stunden und 7 Minuten.

Die Beigeladene hat den Ehemann der Klägerin mit Schreiben vom 28.10.2004 darüber informiert, dass aufgrund der Nachuntersuchung der Umfang der notwendigen Pflege unverändert sei und die Pflegeleistungen in der bisherigen Pflegestufe weitergewährt würden. Anscheinend war diesem Schreiben eine Bescheinigung für die Rentenversicherung beigefügt, wonach der Pflegeaufwand weniger als 14 Stunden wöchentlich umfasse, da die Klägerin und ihr Ehemann mit Schreiben vom 04.11.2004 der Beigeladenen mitgeteilt haben, dass sie nicht damit einverstanden seien, dass Beitragszahlungen rückwirkend bis 2002 nicht mehr gezahlt werden sollen. Es werde um Einsicht in das letzte Pflegegutachten gebeten.

Mit weiterem Schreiben vom 11.11.2004 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.10.2004 ein und führte aus, sie sei der Auffassung, dass die Bescheinigung für Zwecke der gesetzlichen Rentenversicherung für nicht erwerbstätige Pflegepersonen nicht richtig erfolgt sei, bzw. der Pflegeaufwand mehr als 14 Stunden wöchentlich betrage. Im Weiteren wurde ein Pflegetagebuch vorgelegt und Aufzeichnungen über den täglichen Pflegeaufwand eingereicht.

Die Beigeladene hat der Klägerin mit Schreiben vom 16.12.2004 mitgeteilt, dass nach § 3 S. 1 Nr. 1 a SGB VI nicht erwerbsmäßig tätige pflegebedürftige Personen unter bestimmten Voraussetzungen in den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen würden. Die Klägerin sei nach den Feststellungen der Beigeladenen jedoch nicht mehr als Pflegeperson im Sinne des Rentenrechts anzusehen und die ergänzenden Angaben würden zu keinem anderen Ergebnis führen. Die abschließende Entscheidung über das Versicherungsverhältnis treffe der für die Klägerin zuständige Rentenversicherungsträger. Der Vorgang sei deshalb nach dort abgegeben worden.

Ebenfalls am 16.12.2004 fertigte die Beigeladene ein Schreiben an den Rentenversicherungsträger, worin sie die Beitragszahlung zur Rentenversicherung im Fall der Klägerin für die Zeit ab dem 24.10.2002 ablehnte, da der durch die Pflegeperson ausgeübte Umfang der Pflegetätigkeit unter 14 Stunden in der Woche gelegen habe. Der Rentenversicherungsträger solle abschließend über die Versicherungspflicht entscheiden. Die von der Beigeladenen zunächst an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abgegebenen Vorgänge wurden von dort an die Beklagte weitergeleitet, da diese aktueller Kontoführer sei.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15.02.2005 den Antrag auf Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen als Pflegeperson für die Zeit vom 24.10.2002 ab, weil Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI nicht bestanden habe. Nach den Feststellungen der Pflegekasse liege der von der Klägerin ausgeübte Umfang der Pflegetätigkeiten unter 14 Stunden in der Woche (§ 19 S. 2 SGB XI).

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 09.03.2005 Widerspruch ein und wies auf einzelne erforderliche Pflegetätigkeiten beim Duschen, der Zahn- und Mundpflege, beim Toilettengang und der Ernährungsgabe sowie auf notwendige Fahrten zu Behandlungen hin. Verwiesen wurde auf Rechtsprechung, die das Anliegen der Klägerin stütze. Auf Nachfrage der Beklagten übermittelte die Beigeladene die gutachterlichen Feststellungen und gab an, dass ein Gesamtpflegeaufwand von unter 14 Stunden festgestellt worden sei.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2005, der am 19.07.2005 zur Post gegeben wurde, den Widerspruch zurück. Aufgrund des festgestellten Umfanges der Pflegebedürftigkeit in dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung stehe fest, dass der geforderte Umfang von 14 Stunden wöchentlich nicht erreicht werde.

Mit Schreiben vom 09.08.2005 erhob die Klägerin am 10.08.2005 Klage zum Sozialgericht Würzburg. Die Beklagte verwies in ihrem Antwortschreiben vom 11.10.2005 darauf, dass die maßgebende Entscheidung über den Umfang der Pflegetätigkeit von der B. Ersatzkasse getroffen wurde, weshalb diese beizuladen sei.

Das Gericht nahm mit Beschluss vom 25.11.2005 eine Beiladung der B. Ersatzkasse nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor. Diese führte in ihrem Schreiben vom 05.01.2006 aus, dass die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger im Interesse einer einheitlichen Beurteilung darin übereingekommen seien, dass hinsichtlich der Versicherungspflicht und der Beitragsbemessung wie im Leistungsrecht grundsätzlich auf das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung abzustellen sei. Die Beigeladene habe auf der Grundlage des Gutachtens des Medizinischen Dienstes B. K. vom 06.12.2002 zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI die Klägerin am 28.10.2004 darüber informiert, dass für sie die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht mit dem 24.10.2002 weggefallen seien.

Das Gericht hat im Folgenden Befundberichte beim behandelnden Arzt der Tochter der Klägerin Dr. G. eingeholt, wonach sich die Befunde minimal verbessert hätten und die Therapie vor allem der Vermeidung einer Verschlechterung diene.

In einem Erörterungstermin vom 09.01.2007 wies das Gericht darauf hin, dass in der Rechtsprechung die Pflegezeiten für ein gesundes Kind als deutlich niedriger gegenüber den verwaltungsrechtlichen Vorgaben angesehen würden, da im Bereich der Pflegeversicherung nur auf unmittelbare Pflegeleistungen und nicht auf Aufsichtsaufgaben abgestellt werde. Eine andere Sichtweise würde für die Beurteilung, ob eine Rentenversicherungspflicht wegen Pflege vorliegen würde, nicht nur auf Zeiten entsprechend dem strengen Begriff der Pflegeversicherung, sondern auf alle Zeitaufwendungen im Zusammenhang mit der Pflege - und somit auch auf Aufsichtstätigkeiten - abstellen.

Die Beigeladene legte im Folgenden ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 04.04.2006 vor, das auf einer Begutachtung vom 30.03.2006 durch Frau M. K. beruhte. Hierin wurden folgende Pflegezeiten beschrieben: Körperpflege 40 Minuten, Ernährung 34 Minuten, Mobilität 57 Minuten und Hauswirtschaftliche Versorgung 45 Minuten. Von dem Gesamtzeitbedarf von 176 Minuten wurden 52 Minuten in Abzug gebracht, sodass ein Mehraufwand von 124 Minuten verblieb. Unter Außerachtlassung des hauswirtschaftlichen Aufwandes ergibt sich ein pflegerischer Mehraufwand der wöchentlich 9 Stunden und 13 Minuten entspricht.

Die Beklagte trug mit Schreiben vom 15.05.2007 vor, dass sie an die Entscheidung der Beigeladenen als zuständige Pflegekasse gebunden sei. Sie hat hierzu die von den Spitzenverbänden getätigte Verfahrensbeschreibung zur Feststellung der Rentenversicherungspflicht nicht erwerbstätiger Pflegepersonen vorgelegt.

Die Klägerin beantragt:

1. Der Bescheid vom 15.02.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2005 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass bei der Klägerin Versicherungspflicht nach § 3 S. 1 Nr. 1 a SGB VI besteht und die Beigeladene hat die entsprechenden Beitragsleistungen zu erbringen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die der Klägerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen, einschließlich der Kosten gemäß § 63 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen ausdrücklichen eigenen Antrag, schließt sich jedoch der Auffassung der Beklagten an.

Zum Verfahren beigezogen waren die Schwerbehindertenakte des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Region U., und die Akten der Beklagten und der Beigeladenen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht erhoben (§§ 51, 54, 55 Abs. 1 Nr. 1, 57, 87, 90 SGG). Neben einer Anfechtung der ablehnenden Bescheide geht es um die Feststellung, dass bei der Klägerin Versicherungspflicht vorliegt und hierfür seitens der Beigeladenen entsprechende Beitragszahlungen zu erbringen sind.

Die Klage ist zur Überzeugung des Gerichts auch begründet.

Bei der Klägerin war offensichtlich in der Vergangenheit ordnungsgemäß eine Versicherungspflicht nach § 3 S. 1 Nr. 1 a SGB VI festgestellt worden und es waren durch die Beigeladene entsprechende Beitragsleistungen zur Rentenversicherung erbracht worden. Diese Feststellungen waren zeitlich nicht befristet ergangen.

Insofern liegt - ohne dass dies im Wortlaut zum Ausdruck gebracht worden wäre - im Bescheid der Beklagten vom 15.02.2005 gleichzeitig eine Aufhebung der bisherigen Feststellungen. Aufhebungsgrundlage kann hierfür nur § 48 des 10. Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) sein. Die Beigeladene und in ihrem Gefolge die Beklagte sind zum Ergebnis gekommen, dass die ursprünglich mehr als 14 Stunden die Woche umfassende Pflegeleistung der Klägerin ab dem 24.10.2002 auf weniger als 14 Stunden in der Woche herabgesunken sei. Diese Feststellungen wurden der Klägerin, wie sich aus der Akte der Beigeladenen und der Einlassung der Beigeladenen im Schriftsatz vom 05.01.2006 ergibt, erst zum 28.10.2004 bekannt gemacht.

Der Bescheid vom 15.02.2005, der die Versicherungspflicht rückwirkend zum 24.10.2002 entfallen lassen will, kann auf den Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur zurückwirken, wenn einer der in § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X genannten Gründe vorliegen würde. Ein solcher Grund hat zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse jedoch nicht bestanden; insbesondere hat die Klägerin keine Mitteilungspflichten verletzt und auch nicht darum gewusst, dass ihr Anspruch ab diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen der Beigeladenen materiell-rechtlich weggefallen wäre.

Eine rückwirkende Aufhebung käme somit allenfalls ab der Kenntnis der Klägerin durch das Schreiben vom 28.10.2004 in Betracht.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist aus den genannten Gründen auf jeden Fall aufzuheben, soweit er die Zeit vom 24.10.2002 bis Ende Oktober 2004 betrifft. Im Übrigen wäre es aus Sicht des Gerichtes wohl auch in materieller Hinsicht - aus ähnlichen wie den im Folgenden dargelegten Gründen - nicht gerechtfertigt gewesen, für diesen Zeitraum das Bestehen einer Versicherungspflicht wegen Pflegeleistungen bei der Klägerin zu verneinen.

Für die Zeit ab Oktober 2004 ergibt sich für das Gericht aufgrund der Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ein wöchentlicher Pflegeaufwand von mehr als 14 Stunden. Dieser Aufwand kann aus Sicht des Gerichtes nach den damals und derzeit (noch) geltenden Maßstäben der Pflegeversicherung trotz der überzeugenden Darlegungen der Klägerseite nicht um weiteren Zeitbedarf erweitert werden. Das Gericht sieht zwar keine abschließende Bindung der Beklagten an die Feststellungen der Beigeladenen; vielmehr besteht ein eigener Rechtsbewertungsakt der Beklagten, der allerdings auf den Feststellungen der Beigeladenen aufbauen soll. Ein Abweichen in Ausnahmefällen, z. B. im Zusammenhang mit der Betreuung pflegebedürftiger Kinder ist dadurch jedoch nicht ausgeschlossen.

Im vorliegenden Fall kommt das Gericht zum Ergebnis, dass die Übernahme der von der Beigeladenen unter Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung festgestellten Umfänge des Pflegebedarfs durch die Beklagte angemessen ist und weitere diesbezügliche Ermittlungen nicht erforderlich sind.

Die Beigeladene hat jedoch zu Unrecht hiervon Zeiten für die Pflege eines gesunden Kindes in Abzug gebracht. Der Pflegebedarf eines gesunden Kindes ist aus Sicht des Gerichtes nur in dem Umfang in Abzug zu bringen, als er sich ebenfalls nach den strengen Maßstäben der Pflegeversicherung ermittelt. Hierfür ist es für das Gericht offensichtlich, dass bei einem gesund entwickelten 8-jährigen Kind - abgestellt auf den maßgeblichen Zeitraum ab Oktober 2004 - kein Pflegeaufwand hinsichtlich Hygiene, Mobilität und Nahrungsvorbereitung besteht. Ein hauswirtschaftlicher Versorgungsbedarf dürfte in gleichem Umfang bestehen; bleibt jedoch für die Berechnung des maßgeblichen wöchentlichen Pflegeaufwandes ohnehin insgesamt außer Ansatz. Ferner besteht auch beim gesunden Kind ein Aufsichts- und sozialer Zuwendungsbedarf, der jedoch nach den Maßstäben der Pflegeversicherung eben gerade keine Berücksichtigung finden kann. Ein Abzug von Pflegeaufwand für die Pflege eines normal entwickelten 8-jährigen Kindes kommt daher nicht in Betracht.

Das Gericht folgt hierbei den Darlegungen in der Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund (Urteil vom 19.10.1999, Az.: S 39 P 56/97), wonach die Zeitabzugswerte für die Pflege gesunder Kinder keinen hinreichenden Nachweis über ihre Richtigkeit enthalten und die Pflegekassen diesen Nachweis auch nicht geführt haben. Das dort genannte Urteil hat ausgeführt, dass im streitbefangenen Alter und darüber hinaus kein natürlicher Pflegebedarf gesunder Kinder mehr bei den Verrichtungen des § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI mit der notwendigen Sicherheit festzustellen sei. Es handele sich im betreffenden Alter um Schulkinder, die selbst bei langsamer Entwicklung im Bereich der körperlichen Pflege, der Ernährung und der Mobilität keiner messbaren täglichen Hilfe mehr bedürften. Bei durchschnittlich entwickelten Kindern sei nach Forschungsergebnissen bereits nach etwa der Hälfte des 6. Lebensjahres kein messbarer Hilfebedarf bei den Pflegeverrichtungen des SGB XI mehr gegeben gewesen.

Insofern kam es auch nicht mehr darauf an, dass ein normal entwickeltes gesundes Kind im Rahmen einer angemessenen Erziehung auch durch eine - zeitlich sehr geringe - eigene Mithilfe im Haushalt einen gegenzurechnenden, eigenen hauswirtschaftlichen Beitrag leisten würde.

Zu Recht wird in dem genannten Urteil ausgeführt, dass angesichts des Grundpflegeverständnisses des SGB XI bei einer Anwendung der von der Beigeladenen vorgenommenen und von der Beklagten übernommenen Berechnung ansonsten zunächst ein Minimum im Sinne des zur Pflege kranker Kinder Notwendigen ermittelt würde und sodann hier noch zusätzlich ein Maximum im Sinne des zur Pflege gesunder Kinder Wünschenswerten abgezogen würde. Der gesetzliche Anspruch kranker Kinder auf Pflegeleistungen würde so unter Verletzung des § 2 Abs. 2 2. Hs SGB I unzulässig verkürzt (vgl. SG Dortmund a.a.O.).

Die Auffassung, dass die Zeitrichtwerte der Begutachtungsrichtlinien für gesunde Kinder ab dem 6. Lebensjahr nicht mehr anzuwenden seien wird vom SG Schleswig (Urteil vom 21.11.2002, Az.: S 4 P 28/01) geteilt; ebenso kommt das SG Mannheim in seinem Urteil vom 15.03.2002 (Az.: S 4 P 1197/01) zum Ergebnis, dass der pflegebedingte Mehraufwand im Einzelfall und ohne die Zeitrichtwerte zu ermitteln ist, soweit Kinder ab sechs Jahre betroffen sind.

Im Übrigen würde man auch bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 20.09.2006, Az.: L 4 P 17/03) und des LSG Nordrhein Westfalen (Urteil vom 03.06.2005, Az.: L 4 RJ 58/04) zum Ergebnis kommen, dass eine Rentenversicherungspflicht vorliegen würde, da der einzubeziehende Pflegeaufwand sehr viel weiter gefasst würde, als der für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit in ihrer jeweiligen Stufe maßgebliche Bedarf. Somit wären wohl auch krankheits- oder behinderungsbedingte Aufsichts- und Zuwendungszeiten in die Berechnung einzubeziehen und würden dann ohne weiteres zu einem Übersteigen der maßgeblichen Grenzen führen.

Bei der Beurteilung des Pflegeaufwandes auf der Grundlage der neuesten Untersuchung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 04.04.2006 ergeben sich nach diesen Darlegungen erst recht keine Abzugswerte, sodass der dort festgestellte Pflegeaufwand ebenfalls 14 Stunden die Woche übersteigt.

Dementsprechend waren die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben, weil dort unzutreffend davon ausgegangen wurde, dass eine Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nicht bestehen würde. Es war antragsgemäß festzustellen, dass bei der Klägerin auch nach dem 22.10.2002 und fortlaufend Versicherungspflicht nach § 3 S. 1 Nr. 1 a SGB VI besteht. Hierfür hat die Beigeladene entsprechende Versicherungsbeiträge an die Beklagte zu leisten.

Nachdem die Klägerin mit ihrer Klage Erfolg hatte, war sie nach § 193 SGG auch von ihren außergerichtlichen Kosten freizustellen. Die Kostentragung war der Beklagten aufzuerlegen. Deren Entscheidung hat die erste und einzige Möglichkeit für die Klägerin dargestellt, gegen die differenzierten Feststellungen hinsichtlich des Pflegeaufwandes vorgehen zu können. Zwar baute die Entscheidung der Beklagten auf - wie im Urteil festgestellt wurde - unzutreffenden Vorbewertungen der Beigeladenen auf, stellte jedoch letztlich eine eigenständige rechtliche Entscheidung in der Verantwortung der Beklagten dar.
Rechtskraft
Aus
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