S 13 KR 56/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 56/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf eine Wangenauffüll-Behandlung mit "New-Fill/Sculptra®".

Der 1960 geborene Kläger leidet an einer HIV-Infektion und ist an AIDS erkrankt. Wahrscheinlich infolge der antiretroviralen medikamentösen Therapie hat sich bei ihm ein Schwund des Fettgewebes im Gesicht und im Bereich des unteres Körperstammes eingestellt (sog. Lipodystrophie).

Am 16.11.2005 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für eine operative Rekonstruktion des Gesichts -, speziell des Wangenbereichs. Er legte eine Bescheinigung des behandelnden Internisten Dr. Knechten vor, in der 3 Therapiealternativen und deren Kosten aufgelistet waren: a) New Fill: ca. 2.150,- EUR b) Gortes-Implantationen: ca. 4.090,- EUR c) Fettinjektionen: ca. 4.090,- EUR Ein erster Antrag war bereits durch Bescheid vom 20.01.2003 und Widerspruchsbescheid vom 26.02.2004 bestandskräftig abgelehnt worden. Den neuen Antrag begründete der Kläger mit einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes, die seines Erachtens eine Neubewertung notwendig mache.

In von der Beklagten eingeholten Stellungnahmen des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 31.01. und 28.04.2006 stellte Dr. N. fest, alle 3 Therapieverfahren seien bisher vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nicht beraten und empfohlen worden. Die vorgelegten Fotos ließen beim Kläger kein entstellendes Aussehen erkennen. Der behandelnde Arzt berichte, dass sich der Kläger durch sein Aussehen diskriminiert fühle; hier komme psychotherapeutische Behandlung in Betracht; der Umstand, dass jemand von seiner Erkrankung gezeichnet sei, begründe nicht generell einen Anspruch auf Wiederherstellung des früheren gesunden Aussehens. New Fill® sei im Übrigen kein apothekenpflichtiges Medizinprodukt.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 03.05.2006 ab. Den dagegen am 17.05.2006 eingelegten Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 21.08.2006 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 21.09.2006 Klage erhoben. Er meint, dass in seinem Fall die äußeren Veränderungen und die durch die eingefallenen Wangen bedingten Kaubeschwerden und Schmerzen so erheblich seien, dass er eine Behandlung mit New Fill® benötige. Er verweist hierzu auf eine Stellungnahme seines behandelnden Internisten Dr. Knechten vom 28.05.2007.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.05.2006 in der Fassung des Widerspruchsbe- scheides vom 21.08.2006 zu verurteilen, ihm eine New Fill®-Behandlung zwecks Ausgleich des Fett- gewebsschwundes im Wangenbereich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.

Das Gericht zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts ein medizinisches Sachverständigengutachten von dem Dermatologen Dr. G. eingeholt. Wegen des Ergenisses wird auf das Gutachten vom 12.04.2007 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf eine (operative) Wangenauffüll-Behandlung mit New-Fill/Sculptra® zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).

Es ist bereits zweifelhaft, ob beim Kläger in Bezug auf die begehrte New Fill®-Behandlung eine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne des § 27 SGB V besteht. Krankheit ist ein regelwidriger Zustand, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht. Abweichungen, die noch befriedigende körperliche oder psychische Funktionen zulassen, führen noch nicht zur Regelwidrigkeit. Anders ist es, wenn eine schwere Entstellung vorliegt. Die Kammer konnte sich in der mündlichen Verhandlung persönlich davon überzeugen, dass die beim Kläger infolge der Lipodystrophie bestehende Hohlwangigkeit nicht abstoßend, entstellend oder in sonstiger Weise abnorm ist. Der Kläger ist ein schlanker Mensch, dessen ein wenig eingekehrte Wangen nicht besonders auffallend sind, jedenfalls aber nicht krankhaft wirken. Man könnte seine Gesichtszüge als markant bezeichnen. Wer sich mit einer HIV-Infektion/AIDS-Erkrankung und den Nebenwirkungen einer entsprechenden medikamentösen Therapie nicht auskennt, würde nach Auffassung der Kammer nicht auf den Gedanken kommen, den Kläger mit dieser Krankheit in Verbindung zu bringen oder ihn überhaupt nur aufgrund seines äußerlichen Erscheinungsbildes als krank anzusehen. Allerdings macht der Kläger geltend, durch die nach innen gekehrten Wangen Kaubeschwerden zu haben und schmerzhafte Bißverletzungen zu erleiden, die zu einem Wundsein im Wangeninnenbereich führen. Ob diese Symptome allerdings die Lipodystrophie als solche zu einer behandlungsbedürftigen Krankheit machen oder selbst Krankheitserscheinungen sind, die durch Schmerzmittel oder Wundbehandlung zu therapieren sind, braucht die Kammer nicht zu entscheiden. Denn die Behandlung mit New Fill/Sculptra® ist jedenfalls keine Behandlungsmethode, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden kann.

Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind. Dies gilt entsprechend für apothekenpflichtige Medizinprodukte (§ 31 Abs. 1 Satz 3 SGB V). New Fill/Sculptra® ist eine biologisch abbaubare Polymilchsäure. Das Präparat ist zwar in den USA, nicht aber in Deutschland oder EU-weit zugelassen. Es handelt es sich bei dieser Füllsubstanz - einem so genannten Dermal Filler - nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein Medizinprodukt, das nicht apothekenpflichtig ist. Bereits deshalb ist es als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen.

Unabhängig davon ist die vom Kläger begehrte Wangenauffüll-Behandlung mit New Fill® nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung, weil sie nicht zu den Behandlungsmethoden zählt, die für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemeinen Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Dies ergibt sich aus § 135 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit den Richtlinien des G-BA über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V. Nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der G-BA eine Empfehlung über die Anerkennung des therapeutischen Nutzen der neuen Methode abgegeben hat.

Bei der Behandlung mit New Fill® handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 SGB V; denn sie ist noch nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthalten. Eine Empfehlung des G-BA zu einer Behandlung mit New Fill® liegt bisher nicht vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein entsprechender Antrag zur Beurteilung dieser Methode bisher gestellt worden ist. Es liegt kein so genanntes "Systemversagen" vor, das ausnahmsweise auch ohne Empfehlung des G-BA unter bestimmten Voraussetzungen eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für eine neue Behandlungsmethode eröffnen kann. Der Sachverständige Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 12.04.2007 dargelegt, dass zur Zeit noch international größere, validierte Anwendungsbeobachtungen fehlen, die Einsatz und Ergebnis der Anwendung langfristig und statistisch gesichert beschreiben. Aus den bisher vorliegenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist ein Wirksamkeitsnachweis bzw. einen Nutzen insbesondere im Hinblick auf die Langzeiteffekte und mögliche Nebenwirkungen dieses Verfahrens bisher nicht zweifelsfrei festzustellen (SG Halle, Urteil vom 18.03.2004 - S 2 KR 150/01). Soweit Dr. L. in seiner Stellungnahme für den Kläger auf verschiedene Untersuchungen, die die Wirksamkeit der Behandlungsmethode bestätigen sollen, und die Zulassung entsprechender Medizinprodukte in den USA verweist, überzeugt dies die Kammer nicht. Die strengen Voraussetzungen, die hierzulande für die Zulassung von Pharmaka erfüllt sein müssen, gelten für Dermal filler nicht. So sind zum Beispiel klinische Studien am Menschen nicht zwingend erforderlich, um einen Füllstoff mit dem europaweit gültigen CE-Qualitätssiegel zertifiziert zu bekommen (M. Wimmer, Gegen die Zeichen der Zeit, in: Berliner Zeitung vom 04.12.2004, S. 18). So wird über die Dermal Filler New Fill® und Sculptra® berichtet, dass diese synthetisch hergestellten und als kleingemahlene, kristalline Substanz unter die Haut gespritzten Präparate nicht uneingeschränkt empfohlen werden können. Sobald diese Dermal Filler versehentlich in die tiefere Lederhaut oder in das Unterhautgewebe injiziert werden, sinkt dort der Säuregehalt so stark, dass das umliegende Gewebe Schaden nimmt und sich entzündet. Die Folge: Es entstehen Granulome. Es wird außerdem befürchtet, dass Partikel des injizierten Materials durch den Körpern wandern und so den Weg in die Lunge oder gar ins Gehirn finden können. Studien am Menschen, die diese Risiko ausschließen, gibt es nicht (vgl. M. Wimmer, a.a.O.).

Schließlich kann der Kläger die Behandlung mit New Fill® auch nicht nach den vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891 = SGb 2006, 611) aufgestellten Grundsätzen beanspruchen. Denn mit New Fill® soll nicht die HIV-Infektion bzw. die AIDS-Erkrankung, sondern die Lipodystrophie und die damit einhergehenden Beschwerden behandelt werden. Die Lipodystrophie ist aber keine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit, wie sie das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) für eine ausnahmsweise in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fallende neue Behandlungsmethode fordert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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