L 25 B 946/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AS 10450/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 946/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin (S 39 AS 10450/07 ER) vom 14. Mai 2007 wird zurückgewiesen. Der Antrag des Antragsstellers zu 2 wird abgelehnt. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Umstritten ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die am 1986 in Polen geborene Antragstellerin zu 1 polnischer Staatsangehörigkeit hält sich seit September 2005 in Deutschland auf. Das Bezirksamt Reinickendorf hat ihr am 18. Januar 2007 eine Bescheinigung gemäß § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) verkündet als Art. 2 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz ( BGBl 2004 I S. 1950)) erteilt. Darin wird darauf hingewiesen, dass die Inhaberin der Bescheinigung zur Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis oder Arbeitsberechtigung-EU benötige. Die Antragstellerin zu 1 betrieb als Selbständige einen Imbiss/Bistro (05. Januar 2006 Gewerbeanmeldung, 18.Januar 2007 Gewerbeabmeldung). Die Abmeldung des Gewerbes erfolgte nach ihren Angaben aufgrund fortschreitender Schwangerschaft. Ein am 22. Februar 2007 angemeldetes Gewerbe zum Zweck der Verteilung von Werbematerial meldete sie am 13. März 2007 ab. Am 13. Mai 2007 wurde der Antragsteller zu 2 geboren.

Mit Bescheid vom 10. Mai 2007 hat die Antragsgegnerin den Antrag vom 12. März 2007 auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II abgelehnt. Insbesondere wurde zur Begründung ausgeführt, der Aufenthalt eines Bürgers aus den vorgenannten Staaten u. a. aus Polen nach § 5 FreizügG/EU in der Bundesrepublik Deutschland begründe in der Regel keinen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I. Den dagegen eingelegten Widerspruch hat die Antragstellerin bislang nicht beschieden.

Die Antragstellerin zu 1 hat mit dem am 04. Mai 2007 beim Sozialgericht (SG) Berlin eingegangenen Schriftsatz vorgetragen, sie habe während ihrer Zeit in Deutschland keine staatlichen Leistungen in Anspruch genommen. Seitdem sie kein Geld mehr verdienen könne und ihr Restvermögen aufgebraucht sei, seit Anfang/Mitte März, leihe sie sich Geld von Freunden und Bekannten. Den Vater ihres Kindes kenne sie nur mit Vornamen, sein Aufenthaltsort sei unbekannt. Wegen persönlicher Schwierigkeiten mit ihren Eltern habe sie Polen verlassen. Sie erhalte keine Unterstützung von ihnen. Sie habe Anspruch auf Leistungen bei gemeinschaftskonformer Anwendung des § 7 Abs. 1 SGB II und falle damit nicht unter den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Sie habe eine Freizügigkeitsberechtigung nicht allein zum Zweck der Arbeitssuche. Nach Ende des Mutterschutzes werde sie im Rahmen der Möglichkeiten eine Beschäftigung oder eine neue selbständige Tätigkeit suchen.

Die Antragstellerin zu 1 hat erstinstanzlich beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin ab Eingang des Antrags auf einstweilige Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren und der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung hat sie auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Des Weiteren hat sie ausgeführt, die Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU finde vorliegend keine Anwendung, da die Antragstellerin auf die Umstände, die zur Einstellung der selbständigen Tätigkeit geführt haben, Einfluss gehabt habe.

Mit Beschluss vom 14. Mai 2007 hat das SG die Anträge auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es fehle an einem Anordnungsanspruch. Der Leistungsanspruch nach dem SGB II sei bereits wegen eines fehlenden gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I ausgeschlossen. Darüber hinaus sei nicht überwiegend wahrscheinlich und damit nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 SGB II vorlägen. Die Antragstellerin verfüge nicht über eine Erlaubnis, eine Beschäftigung im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II i. V. m. § 7 SGB IV aufzunehmen. Auch seien die notwendigen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 SGB II zweite Alternative SGB II ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 22. Mai 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am 11. Juni 2007 beim SG eingegangene Beschwerde mit dem Vortrag, als Verfahrensbeteiligter sei der Sohn der Antragstellerin hinzugekommen. Zur Begründung wurde insbesondere vorgetragen, Zweifel am gewöhnlichen Aufenthalt der Antragstellerin zu 1 seien nicht begründet. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 SGB II könne nicht allein mit dem Verweis auf § 284 SGB III und das Antragserfordernis bei einer Beschäftigungsaufnahme verneint werden. Durch die Genehmigungsbedürftigkeit der Beschäftigung sei die Arbeitssuche erschwert, aber nicht von vornherein aussichtslos, da eine Erlaubnis erteilt werden könne. Die Prüfung erfolge gemäß § 284 Abs. 3 SGB III nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 bis 4 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthaltG), also mittels einer Vorrangprüfung sowie einer Arbeitsmarktprüfung. Dieser Weg stehe der Antragstellerin zu 1 offen. Allein der pauschale Hinweis auf die Arbeitsmarktlage im angegriffenen Beschluss begründe nicht, dass die Antragstellerin von Anfang an und unter keinen Umständen eine Aussicht auf die Erteilung einer Arbeitserlaubnis-EU habe. Einen entsprechenden Antrag habe die Antragstellerin in der Vergangenheit nicht gestellt, weil sie selbständig tätig gewesen sei. Derzeit befinde sie sich im Mutterschutz. Nach Ende des Mutterschutzes werde sie im Rahmen der Möglichkeiten als alleinerziehende Mutter eine Beschäftigung oder eine neue selbständige Tätigkeit suchen. Erst wenn dann ggf. Anträge auf eine Arbeitserlaubnis-EU wiederholt abgelehnt worden sein sollten, könnte Anlass für eine Versagung im Hinblick auf § 8 Abs. 2 Alternative 2 SGB II bestehen.

Der Senat legt als der Anträge der Antragsteller zugrunde:

Den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2007 (39 AS 10450/07 ER) aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

Das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt Mitte von Berlin, Sozialamt, Müllerstraße 146/147, 13353 Berlin, beizuladen, und hilfsweise im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren

und den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die Beschwerde zurück zu weisen.

Sie verteidigt die angefochtenen Entscheidungen.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten () und den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakten zum Geschäftszeichen L 25 B 946/07 AS ER und den der Gerichtsakten zum Geschäftszeichen L 15 B 104/07 SO ER, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.

II.

Die zulässige und im Übrigen statthafte Beschwerde gegen den Beschluss des SG und der Antrag des Antragstellers zu 2 sind unbegründet. Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweiligen Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, das heißt ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilige begehrte Leistung, wie auch ein Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit des Verfahrens bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).

Das SG ist zutreffender Weise davon ausgegangen, dass es an einem Anordnungsanspruch fehlt.

Gemäß § 19 Abs. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Erwerbsfähige Hilfebedürftige im Sinne des SGB II sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben, § 28 Abs. 1SGB II. Damit lassen sich für beide Antragsteller Ansprüche nicht begründen. Denn die Antragstellerin hat jedenfalls ihre Erwerbsfähigkeit nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbsfähig im Sinne von Abs.1 sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte.

Bezüglich der ersten Alternative steht fest, dass die Antragstellerin nicht über eine Erlaubnis verfügt, eine Beschäftigung im Sinne von § 8 SGB II aufzunehmen.

Die Voraussetzungen der zweiten Alternative von § 8 Abs. 2 SGB II sind nicht glaubhaft gemacht worden.

§ 13 FreizügG-EU sieht für den Fall der Antragstellerin eine Sonderregelung vor, dass die Beschäftigung durch die Bundesagentur für Arbeit genehmigt wird. Die Genehmigung wird befristet als Arbeitserlaubnis-EU erteilt wenn nicht Anspruch auf eine unbefristete Erteilung als Arbeitsberechtigung-EU besteht. Die Genehmigung ist vor Aufnahme der Beschäftigung einzuholen, § 284 Abs. 2 SGB III in der Fassung vom 07. Dezember 2006. Die Arbeitserlaubnis-EU kann nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 bis 4 und 6 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden, § 284 Abs. 3 SGB III. Damit unterliegt die Antragstellerin zu 1 einem Arbeitsmarktzugang im Sinne einer Ermessensnorm, die neben der grundsätzlichen Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit auf der Tatbestandseite hinsichtlich der Ermessensvoraussetzungen (§ 39 AufenthaltG) verweist.

Als Ermessensvoraussetzung ist in § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a AufenthaltG bestimmt, dass sich durch die Beschäftigung von Ausländern nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Regionen und der Wirtschaftszweige nicht ergeben sowie für die Beschäftigung deutscher Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt sind oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, nicht zur Verfügung stehen und der Ausländer nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden (Nr. 1 b).

Diese Grundvoraussetzung einer Ermessensbetätigung durch die Bundesanstalt ist schon deshalb nicht glaubhaft gemacht, weil für die Antragstellerin zu 1 ein Vermittlungsbegehren hinsichtlich einer bestimmten Berufstätigkeit weder dargelegt noch im Übrigen erkennbar und noch weniger glaubhaft gemacht ist. Insoweit hat die Antragstellerin lediglich vorgetragen, nach Ende des Mutterschutzes werde sie im Rahmen der Möglichkeiten eine Beschäftigung oder eine neue selbständige Tätigkeit suchen. Jedenfalls in diesem Fall, in dem ein Anspruch auf Ermessensbetätigung wegen offensichtlichen Fehlens der tatbestandlichen Ermessensvoraussetzungen scheitert, kann im Sinne des § 8 Abs. 2 zweite Alternative SGB II ein "erlaubt werden können" nicht anzunehmen sein. Die Antragstellerin steht dem rechtlichen Arbeitsmarktzugang noch derart fern, dass es nicht gerechtfertigt ist, sie dem Arbeitsmarkt bezogenen Existenzsicherungssystem zuzuordnen.

Nach allem kann auch der Antrag des Antragstellers keinen Erfolg haben, da er die Voraussetzung des § 28 Abs. 1 SGB II, wonach er mit einer erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben muss, nicht erfüllt.

Die Beschwerde gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des SG kann daher ebenso wenig Erfolg haben wie der im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die Bejahung der Erfolgsaussicht genügt eine Erfolgswahrscheinlichkeit, die im vorliegenden Fall wie dargelegt für beide Antragsteller nicht gegeben ist.

Dem Antrag auf Beiladung des Landes Berlin, vertreten durch das Bezirksamt Mitte von Berlin, Sozialamt, Müllerstraße 146/147, 13353 Berlin und diesen im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren, hat der Senat wegen anderweitiger Rechtshängigkeit dieses Sachantrags (L 15 B 104/07 SO ER) nicht entsprochen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.

Gegen diesen Beschluss sieht das Gesetz einen ordentlichen Rechtsbehelf nicht vor, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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