L 7 AL 303/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AL 5797/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 303/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. November 2005 wird zurückgewiesen.

Seine Klage wegen des Bescheides vom 19. Mai 2003 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) in der Zeit vom 19. Mai bis 30. Juni 2003 sowie über die Rückforderung von in diesem Zeitraum überzahlten Leistungen von 998,89 Euro.

Der 1971 geborene Kläger, griechischer Staatsangehöriger, hat seinen Angaben zufolge den Beruf des Maschinenbautechnikers erlernt; er ist außerdem im Besitz eines Gabelstapler-Führerscheins. Nach einer Beschäftigung als Raumpfleger ab 17. November 1994 bezog er von der Beklagten ab 16. September 1998 Arbeitslosengeld (Alg) sowie - nach einer Sperrzeit wegen Nichtannahme eines Arbeitsangebots in der Zeit vom 28. Juli bis 19. Oktober 1999 - vom 20. Oktober 1999 bis 10. Januar 2000 Alhi. Vom 11. Januar 2000 bis 2. Mai 2001 war der Kläger als Helfer bei einer Zeitarbeitsfirma sowie vom 3. Mai 2001 bis 1. Mai 2002 als Textilarbeiter bei einem Automobil-Zulieferer beschäftigt. Nach erneuter Arbeitslosmeldung am 21. Mai 2002 gewährte die Beklagte ab diesem Zeitpunkt wiederum Alg, wobei der Kläger sich zur Arbeitsuche unter Mitnahme des Leistungsanspruchs zeitweise (11. Februar bis 8. Mai 2003) in Griechenland aufhielt. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland und Arbeitslosmeldung am 9. Mai 2003 bezog der Kläger noch bis zur Erschöpfung des Anspruchs mit dem 16. Mai 2003 Alg. Durch Bescheid vom 30. Mai 2003 bewilligte die Beklagte ab 17. Mai 2003 Alhi in Höhe von 162,61 Euro wöchentlich (23,23 Euro täglich).

Anlässlich seiner persönlichen Vorsprache am 19. Mai 2003 auf der Geschäftsstelle Böblingen des Arbeitsamts Stuttgart (ArbA) erhielt der Kläger schriftlich (mit Rechtsfolgen- und Rechtsbehelfsbelehrung) folgende Aufforderung: " ... Sie haben erklärt, alle Möglichkeiten zur Beendigung Ihrer Beschäftigungslosigkeit zu nutzen und nutzen zu wollen. Wie Sie wissen, sind solche Bemühungen, die über die bloße Inanspruchnahme der Beratungs- und Vermittlungsdienste der Arbeitsämter hinausgehen müssen, zwingende Voraussetzungen für den Leistungsanspruch. Die nachfolgend bezeichneten Eigenbemühungen sind daher von Ihnen zu unternehmen (Beispiele): 5 Bewerbungen als Staplerfahrer, 5 Bewerbungen als Lagerarbeiter bei Zeitarbeitsfirmen, regelmäßige SIS-Nutzung. Ich darf Sie bitten gemäß § 119 Abs. 5 Satz 2 SGB III, bis zum 30.06.03 die geforderten Nachweise vorzulegen bzw. überprüfbare Angaben zu Ihren Eigenbemühungen zu machen ..." Gleichzeitig wurden dem Kläger mindestens 10 Vermittlungsvorschläge für Tätigkeiten als Lagerarbeiter oder Gabelstaplerfahrer bei Zeitarbeitsfirmen (ein Vorschlag ging auf eine Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter) - unter Belehrung über die Rechtsfolgen einer Arbeitsablehnung (Sperrzeit) - ausgehändigt.

Am 7. August 2003 erschien der Kläger, der vom 27. Juni bis 11. Juli 2003, 14. bis 18. Juli 2003, 21. bis 25. Juli 2003 und 28. Juli bis 1. August 2003 ärztlich krankgeschrieben worden und deshalb den Meldeaufforderungen zum 1. , 11. und 25. Juli 2003 nicht nachgekommen war, erneut auf dem ArbA; zu den vorstehenden Vermittlungsvorschlägen gab er jeweils an, dass er sich zwar vorgestellt habe, eine Einstellung jedoch daran gescheitert sei, dass diese Arbeitgeber nicht tarifgebunden seien. Außerdem übergab der Kläger sechs Absageschreiben von Arbeitgebern (vom 5., 24., 27. und 30. Juni sowie 1. und 3. Juli 2003) auf seine Eigenbewerbungen, darunter zwei Absagen auf Bewerbungen als Lagerarbeiter und Fahrer; Bewerbungsschreiben wurden nicht eingereicht. Ebenfalls am 7. August 2003 erhielt der Kläger die Aufforderung zur Vornahme und dem Nachweis von weiteren zehn Bewerbungen bei Zeitarbeitsfirmen als Lagerarbeiter, Staplerfahrer oder Helfer bis 17. September 2003. Diese "Eingliederungsvereinbarung" erachtete das ArbA aufgrund der Vorlage von insgesamt zehn Bewerbungsschreiben sowie eines Absageschreibens am 18. September 2003 als erfüllt.

Bereits zuvor hatte die Beklagte durch Bescheid vom 19. August 2003 die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 19. Mai bis 30. Juni 2003 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben und die Erstattung der in diesem Zeitraum zu Unrecht gezahlten Leistung in Höhe von 998,89 Euro gefordert. Mit seinem Widerspruch hiergegen machte der Kläger geltend, dass er in ausreichendem Maße Eigenbemühungen unternommen habe. Zudem seien die von der Beklagten gestellten Anforderungen an den Nachweis der Eigenbemühungen nicht hinreichend konkretisiert gewesen. Durch Widerspruchsbescheid vom 24. September 2003, der Bevollmächtigten des Klägers zugegangen am 29. September 2003, wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Deswegen hat der Kläger am 29. Oktober 2003 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Das SG hat den Kläger im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 13. Januar 2005 angehört; dieser hat dort angegeben, dass er das Selbstinformationseinrichtungssystem (SIS) nicht genutzt habe, weil er nicht gewusst habe, wie dieses System funktioniere, weder Deutsch schreiben noch lesen könne und von der Arbeitsvermittlerin insoweit keine Hilfestellung erhalten habe. Das SG hat von der Arbeitsvermittlerin S. H. die schriftliche Stellungnahme vom 25. Februar 2005 eingeholt. Mit Urteil vom 8. November 2005 hat das SG die Klage abgewiesen; wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das der Bevollmächtigten des Klägers am 19. Dezember 2005 zugestellte Urteil verwiesen.

Hiergegen richtet sich die am 19. Januar 2006 beim Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers. Er hat vorgebracht, die Beklagte hätte bei der Aufforderung zu Eigenbemühungen zu prüfen gehabt, welche konkreten Tätigkeiten in welchem Umfang von ihm hätten erwartet werden können und wie sie von ihm nachzuweisen seien. Dabei hätte sie insbesondere seine individuellen Fähigkeiten, seine beruflichen Vorerfahrungen, seine Arbeitsfähigkeit und die Arbeitsmarktchancen berücksichtigen müssen. Indem diese neben dem schriftlichen Nachweis von Bewerbungen auch den Nachweis der Nutzung des SIS-Verfahrens gefordert habe, ohne ihn vorher in die Nutzung einzuweisen, habe sie bereits die Nichterfüllung der Eigenbemühungen "zementiert".

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. November 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2003 und den Bescheid vom 19. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen und seine Klage wegen des Bescheides vom 19. Mai 2003 abzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Der Kläger sei im Übrigen bereits am 11. Juli 2002 über die Möglichkeiten des SIS informiert worden. Durch die Nichtnutzung dieses Systems habe der Kläger nicht alles getan, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Auch das Verhalten des Klägers auf die ihm unterbreiteten Vermittlungsvorschläge lasse nur den Schluss zu, dass er nicht bereit gewesen sei, alles zu tun, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden.

Die Beteiligten haben Ablichtungen der Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. Oktober 2005 - B 7a AL 18/05 R - (veröffentl. in BSGE 95, 176 ff. = SozR 4-4300 § 119 Nr. 3) und vom 31. Januar 2006 - B 11a AL 13/05 R - (veröffentl. in juris)) zur Kenntnis erhalten.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers und seine Klage wegen des Bescheides vom 19. Mai 2003 haben keinen Erfolg.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist unter Beachtung der Form- und Fristvorschriften des § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil der Wert des Beschwerdegegenstandes mehr als EUR 500,00 beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung des Klägers und seine Klage sind jedoch nicht begründet.

Nach § 123 SGG zur Entscheidung gestellt sind nicht nur der (Aufhebungs- und Erstattungs-) Bescheid vom 19. August 2003 und der Widerspruchsbescheid vom 24. September 2003, sondern auch das Aufforderungsschreiben vom 19. Mai 2003. Dieses Schreiben ist - obgleich damit eine eventuelle spätere Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung von Alhi erst vorbereitet werden sollte, "formal" als Verwaltungsakt zu behandeln, nachdem es mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnr. 11); BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 a.a.O. (Rdnr. 16)). Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Vorverfahren ist nach dem "Meistbegünstigungsgrundsatz" davon auszugehen, dass er mit seinem Widerspruch auch eine Überprüfung dieses formalen Bescheids hinsichtlich der dort geforderten Eigenbemühungen und deren Nachweis begehrt hat, wobei der Erlass eines weiteren Widerspruchsbescheides insoweit nicht erforderlich war (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnr. 12) mw.N.). Über den Bescheid vom 19. Mai 2003 ist, da vom SG nicht einbezogen, im Berufungsverfahren kraft Klage zu befinden (vgl. BSG SozR 4100 § 119 Nr. 12 S. 53).

Verfahrensrechtliche Grundlage für die kassatorische Entscheidung der Beklagten ist hier mit Blick auf den erst unter dem 30. Mai 2003 ergangenen Alhi-Bewilligungsbescheid nicht die Bestimmung des § 48 SGB X (in der Modifikation durch § 330 Abs. 3 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III)), sondern diejenige des § 45 SGB X in der Modifikation durch § 330 Abs. 2 SGB III, denn dieser Bescheid war von Anfang an (teilweise) rechtswidrig (vgl. hierzu BSGE 74, 20, 23 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 32; BSG, Urteil vom 14. März 1996 - 7 RAr 84/94 - (juris)); die Beurteilung der Rechtswidrigkeit bestimmt sich hierbei nach den tatsächlichen und materiellrechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses (d.h. der Bekanntgabe) des begünstigenden Verwaltungsakts (vgl. BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18). Dass die Beklagte den Bescheid vom 19. August 2003 auf die Vorschrift des § 48 SGB X gestützt hat, ist jedoch unschädlich, weil lediglich die Rechtsgrundlage ausgewechselt wird, die §§ 45, 48 SGB X auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet sind (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnr. 14) m.w.N.) und die Rücknahme (Aufhebung) der Bewilligung zudem nach § 330 Abs. 2 und 3 Satz 1 SGB III unter den Voraussetzungen der §§ 45 Abs. 2 Satz 3, 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X zwingend vorgeschrieben ist. Nach § 45 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III ist ein begünstigender Verwaltungsakt unter Beachtung der Einschränkungen der Abs. 2 und 4 von § 45 SGB X ganz oder teilweise zurückzunehmen. Auf Vertrauensschutz (vgl. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X) kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bösgläubigkeit ist der Erlass des zurückzunehmenden begünstigenden Bescheides (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 24 S. 82; SozR a.a.O. Nr. 39 S. 127; Wiesner in von Wulffen u.a., SGB X, 5. Auflage, § 45 Rdnr.23). Die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligung von Alhi in der streitbefangenen Zeit, die von der Beklagten zugunsten des Klägers auf den Zeitraum vom 19. Mai bis 30. Juni 2003 begrenzt worden ist, liegen hier vor. Die vor Ergehen des Bescheides vom 19. August 2003 unterbliebene Anhörung (§ 24 SGB X) ist im Widerspruchsverfahren zulässigerweise nachgeholt worden (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X).

Gemäß § 190 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (in der Fassung bis 31. Dezember 2004) ist die Arbeitslosigkeit eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi. Nach § 198 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III (wiederum in der Fassung bis 31. Dezember 2004) i.V.m. § 118 Abs. 1 SGB III (in der hier anzuwendenden Fassung des 1. SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2970)) setzt die Arbeitslosigkeit nicht nur Beschäftigungslosigkeit, sondern auch die Beschäftigungssuche voraus (vgl. Nr. 2 a.a.O.). Eine Beschäftigung sucht, wer (1.) alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und (2.) den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts zur Verfügung steht (vgl. § 119 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes - AFRG - vom 24. März 1997 - (BGBl. I S. 594)). Das Arbeitsamt hat den Arbeitslosen bei der Arbeitslosmeldung auf seine Verpflichtung gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III besonders hinzuweisen (vgl. § 119 Abs. 5 Satz 1 SGB III (Fassung durch das AFRG)). Nach § 119 Abs. 5 Satz 2 SGB III (ebenfalls in der Fassung des AFRG) hat der Arbeitslose auf Verlangen des Arbeitsamtes seine Eigenbemühungen nachzuweisen, wenn er rechtzeitig auf die Nachweispflicht hingewiesen worden ist. Gemäß § 119 Abs. 2 SGB III (in der Fassung des AFRG) steht im Übrigen den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung, wer arbeitsfähig und seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit (d.h. subjektiv verfügbar) ist.

Zu den Anspruchsvoraussetzungen für die Alhi gehören mithin sowohl die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III) als auch eigene Bemühungen des Arbeitslosen (Nr. 1 a.a.O.), wieder eine Arbeit zu finden; denn zur Beschäftigungssuche als einem tatbestandlichen Merkmal der Arbeitslosigkeit reicht es nach dem SGB III nicht aus, dass sich der Arbeitslose nur auf die Inanspruchnahme der Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesagentur für Arbeit beschränkt (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnr. 20)). Die vom Arbeitslosen zu fordernden Eigenbemühungen stellen sich mithin als eine versicherungsrechtliche Obliegenheit dar, die zur Anspruchsvoraussetzung geworden ist (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnr. 19); BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 a.a.O. (Rdnr. 20)). Zwar ist gesetzlich nicht geregelt, welche Eigenbemühungen mit welcher Häufigkeit und Intensität der Arbeitslose unternehmen muss; indessen lässt sich diese Obliegenheit durch entsprechende Hinweise der Beklagten gemäß § 119 Abs. 5 Satz 1 SGB III hinreichend konkretisieren, sodass ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) nicht zu besorgen ist (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnrn. 20 ff.). Die Konkretisierung der Pflicht zu Eigenbemühungen besteht zwar bereits zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung, sie kann jedoch auch später noch nachgeholt werden, ist darüber hinaus an erforderliche Entwicklungen anzupassen und somit immer wieder zu aktualisieren (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnr. 25)). Die Konkretisierung der Obliegenheiten des Arbeitslosen ist nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen und am Maßstab der Zumutbarkeit und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnrn. 28 f.); BSG, Urteil vom 31. Januar a.a.O. (Rdnrn. 20 f.)). Die zum Wegfall der Anspruchsvoraussetzung erhebliche Obliegenheitsverletzung setzt ferner ein Verschulden des Arbeitslosen voraus, wobei ein subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab anzulegen ist (BSGE 95, 176 (Rdnr. 33); BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 a.a.O. (Rdnr. 20)). Die Vorschrift des § 119 Abs. 5 Satz 2 SGB III über die Nachweispflicht des Arbeitslosen zu seinen Eigenbemühungen ist als Regelung der materiellen Beweislast zu verstehen (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnrn. 27, 31 f.); BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 a.a.O. (Rdnr. 20)).

Ihrer Hinweis- und Konkretisierungspflicht hat die Beklagte - trotz der Formulierung als "Beispiele" - im formal als Bescheid zu behandelnden Schreiben vom 19. Mai 2003 noch hinreichend bestimmt genügt (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 30. Mai 2007 - L 7 AL 2743/05 -). Für den Kläger war aus objektivem Empfängerhorizont klar erkennbar, was das ArbA verlangte, nämlich die Vornahme von fünf Bewerbungen als Staplerfahrer, fünf Bewerbungen als Lagerarbeiter bei Zeitarbeitsfirmen sowie die Nutzung des SIS; die geforderten Eigenbemühungen sollten bis 30. Juni 2003 nachgewiesen werden. Die vorgenannten Eigenbemühungen konnten dem Kläger, der den Gabelstapler-Führerschein besitzt und auch bereits als Helfer bei einer Zeitarbeitsfirma beruflich tätig war, bei objektiver Betrachtungsweise angesonnen werden; sie waren mit Blick auf seine beruflichen Erfahrungen sowie seine gesundheitliche Leistungsfähigkeit weder unzumutbar noch aus sonstigen Gründen unverhältnismäßig. Dass darunter auch die Forderung nach fünf Bewerbungen als Lagerarbeiter bei Zeitarbeitsfirmen war, war gerade auch in Anbetracht der seit Sommer 1998 bestehenden - lediglich in der Zeit von Mitte Januar 2000 bis Anfang Mai 2002 unterbrochenen - Arbeitslosigkeit des Klägers zumutbar (vgl. hierzu auch BSG SozR 3-4300 § 144 Nr. 7). Dafür, dass es ihm - trotz seiner wiederholten ärztlichen Krankschreibungen seit 27. Juni 2003 (letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 28. Juli 2003 zum 1. August 2003) - aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, die verlangten Eigenbemühungen bis zum 30. Juni 2003 oder jedenfalls bis zum 7. August 2003 vorzunehmen, fehlt jeder Anhalt; hierauf hat sich der Kläger auch nicht berufen. Ferner war die Nutzung des SIS zumutbar (vgl. hierzu im Übrigen jetzt § 119 Abs. 4 Nr. 3 SGB III in der am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Fassung des 3. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848)). Zwar könnte die am 19. Mai 2003 geforderte SIS-Nutzung weiter auslegungsbedürftig sein, wenn der Kläger von diesem System tatsächlich Gebrauch gemacht hätte und lediglich darüber gestritten würde, in welchem Umfang die Nutzung zu erfolgen gehabt hätte und wie dies nachzuweisen gewesen wäre (vgl. hierzu BSGE 95, 176 (Rdnr. 31)). Der Kläger hat das SIS jedoch nach seinem eigenen Eingeständnis überhaupt nicht genutzt, obwohl ihm dieses nach seinen damaligen Sprachkenntnissen - die Arbeitsvermittlerin Heß hat ausweislich ihrer Stellungnahme vom 25. Februar 2005 seinerzeit ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache beschrieben - möglich gewesen wäre und zudem nach der Darstellung der Arbeitsvermittlerin vor Ort bei den SIS-Geräten auch Kollegen gewesen wären, die die Nutzung des Systems hätten erklären können. Dessen ungeachtet ist der Kläger der am 19. Mai 2003 ergangenen Aufforderung zur aktiven Beschäftigungssuche selbst hinsichtlich der geforderten Bewerbungen als Staplerfahrer und Lagerarbeiter noch nicht einmal annähernd nachgekommen, denn er hat am 7. August 2003 lediglich sechs Absageschreiben von Arbeitgebern, darunter bloß ein Schreiben einer Zeitarbeitsfirma (T.service GmbH vom 5. Juni 2003) vorgelegt, wobei sich überhaupt nur aus zwei Absageschreiben (O. E. M. of G. GmbH vom 24. Juni 2003, Dr. Fritz F. GmbH & Co. KG vom 1. Juli 2003) ergibt, dass er sich dort für Beschäftigungen als Lagerarbeiter (O. ) bzw. Fahrer/Lagerarbeiter (F. ) beworben hatte.

Dass der Kläger die von ihm geforderten Eigenbemühungen auch selbst im oben dargestellten Sinne verstanden hat, lässt sich seinen eigenen Einlassungen während des gesamten Verfahrens entnehmen; er hat sich in seinem Prozessvorbringen allein auf die Angriffe gegen die geforderte SIS-Nutzung beschränkt, ohne auf die zusätzlich verlangten insgesamt zehn Bewerbungen als Staplerfahrer und Lagerarbeiter überhaupt nur einzugehen. Bei etwaigen sprachlichen Verständnisschwierigkeiten, die hier angesichts des Vortrags des Klägers zu den am 19. Mai 2003 verlangten Eigenbemühungen nicht zu besorgen sind, hätte er sich zudem durch eine des Deutschen mächtige Person helfen lassen können. Trotz der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 19. Juli 2007 wieder vorgebrachten Sprachprobleme ist der Kläger im Übrigen der ihm am 7. August 2003 unterbreiteten erneuten Aufforderung zur Vornahme von zehn Bewerbungen bei Zeitarbeitsfirmen als Lagerarbeiter, Staplerfahrer oder Helfer vollumfänglich nachgekommen. Ihm ist daher eine schuldhafte Verletzung seiner Obliegenheit zu Eigenbemühungen in der vorliegend umstrittenen Zeit vom 19. Mai bis 30. Juni 2003 vorzuwerfen.

Da die Beklagte den Kläger rechtzeitig im (formalen) Bescheid vom 19. Mai 2003 auf seine Nachweispflicht hingewiesen hatte und ihm - mit Blick auf seine wiederholten ärztlichen Krankschreibungen - sogar Gelegenheit gegeben worden war, die geforderten Nachweise bis zum 7. August 2003 einzureichen, ohne dass der Kläger bis dahin die ihm zumutbaren Schritte unternommen hatte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er in der streitbefangenen Zeit mittels Eigeninitiative ernsthaft nach Möglichkeiten gesucht hat, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden; dies geht zu seinen Lasten (vgl. nochmals § 119 Abs. 5 Satz 2 SGB III in der Fassung des AFRG). Gegen seine Bereitschaft zur Beschäftigungssuche im hier umstrittenen Zeitraum spricht auch, dass der Kläger sämtliche ihm am 19. Mai 2003 unterbreiteten Vermittlungsvorschläge der Beklagten pauschal mit der Begründung abgelehnt hat, die betreffenden Zeitarbeitsfirmen seien nicht tarifgebunden, obwohl ihm - gerade auch in Anbetracht seiner längeren Arbeitslosigkeit seit 1998 - auch Tätigkeiten in Zeitarbeitsfirmen zumutbar gewesen wären und er zudem auch bereits bei einer derartigen Unternehmen gearbeitet hatte. Wegen der schon nicht erkennbaren Eigenbemühungen des Klägers in der streitbefangenen Zeit bedarf es indessen keiner weiteren (positiven) Feststellungen dazu, ob bei diesem durch die Ablehnung der betreffenden Arbeitsangebote auch seine Verfügbarkeit im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB III (in der Fassung des AFRG) fehlte oder ob er den Sperrzeittatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III verwirklicht hatte, auch wenn der Senat zu einer solchen Prüfung ohne Bindung an die im angefochtenen Bescheid gegebene Begründung befugt gewesen wäre (vgl. nur BSG SozR 4100 § 119 Nr. 12 S. 54; SozR a.a.O. § 117 Nr. 25 S. 134).

Ferner liegen die subjektiven Voraussetzungen für die Rücknahme der bewilligten Alhi in der Zeit vom 19. Mai bis 30. Juni 2003 gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor. Denn der Kläger hat die (teilweise) Rechtswidrigkeit der Bewilligung im Bescheid vom 30. Mai 2003 jedenfalls aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt; maßgeblicher Zeitpunkt für die grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit ist der Erlass des zurückzunehmenden begünstigenden Verwaltungsaktes (vgl. hierzu nochmals BSG SozR 3-1300 § 45 Rdnrn. 24 und 39). Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Maßes, d.h. eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus; es müssen schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSG SozR a.a.O. Nr. 10 S. 33). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere an der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 2). Missachtet der Begünstigte die klaren und eindeutigen Hinweise im Bescheid oder in einem Merkblatt und konnte er dies nach seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand erkennen, so begründet dies im Regelfall, wenn nicht gar Kenntnis, so zumindest grobe Fahrlässigkeit (vgl. BSGE 44, 264, 273; BSG, Urteil vom 24. April 1997 - 11 RAr 89/96 - (juris)).

Dies war hier der Fall, denn der Kläger wusste, welche Eigenbemühungen von ihm ab 19. Mai 2003 verlangt worden sind. Aufgrund der Hinweise auf Seite 2 des Bescheides vom 19. Mai 2003, auf deren Beachtung auf dessen Vorderseite ausdrücklich verwiesen worden ist, hätte es ihm ohne weitere Überlegungen klar sein müssen, dass nicht ausreichende Eigenbemühungen wegen des Fehlens des Tatbestandsmerkmals der Arbeitslosigkeit leistungsschädlich sind; er musste deshalb bei Nichterfüllung der Aufforderung zur aktiven Beschäftigungssuche gemäß den Konkretisierungen des ArbA mit einer Aufhebung der Alhi-Bewilligung ab 19. Mai 2003 bis zu dem im Bescheid genannten Endtermin (30. Juni 2003) rechnen. Davon, dass ihm die Alhi auch ohne ausreichende Eigenbemühungen zustünde, konnte er in Anbetracht der ihm gegebenen Hinweise schlechterdings nicht ausgehen. Dass diese Hinweise in deutscher Sprache abgefasst waren, ändert daran nichts (vgl. auch § 19 Abs. 1 SGB X). Vielmehr wäre der Kläger - sofern er die "Rechtsfolgenbelehrungen" im Bescheid vom 19. Mai 2003 mangels ausreichender Beherrschung der deutschen Sprache nicht hinreichend verstanden haben sollte - gehalten gewesen, sich notfalls mit Hilfe einer des Deutschen und seiner Muttersprache kundigen Person Klarheit über deren Inhalt zu verschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 1997 a.a.O.; Senatsurteil vom 15. März 2007 - L 7 AL 3647/05 -). Der Werdegang des Klägers sowie der von ihm in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juli 2007 gewonnene persönliche Eindruck bieten keinen Anhalt dafür, dass sein Einsichts-, Kritik- und Beurteilungsvermögen auf Grund subjektiver Merkmale beeinträchtigt gewesen sein könnte.

Nach allem ist dem Kläger ein - Vertrauensschutz ausschließendes - Fehlverhalten im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorzuwerfen. Die Beklagte war deshalb berechtigt, die Bewilligung der Alhi in der streitbefangenen Zeit mit Wirkung für die Vergangenheit ab dem Tag des dem Kläger zugegangen Aufforderungsschreibens, dem 19. Mai 2003, bis zum 30. Juni 2003 zurückzunehmen. Die Fristen des § 45 Abs. 3 und 4 SGB X sind eingehalten. Der Kläger ist deshalb nach § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet, die im Zeitraum vom 19. Mai bis 30. Juni 2003 überzahlten Leistungen zu erstatten; die Erstattungsforderung von 998,89 Euro ist zutreffend berechnet (43 Tage zu 23,23 Euro). Diesen Betrag hat der Kläger zu erstatten. Über die Modalitäten der Rückzahlung war vorliegend nicht zu entscheiden (vgl. BSG SozR 1200 § &61492;2 Nr. 4 S. 18; SozR 3-1300 § 48 Nr. 3 S.84).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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