L 19 B 651/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 AS 6917/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 B 651/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. April 2007 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern zu 1) und 2) ein Darlehen in Höhe von 2.285,40 EUR zur Begleichung der in der Räumungsklage vom 14. März 2007 genannten Mietschulden zu gewähren. Der Beklagte kann die Gewährung des Darlehens davon abhängig machen, dass sich die Antragsteller zu 1) und 2) damit einverstanden erklären, dass der Mietrückstand sowie die zukünftigen Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung bis zum Ende des Bewilligungsabschnittes (September 2007) an den Vermieter unmittelbar überwiesen werden. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner wird ferner verpflichtet, den Antragstellern im Wege des Darlehens seit dem 19. März 2007 bis zum 30. September 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes auch für die Antragstellerin zu 1) zu gewähren. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt K wird abgelehnt.

Gründe:

I. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft. Die Antragsteller zu 3) und 4) sind ihre am 2003 und am 2005 geborenen Töchter. Sie leben gemeinsam in einer ca. 116 m2 großen Wohnung in der straße, deren Mieter die Antragsteller zu 1) und 2) sind. Die Nettokaltmiete beträgt 459,48 EUR. Für die kalten Betriebskosten ist eine Vorauszahlung von 100 EUR und für die Kosten von Heizung und Warmwasser von 120 EUR zu leisten. Die Antragstellerin zu 1) ist Studentin der Erwachsenenbildung an der FU B. Sie hat die Förderungshöchstdauer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz BAFöG bei weitem überschritten. Die Antragsteller erhalten laufend Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II , zuletzt mit Bescheiden vom 16. und 28. Februar 2007 für die Bewilligungsabschnitte Februar bis März 2007 und April bis September 2007. Soweit aus den Akten ersichtlich, wurden hierbei für die Antragstellerin zu 1) weder eine Regelleistung noch anteilige Kosten der Unterkunft berücksichtigt. Diese Bescheide ersetzten jeweils Bescheide vom 20. Dezember 2006. Vom 20. Dezember 2006 liegt ferner ein Bescheid vor, mit dem der Antragsgegner noch einmal außerhalb der Prüfung eines einzelnen Leistungsanspruchs festgestellt hat, dass für die Antragstellerin zu 1) keine Leistungen zu gewähren seien. Gegen "den Bescheid vom 20. Dezember 2006" legten die Antragsteller Widerspruch ein. Am 19. März 2007 beantragten die Antragsteller, den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, "umgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie Unterkunftskosten (679,48 EUR) zu gewähren" und Mietschulden in Höhe von 2.080,92 EUR zu übernehmen. Mit Beschluss vom 17. April 2007 hat das Sozialgericht Berlin die Anträge abgelehnt. Es hat zur Begründung ausgeführt, es bestehe kein Anordnungsanspruch. Die angefochtenen Bescheide seien nach summarischer Prüfung rechts- und ermessensfehlerfrei ergangen. Es hat sich den Argumenten des Antragsgegners angeschlossen. Gegen den am 21. April 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am 24. April 2007 eingegangene Beschwerde, mit der die Antragsteller zunächst die Trennung des Verfahrens in zwei Verfahren bezüglich der unterschiedlichen geltend gemachten Ansprüche anstreben. Hinsichtlich der Übernahme der Mietschulden tragen sie vor, es bestünden Mietschulden in Höhe von 2.285,40 EUR. Es drohe Wohnungslosigkeit, es sei bereits eine Räumungsklage anhängig. In diesem Verfahren könnten sie nur Erfolg haben, wenn bis zum 19. Juni 2007 eine Mietschuldenübernahme gemäß § 569 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB – vorliege. Bezüglich einer (darlehensweisen) Gewährung von Arbeitslosengeld II-Leistungen bezogen auf die Antragstellerin zu 1) tragen die Antragsteller vor, dieser Anspruch bestehe nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Es sei ein anerkannter Härtefall, wenn ein Studium trotz aller Widrigkeiten so weit sei, dass nur noch die Diplomarbeit geschrieben müsse und dies voraussichtlich innerhalb eines dreiviertel Jahres abgeschlossen sei. Ferner sei die Geburt und Erziehung eines Kindes über die Förderungshöchstdauer hinaus als Härtefall anerkannt. Die Kinder S und J seien 2003 und 2005 geboren. Wenn man davon ausgehe, dass eine Mutter im ersten Lebensjahr ihres Kindes und auch in der Phase der Hochschwangerschaft so gut wie nicht studierfähig sei, so sei sie seit September 2003 bis jedenfalls Ende 2006 entschuldigt, also insgesamt 7 Semester. Es sei bedrückend, dass weder der Antragsgegner noch das Sozialgericht erwähnt und gewürdigt hätten, dass der Sohn der Antragstellerin zu 1) mit 13 Jahren an Krebs erkrankt und mit sechzehn daran gestorben wäre. Es sei verständlich, dass die Antragstellerin zu 1) während der drei Jahre der Krankheit ihres Sohnes kaum habe studieren können. Mithin kumulierten in der Person der Antragstellerin zu 1) mehrere Härtefälle. Der Antragsgegner ist der Ansicht, der Beschluss des Sozialgerichts sei rechtsfehlerfrei. Gleichwohl werde er unter Berücksichtigung der neuerlichen Ausführungen den Sachverhalt erneut überprüfen. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. II. Dem Antrag der Antragsteller auf die Trennung der verbundenen Anträge war nicht stattzugeben. Zwar kann eine solche Trennung bei subjektiver Klagehäufung (oder wie hier Antragshäufung) im Interesse größerer Übersichtlichkeit oder wenn über einen Anspruch bereits entschieden werden kann, über den anderen aber nicht, sachdienlich sein. Hier ergibt sich die Zweckmäßigkeit aber nicht. Das Verfahren ist im Vergleich zu sonstigen sozialgerichtlichen Verfahren äußerst übersichtlich. Insbesondere sind auch für beide geltend gemachten Ansprüche dieselben Lebensumstände der Antragsteller von Bedeutung. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Hinsichtlich des Anspruchs auf Übernahme der Mietschulden besteht ein Anordnungsanspruch. Nach § 22 Abs. 5 SGB II in der seit dem 1. April 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl. I S. 558) können auch Schulden übernommen werden. Voraussetzungen sind, dass Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und die Übernahme der Schulden zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Schulden sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Grundsätzlich trägt der Antragsgegner die laufenden Kosten der Unterkunft der Antragsteller. Es droht auch Wohnungslosigkeit, weil bereits ein Räumungsverfahren läuft. Die Zwangsräumung kann hier nur dadurch abgewendet werden, dass sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung der Mietschulden verpflichtet (vgl. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB), ein anderer Weg ist hier nicht ersichtlich. Die Übernahme der Schulden ist auch gerechtfertigt. Die Antragsteller hatten zwar im Leistungszeitraum schon einmal Schwierigkeiten mit der Mietzahlung, im Wesentlichen ist es ihnen aber gelungen, pünktlich zu leisten. Sie sind dann aber offensichtlich im Zusammenhang mit dem Tod des Sohnes der Antragstellerin zu 1) im November 2006 in Schwierigkeiten geraten. Sie hatten nicht nur dieses einschneidende Ereignis, sondern auch eine erhebliche Veränderung ihrer finanziellen Verhältnisse zu verkraften. Mit dem Tod des Sohnes entfiel der Unterhalt (511 EUR) sowie das Pflegegeld (zuletzt 410 EUR), ohne dass eine nennenswerte Verminderung der laufenden Kosten eintrat. Die Familie versuchte in der Folgezeit ersichtlich, ihre Verhältnisse wieder zu ordnen. Der Antragsteller zu 2) nahm am 1. Februar 2007 eine versicherungspflichtige vollschichtige Beschäftigung auf. Die Antragstellerin zu 1) meldete sich am 30. Januar 2007 zur Abschlussprüfung an. In dem Bericht des Bezirksamtes N vom 1. Januar 2007 wird überdies berichtet, dass der große PKW, der bisher wegen des Transportes der drei Kinder einschließlich Rollstuhl und Kinderwagen notwendig gewesen war, abgeschafft und durch einen kleineren PKW ersetzt worden ist. Dies belegt die Bemühungen der Antragsteller, wieder geordnete Verhältnisse herzustellen, so dass die Übernahme der Mietschulden gerechtfertigt ist. Nach § 21 Abs. 5 Satz 3 sollen entsprechende Leistungen als Darlehen erbracht werden. Bei der im Rahmen eines einstweiligen Verfahrens möglichen freien Gestaltung der Rechtsfolgen hielt es der Senat für angebracht, eine Verpflichtung des Antragsgegners nur dann auszusprechen, wenn die Antragsteller zu 1) und 2) sich damit einverstanden erklären, dass die Miete (mindestens) bis zum Ende des Bewilligungsabschnittes (September 2007) sowie der Mietrückstand an den Vermieter direkt geleistet werden. Allein in der Zeit vom 8. Februar 2007 an, als erstmals ein Mietrückstand geltend gemacht wurde, bis zur Räumungsklage hat sich der Mietrückstand erheblich erhöht. Eine weitere Erhöhung der Schulden ist von Seiten des Gerichts nur durch diese Maßnahme zu verhindern. Es besteht auch ein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt bezogen auf die Antragstellerin zu 1) in Form eines Darlehens bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts. Nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden. Ein besonderer Härtefall liegt vor. Dies ist der Fall, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist. Hilfebedürftige, die eine Ausbildung der in § 7 Abs. 5 SGB II genannten Art betreiben und nach den dafür vorgesehenen Leistungsgesetzen nicht (mehr) gefördert werden, sind in der Regel gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen, um für die Dauer der Hilfebedürftigkeit den Ausschluss von der Hilfe zum Lebensunterhalt abzuwenden (BVerwG, Urteil vom 14.10.1993 5 C 16/91 – zu der Vorgängervorschrift § 26 des Bundessozialhilfegesetzes BSHG ). Bei der Antragstellerin zu 1) liegen Merkmale vor, die eine besondere Härte begründen. Zwar spricht die hohe Zahl an Fachsemestern, die sie bisher zurückgelegt hat gegen eine Härte, denn sie lässt darauf schließen, dass die Ausbildung bisher nicht mit dem erforderlichen Eifer betrieben worden ist. Allerdings liegen erhebliche Kriterien eines Härtefalls vor, die im Ergebnis überwiegen. Es ist nunmehr zu erwarten, dass ein Abschluss der Ausbildung erfolgt. Die Belastung durch die Pflege des schwerkranken Sohnes ist entfallen. Die Antragstellerin zu 1) hat sich zur Abschlussprüfung angemeldet und durch Vorlage der Bescheinigung der FU Berlin vom 29. Mai 2007 glaubhaft gemacht, dass sie diesen Abschluss auch ernsthaft betreibt. Die Verzögerung des Abschlusses ist jedenfalls in den letzten Jahren weitgehend darauf zurückzuführen, dass sie mit ihrem Lebensgefährten ein krankes Kind gepflegt und zwei Kinder geboren und betreut hat. Bei Vorliegen einer besonderen Härte besteht allerdings in der Regel nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Leistungen, die vom Gericht nicht ersetzt werden kann. Bei summarischer Prüfung ist jedoch keine andere Entscheidung ermessensfehlerfrei. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner auferlegt worden sind. Die Antragstellerin ist deshalb in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung ZPO ). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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